Ich verabschiede mich von meinem Hotel, es hat mir gut gefallen hier. Das TukTuk hält vor der Post („no problem, I wait and look for your luggage; I’m your friend“). Beruhigend. Das letzte mal die Fähre. Ein Mann vor mir hustet, ich tippe auf TB. Armer Kerl. Neben mir sitzen ein paar Junge und betrachten Bilder von Cricketspielern.

Die Unterschiede

Ich bin allein im Abteil, der darin schlafende Inder verzieht sich erschreckt. Ich schaue aus dem Fenster, lasse das Land an mir vorüberziehen. Manchmal schreckliche Bilder von drastischer Armut, schlimmer als je zuvor. Trotz Mitgefühl ist man Zuschauer. Ich sitze in meinem gekühlten Abteil, Magen voll, gesund und mit Geld in der Tasche.

Ich kann nicht lesen, draussen läuft ein Film ab. Der Zug wendet sich in Richtung Landesinneres. Ein neuer Inder hat sich zu mir gesellt und legt sich schlafen. Leises Schnarchen erfüllt ab nun das Abteil. Ein schönes Gefühl des Nicht-Alleinseins. Langsam neigt sich von Osten her die Dunkelheit herab. Lichter überall. Kleine schwache Lichter, verloren in der Nacht. Trotzdem scheint es mir, dass in diesem Land niemand wirklich allein ist. Nicht nur durch die permanente Anwesenheit von Millionen Menschen, es ist etwas anderes. Merkwürdig – mir scheint, als gingen die Leute liebevoller miteinander um als bei uns. Was ist uns alles verloren gegangen.

Nicht zum ersten Mal eine überraschende Pünktlichkeit in Coimbatore. Ich bin in der Zwischenzeit wieder zu einem kompetenten Traveller geworden. Aussteigen, sich umsehen, anstehen am Ticketschalter, dann schwierige Kommunikation mit der Dame am Schalter. Es gibt zwar 1. Klasse-Tickets nach Mettupalayam, lohnt sich aber nicht, da die Nilgiri Railway eh nur 2. Klasse hat. Ich kaufe mir „Indian Railways at a Glance“ und erschrecke ob der Grösse und dem Gewicht des Buches.

Ein TukTuk bringt mich pfeilschnell durch einen unglaublichen Verkehr und liefert mich beim Hotel ab. Irgendwas gefällt mir nicht daran. Zuviel Unklarheit. Und ein merkwürdiges Zimmer mit einem riesigen Spiegel an der Wand.

Immerhin hat es auf der andern Strassenseite ein wirklich gutes Restaurant. Ich esse Chinesisch und wundere mich über die Bedienung, die Gäste, alles. Ich esse und gehe schlafen.

Mettupalyam

Morgens um 2 Uhr bin ich hellwach und schaue „Star Wars Phantom Menace“. Der Film ist nicht mal um diese Tageszeit gut. Um 04.30 verabschiede ich mich (die beiden Männer an der Rezeption schlafen auf dem Boden) und lasse mich durch die menschenleeren und beinahe lautlosen Strassen zum Bahnhof kutschieren. Ein eigenartiges Gefühl der Reglosigkeit.

Am Bahnhof ist bereits halb Coimbatore auf den Beinen. Ich bin sicher, dass viele davon keine feste Bleibe haben. Wieder einer dieser surrealen Momente, die mir so gefallen. Ein anderer Planet, und ich ein Besucher aus dem All. Trotzdem ist alles ruhig, gelassen, von einer erstaunlichen Friedlichkeit. Schön.

Die Lokomotive wartet

Auf dem Perron erhasche ich die Blicke eines jungen Paares, das im 2. Klassabteil sitzt. Ich geselle mich zu ihnen, kurz darauf ergänzt die herzige Belgierin Jenny unser trautes Zusammensein. Vergnügtes Quatschen, während sich der Zug um genau 05.15 in Bewegung setzt und langsam in den dämmernden Morgen hinausfährt.

In Mettupalyam steht die Nilgiri Blue Mountain Railway bereits auf dem Perron und erwartet ungeduldig ihre Gäste.

Steam and noise
Dampf und Lärm
Quite old looking, but still in operation
Ziemlich alt aussehend, aber immer noch in Betrieb

Ein irritierendes Gewühl entsteht. Niemand weiss genau, wo man sich nun mit welchem Ticket hinsetzen darf. Ich finde irgendwann heraus, dass nur die Hälfte des besseren Wagens reserviert ist und man sich deswegen dort niederlassen darf. Jenny und ich wagen es, während die beiden Franzosen der Sache nicht trauen und lieber im dicht gepackten 2. Klassabteil bleiben.

Nilgiri Blue Mountain Railway

Irgendwann viel später ruckelt der Zug los, mit Höllenlärm, Rauch und Dampf. Die kleine schwach aussehende Lokomotive stösst den Zug mit den 4-5 Wagen an. Es ist ein wunderbares Erlebnis, wenn auch ziemlich anstrengend. In den 16 Tunnels dampft und dröhnt die Lokomotive, es hämmert wie im Herrn der Ringe, wenn Saruman seine unterirdischen Fabriken begutachtet. Manchmal halten wir an, Wasser nachfüllen, jedermann drängt an die Luft, schiesst Photos von sich und der Gruppe, lacht, redet. Fröhlichkeit pur.

Einfach schön.

It gets steeper and narrower
Es wird steiler und enger

Und hier das Video mit sehr schlechter Qualität:

 

Steam and rattling

Nach den steilen Anstiegen, die übrigens durch ein Schweizer Patent, das Zahnstangensystem, überwunden werden können, empfängt uns eine liebliche Landschaft, geprägt durch sattgrüne Teeplantagen, Eukalyptusbäume (wie seltsam), farbige Kleckse von Häusern dazwischen. Die Bahn wurde übrigens von den damaligen Teeplantagenbesitzern finanziert. Man fühlt sich in einer andern Welt, abgehoben von der Hitze der Ebene, in plötzlich klarer, spürbar kälter werdenden Luft. Manchmal, wenn die Sonne hinter Wolken verschwindet, plötzlich ein Hauch von Frösteln. Unerwartet und ungewohnt.

Dark tunnels
Dunkle Tunnels
Refill water
Wasser nachfüllen

Goodbye, kleine tapfere Lokomotive

Irgendwo auf der Strecke wird die Lokomotive ausgewechselt und durch ein moderneres Dieselmodell ersetzt. Goodbye, kleine tapfere Lokomotive, du hast gute Arbeit geleistet. Mögest du noch weitere 100 Jahre die Ghats hinaufschnaufen.

Der zweite Teil der Strecke geht etwas schneller, ich diskutiere mit einem in Ooty ansässigen Herrn, den ich mir als Arzt vorstellen kann, der sich aber als Businessmann entpuppt, der irgendwas mit organischem Dünger zu tun hat.

Und dann ist da Ooty (eigentlich Udagamandalam, aber wer kann sich das schon merken). 2400 Meter über Meer, heiss an der Sonne, und wie sich später herausstellt, schmutzig und wenig einladend. Vorerst aber beziehe ich mein Hotel, ein kleines Zimmerchen im „Reflection Guest House“. Ich hoffe, der Name ist gut gewählt. Es hat zwar, zumindest im ersten Moment, kein warmes Wasser, aber vielleicht mache ich ja wieder mal alles falsch.

Ich lasse mich treiben durch die extrem schmutzigen Strassen und Gassen, vorbei am Dreck und Unrat an den Wegrändern.Die Tiere, hier in grosser Anzahl und zum Teil in einem erbärmlichen Zustand, suchen auf der Strasse nach etwas Essbarem. Ich kann mir nicht helfen, aber ich fühle mich nicht wohl. Und da zeichnet sich irgendwas mit einem Streik ab, was meine geplante Abreise gefährden könnte. Was soll’s, ich lasse es auf mich zukommen. Merkwürdig, wie unterschiedlich meine Reaktionen sind. Kochi – Begeisterung, Ooty – Abneigung.

Es wird kalt

Kaum sind die letzten Sonnenstrahlen verglüht, wird es merklich kälter. Auch mein Pullover ist kaum warm genug, um genügend Schutz zu geben. Ich gehe früh ins Hotel, müde und etwas verstimmt, lese noch ein paar Zeilen und finde es gar nicht so kalt. Was sich aber nach einiger Zeit als trügerisch erweist: zuerst muss ich die eine warme Decke höher ziehen, dann die zweite, schliesslich ziehe ich den Pullover an, und dann auch noch meine langen Hosen, und ganz am Schluss wickle ich ein Tuch um den Hals. Was für eine Scheiss-Kälte!

PS Song zum Thema: The Communards – So cold the Night

Und hier geht’s weiter …

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