Dann also der grosse Tag.

Das Geburtstagsgeschenk an mich selbst. Der Himmel ist klar und ganz blau, wie er sein sollte, ein leichtes Wolkengeflirr um den Machapuchare, nichts Aufregendes. Der Blick zum Hügel von Sarankot zeigt Grün und Braun und Gelb, Wald und nochmals Wald und darüber der Gipfel.

Der Startplatz.

 

Perfekte Aussichten für einen erfolgreichen Jungfernflug

Sollte man etwas spüren an einem solchen Morgen? Gibt es Statistiken über Unfälle? Todesstürze? Ich nehme ein betriebswirtschaftliches Argumentarium zu Hilfe.

Jeder Unfall, verursacht durch suboptimale Qualität des Piloten, würde das Geschäft sofort zum Erliegen bringen. Also müssen die Veranstalter alles tun, um ein solches Szenario zu vermeiden. Alles klar? Mit diesen (vermeintlichen) Erkenntnissen widme ich mich beruhigt dem Frühstück und verpasse beinahe den Zeitpunkt, wo ich vom Veranstalter abgeholt werde.

 

Nur die schlechten Piloten übrig?

Wie alles in Asien geht es igendwie vorwärts und doch nicht. Irgendwo in einem Büro muss ich ein Dokument ausfüllen, darunter auch eine Adresse, an die man sich im Fall der Fälle wenden könnte. Der freundliche Herr, ein beinahe perfektes Englisch sprechend, erzählt, dass an diesem Tag auch eine Competition stattfindet, an der die besten Piloten teilnehmen.

„It means that there are only the bad ones left for today’s flights?“ Meine Frage klingt lustig, ist aber eigentlich ernst gemeint.

 

My pilot - as intelligent as he is competent
Mein Pilot – ebenso intelligent wie kompetent

Er lacht lauthals und gibt mir recht. „Exactly. Only the bad ones.“

Nicht überraschend, dass ich in sein Lachen etwas verkrampft einstimme.

 

Auf dem Weg nach Sarankot

Der Jeep muss sich den Weg nach Sarankot durch das dichte Verkehrsgewühl suchen, einmal mehr fragt man sich, ob es in diesem Land überhaupt Verkehrsregeln gibt und ob jemand von deren Existenz weiss.

Auf der ganzen Welt gilt eine doppelte Linie als heilig und nicht überfahrbar und wird bei Missachtung streng geahndet. Hier scheint es so zu sein, dass sie eine Art Einladung darstellt, auf die andere Spur zu wechseln und den dort vorhandenen Platz für die eigenen Zwecke zu nutzen.

Anyway, auch nicht überraschend ist, das der obere Teil des Hügels nicht mehr asphaltiert ist. Einmal mehr kommt mir das Spiel der Lottokugeln in den Sinn, und da ich als elder Statesman vorne sitzen darf (natürlich unangeschnallt, da das Gegenstück des Verschlusses nicht auffindbar ist), werde ich noch ein bisschen mehr durchgeschüttelt als die Herren auf den Rücksitzen.

So ganz klar Ist mir ihre Rolle nicht, doch ein junger Mann chinesischer Provenienz scheint ebenfalls fliegen zu wollen. Die anderen gehören offenbar irgendwie zum Team.

 

Der Startplatz

Ja, und dann sind wir da, der Startplatz ist eine leicht abfallende Wiese, wo sich zahlreiche Männer (wo sind die Frauen?) eingefunden haben, um sich in die Tiefe zu stürzen. Der nette Herr, der sich um mich gekümmert hat, stellt sich auch als mein Pilot vor, sein Name ist Anil, was mir nun doch einen sehr willkommenen Schubs in positiver Richtung verschafft (für Eingeweihte: siehe „Der Fährmann“, Protagonist, überlebt jedoch nicht mal die ersten zwanzig Seiten der Geschichte).

 

Still relaxed before takeoff
Noch entspannt vor dem Start

 

Ich werde mit entsprechender Ausrüstung versehen, Helm, Gurten, viele Verschlüsse. Der wunderbar knallrote Schirm liegt ausgebreitet am Boden, und schon werde ich über die ersten entscheidenden Schritte informiert. Erstaunlicherweise bleibt mein Puls ruhig, habe ich doch eine ziemliche Aufregung erwartet.

Wo ist der angekündigte Adrenalin-Schub?

Aber schon laufen wir den Hang hinunter, ein kurzer Ruck, und der Boden bleibt unter uns zurück.

 

Wir fliegen

So sanft wie eine Feder. Lautlos, ganz ruhig, die Erde entgleitet uns, wir werden hinausgetragen ins scheinbare Nichts. Eine seltsame Ruhe überkommt mich. Anil fotographiert und filmt, während er bedächtig sein Gerät steuert. Die Thermik ist perfekt, langsam schrauben wir uns höher und höher …

 

We fly, gently and weightlessly
.Wir fliegen, sanft und schwerelos

 

Ach, Tiburon, jetzt weiss ich endlich aus eigener Erfahrung, was du gespürt hast. Ich zitiere aus „Eine Schlange in der Dunkelheit“:

Tiburon fuhr mit der Zunge über die Lippen und bekreuzigte sich. Dann fasste er die Querstange, so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten, nahm einen Anlauf und rannte mit stolpernden Sprüngen den Hang hinunter. Am Anfang geschah nichts, das Keuchen wurde lauter und seine Beine schlaffer, und er zweifelte, dass er das Tempo noch lange halten würde, da ging plötzlich ein kaum merklicher Ruck durch die Tragfläche, er wurde von den Füßen gerissen und hob ab.

Er flog.

Einen Meter unter ihm huschte der Boden vorbei, dann zwei Meter, drei, vier, die Erde glänzte nass und kalt. Er spürte weder den eisigen Fahrtwind, der ihm die Tränen in die Augen trieb, noch die Riemen, die sich schmerzhaft in die Handgelenke gruben. Sein Traum war wahr geworden, er war der Erde entflohen, ein Gott, unsterblich für alle Zeiten. Verwunderung überkam ihn und ein Staunen. Zum ersten Mal fühlte er sich frei, herausgeschleudert aus der Welt. Ich habe es geschafft, dachte er. Wenn ich jetzt sterbe, ist es egal.“

 

We are not the only ones
Wir sind nicht die einzigen

 

Ich fühle mich zwar nicht gerade als Gott, aber das Gefühl ist schon etwas ausserirdisch. Zahlreiche andere Flieger zirkeln um uns herum, manchmal bedrohlich nahe, doch die Piloten verstehen ihr Handwerk. Schliesslich ist das etwas, was sie tagtäglich vollziehen.

Ich kann mich allerdings an ein Gespräch in der Schweiz erinnern, beim Zusehen der startenden Gleitschirmflieger. Offenbar sind es nicht die ganz Jungen oder die Neulinge, die verantwortlich für die meisten Unfälle sind. Es sind die älteren, erfahrenen Piloten, die sich duch ihre Erfahrungen so sicher fühlen, dass sie übermütig werden.

Aber das gilt wohl für alles. Man denke nur ans Kochen. Der erste Versuch ist meistens der beste. Dann glaubt man, die Sache im Griff zu haben und scheitert kläglich.

Ja, die menschliche Natur. Immer wieder ein Rätsel …

 

Die Welt im Auge des Adlers

Zum Rätsel soll mir aber dieser Flug nicht werden. Es sieht auch gar nicht danach aus.Ganz ruhig drehen wir unsere Runden, mal etwas weiter hinunter, bis man beinahe in die Küche der dortigen Häuser blicken kann. Dann wieder aufwärts, unter Ausnützen der perfekten Thermik, bis die Welt im Auge des Vogels ganz klein und unbedeutend erscheint.

Keinen Moment scheint irgendeine Gefahr da zu sein. Der Puls schlägt ruhig, als würde ich gemütlich vor dem TV sitzen. Erstaunlich, ich hätte anderes erwartet. Soll mir aber recht sein. Die Berge scheinen weit weg und gleichzeitig ganz nahe zu sein. So hoch oben in der Luft ist man ein Teil der Welt, ein anderer als sonst. Berge, Hügel, kühle Luft, darüber der blaue Himmel. Und wir.

 

Ein bisschen Akrobatik gefällig?

Ich könnte endlos zu weiter gleiten, doch die Zeit vergeht schnell. Wir nähern uns dem See, fliegen darüber hinweg, unter und über uns nur noch blau, der See an seinen nördlichen Enden allerdings braun und voller Dreck.

 

Above the lake it gets even more exciting
Über dem See wird’s noch eine Stufe spannender
Quite high for a mountain man like me
Ganz schön hoch für einen Bergler

 

Anil erzählt, dass der Klimawandel auch hier seine Auswirkungen zeigt, dass immer wieder ganze Hänge in den See stürzen und ihn langsam verlanden lassen.

„You want some Acrobatics?“

„Acrobatics? What do you mean?“

„I show you.“

 

Acrobatics - loops, flips - stomach someplace
Akrobatik – Loopings, Übereschläge – Magen irgendwo

 

Im nächsten Moment schlagen wir die verrücktesten Dreher, ein altes Gefühl nach Chilbi macht sich bemerkbar. Mein Magen hüpft nach alter Manier in alle Richtungen, genauso wie ich es schon als Kind über alles liebte.

Ein wunderbarer Abschluss eines wunderbaren Fluges.

Wir gleiten nun schnell nach unten,ein paar kurze Anweisungen zur Landung, und schon stehen wir auf der Wiese, wie zahlreiche andere Flieger, und alle, wirklich alle, auch der junge Chinese, der eine Flagge seines Heimatlandes umgebunden hatte, zeigen ein stolzes Gesicht. Ich auch.

Man bringt mich mit dem gleichen Wagen zurück zum Hotel. Der Wirt empfängt mich mit einem wissenden Grinsen.

„All well?“

„I survived.“

 

PS Song zum Tag:  Foo Fighters – Learn to fly

Und hier geht die Reise weiter …

 

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