Alcuescar – Valdesalor
Was für ein Unterschied zum gestrigen, verregneten Abend. Es scheint, dass man manchmal, ganz ohne den Grund zu wissen, eine Belohnung für garstige Missvergnügen kriegt, so wie an diesem prächtigen Morgen.
Man würde meinen, die Bilder sind von einem Künstler, ganz zu unserem Vergnügen gemalt und präsentiert, in diesem Fall vom gestern verwünschten Wettergott, der wohl einige Punkte gutmachen will. Gibt es schönere, eindrücklichere Bilder als orange angehauchte Wolkenschlieren, hinter denen die Sonne vorsichtig den Kopf hervorhebt und seltsame Schatten auf den Boden wirft?
Ach herrje, würde ein echter Pilger wohl ausrufen bei diesem wundervollen Sonnenaufgang.
Kühe und Vögel und anderes Getier
Wie jeden Morgen packt man irgendwann, meistens später als alle anderen, seine Siebensachen zusammen und geht los. Und was immer wieder verwundert zur Kenntnis genommen wird – man fühlt sich fit, ausgeruht, bereit für weitere viele Kilometer entlang öder Landschaften oder seltener auch fruchtbarer Regionen, wo das Leben in allen Facetten blüht und gedeiht.
So wie heute. Es wird nie besser werden.
Die Etappe von Alcuéscar nach Valdesalor ist lang, aber recht flach und verläuft auf dieser Etappe durch ein Naturschutzgebiet. Es gibt in Sachen tierischer Attraktionen tatsächlich viel zu bestaunen.
Da genügt manchmal schon eine Kuh, die unsere Anwesenheit misstrauisch mustert. Und da, ein riesiges Nest auf einem Mast, als ob dieser nicht der Übertragung elektrischer oder telephonischer Informationen sondern ausschliesslich dem Wohlsein eines Vogelpaares dienen würde.
Eine alte Römerbrücke führt über den Rio Ayuela, dahinter zeigt sich auf einer Anhöhe ein Dorf. Es könnte sich um Casas de Don Antonio handeln, genau richtig, um einen Kaffeehalt einzulegen. Und wer weiss, vielleicht treffen wir jemanden, der uns mehr zu diesem seltsamen Namen erzählen kann.
Casas de Don Antonio
Wir haben keine Ahnung, wer dieser Don Antonio gewesen sein könnte, auf jeden Fall scheint er eine gewisse Rolle im Dorf gleichen Namens gespielt zu haben. Er könnte ein reicher Gutsherr gewesen sein, mit grossen Besitztümern, Grundstücken, Häusern und landwirtschaftlichen Abhängigen.
Wie könnte das Dorf anders sein als verlassen und totenstill, als wir durch die Gassen auf der Suche nach einem offenen Restaurant streifen. Wo sind die 182 Einwohner geblieben, die gemäss Führer hier leben?
Für einmal dürfte die Stille allerdings nicht das Ergebnis durchschlafener Siesta zu suchen sein, denn es ist grade mal halb zehn Uhr.
Ob es im äusserst modern eingerichteten Restaurant, wo alles angeboten wird, was unser Herz in dieser frühen Stunde begehrt, jemanden gibt, der uns bezüglich Ortsnamen weiterhelfen könnte, ist äusserst fraglich. Und so behelfen wir uns mit Kaffee und Brötchen und lassen den seltsamen Namen ein gut behütetes Geheimnis bleiben.
Am Dorfausgang erwarten uns die Überreste einer alten Mühle, die liebevoll gepflegt und für die Nachwelt erhalten werden.
Miliarios und alte Brücken
Die alten römischen Meilensteine, die sogenannten Miliarios, sind uns häufig begegnet, allerdings nicht so aussergewöhnlich wie derjenige, den wir kurz nach Don Antonio antreffen.
Eine Art Postfach ist in ihm enthalten, in das die Legionäre ihre Briefe legten, die dann vermutlich von befugten römischen Postboten zur nächsten Poststation gebracht wurden. Die Scharniere der Klappe, die noch gut zu sehen sind, schützten die Briefe vor Regen und Wind.
Und immer wieder, wie Phantome aus alten Zeiten, die Überreste von römischen Brücken, irgendwo in der Landschaft liegend, scheinbar ohne ersichtlichen Nutzen, weitab von heutigen Verkehrswegen. Sie stimmen traurig. Da wurden sie für die Ewigkeit geschaffen und erfreuen sich jetzt nur noch an gelegentlichen Besuchern mit gezückten Kameras.
Valdesalor
Das Etappenziel Valdesalor ist ausnahmsweise mal nicht eine Siedlung, welche auf die Römerzeit zurückgeht. Der Ort wurde erst ca. 1965 als Siedlung gegründet und dient nun als Wohnort für Spanier, die in Caceres arbeiten.
Während Lin und Frank sich am Ortsrand in die schmucke Herberge begeben, muss ich das ganze Dorf durchqueren, um meine bisher teuerste Unterkunft zu finden. Und nicht ganz überraschend erweist sie sich als vollkommen ausgestorben, was meine Vermutung bestätigt, dass das überteuerte Hotel vor allem Geschäftsreisende beherbergt.
Immerhin finde ich erstens einen guten Laden, um meine schwindenden Vorräte aufzufüllen, und zweitens die Bar Salor, wo wir gemeinsam ein ziemlich opulentes Dinner for Three einnehmen. Und was kann man zum Schlaf in äusserst luxuriöser Umgebung sagen? Der Schlaf entspricht der Umgebung. Sehr luxuriös.
Aber der verglühende Abendhimmel ist ein denkbar passender Schluss, bevor der müde Wanderer sich unter die teure Bettdecke verkriecht.
Aber morgen Caceres – ein weiterer Höhepunkt!
Valdesalor – Caceres
Die Etappe von Valdesalor nach Cáceres ist eine kurze und einfache Etappe von knapp 14 km und folgt einem alten Viehtriebweg, der Sevilla mit Astorga verbindet.
Auch wenn die Route kurz und einfach erscheint, stehe ich trotzdem Punkt sieben vor der Bar Salor, die gemäss zuverlässigen Angaben um genau dieser Zeit offen sein sollte. Was sie aber nicht ist, und so stehe ich etwas belämmert unter einem Baum, während über mir eine Schar Vögel ihrem Missmut über die frühe Störung zum Ausdruck bringt.
Aber eben, die spanische Vorstellung von Pünktlichkeit unterscheidet sich halt manchmal von der mitteleuropäischen, was zu Verstimmungen und Missverständnissen führen kann.
Nicht an diesem Morgen, denn ein Herr mit ziemlich verschlafenen Augen und mürrischem Gesicht taucht irgendwann aus der Dunkelheit auf, brummt etwas in seinen nicht vorhandenen Bart und öffnet die Bar. Alles Weitere entspricht den Vorstellungen. Café grande con Leche y Tostada und einen weiteren Café, da meine Kumpels verspätet sind.
Dann machen wir uns auf die letzten Kilometer bis zum nächsten wichtigen Etappenort – Caceres.
Landschaft mit Schafen
Wie meistens hat Frank auch an diesem Morgen Super getankt und lässt uns langsamere Wanderer weit zurück. Wer hätte zu diesem Zeitpunkt schon wissen können, dass es unsere letzte gemeinsame Etappe ist? Und so lassen es Zhilin und ich gemütlich angehen, mit vielen Pausen und langen Gesprächen über Gott und die Welt und das Wandern im Allgemeinen und das Sein im Besonderen.
Viel gibt es nicht zu sehen, oder vielmehr haben wir gar keine Zeit dafür, auch wenn Schafherden und zu überquerende Bäche, die gar keine sind, zur Abwechslung beitragen. Und manchmal erfindet man Gedankenspiele dazu wie zum Beispiel: „Photo 1 Lin überquert die Steinquader; Photo 2 Lin fällt in den Bach; Photo 3 Lin ist wütend und schreit mich an“. Nur schon die Vorstellung erheitert die Gemüter.
Aber dann nähern wir uns dem Tagesziel, Frank erwartet uns, und gemeinsam treten wir ein in die Aussenquartiere von Caceres.
Caceres
Cáceres ist die Hauptstadt und die bevölkerungsreichste Gemeinde der Provinz Cáceres. Die Altstadt wurde 1986 zum UNESCO-Welterbe erklärt, weil sie eine Mischung aus römischer, maurischer, nordgotischer und italienischer Renaissance-Architektur aufweist. Cáceres liegt an der historischen Vía de la Plata, einer alten Handels- und Pilgerroute, die Sevilla mit Astorga verbindet.
Der Weg zur Altstadt hinauf ist ziemlich steil und kräfteraubend, aber bereits jetzt empfängt uns eine andere Welt.
Warum das so ist, weiss ich nicht, aber das Blau am Himmel an diesem Nachmittag übertrifft alles Bisherige. Hat es sich für unseren Besuch besonders imposant machen wollen, oder ist es ein Gemälde, das für alle gemacht ist? Wir tippen natürlich auf das erstere.
Ein wenig keuchend und schwitzend erreicht man schliesslich die oberen Bereiche der Stadt und geniesst zum ersten Mal den Blick auf die Plaza Mayor mit dem mächtigen Torre Bujaco.
Die Plaza Mayor und fehlende Hotelzimmer
Die Plaza Mayor ist der zentrale Platz der Stadt und grenzt im Osten an einen Teil der Stadtmauer mit dem berühmten Bujaco-Turm, dem Arco de la Estrella und dem Púlpitos-Turm. Im Süden befindet sich das Rathaus und der Foro de los Balbos, von wo aus die Pintores-Straße, die kommerziellste Straße von Cáceres, beginnt.
An der Westfassade fallen die Arkaden auf, die von Bars, Restaurants und verschiedenen Geschäften gesäumt sind. In der Mitte des Platzes gibt es eine Promenade, die 2001 gebaut wurde.
Wir werden den Schönheiten der Stadt etwas später unsere Referenz erweisen, zunächst muss mal ein Hotel gesucht werden. Es ist Samstag, offenbar ist ein Musikfestival angesagt, mit anderen Worten, die Stadt ist berstensvoll.
Ich habe zwar ein Zimmer reserviert, sogar perfekt an den Plaza gelegen, doch Frank und Lin stossen zum ersten Mal an die Grenzen spontaner Herbergssuche. Mit anderen Worten – sie finden nichts. Während ich an der Rezeption meines Hotels eine Nacht verlängere, eilen die beiden die Treppe hinunter auf der Suche nach einer Lösung.
Ich schaue ihnen gedankenverloren nach, ohne zu realisieren, dass ich sie nie mehr wiedersehen werde. Später erfahre ich, dass Frank den Bus nach Valdesalor zurücknimmt, während sich Lin entschlossen hat, bis zum nächsten Etappenort Casar de Caceres zu wandern.
Arkaden, Schatten und Bier
Es ist in der Zwischenzeit drei Uhr nachmittags, es ist heiss geworden, die Leute suchen ihr schattiges Heil in den zahlreichen Restaurants unter den Arkaden, die die Plaza säumen. Eine gute Gelegenheit, um bei einem kühlen Bier die besondere Atmosphäre der Stadt einzuatmen.
Es dauert eine ganze Weile, bis ich es wage, den Fuss auf das heisse Pflaster zu setzen und die Erkundigungstour zu starten. Wenn man soviel Schönheit auf einem Haufen sieht, neigt man dazu, misstrauisch zu werden. Wie ist es möglich, dass menschliche Aktivitäten, Kreativität und Willen an einem einzigen Ort eine derartige Magie entfalten können, während an anderen Orten nur Hässlichkeit und Untergang zu sehen sind? Ich weiss es nicht, und ehrlich gesagt, will ich es gar nicht wissen.
Und so lasse ich mich durch die Magie treiben und überlasse es für einmal ausschliesslich den Bildern, einen Kommentar abzugeben.
Abend mit irischer Musik
Schönheit macht müde, das weiss man in der Zwischenzeit, und lässt es irgendwann bleiben. Es genügt, einen Platz in den vollen Restaurants zu ergattern und anschliessend bei einem weiteren Bier nichts zu tun als zu schauen, zu horchen, zu geniessen.
Einzig das geplante und freudig erwartete Konzert irischer Künstler kann mich aus meiner selbstgewählten wunderbaren Apathie locken. Der Weg zum Konzert ist gepflastert mit von der Dunkelheit beleuchteten Gebäuden, die dadurch noch eine zusätzliche Note erhalten.
Der Platz vor der Bühne ist brechend voll, die Künstler lassen sich Zeit, so wie es für Berühmtheiten üblich ist. Doch dann werden sie von tausend begeisterten Kehlen begrüsst, und das Spektakel nimmt seinen Lauf. Sehr schön und wieder mal ein gelungener Schluss eines ausserordentlichen Tages.
Passender Song: O’Hara’s Dream – Relaxed Traditional Celtic Song
Und hier geht der Camino weiter … nach Cañaveral