Von Syabrubesi zum Lama Hotel

Es ist manchmal gut, wenn man nicht weiss, was einen erwartet.

Die Gefahr besteht, dass man sonst schon vor dem Start das Handtuch wirft und sich heulend in eine Ecke verzieht. Aber wie gesagt – alles im Leben ist Gott sei Dank nicht voraussehbar. Wie manchmal habe ich das schon erlebt. In Indien. Laos. Burma. Ladakh … Im Nachhinen – meistens unerwartete Erlebnisse, deren Verzicht schmerzhaft gewesen wäre.

Nun, der Tag beginnt auf jeden Fall positiv, mit blauem Himmel, frischer würziger Luft und einem ausgelüfteten Kopf nach zehn Stunden Schlaf. Sitaram schaut mich zwar noch etwas skeptisch an, sein Blick gilt vor allem meinem Rucksack, der eher auf einen mehrmonatigen Aufenthalt in der Wildnis als einen 8-tägigen Trek hinweist.

Er sollte recht behalten.

 

Erste Bekanntschaften

Es bilden sich beim Frühstück bereits erste Bekanntschaften, natürlich noch im Stil „woher, wohin, wie lange …“ Ein Thai-Ehepaar sitzt neben zwei jungen Männern, wie sich herausstellt aus Mexiko und Slowakei, aber beide in Australien lebend. Wir werden uns häufig wiedersehen – zwangsläufig.

„First Time in Nepal?“ Die unumgängliche Frage, die mich die nächsten Tage begleiten wird. Und meine Antwort stösst immer auf hochgezogene Brauen. Manchmal ist Zurückhaltung schwierig. 

 

Der Tagesplan – ein frommer Wunsch

Eine happige Etappe zum Start. Es ist ratsam, so heisst eine eiserne Regel für Trekker und Wanderer,  die sogenannte „Königsetappe“, d.h. die schwierigste und anspruchsvollste Etappe, nicht auf den ersten Tag zu legen. Wie sich in ein paar Stunden herausstellen wird – ein frommer Wunsch.

Wir werden den ganzen Tag dem Flusstal folgen, mehrheitlich im Schatten des Dschungels, und werden bis zum Tagesziel Lama Hotel gut tausend Höhenmeter zu schaffen haben. Auf den ersten Blick kein grosses Problem, allerdings wird sich später zeigen, dass Pläne wie oft selten der Realität entsprechen.

 

Stage 1 - from Syabrubesi to Lama Hotel
Route gemäss meiner Polar-Aufzeichnung

Der Start

Ja, und dann wird der Rucksack ein letztes Mal geprüft, bevor es los geht. Es fühlt sich gut an, zumindest die ersten paar Minuten. Dass er in ein paar Stunden wie zwei Tonnen wiegen wird, scheint mir in diesem gloriosen Moment undenkbar.

Wir überqueren kurz nach Syabrubesi die erste Hängebrücke, ein bisschen stolz auf die Tatsache, dass viele Hängebrücken in Nepal durch die Schweiz gebaut und finanziert wurden. Im Gegensatz zu den entsprechenden Brücken beim letzten Trek 1990, die noch keine Stahlkonstruktionen waren, machen sie einen sehr stabilen Eindruck. Das wunderbare Wiegen hingegen bleibt. Was auch die Kolonne anderer Trecker mit dem gleichen Ziel zu geniessen scheint.

 

The first suspension bridge with the procession of trekker lemmings  We follow the river valley, a pleasant walk

Der Zug der Trecking Lemminge auf der Hängebrücke und das Tal hinauf

My guide Sitaram on the suspension bridge  ... and me too

Mein Guide Sitaram und ich auf der Hängebrücke

Die ersten Stufen hinauf zum kalten bösen Berg

Die ersten paar Kilometer sind ein ruhiger, richtig angenehmer Spaziergang, alles scheint leicht und sorgenfrei, bis dann die ersten steilen Abhänge auftauchen.

Sie zu erklimmen, heisst immer hohe Stufen überwinden, also das, was man auch in der Alpen zu den eher unangenehmen Erfahrungen zählt. Der Puls schnellt zum ersten Mal auf über 150 Schläge, beruhigt sich aber schnell wieder, nachdem das Schlimmste überwunden ist.

Überwunden? Denkste. Es beginnt nun ein Wettkampf der immer schlimmer und steiler werdenden Stufen mit der Kombination aus Muskeln, Lungen und Herz, mit zunehmenden Vorteilen für die Stufen. Keuchend und nach Atem ringend (und immer wieder stehenbleibend), schleppe ich den verdammten Rucksack, dieses unselige Teil, den Pfad hinauf, knapp hinter mir Sitaram. Wahrscheinlich so nahe, um im Ernstfall einen Schwächeanfall des rüstigen (?) alten Herrn noch rechtzeitig auffangen zu können.

 

You can hardly recognize it, but these steps are murderous
Man kann es schlecht erkennen, aber diese Tritte sind mörderisch

 

Ich muss gestehen, dass ich mir ernsthafte Sorgen mache, wie ich diese endlosen verrückten Stufen mit meinen Knien abwärts bewältigen werde. Alles eine Frage des Willens? Ich weiss es nicht. Aber der Mensch ist zu allerhand fähig, wenn der Stolz eine Rolle spielt.

Immerhin gibt es alle paar Kilometer ein Restaurant, wo man sich erstens etwas erholen, und zweitens etwas essen oder trinken kann.

 

Bamboo Restaurant

Der Lunch dann im Bamboo Restaurant, es gibt eine währschafte Gemüsesuppe und einen Black Coffee (was mir später das erste richtige Bauchrumoren verschaffen wird).

Eine junge hübsche Dame setzt sich an unseren Tisch, wir kommen wie üblich ins Gespräch (es ist dazu zu erwähnen, dass Sitaram findet, dass er noch nie einen Kunden hatte, der erstens so viel schwatzt und zweitens alle Leute anspricht; eine Angewohnheit, die ich mir bei meinen Solo-Reisen zwangsläufig zugelegt habe).

Es dauert seine Zeit, bis die unausweichliche Frage nach dem Woher kommt. „Switzerland“. „Oh, and where from exactly?“ „Zurich“.

Sitaram findet es zum Schreien, dass wir uns eine halbe Stunde lang auf Englisch unterhalten haben, obwohl wir beide vom selben Ort kommen. Sie reist allein, erzählt von langen Trips, unter anderem auch vom Jakobsweg. Eine sehr interessante junge Dame.

 

Stufen und Eselkarawanen

Dass es nach dem Lunch nicht besser geht und ich dauernd überholt werde, kann nicht verwundern. In Tat und Wahrheit pfeife ich aus dem letzten Loch, alles ist nun reinste Qual.

This is someone who still looks optimistic
Immer noch guter Dinge

Eigentlich könnte ich zuhause auf dem Sofa liegen oder auf der Terrasse den Frühling geniessen, aber nein, es muss unbedingt ein vermaledeiter Trek sein, um der Welt zu beweisen, dass ich nicht so alt bin, wie es mein baldiger Geburtstag behauptet (über den ich wirklich nicht sprechen will).

Abgesehen von der Mühsal des Aufstiegs und des Gewichts am Rücken ist der Weg ein einzigartiger Genuss. Wir befingen uns immer noch im Dschungel, meistens im Schatten der Bäume, was einiges an Stress zu lindern vermag.

Der Rucksack allerdings – eine Entscheidung gegen den üblichen Wanderrucksack und zugunsten meines Reiserucksacks – scheint weniger eine Dummheit als lange befürchtet gewesen zu sein. Er fühlt sich, neben dem Gewicht natürlich, gar nicht schlecht an. Immerhin ein kleiner Trost.

Die Schritte werden kürzer, die Pausen länger, immerhin gibt es neben unzähligen Vögeln und Tieren (Affen!) auch andere Sehenswürdigkeiten zu beobachten.

Alle paar Minuten kreuzen wir lange Karawanen aus vollbepackten Eseln. Ich habe sie in guter Erinnerung. Sie stellen das einzig mögliche Transportmittel dar, um die Tonnen von Lebensmitteln, Geräten und alles andere das Tal hinauf zu befördern.

Allerdings wird im unteren Teil der Strecke eifrig gebaut; es sieht so aus, als würde schon bald eine Strasse das Tal hinauf führen.

 

Beautiful gnarled trees hanging over the path  Donkey caravans - always colorful and heavily loaded

Wunderschöne knorrige alte Bäume wachsen über den Weg … und alle paar Meter kreuzt uns eine Eselkarawane

 

Bienenstöcke

Zu den besonderen Überraschungen gehören sicher die an den senkrechten Wänden hängenden Bienenstöcke. Die werden durch die Kliffhonigbienen gebaut, eine Einmaligkeit in der Welt der Bienen.

Es gibt auf youtube zahlreiche Dokumentationen dazu (wahrscheinlich auch ), wo man sehen kann, wie einmal im Jahr waghalsige Männer hinaufklettern, um den Honig zu sammeln.

Eine ziemliche Verrücktheit, wenn man bedenkt, dass es sich nicht um unsere einigemassen harmlosen Bienen handelt, sondern um schwarze, grosse Viecher, die nicht erfreut sind über den Besuch und den Diebstahl ihres mühsam zusammengetragenen Schatzes.

 

Hardly visible from afar ...  A bit scary up close

Bienenstöcke – von weitem harmlos, aus der Nähe ziemlich gefährlich aussehend

 

Regen und ein ausgebuchtes Zimmer

Eine knappe halbe Stunde vor Ankunft des Etappenorts – Regen. Es muss einfach so sein, um diesen Tag auf diese Weise abzuschliessen. Wir erreichen Dank unserer Regenumhänge das Lama Hotel einigermassen trocken.

Dort hat sich allerdings etwas Blödes ergeben. Denn trotz vorheriger telefonischer Ankündigung ist unser Zimmer bereits vergeben worden. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass ich statt der üblichen 5-6 Stunden beinahe 9 gebraucht habe. Die Dame des Hauses hat vermutlich angenommen, dass wir verschollen sind.

Wir erklären ihr mehrsprachig, dass dies absolut unakzeptabel ist und sie gefälligst für eine Lösung sorgen soll. Was sie auch tut, und so verbringe ich die Nacht im Zimmer mit einem Amerikaner, der, wie sich später herausstellt, vor allem für ein Schnarchkonzert sorgen wird.

 

Friedlicher Abend, weniger friedliche Nacht

Der Abend verläuft friedlich und lustig mit unseren temporären Freunden aus Thailand und Australien, und wen wundert’s – wir sind die letzten, die kurz nach neun endlich schlafen gehen. Dass der Gemeinschaftsraum auch als Schlafsaal für die Guides und Porters dient, erfahren wir erst später. Sorry, Jungs!

Eine sehr unangenehme, wenn auch nicht überraschende Nacht wartet auf mich. Der Puls rast, das System versucht wahrscheinlich verzweifelt herauszufinden, was mit ihm geschieht. Also nur kurze Schlafepisoden, unterbrochen durch Herzklopfen und Schnarchattaken des Amis und einen aufgeblähten Bauch, der sich ganz und gar nicht mit dem Angebot an Essen und Trinken abfinden will …

 

PS Song zum Thema:  Black Honey – Headspin

Und hier geht die Reise weiter …

 

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