Nach genau drei Wochen haben wir das erste grosse Ziel erreicht – Teheran.
Die knapp 300 Kilometer bis zur Hauptstadt sind angenehm zu fahren, die letzten 40 Kilometer sogar auf einer richtigen Autobahn.
Eine Autobahn mit allem
Wer nun an eine geordnete Strasse denkt mit Abschrankungen und Mittelstreifen und – ganz wichtig – der Beschränkung auf Fahrzeuge, täuscht sich gewaltig.
Natürlich ist der Unterschied zum schrecklichen Tahir und ähnlichen Zumutungen erheblich, und natürlich geniessen wir das Fahren auf sanften ebenen Oberflächen, ohne Löcher, ohne Gräben.

Das ist aber auch schon alles, denn was sich da alles auf der Autobahn drängt, ist alles andere als vergleichbar mit europäischen Strassen.
Alles, was Räder hat oder Beine, tummelt sich fröhlich auf der Strasse, also Fussgänger, Fahrradfahrer, Kinder und Hunde und anderes Getier.
Die hunderten von Lastwagen, immer in Eile, immer gestresst, versuchen mit mehr oder weniger Erfolg den wandelnden Hindernissen auszuweichen. Was seltsamerweise tatsächlich gelingt.
Es gibt keine Trennung zwischen erlaubt und verboten, es scheint, dass sich die Leute an der schnurgeraden Strasse erfreuen und mal ausprobieren wollen, wie es sich anfühlt. Auf jeden Fall sind die Gesichter fröhlich, es sieht nach Karneval aus.
Eine Dunstglocke über der Stadt
Die Nähe zur Hauptstadt zeigt sich schon von weitem in Form einer riesigen Staub- und Dunstwolke.
Schon heute zählt die Stadt viele Millionen Einwohner (heute geschätzte 20 Millionen!), und obwohl sie eigentlich mitten in einer Wüste liegt, werden es immer mehr.
Hier ein paar Infos zur Stadt (heute):
Im administrativen Stadtgebiet leben knapp 8,7 Millionen Menschen (laut Volkszählung von 2016). Die Bevölkerungszahl der Metropolregion wird auf rund 20 Millionen Einwohner geschätzt; die offizielle Statistik von 2011 belegt jedoch nur 15,2 Millionen Menschen. Als Industrie- und Handelsstadt mit Universitäten, Hochschulen, Bibliotheken und Museen ist Teheran ein bedeutendes Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturzentrum sowie ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt des Landes. (Wikipedia)
Begrüssung durch ein Ungetüm
Am Stadtrand – von weitem schon erkennbar – hat sich der Schah ein weiteres Monument seiner göttlichen Pracht errichten lassen – den sogenannten Freiheitsturm (persisch Azadi), erstellt vom berühmten Architekten Hossein Amanat.
Na ja, über Geschmack lässt sich bekanntlich trefflich streiten, nach unserer bescheidenen Meinung ist es ein grossspuriges, klobiges, geschmackloses Ungetüm, das den Charakter und Willen des verehrten Gottkaisers sehr genau manisfestiert.
Wir fahren mehr oder weniger achtlos daran vorbei, bevor wir vom Verkehr aufgesogen werden.
Verkehrshölle
Der Verkehr in Istanbul als bisheriger Höhepunkt der automobilen Vermessenheit wird klar übertroffen, Teheran 100 Punkte.
Es nützt gar nichts, dass wir mehrfach gewarnt worden sind. Jetzt ist Konzentration gefragt, Autos rechts, Lastwagen rechts, Fussgänger in heldenhaften Versuchen, über die Strasse zu gelangen, knapp vor der Stossstange. Dass für sie grün angezeigt wird, interessiert niemanden.
Der stärkere gewinnt, und das sind in keinem Fall die Verkehrsteilnehmer auf Beinen.
Die Stadt ist unermesslich gross, ein Monstrum mit vielen Beinen, ein Ungeheuer, das uns zu verschlucken droht.
Und so bleiben wir mit wachsender Verzweiflung mehrmals stecken. Man befindet sich also irgendwo an einem unbekannten Ort mitten in der Stadt, es geht weder vorwärts noch rückwärts, Daily Business in Teheran. Obwohl man sich daran gewöhnt haben müsste, ist nichts von entspannter orientalischer Gelassenheit zu erkennen, im Gegenteil. Es wird gehupt, gehornt, geflucht, verflucht und verdammt.
Ohne Ergebnis.
Was die Geschichte noch schlimmer macht, ist die Tatsache, dass wir vergeblich nach irgendwelchen Hinweisen auf den Campingplatz suchen. Ich gebe zu bedenken, dass zu dieser Zeit weder Google Maps noch Navigationsgeräte noch irgendwelche anderen Hilfsmittel existierten.
Dieses Thema wird noch öfters im Zentrum vielfältiger Orientierungsprobleme sein.
Der Campingplatz
Nun, manchmal findet auch ein blindes Huhn ein Korn, und genau so geht es uns. Im Nachhinein ist es schwierig zu sagen, wie wir es doch noch geschafft haben, den ziemlich weit ausserhalb der Stadt befindlichen Zeltplatz zu finden.
Offenbar scheint es der zentrale Sammelplatz aller Indien- oder zumindest Afghanistanfahrer zu sein. Ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus haschverträumten Hippies, denen man kaum zutraut, den Weg zur nächsten Toilette zu finden geschweige den Weg nach Indien. Aber wie wir später herausfinden werden, schafft es jeder irgendwie, auch diejenigen, die sich irgendwo befinden, aber garantiert nicht in unserer Welt.
Der genaue Gegensatz zu ihnen sind pfadfinderähnliche Herrschaften älteren Datums, die sich alle Mühe geben, genauso cool auszusehen wie die viele Jahrzehnte jüngeren Indienreisenden. Man würde nicht erstaunt sein, wenn sie beim morgendlichen Appell „Allzeit bereit“ rufen würden.
Jedes Cliché wird bestätigt, jedes vorteilhafte, jedes abwertende.
Es kümmert niemanden. Langsam scheint sich so eine Art künstlicher Familie zu bilden. Alle mit dem gleichen Ziel, alle mit den gleichen Vorbehalten, Ängsten.
Aber das Schöne ist – wir sind mitten drin, ein Teil der Familie.
Passender Song zur Zeit: Roxy Music – Out of the Blue
Und hier geht der Trip weiter …