Von Syabrubesi zurück nach Kathmandu

Vor der Rückfahrt nach Kathmandu trennen sich die Wege guter alter Bekannter endgültig. Die einen nehmen zwecks schnellerer Fortbewegung einen Jeep, andere weniger glückliche, so wie wir beiden, nehmen einen dieser schrecklichen Busse, die bereits um sieben rauchend und röhrend vor den verschiedenen Hotels stehen.

 

Abfahrtsbereit

Der Schlafsack wird zum letzten Mal zusammengerollt und aufgebunden, ein letztes Goodbye der freundlichen Bedienung im Hotel zugerufen, und ab geht die Post. Man hat es schon beinahe vergessen, das Hin- ind Her-Gewirble im Bus, die stinkenden Auspuffgase der entgegenkommenden Fahrzeuge, die engen Sitze, die sogar für mich zu klein geraten sind.

 

Sardinen in der Büchse

Wir haben allerdings nicht vergessen, dass es sich um einen LocalBus handelt, was bedeutet, dass er alle paar Meter, wo ein Hund hingepisst hat, stoppt. Was wir nicht wissen, dass dieses Exemplar nicht nur dauernd hält, sondern auch die physikalischen Grenzen des Füllens eines hohlen Raums unbeachtet lässt.

Heute allerdings sind die Auswirkungen spürbar. An allen Strassenecken stehen Gruppen von Leuten, die alle mitgenommen werden möchten. Wahrscheinlich haben sie das Fest bei Verwandten verbracht und wollen nun alle nach Hause.

 

So stellt man sich die Gans beim Stopfen vor

Stuffed like in a sardine can
Vollgestopft wie in einer Sardinenbüchse

Es beginnt nun eine dieser unvergesslichen Geschichten, die beim Erleben alles andere als lustig sind, beim späteren Erzählen aber erst ihre besondere Note erhalten.

Eigentlich beginnt es ganz harmlos. Der Gang füllt sich schnell mit Passagieren, kleinen, grossen, alten und jungen, manche mit viel Gepäck und allerhand Krimskrams. Irgendann denkt man als stiller Beobachter, dass nun das Ladepotential erschöpft ist und man dementsprechend bei den nächsten Wartenden mit einem entschuldigenden Lächeln vorbeifahren wird.

Denkste! Der Bus hält immer, IMMER. Ganze Heerscharen drücken sich durch den Eingang, werfen einen abschätzenden Blick durch den übervollen Bus und quetschen sich hinein, Platz hin oder her. Die neben uns Stehenden und gegen Sitaram Stützenden (der Arme sitzt im Gang) wechseln langsam die Farbe, man hört leises Stöhnen und etwas lauteres Fluchen, was den Fahrer aber nicht davon abhält, neue Gruppen willkommen zu heissen.

Nun werden auch wir als bevorzugte Sitzende etwas unruhig, denn ein kleines Mädchen neben Sitaram wird langsam aber sicher zerdrückt. Sie wehrt zwar anfänglich sein Angebot, auf seine Knie zu sitzen, schüchtern ab, doch der immer noch zunehmende Druck von allen Seiten lässt sie schliesslich nachgeben.

 

 

Verrückt! Und grenzwertig

Ich bin auf allen Kontinenten immer mit viel Spass mit Local Buses gefahren, viele bis an die Grenzen gefüllt, aber dieses Spektakel ist eimalig. Und wieder mal eine Sensation für alle Sinne. Die Stimmen der Leute vermischt mit dem Brummen des Motors und dem permanenten Hupen.

Die neben und über uns schwebenden Köpfe, manche grösser, manche verschwindend im dichten Haufen. Die betörenden, die Nase reizenden Gerüche, Schwitzen, Alkohol, Erbrechen … Aber immer wieder macht jemand einen Witz, und lautes Gelächter erfüllt die Sardinendose …

Irgendwie scheint es nur mir (na ja, Sitaram findet’s auch etwas seltsam) grenzwertig zu sein. Für die Leute scheint es nichts Besonderes zu sein, alles schon mal erlebt, und ausserdem ist es ja der Tag nach Neujahr. Da ist alles möglich.

 

Die Strasse? Das alte Lied

Die Strasse im übrigen, damit auch sie nicht vergessen wird, ist genauso schecht wie bei der Hinfahrt, sie kommt einem sogar noch etwas schlimmer vor. Der einzige Vorteil ist, dass die Passagiere gar nicht mehr herumgeworfen werden können, dazu fehlt schlicht der Platz.

 

At least a stop to breathe
Wenigstens ein Halt zum Durchatmen

 

Man stellt sich zum makabren Zeitvertreib vor, was bei einem Versagen der Bremsen passieren würde. Mein Blick durch den Bus schätzt, dass es mindestens 50 Tote geben würde, ein paar Touristen eingeschlossen. Man lässt den Zeitvertreib besser sein und versucht, in all dem Chaos ein paar Minuten Schlaf zu finden.

 

Das letzte Dal Bhat

Im nächsten grösseren Ort ein Stop, die Sardinendose leert sich in Windeseile, und ja, die Hoffnung stirbt zuletzt – die Leute verstreuen sich in alle Himmelsrichtungen. Aufatmen. Sitaram bestellt – oh Wunder! – das dreihunderdfünfzigste Dal Bhat und isst wie immer mit grossem Genuss.

 

Sitaram and Dal Bhat - inseparable twins  This is how the roadside restaurants look, not really inviting

Sitaram und Dal Bhat – unzentrennliche Zwillinge

Man muss sich das vorstellen (wir haben uns öfters darüber unterhalten): ein Mensch isst jahraus, jahrein mindestens zweimal täglich das gleiche Gericht (manchmal auch zum Frühstück).

Es wäre also das Gleiche, wenn ich zwei bis drei mal täglich (und das seit Jahren) Spaghetti Carbonara oder Älplermagronen (ein Schweizer Gericht) oder Risotto Milanese essen würde. Unvorstellbar! Aber ihm mundet’s, immer wieder, zwei Mal täglich, bis ans Lebensende.

Das ist das Wunderbare an den kulturellen Unterschieden. Wie unendlich vielfältig der Mensch ist und lebt. Obwohl er zu 100% aus den gleichen Komponenten besteht. Alles, was ihn unterscheidet, ist kulturell bedingt.

Deswegen reist man.

Aber auch der schlimmste Bustrip geht irgendwann zu Ende (zu erwähnen: natürlich füllte sich der Bus auch nach dem Zwischenhalt mit der gleichen idiotischen Anzahl an Passagieren, nicht der kleinste Unterschied zu vorher festzustellen, aber wie an alles im Leben gewöhnt man sich daran.

 

Ein nicht mehr wiederzuerkennender Rucksack

Der endgültige Stop dann irgendwo an einem Strassenrand in Kathmandu. Der für den „Gepäckraum“ Verantwortliche, ein ziemlich unsympathischer Typ mit gefärbter Haartolle, öffnet ihn, und einen Moment lang stockt allen der Atem.

Unser Gepäck ist nicht wieder zu erkennen, bzw. man weiss schon gar nicht mehr, wem was gehört, denn alles ist mit einer dicken Staub- und Schmutzschicht überzogen. Ein junger Traveller empört sich so sehr, dass er kurz davor ist, der Haartolle an die Gurgel zu gehen.

Ich bin irgendwie zu müde, um mich noch aufzuregen, packe den wieder erkannten Rucksack vorsichtig in ein Taxi und wir lassen uns die letzten Meter bis Thamel fahren. Dann lade ich Sitaram zu einem Abschiedsbier ein, allerdings wird klar, dass der junge Mann überhaupt noch nie Alkohol getrunken hat. Dann gehört sich das auch heute nicht, wir stossen also mit meinem Bier und seinem Lassidrink auf die letzten acht Tage an und wünschen uns alles Gute für unsere Zukunft, die für ihn ein bisschen länger, für mich ein bisschen kürzer ist …

 

PS Song zum Thema:  J. Geils Band – No Anchovis please

Und hier geht die Reise weiter …

 

 

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