Wir haben heute ein einziges Ziel – uns diesem ganz besonderen Kunstwerk zu nähern.
Es gehört – wie die Pyramiden von Gizeh, die Tempel von Angkor Wat, der Petersdom in Rom, die grosse Mauer in China – zu den Schöpfungen des Menschen, die weit über seine Grenzen hinausragen.
Denn sie bezeugen eindrücklich, wozu der kleine Mensch, diese zufällige Zellmixtur, kaum der Dunkelheit der Geschichte und des Affendaseins entronnen, zu leisten vermag.
Und immer, wenn man ob der Dummheit, der Borniertheit, der Kurzsichtigkeit des Menschen verzweifelt, sollte man sich seine Vermächtnisse in Erinnerung rufen. Man könnte sie auch als Geschenke betrachten.
Die 6. Symphonie von Beethoven. Das letzte Abendmahl von Leonardo Da Vinci. Hundert Jahre Einsamkeit von Garçia Marquez. Eleanor Rigby von den Beatles. La Guernica von Picasso. Good Vibrations von den Beach Boys …
Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.
Und eben, zu den Vermächtnissen gehören auch die Buddha Statuen in Bamiyan.
Leider, wie sich gezeigt hat, sind sie nur noch Erinnerungen …
Eine lange Geschichte
Je näher man kommt, desto kleiner fühlt man sich.
Obwohl doch ziemlich weit weg vom Dorf, sind sie da, riesig, respekteinflössend, stumm, in steinerer Ruhe über das Dorf und das Tal wachend. Der Blick in den nicht mehr vorhandenen Augen ins Unendliche gerichtet, so stellt man sich vor.
Der grössere der beiden Buddhas (der Mann?) ist 53 Meter hoch, der kleinere (die Frau?) 35 Meter. Daneben wurde offenbar eine ganze Reihe von weiteren, kleineren Buddha-Statuen in die dortige Felsklippe eingearbeitet.
Man ist irritiert. Warum an diesem abgeschiedenen Ort? In der Einöde dieses Tals? Was war die Absicht der Erbauer? Der Zweck? Oder suchen wir als Westler nach Erklärungen, die es nicht gibt? Die nicht unserer Vorstellung von Zweck und Nutzen entsprechen?
Klar ist, dass zu dieser Zeit eine bedeutende Handelsroute durch das Bamiyantal führte, von menschenleerer Abgeschiedenheit also keine Spur. Trotzdem liegt vieles zum Bau und dessen Erbauer im Dunkeln.
Die größere Statue soll ein Bildnis des Buddha Dipamkara darstellen, also des Buddhas des dem unseren vorangegangenen Zeitalters. Die kleinere Statue stellt den Buddha unseres Zeitalters, den Buddha Shakyamuni (Siddhartha Gautama). Da fehlt eigentlich nur noch die Statue des Buddhas des zukünftigen Zeitalters namens Metreya.
Wikipedia klärt auf:
Die Statuen wurden im 6. Jahrhundert aus dem roten Sandstein gemeißelt. Archäologen datieren die Entstehungszeit der kleineren Statue auf die Zeit um das Jahr 510, die große Statue wurde um 550 geschaffen. Die kleine Statue maß 35 Meter, die große 53 Meter; deren Nischen sind etwa 38 beziehungsweise rund 58 Meter hoch.
Beide Statuen wurden in je einer eigens dafür in den Berg gehauenen Felsnische gefertigt. Dabei wurden ihre Formen grob in den Fels geschlagen und anschließend durch Auftragen eines Lehmverputzes fertig modelliert. Dieser Verputz, der eine Mischung von Tonerde, Stroh und Pferdehaar war, wurde mit Seilen und Holzstücken weiter fixiert. Die große Statue wurde laut Angaben von Restauratoren anschließend karminrot, die kleinere mehrfarbig bemalt. Zudem waren die Nischen der Statuen in ihren oberen Bereichen mit Wandmalereien verziert.

Gold und Juwelen
Eine Ansicht von 1878/79 zeigt, wie der damalige Buddha ausgesehen haben könnte.
Wie genau die Statuen früher ausgesehen haben, ist dennoch nicht hinreichend geklärt. So ist etwa in Xuanzhangs Reisebericht zu lesen, dass sie ursprünglich mit Gold überzogen und mit Juwelen geschmückt gewesen sein sollen.
Das ca. 2 km lange Felsenkloster hatte und hat trotz der Zerstörung durch Abdul Rahman Khan im 19. Jahrhundert und trotz der völligen Zerstörung durch die Taliban immer noch ein riesiges System von Höhlen, Felsentreppen, Balkonen, Gebetsräumen und Galerien, die schätzungsweise von ca. 3000 bis 5000 buddhistischen Mönchen bewohnt waren. Heute beherbergen die Höhlen eine Vielzahl von Menschen der Hazara.
Angesichts der heutigen Überreste muss man schmerzlich erkennen, dass der Mensch eben nicht nur zur Schöpfung fähig ist, sondern auch – in ebenso absoluter Form – zur deren Zerstörung.
Wie grossartig diese ursprünglichen Buddhas ausgesehen haben müssen, kann man sich bestenfalls vorstellen. Die Pracht muss überwältigend gewesen sein. Gold und Juwelen inmitten verbrannter, abweisender Einöde. Vielleicht ist es eben gerade dieser dieses Widersprüchliche, was die damaligen Erbauer im Sinn hatten.
Es würde wunderbar zur buddhistischen Weisheit passen.

Überwältigt
Es sind nicht nur die beiden Buddhas, es ist alles drumherum. Eine Art Kulisse, gebildet aus mächtigen Wänden aus rotem Sandstein, löchrig wie ein Emmentalerkäse, dahinter Gebetshallen, Wohnhöhlen, in denen früher tausende Mönche lebten, heute Bewohner des Tals, Hazaras, die hier eine Wohnstätte gefunden haben.
Man setzt sich hin, schaut und ist – wie soll man sagen – überwältigt? Nein, es ist mehr als das, es ist eine Art Nicht-Begreifen, wozu die Erbauer fähig waren.
Vor anderthalb tausend Jahren.
Wobei man einmal mehr hinzufügen muss, ähnlich wie bei den Tempeln von Angkor Wat, dass sich zu dieser Zeit Europa immer noch in finsterstem Mittelalter befand, politisch, gesellschaftlich und kulturell um Jahrhunderte zurückgeblieben.


Wir klettern hinauf, durch die Höhlengänge und über Felsentreppen bis zum Scheitel der Buddha-Statuen. Auf den Kopf der 53 m hohen Statue gelangt man über eine Wendeltreppe. Hier stehen wir wie die anderen Besucher aus Europa und Amerika, wir betrachteten die Wandmalereien und blicken über das Bamiyan-Tal.
Eine eigenartige Ruhe kehrt ein. Man hat den Eindruck, das Raunen der Vergangenheit zu spüren, die tiefe Spiritualität, die all dies geschaffen hat. Und so verschwindet für eine kurze Zeit unser Denken, unser Zynismus, unsere Rationalität, und macht Platz für etwas anderes, das wir nicht begreifen können.
Zumindest nicht mit dem Geist.

Und am Schluss steht man ganz zuunterst, auf dem linken Fuss des grossen Buddhas, und der Fotograph – und später die Fotographierte – erkennen die wahren Grössenverhältnisse. Hier der übermächtige Buddha, dieses steinerne Monument, und da der winzig kleine Mensch.
Ganz so, wie er ist.
Passender Song zum Jahr: Mott the Hoople – Roll away the Stone
Und hier geht der Trip weiter … zu den Band-e-Amir Seen