Trotz der übermässig langen Prozedur an der Grenze sind wir tatsächlich in der Lage, die erste grosse Stadt in Afghanistan, Herat, noch bei Tageslicht zu erreichen. Die Strasse ist erstaunlicherweise asphaltiert, eine erste positive Überraschung. Hoffentlich nicht die letzte.
Einstmals und jetzt
Herat, die Hauptstadt der Provinz Herat und die zweitgrößte Stadt des Landes nach Kabul, hat eine lange Geschichte. Mitten in der Wüste liegend, war sie früher eine lebendige Handelsstadt auf der Seidenstrasse von Europa nach Asien.

Wiki meint dazu:
Alexander der Große eroberte die Stadt 330 v. Chr. und baute sie unter dem Namen Alexandria in Aria zu einem militärischen Stützpunkt aus. In dieser Zeit entstand die berühmte Zitadelle der Stadt. Die Region um Herat wurde nach dem Fall der Seleukiden von den einheimischen Parthern erobert – von hier aus begann die Gründung des mächtigen Parther-Imperiums.
Mit dem Fall der persischen Sassaniden wurde Herat Teil des muslimischen Kalifats. Die Samaniden erhoben Herat später zu einer Residenzstadt und entwickelten sie zu einem Zentrum der persischen Kunst, Kultur und Literatur
Zeugen einer ruhmreichen Vergangenheit
Heute hat sie ihre frühere Bedeutung weitgehend verloren, doch immer noch zeugen eine Moschee und ein Fort von ihrer ruhmreichen Vergangenheit. Vieles davon lässt die Wunder von Maschhad beinahe vergessen.
Herat ist eine alte Stadt mit vielen historischen Bauwerken. Die meisten Gebäude sind aus Lehmziegeln erbaut. Die kürzlich wiederaufgebaute Zitadelle von Herat, die unter Alexander dem Großen errichtet wurde, beherrscht die Ansicht der Stadt. Im 15. bis 17. Jahrhundert wurde Herat auch als das Florenz Asiens bezeichnet. (Wiki)




Herat war offenbar lange Zeit ein Zentrum der persisch-muslimischen Kulturwelt.

Haben wir das gewusst? Natürlich nicht. Wir müssen zugeben, dass wir wieder einmal ohne jegliche Ahnung sind. Afghanistan liegt weit weg, weiter als unser geschichtlicher und geographischer Unterricht gereicht hat. Wer interessiert sich schon für die reichhaltige Vergangenheit eines unbekannten Landes irgendwo im tiefsten Asien, wenn die Schlacht bei Näfels im Vordergrund steht.
Immerhin erfahren wir einige Details (viele davon sehr viel später). Zum Beispiel, dass die Stadt für ihre bedeutende Kunst- und Literaturtradition besonders bekannt ist. Und dass Herat zudem für seine handgeknüpften Perserteppiche einige Berühmtheit erlangt hat. Man spricht deswegen vom nach der Stadt benannten Herat-Stil. Er gehört zu den teuersten und bekanntesten seiner Art.
Car-Parking
Als Tourist – wer hätte das gedacht – hat man keine Probleme, eine Unterkunft zu finden. Der Hippie Trail hat auch hier seine Spuren hinterlassen. Überall hängen Tafeln, die auf günstige Car-Parking Möglichkeiten oder Ähnliches hinweisen.
Nach all den seltsamen Übernachtungen im Verlauf der letzten Wochen landen wir schliesslich sehr zufrieden in einem riesigen Park eines Hotels inmitten gepflegter Gärten und Bäume. Man fragt sich allerdings, für wen dieser Aufwand betrieben wird, denn wir sind die einzigen Gäste. Und eben darum werden wir mit überschäumender Freundlichkeit empfangen, als ob wir die Könige von Frankreich wären.
Nicht verwunderlich, dass wir die Annehmlichkeiten in extremis geniessen. Warmes Wasser, keine lärmigen Nachbarn oder vorbeidonnernde Lastwagen, Infrastruktur für alles und jeden. So könnte man es sich gefallen lassen. Nach einer überaus angenehmen Nacht geht es am nächsten Morgen darum, die unbekannte Stadt zu erobern. Was nicht überraschend mit einem Gaudi passiert.
Gaudis und buntgeschmückte Lastwagen
Die Stadt erinnert an die autofreien Sonntage während der Oelkrise. Keine Autos auf der Strasse, dafür viele Fussgänger. Sehr angenehm und sehr entspannend.

Ausser den buntgeschmückten Lastwagen sind auf den Strassen nur dies sogenannten Gaudis zu sehen. Es handelt sich dabei um zweirädrige Vehikel, die von einem Pferd gezogen werden.
Es erinnert entfernt an alte Zeiten, die noch gar nicht so lange zurückliegen. Aber das wird uns in den nächsten Wochen noch häufig begegnen.
Später, viele Jahre später, werde ich an diese sogenannte Dischronie denken, in Ladakh, bei den Klöstern und ihrem direkten Draht zum Himmel. Es scheint, als wäre man aus der Zeit gefallen, als ob man in einer Zeit gelandet wäre, die längst vergangen ist.
Manchmal ist es irritierend, sogar ein bisschen beängstigend, aber immer überraschend und von wohltuender Anderstheit. Man könnte sagen, dass wir hier in Herat zum ersten Mal an einem Ort sind, der jenseits aller bisherigen Vorstellungen liegt.
Ein sehr fremdes Land
Wir sind nun mitten im Herz eines sehr fremden Landes. Man hätte annehmen können, dass sich die beiden benachbarten Länder Iran und Afghanistan nicht allzu sehr unterscheiden, aber weit gefehlt. Ob die unterschiedliche religiöse Strömung – hier Sunniten, da Schiiten – oder der sehr unterschiedliche ökonomische Stand eine massgebliche Rolle spielen, ist für uns Aussenstehende schwierig zu verstehen.
Tatsache ist, dass hier die extremeren Auswüchse häufiger zu sehen sind. Frauen tragen durchwegs die Burka, dieses Kleidungsstück, das der vollständigen Verschleierung des Körpers dient.
Wiederum ein tiefer Griff in die Wikipedia Wissenskiste:
Die afghanische Burka (Ganzkörperschleier wird in Afghanistan als چادرى Tschaderi und das Kopftuch als چادر Tschadar bezeichnet) besteht aus einem großen Stofftuch, mit dem oben eine flache Kappe vernäht ist. Manchmal ist im Stirnbereich ein Gummiband vernäht. Im Bereich der Augen ist eine Art Gitter aus Stoff oder Rosshaar als Sichtfenster eingearbeitet. Das Gesicht ist bei der afghanischen Burka vollständig bedeckt. Der Stoffüberwurf reicht entweder in der Rückenpartie bis auf den Boden und vorn bis zur Hüfte oder er fällt rundum bodenlang. Das Kleidungsstück entstand aus der Verbindung eines Körperschleiers mit einem Gesichtsschleier.



Die Männer tragen ihre traditionelle Bekleidung, einen Turban, kunstvoll geschlungen, dazu lange wallende Hosen, darüber eine Art Hemd, das bis zu den Knien reicht. Je nach Laune oder Wetter wird bei sehr vielen noch eine Weste oder ein Jackett getragen.
Selbstverständlich alles in grosser Würde. Es ist nicht erstaunlich, dass wir schon nach kurzer Zeit eine ziemliche Hochachtung entwickeln.
Song von 1974: Cockney Rebel – Tumbling down
Und hier geht der Trail weiter … in Herat