Das Hotel „Ramsar“ an der Pahlevi Avenue mag zwar nach europäischen Standards billig erscheinen, doch wenn man Komfort, Dienstleistungen und alles andere, was ein gutes Hotel ausmacht, in die Beurteilung miteinbezieht, sieht die Sache etwas anders aus.
Kurz – unsere Unterkunft ist eine schmierige Absteige mit schmierigen Möbeln, schmierigen Hauseingängen und schmierigem Personal.
Perfekt, um unseren Zwangsurlaub zu verbringen. Manchmal ist es gut, wenn die eigenen Ansprüche nicht besonders hoch sind.
Täbris – Einstieg in den Orient
Der persische Alltag bietet auf den ersten Blick nicht viel Überraschendes. Der Verkehr rauscht wie bei uns auf breiten und gut angelegten Strassen vorbei. Überall geschäftiges Treiben, vor allem, wenn man die Hauptstrassen verlässt und sich in die dahinterliegenden Gassen wagt und auf einen Schlag in die Vergangenheit katapultiert wird.
Man glaubt, in einer anderen Welt, in einer anderen Zeit gelandet zu sein. Könnte es das 18. oder 19. Jahrhundert in Europa sein? So stellen wir es uns vor: schmale Gassen, die scheinbar nirgends hinführen. In dunklen Hinterhöfen spielen dreckige Kinder, die uns gleichzeitig neugierig und misstrauisch beäugen. Ich vermute, dass uns dieser Eindruck noch öfters begegnen wird.
Und wieder einmal zitiere ich aus einem Machwerk, das Jahrzehnte später erstellt werden wird:
Als erstes führte sie Jaco die abschüssige Gasse hinab, die in jenes Viertel führte, das von seinen Bewohnern ironisch, jedoch durchaus treffend das Loch genannt wurde, ein Irrgarten, in dem der Unkundige nach kurzer Zeit jeglichen Sinn für die Orientierung verlor. Verwinkelte Gässchen führten mitten in ein undurchdringliches Labyrinth und über kurz oder lang verlor man sich in Hinterhöfen, Sackgassen und verwunschenen Plätzen. [Eine Schlange in der Dunkelheit]
Inmitten vollgestopfter Krämerläden, wo eine Menge undefinierbaren Krams angeboten wird, inmitten düsterer Handwerkerbuden, wo emsig gehämmert, gesägt, geschraubt wird, erwarten wir auch kleine Spelunken, wo die Handwerker ihre wohlverdiente Pause verbringen und bei einem Schwatz den neuesten Klatsch austauschen. Oder normale Restaurants oder Hotels, die notwendige Abrundung des Angebots.
Doch nichts dergleichen.
Man muss sich Mühe geben und sehr lange suchen, bis man eher zufällig ein entsprechendes Etablissement entdeckt, ganz verschämt in einer Ecke des Quartiers versteckt.
Aber es ist geschlossen. Es braucht etwas Zeit, bis wir den Grund verstehen.
Ramadan
Natürlich, der Ramadan. Die jährliche Fastenzeit der Moslems, dieses Jahr vom 17. September bis zum 16. Oktober. Während des Tages, d.h. zu Beginn des Fastens am frühen Morgen bis zum Abend, ist Essen, Trinken und Rauchen untersagt. Dementsprechend sind auch alle Restaurants geschlossen. Upps – das hätten wir eigentlich wissen müssen.
Ich verweise auf einen Beitrag, der einen anderen Tag im Ramadan beschreibt.
Das bedeutet konkret, dass wir in unserem inzwischen sehr lädiert aussehenden VW Bus inmitten ausgehöhlter Autowracks kochen und essen müssen. Es riecht nach altem Schmieroel, nach verbranntem Gummi, nach Staub und Dreck und allerhand Undefinierbarem.
Andererseits bietet es die Gelegenheit, den fleissigen Arbeitern zuzusehen bei ihrer täglichen Mühsal. Man muss sich vorstellen, dass es noch keine Werkzeuge, keine Apparate, keine elektronischen Hilfsmittel gibt, wie sie heute gang und gäbe sind. Alles muss manuell erledigt werden, alles ist Handarbeit.
Immerhin ergibt sich damit die Gelegenheit, die Reparatur unseres Motors zu beobachten. Der Boss zeigt uns die lädierten Pleuellager, die beschädigte Kurbelwelle, aber ausser einem zustimmenden Nicken kann ich nicht viel beitragen. Wir können nur hoffen, dass die Kerle ihr Handwerk verstehen. Schade ist einzig, dass wir uns nicht unterhalten können. Englisch gehört definitiv nicht zu ihren kommunikativen Angebot.
Allerdings, angesichts der momentan unsicheren Situation mit unserem VW Bus und der möglichen Konsequenzen, falls die Reparatur schief gehen sollte, diskutieren wir einen Plan B. Wir denken über die Weiterreise mit öffentlichen Verkehrsmittel nach, Busse, Züge, vielleicht eine Mitfahrgelegenheit auf einem Lastwagen. Irgendetwas wird sich schon ergeben.
Alles noch sehr diffus, aber mit einer gewissen beunruhigenden Wahrscheinlichkeit.
Freitag – oder doch eher Sonntag?
Wie bereits erwähnt, manchmal übersieht man etwas oder vergisst es oder ist einfach zu blöd, um zu realisieren, was es bedeutet. Auf jeden Fall ist für uns heute Freitag, was in der westlichen Welt normal ist, allerdings, was wir sehr schnell feststellen, nicht in der islamischen Welt.
Hier ist nämlich nicht Freitag sondern Sonntag.
Die Restaurants sind geschlossen.
Die Läden sind geschlossen.
Der Zugang zur Autoreparaturwerkstätte und damit zu unserem Bus ist verschlossen.
Alles in allem – wir sitzen sozusagen auf der Strasse.
Ausser einem ziemlich harten Stück Brot und ungefähr einem Kilo Haselnüsse aus der Türkei haben wir nichts zu essen.
Aber wenigstens ist das Wetter so, wie wir es wünschen. Blau und heiss mit einem Touch Feuchtigkeit. Der Schweiss rinnt ungewollt von der Stirn, während wir Haselnüsse kauend durch die Strassen und Gassen unserer temporären Heimat flanieren.
Eigentlich ganz in Ordnung, wenn nicht das Geräusch unserer knurrenden Mägen den Kontrapunkt zum allgemeinen Wohlgefühl legen würde.
Die Stadt entspricht der Vorstellung, die man von einer Stadt im Orient hat, aber dann doch wieder nicht. Es gibt eine Reihe von Universitäten, natürlich Moscheen, Paläste, Museen, Basare, Kirchen und Pärke. Wenn nicht der Grund für unseren Aufenthalt ein besonderer wäre, könnte man sich vorstellen, ein paar Tage entspannten Urlaubs zu verbringen.
Und manchmal stolpert man über besonders erwähnenswerte Sehenswürdigkeiten, zum Beispiel obenstehende Gebisse, ausgestellt in einem Schaukasten, damit man sich schon mal ein Bild über die zukünftigen Kauwerkzeuge machen kann.
Es ist alles da, auch die zumeist wilden Katzen, ganz grosse Überlebenskünstler im rauen Umfeld. Irgendwie gibt es immer irgendwo einen Happen zu finden.
Ein böses Erwachen
Der Abend verläuft ruhig, sieht man vom immer noch protestierenden Geräusch unserer Verdauungssysteme ab. Wir lesen bis zur Bewusstlosigkeit alte Krimihefte, die eine gnädige Seele im Hotel liegen gelassen hat, bis uns schliesslich die Augen zufallen.
Ein sehr seltsamer Tag.
Eine seltsame Nacht.
Sie dauert allerdings nicht sehr lange. Mindestens in meinem Fall nicht.
Die vielen frischen Haselnüsse, an sich eine Quelle vieler gesunder Fette, tun mitten in der Nacht ihre Wirkung. Viel Zeit habe ich nicht, um fluchtartig die Toilette aufzusuchen, die sich irgendwo auf einem anderen Stockwerk befindet. Die Nacht, bis jetzt still und leise, wird durch seltsame Geräusche aufgeschreckt. Man könnte meinen, dass irgendwo ein kleineres Erdbeben stattfindet. Allerdings sind es nur meine Eingeweide, die sich des überflüssigen Fetts entledigen.
Das Frühstück allerdings ist nach der 24-stündigen Fastenzeit eine Offenbarung. Nicht dass es ein besonders gutes gewesen wäre, nein, nicht in diesem Etablissement, aber wir hätten wahrscheinlich auch Dinge gegessen, vor denen es uns üblicherweise grausen würde.
Und so beginnt ein weiterer Tag auf unserem erzwungenen Aufenthalt.
Passender Song zur Zeit: Steve Miller Band – The Joker
Und hier geht die Reise weiter … aber nicht sehr weit