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Hippie Trail

Der Hippie Trail – Von Kandahar nach Kabul

Kandahar

Das erste, was auffällt – Kandahar besitzt einen völlig anderen Charakter als Herat. Man könnte meinen, dass sich Städte in einem Land, auch wenn sie weit voneinander entfernt liegen, gleichen, aber das ist nicht so. Bern ist ja auch ganz anders als Zürich oder Basel.

Hier begegnet man vor allem finster und stolz blickenden Nomaden, die sich nicht um die Gäste aus fernen Ländern zu kümmern scheinen. Diese werden zur Kenntnis genommen und nicht umworben und bezirzt, wie das in Herat zum Alltag und zum Geschäft gehört. Sie sind ein notwendiges Übel, mit dem man sich abfinden muss.

Eine alte Stadt mit Charakter

Was die Stadt mit dem berühmten Kandahar-Skirennen zutun hat, erklärt Wikipedia wie folgt:

Das [Arlberg-Kandahar-Rennen] (AK) ist eine traditionsreiche Sportveranstaltung im alpinen Skisport. Namensgeber sind die beiden ursprünglichen Veranstalter des Rennens, der Ski-Club Arlberg in Österreich und der britische Kandahar Ski Club im schweizerischen Mürren. Letzterer trägt den Namen des englischen Heerführers Frederick Roberts, dem nach seiner Rückkehr aus Afghanistan der Titel Earl of Kandahar („Graf von Kandahar“) verliehen wurde.

Aha, also doch eine Beziehung zu Afghanistan, wenn auch nicht auf den ersten Blick erkennbar.

Wie auch immer, Kandahar hat eine lange kriegerische Geschichte, die sich bis in die heutige Zeit fortsetzt. Woher der Name stammt, ist umstritten, gewisse Details weisen auf muslimische Herkunft hin. Heute (2023) ist die Einwohnerzahl der drittgrössten Stadt des Landes (nach Kabul und Herat) auf eine halbe Million gestiegen. Die Situation nach der Wiedererlangung der Taliban-Herrschaft ist verständlicherweise unklar.

Gegründet wurde die Stadt von Alexander dem Grossen, eine seiner vielen Hinterlassenschaften auf dem Weg nach Indien. Wegen ihrer strategisch wichtigen Lage in Zentralasien war die Stadt häufiges Ziel von Eroberungen: So von den Arabern im 7. Jahrhundert, von den turkstämmigen Ghaznawiden im 10. Jahrhundert, von den Mongolen unter Dschingis Khan im 12. Jahrhundert und 1383 von Timur.

Wir befinden uns also auf geschichtlich relevantem Boden.

Granatäpfel und Rahmtafeln

Uns interessiert aber auch das kulinarische Angebot der Stadt – Liebe geht bekanntlich durch den Magen, auch wenn abseits erinnerungswürdige Orte locken. Das muss warten. Denn Kandahar ist vor allem bekannt für seine Granatäpfel. Nicht, dass wir noch keine gefunden haben, sie sind seit Tagen und Wochen im Angebot jedes vernünftigen Marktes.

Diese hier stellen aber eine Qualität dar, die offenbar unschlagbar ist. Sie sind röter, saftiger, süsser als alle bisher gegessenen, und obwohl sie uns nach alll der Zeit langsam aber sicher zum Hals heraushängen, greifen wir zu.

Und noch eine Überraschung: es gibt tatsächlich so etwas wie Rahmtafeln, die an einigen Stellen verkauft werden.

Rahmtafeln? In Afghanistan?

Die Welt ist manchmal tatsächlich voller Überraschungen. Unser Hunger nach Süssigkeiten, der seit Wochen kaum mehr gestillt werden konnte, weckt sämtliche auf Zucker konditionierte Geschmacksknospen im Mund. Man muss dazu die Augen schliessen und das zuckersüsse Ding ganz langsam und genussvoll auf der Zunge zergehen lassen.

Eigentlich verrückt – was bleibt nach all den Jahren an erinnerungswürdigen Details von Kandahar?

Die Rahmtafeln.

Ein teuflisch schneller Hund

Dann also auf zu den knapp 500 Kilometern, die noch bis Kabul abzufahren sind. Im Unterschied zur Strecke von Herat nach Kandahar wurde diese Strecke von den Amerikanern gebaut, so quasi in Konkurrenz zu den Russen. Für einmal ein Vorteil für das Land, wenn zwei sich streiten (was aber die Ausnahme ist, wie die Entwicklung der nächsten Jahrzehnte zeigen wird).

Und tatsächlich, das russische Benzin stinkt  zwar zum Himmel, aber es leistet seine Dienste, der Motor läuft tadellos.

Immerhin ist die Wüste oder besser Halbwüsten noch bestenfalls eine Viertelwüste, fast wie in der Osttürkei, viel Steine und Sand, aber doch mit dem gelegentlichen Auftauchen von echter Natur in Form von allerlei Pflanzen.

Und dann, wie aus dem Nichts, ein Schatten auf der Strasse, schnell wie der Wind, entgegen kommend. Am Anfang kaum zu erkennen, und plötzlich, oh und ah, es ist ein Hund, ein Afghan, der wie ein Blitz näher kommt und scheinbar schwerelos an uns vorübergleitet. Man glaubt, in einer Zeitlupe zu sein, langsame fliessende Bewegungen der Muskeln, der Kopf gehoben, die Zunge im Wind.

Wohin ist er unterwegs? Auf dieser einsamen verlassenen Strasse? Niemand weiss es, man hofft, dass zumindest er ein Ziel vor den Augen hat.

Wahnsinn!

Von Kandahar nach Kabul

Ghazni mittendrin und abseits

Die damals kleine Stadt Ghazni auf dem Weg nach Kabul, nichts besonderes und doch einer Erinnerung würdig. Es gäbe so vieles zu sagen, so vieles zu sehen, doch am Ende ist es bloss ein Durchfahrtsort, man hastet durch, Kabul ruft, ist schon in Griffweite, da will man nicht verweilen.

Dabei hätte die Stadt soviel zu bieten.

Und dann endlich – Kabul

Eigentlich ist Afghanistans Hauptstadt Kabul eine vergleichsweise kleine Stadt inmitten unbewohnten Gebietes, doch die Smogglocke, die wie eine böse Wolke über der Stadt hängt, zeugt von Staub und Rauch und der bösen Ausdünstung zahlreicher Vehikel.

Kurz vor dem Ziel, Kabul liegt in einer Senke vor uns, halten wir an, um den sehr besonderen Augenblick zu feiern, was Beatrice und Ruedi zu einem euphorischen Tänzchen auf der Strasse veranlasst.

Das, was folgt, ist weniger feiernswert, geschweige denn ein Grund zum Tanzen. Wir verlieren uns in dem chaotischen Abendverkehr, der keine Regeln zu kennen scheint, schon bald aus den Augen.

Und so lernen wir die Stadt ziemlich schnell besser kennen, denn die Suche nach dem Hotel gestaltet sich, wie soll man sagen, genauso chaotisch wie der Verkehr und das Leben in dieser offenbar verrückten Stadt.

In der Zwischenzeit hat sich die Dunkelheit über die Stadt ergossen, es existieren keine Strassennamen, zumindest keine in unserer Schrift, und all die Menschen, die wir nach dem Jam-Hotel fragen, haben nicht die geringste Ahnung, wovon wir sprechen.

Und so bleibt schlussendlich die immer gleiche erfolgversprechende Lösung: sobald man jemanden findet, der das Hotel kennt, lädt man ihn ein mitzufahren und uns den Weg zu weisen. Natürlich gegen ein noch so gern bezahlten Obolus.

Und noch etwas zum Schluss: es ist kühl geworden (man erinnere sich an die Afghanmäntel unserer Freunde), und so bilden unsere warmen Schläfsäcke ein besonderes Erlebnis.

Song zum Jahr:  Roxy Music – Out of the Blue

Und hier geht der Trip weiter … wir bleiben in Kabul

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Durch die afghanische Wüste

Wenn man sich in der Wüste befindet, diesem unendlichen Meer aus fast nichts gegenübersteht, merkt man wieder, wie klein man ist, welch lächerlich verletztliches Wesen der Mensch doch ist. Und heute ist einer dieser Tage, wo wir uns tatsächlich klein und ziemlich verlassen vorkommen.

Aber alles der Reihe nach.

Die gesamte Strecke nach Kabul misst über 1000 Kilometer, mehrheitlich durch menschenfeindliche Umgebung, entlang schnurgerader Strecken, wo sich das Auge im immer Gleichen verliert, wo man von einer seltsamen Müdigkeit ergriffen wird.

Wir beabsichtigen, die Strecke in drei Abschnitte zu teilen. Dass sich das als eine Schnappsidee herausstellen wird, wissen wir an diesem kühlen, herbstlich anfühlenden Morgen noch nicht.

Benzintanken in Herat

Aber bevor es losgeht, müssen die Benzintanks gefüllt werden, wer weiss schon, welche Überraschungen auf uns warten. Und eine Panne infole fehlenden Benzins wollen wir uns nicht antun.

Das ist allerdings schneller gesagt alst getan. Denn nirgends ist das gute iranische Benzin zu kriegen, nur dieses stinkende Zeug aus Russland, dieses Shurewy Petrol oder wie auch immer dieses Ding heisst.

Und eine weitere Schwierigkeit tut sich auf, mit der niemand gerechnet hat (obwohl man dies nach den Erfahrungen in der Bank eigentlich hätte wissen müssen, von allen vorherigen Warnungen mal völlig abgesehen).

Anyway, Ueli ist das erste Opfer und merkt nicht auf Anhieb, dass er betrogen wird. Sein Beispiel zeigt die Funktionsweise der faulen Tricks . Also – die Rechnung beläuft sich auf 210 Afghanis. Man bezahlt also mit zwei Hunderter und einem Zehner. Dummerweise sehen die beiden Noten fast identisch aus, also quasi eine Vorlage für jeden Betrugsversuch.

Der Tankwart nimmt die drei Scheine entgegen, wechselt einen der beiden Hunderter blitzschnell und ohne dass es jemand merkt, in einen Zwanziger um. Dann reklamiert er freundlich und fast verschämt, dass er nur 130 Afghanis erhalten hat. Oh sorry, sagt man entschuldigend, und wechselt den Zwanziger folgsam gegen einen Hunderter ein. Und fertig ist der Betrug! Immerhin achtzig Afghanis für den Tankwart. Bei so vielen unbedarften Touristen muss das ein gutes Geschäft sein.

Und übrigens – bei der nächsten Tankstelle in der Wüste geschieht das haargenau Gleiche nochmals, und dann, erst dann, geht uns – und Ueli – ein Licht auf. Aber eben – man lernt nie aus.

Die Fahrt durch die endlose Wüste

Der Blick auf die Karte zeigt das Ausmass der uns umgebenden Einöde.

Genau gesagt handelt es sich um eine sogenannte Halbwüste, also viele Steine und Sand und gelegentlich ein paar vertrocknete Kameldisteln dazwischen. Man fragt sich dabei, wie die Kamele diese stachligen Dinger essen. Ein weiteres Mysterium, eines von vielen, die uns im Verlauf der nächsten Tage begleiten werden.

Lawrence of Arabia

Kann man an die Wüste denken, ohne „Lawrence of Arabia“ vor dem inneren Auge entstehen zu lassen? Die Nefud, die menschenfeindliche Wüste, die Lawrence mit seinen Beduinen durchqueren muss, um in Akaba die Türken zu vertreiben? So kommt es uns heute vor, nicht ganz so lebensfeindlich wie die Nefud, doch beängstigend leer und abweisend.

Ein Meilenstein der Filmgeschichte. Ein All-time-favorite, der immer noch zu begeistern vermag. Und ja, viele Jahre später ein ähnliches Erlebnis – in Vietnam.

Hier zwei berühmte Ausschnitte:

 

Lastwagen und Karawanen

Die Strasse verläuft lange Zeit schnurgerade dem verschwommenen Horizont entgegen. Eine Betonpiste russischer Bauart, sehr angenehm zu fahren, alle paar Meter macht es einen kaum wahrnehmbaren Hüpfer. So ist das also, der Nachbar aus dem Norden ist also nicht  nur mit Benzin vertreten sondern auch mit Strassen. Und ja, wir wissen, wozu dies geführt hat. Gerade mal vier Jahre später stellte die damalige Sowjetunion klar, wer im Land das Sagen hat, und überfiel das wehrlose Land.

Allerdings vergassen sie – wie viele vor und nach ihnen – die unvergleichliche Widerstandskraft des Landes, die es immer wieder schaffte, den Eroberern die Stirn zu bieten. Dass die Mujaheddin beim Widerstand gegen die Russen von den Amerikanern tatkräftig und mit vielen Waffen unterstützt wurden, ist eine andere Geschichte. Sie zeigt, wie politische Einflussnahme gepaart mit einer gewissen Einfalt zum Gegenteil dessen führt, was eigentlich beabsichtigt wurde (siehe Vietnam, siehe Irak).

Aber das war damals, im fernen 1974, eine Geschichte, die bei der Fahrt durch die afghanische Wüste eine untergeordnete Rolle spielte.

Ab und zu, ein seltenes Ereignis in der Wüste, ein einheimischer Lastwagen, vollbepackt nicht nur mit Material sondern auch mit Passagieren, die wie Kletten am Wagen hängen. Öffentlicher Verkehr? Fehlanzeige. Für die in der Wüste lebenen Menschen sind diese Lastwagen das einzige Mittel, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Für uns schlicht unvorstellbar, wie es sein muss, vielleicht stundenlang in der brennenden Sonne am Strassenrand auszuharren, um irgendwann mit etwas Glück eine Fahrgelegenheit zu finden.

Und dann, unerwartet und wie ein Phantom, eine Karawane. Kamele, Esel, vollverhüllte Frauen, Männer in ihren traditionellen Kleidern. Und Kinder. Ihre dunklen Augen bleiben auf uns haften, ihre Miene scheint zu fragen, wer wir sind, was wir hier tun, wohin uns der Weg führt.

Wahrscheinlich wissen wir es selbst nicht.

 

Obolus

 

Song von 1974:  Eric Clapton – Let it grow

Und hier geht der Trail weiter … in Kandahar und nach Kabul

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Die Stadt der Schlitzohren

Der Ruf des Muezzin weckt aus tiefem Schlaf, man kriecht empor aus dem Schlamm der Bewusstlosigkeit. Die erste Nacht in einem fremden Land. Irritierend, irgendwie surreal. Vögel begrüssen den Morgen jubilierend, ich hoffe für sie, dass es etwas zum Jubilieren gibt.

Später besteigen wir frohgemut eines der wartenden Gaudis (der Gaudi? das Gaudi?) und lassen uns durch die Stadt kutschieren. Die Sinne offen, lassen wir die fremden Aromen, Bilder, Geräusche der Stadt auf uns wirken. Eigentlich ist alles braun. Die Häuser. Die Strassen, die Gassen, die Hinterhöfe. Der Staub, der alles bedeckt. Monochromatisch.

Aber da sind Farben. Überraschend und doch wieder nicht. Denn der lokale Handel hat sich an die Nachfrage der Touristen angepasst.

Wandelnde Afghanmäntel

An allen Ecken und Enden laden kleinere und grössere Läden zum Eintreten, zum Shoppen, zum Feilschen. Ihr Angebot aus lokaler Kunstfertigkeit, manches heutig, anderes aus tiefster Vergangenheit,  lässt sich perfekt mit dem Geschmack der jungen Touristen koordinieren: Felldecken, Teppiche, Schmuck, alte Waffen und andere Antiquitäten, Stiefel und natürlich Afghanmäntel in unübersehbarer Menge und Qualität.

Unsere Reisegefährten, offenbar voller Respekt vor der zu erwartenden Kälte in den nördlichen Gefilden des Landes, lassen sich überreden und kleiden sich ein. Man könnte meinen, dass wir einen Auflug in die Arkis machen.

Es handelt sich nach erfolgtem Handel ohne Übertreibung um sechs währschafte wandelnde Afghanmäntel. Sie fallen allerdings nicht gross auf, denn jeder zweite Tourist sieht genauso aus.

Es könnte gut sein, dass sich ihre Vorsicht auszahlt, denn die frostigen Nächte in Kabul, von denen Heimkehrer raunen, könnten noch einige ungute Überraschungen bereiten.

Wir werden sehen. Aber es sieht auf jeden Fall schön aus, wenn auch etwas gewöhnungsbedürftig.

Türme und Moscheen

Eine leichte Brise weht, als wir uns den wirklichen Sehenswürdigkeiten der Stadt nähern. Manchmal hat man den Eindruck, dass es Dinge jenseits der profanen Wirklichkeit gibt. Es gibt Kunstwerke und Kunstwerke, diese hier gehören in die Kategorie ewiger Hinterlassenschaften menschlicher Kreativität.

Nur schon die Aussenmauern der Moschee sind eine Augenweide, und man fragt sich, welche Künstler hier am Werk gewesen sind. Das Auge kann sich kaum sattsehen, und immer wieder taucht die Überlegung auf, wie sehr sich diese Kunstwerke vom profanen Alltag der heutigen Zeit unterscheiden.

Aber so stehen wir halt da, staunend und mit offenem Mund, können kaum glauben, was die islamische Kunst der Welt hinterlassen hat.

 

 

Die Fremden sind Gäste

Etwas fällt sofort auf – im Gegensatz zu vielen Iranern sind die Einheimischen in Herat freundlich und zurückhaltend. Es scheint, dass Ehre und Tradition verlangen, die Fremden, auch wenn sie noch so seltsam erscheinen, als Gäste zu behandeln.

Aber vielleicht ist die Wirklichkeit viel profaner: sie interessieren sich schlichtweg nicht die Bohne für das seltsame Volk, das mehr durch Zufall in ihrer Stadt aufgetaucht ist. Also beachtet man sie gar nicht, ausser man will ein Geschäft mit ihnen machen. Und davon gibt es einige.

Darunter auch das Geschäft mit dem Geld.

Bankbeamte und andere Schlitzohren

Die Freundlichkeit und Zurückhaltung gilt allerdings nicht überall. Zum Beispiel dann, wenn unbedarfte Ausländer, denen man offenbar jede Intelligenz abspricht, vor dem Bankschalter stehen und Geld wechseln möchten.

Man betritt also als Kunde eine Bank, um Dollars in Afghanis zu wechseln. An sich eine einfache Geschichte, die man kennt. Nicht so hier in Herat (und sämtlichen zukünftigen Orten in diesem Land ebenfalls). Der Beamte, mit abweisendem grimmigem Gesichtsausdruck, als hätte er etwas Schlechtes gegessen, rechnet den entsprechenden Betrag aus und zählt die Scheine in Afghani auf den Tresen.

Während der Wartezeit – die Warteschlange ist lang – hat man Gelegenheit, seine Tricks zu beobachten, die zwar plumper nicht sein könnten, aber trotzdem funktionieren. Beim Herauszählen irrt er sich und zwar immer zu seinen Gunsten.

Eigentlich ist die Lösung ganz einfach. Man nimmt das Paket Noten – es sind viele – entgegen und zählt sie vor den Augen des Beamten nochmals durch, ganz langsam natürlich. Die ärgerlichen Blicke des Bankbeamten sagen alles. Denn der Betrag stimmt nicht. Es fehlen Noten, nicht viele, aber trotzdem.

Man gibt also das Bündel Noten zurück, er zählt grimmig ein zweites Mal, legt ein paar Noten hinzu. Und diesmal stimmt es. Zumindest fast. Aber der Sieg ist so überwältigend, dass man grosszügig über den kleinen Betrag, der immer noch fehlt, hinwegsieht und sich ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen kann.

Soviel zu diesen unnötigen Kleinkriegen. Man muss sie mitmachen, ob man will oder nicht.

Feilschen und Tee trinken

Aber schliesslich sind wir hier im Orient, wo kein Produkt, und sei es nur eine Handvoll Äpfel, keine Dienstleistung, einen festen Preis hat. Wo alles und jedes zuerst ausgehandelt werden muss. Und damit muss man sich als Europäer, gewohnt an feste Regeln und Preise, zuerst anfreunden. Auf jeden Fall dauert es seine Zeit, bis man die innere Blockade überwindet und selbst zum professionellen Feilscher wird.

Natürlich sind auch die Strassenhändler Schlitzohren, die sich niemals eine Gelegenheit entgehen lassen, einen Kunden übers Ohr zu hauen. Doch das geschieht mit einer gewissen verschmitzten Lässigkeit.

Und so findet man sich plötzlich auf dem Boden sitzend und Tee trinkend, während der orientalische Teppichhandel in die nächste Phase geht. Wenn die Händler nämlich merken, dass man ein harter Verhandlungspartner ist und nicht den erstbesten, viel zu hoch angesetzten Preis akzeptiert, dann beginnt das wirkliche Spiel, dessen Ausgang von Anfang an klar ist.

Das schlaue Grinsen im Gesicht zeigt, dass am Ende zwar immer der Händler gewinnt, man dem Kunden aber den Anschein vermitteln will, dass er gewonnen hat. Schliesslich soll er wiederkommen.

Dem sagt man wahrscheinlich die Psychologie der alltäglichen Wirklichkeit.

So geht der Tag vorüber, man möchte bleiben, eintauchen in die Seele dieses seltsamen Ortes, der soviel auslöst. Aber wir müssen weiter, bis Kabul sind es über 1000 Kilometer durch Wüste und Einöde. Immerhin tröstet uns der Gedanke, dass wir uns auf dem Heimweg wiedersehen werden.

 

Song von 1974: Stevie Wonder – Living for the City

Und hier geht der Trail weiter … nach Kandahar

 

Hippie Trail

The Hippie Trail – Herat in der Wüste

Trotz der übermässig langen Prozedur an der Grenze sind wir tatsächlich in der Lage, die erste grosse Stadt in Afghanistan, Herat, noch bei Tageslicht zu erreichen. Die Strasse ist erstaunlicherweise asphaltiert, eine erste positive Überraschung. Hoffentlich nicht die letzte.

Einstmals und jetzt

Herat, die Hauptstadt der Provinz Herat und die zweitgrößte Stadt des Landes nach Kabul, hat eine lange Geschichte. Mitten in der Wüste liegend, war sie früher eine lebendige Handelsstadt auf der Seidenstrasse von Europa nach Asien. 

The ancient Silk Road
Die alte Seidenstrasse

Wiki meint dazu:

Alexander der Große eroberte die Stadt 330 v. Chr. und baute sie unter dem Namen Alexandria in Aria zu einem militärischen Stützpunkt aus. In dieser Zeit entstand die berühmte Zitadelle der Stadt. Die Region um Herat wurde nach dem Fall der Seleukiden von den einheimischen Parthern erobert – von hier aus begann die Gründung des mächtigen Parther-Imperiums.

Mit dem Fall der persischen Sassaniden wurde Herat Teil des muslimischen Kalifats. Die Samaniden erhoben Herat später zu einer Residenzstadt und entwickelten sie zu einem Zentrum der persischen Kunst, Kultur und Literatur

Zeugen einer ruhmreichen Vergangenheit

Heute hat sie ihre frühere Bedeutung weitgehend verloren, doch immer noch zeugen eine Moschee und ein Fort von ihrer ruhmreichen Vergangenheit. Vieles davon lässt die Wunder von Maschhad beinahe vergessen.

Herat ist eine alte Stadt mit vielen historischen Bauwerken. Die meisten Gebäude sind aus Lehmziegeln erbaut. Die kürzlich wiederaufgebaute Zitadelle von Herat, die unter Alexander dem Großen errichtet wurde, beherrscht die Ansicht der Stadt. Im 15. bis 17. Jahrhundert wurde Herat auch als das Florenz Asiens bezeichnet. (Wiki)

 

 

Herat war offenbar lange Zeit ein Zentrum der persisch-muslimischen Kulturwelt.

Haben wir das gewusst? Natürlich nicht. Wir müssen zugeben, dass wir wieder einmal ohne jegliche Ahnung sind. Afghanistan liegt weit weg, weiter als unser geschichtlicher und geographischer Unterricht gereicht hat. Wer interessiert sich schon für die reichhaltige Vergangenheit eines unbekannten Landes irgendwo im tiefsten Asien, wenn die Schlacht bei Näfels im Vordergrund steht.

Immerhin erfahren wir einige Details (viele davon sehr viel später). Zum Beispiel, dass die Stadt für ihre bedeutende Kunst- und Literaturtradition besonders bekannt ist. Und dass Herat zudem für seine handgeknüpften Perserteppiche einige Berühmtheit erlangt hat. Man spricht deswegen vom nach der Stadt benannten Herat-Stil. Er gehört zu den teuersten und bekanntesten seiner Art.

Car-Parking

Als Tourist – wer hätte das gedacht – hat man keine Probleme, eine Unterkunft zu finden. Der Hippie Trail hat auch hier seine Spuren hinterlassen. Überall hängen Tafeln, die auf günstige Car-Parking Möglichkeiten oder Ähnliches hinweisen.

Nach all den seltsamen Übernachtungen im Verlauf der letzten Wochen landen wir schliesslich sehr zufrieden in einem riesigen Park eines Hotels inmitten gepflegter Gärten und Bäume. Man fragt sich allerdings, für wen dieser Aufwand betrieben wird, denn wir sind die einzigen Gäste. Und eben darum werden wir mit überschäumender Freundlichkeit empfangen, als ob wir die Könige von Frankreich wären.

Nicht verwunderlich, dass wir die Annehmlichkeiten in extremis geniessen. Warmes Wasser, keine lärmigen Nachbarn oder vorbeidonnernde Lastwagen, Infrastruktur für alles und jeden. So könnte man es sich gefallen lassen. Nach einer überaus angenehmen Nacht geht es am nächsten Morgen darum, die unbekannte Stadt zu erobern. Was nicht überraschend mit einem Gaudi passiert.

Gaudis und buntgeschmückte Lastwagen

Die Stadt erinnert an die autofreien Sonntage während der Oelkrise. Keine Autos auf der Strasse, dafür viele Fussgänger. Sehr angenehm und sehr entspannend.

Ausser den buntgeschmückten Lastwagen sind auf den Strassen nur dies sogenannten Gaudis zu sehen. Es handelt sich dabei um zweirädrige Vehikel, die von einem Pferd gezogen werden.

Es erinnert entfernt an alte Zeiten, die noch gar nicht so lange zurückliegen. Aber das wird uns in den nächsten Wochen noch häufig begegnen.

Später, viele Jahre später, werde ich an diese sogenannte Dischronie denken, in Ladakh, bei den Klöstern und ihrem direkten Draht zum Himmel. Es scheint, als wäre man aus der Zeit gefallen, als ob man in einer Zeit gelandet wäre, die längst vergangen ist.

Manchmal ist es irritierend, sogar ein bisschen beängstigend, aber immer überraschend und von wohltuender Anderstheit. Man könnte sagen, dass wir hier in Herat zum ersten Mal an einem Ort sind, der jenseits aller bisherigen Vorstellungen liegt.

Ein sehr fremdes Land

Wir sind nun mitten im Herz eines sehr fremden Landes. Man hätte annehmen können, dass sich die beiden benachbarten Länder Iran und Afghanistan nicht allzu sehr unterscheiden, aber weit gefehlt. Ob die unterschiedliche religiöse Strömung – hier Sunniten, da Schiiten – oder der sehr unterschiedliche ökonomische Stand eine massgebliche Rolle spielen, ist für uns Aussenstehende schwierig zu verstehen.

Tatsache ist, dass hier die extremeren Auswüchse häufiger zu sehen sind. Frauen tragen durchwegs die Burka, dieses Kleidungsstück, das der vollständigen Verschleierung des Körpers dient.

Wiederum ein tiefer Griff in die Wikipedia Wissenskiste:

Die afghanische Burka (Ganzkörperschleier wird in Afghanistan als چادرى Tschaderi und das Kopftuch als چادر Tschadar bezeichnet) besteht aus einem großen Stofftuch, mit dem oben eine flache Kappe vernäht ist. Manchmal ist im Stirnbereich ein Gummiband vernäht. Im Bereich der Augen ist eine Art Gitter aus Stoff oder Rosshaar als Sichtfenster eingearbeitet. Das Gesicht ist bei der afghanischen Burka vollständig bedeckt. Der Stoffüberwurf reicht entweder in der Rückenpartie bis auf den Boden und vorn bis zur Hüfte oder er fällt rundum bodenlang. Das Kleidungsstück entstand aus der Verbindung eines Körperschleiers mit einem Gesichtsschleier.

 

Die Männer tragen ihre traditionelle Bekleidung, einen Turban, kunstvoll geschlungen, dazu lange wallende Hosen, darüber eine Art Hemd, das bis zu den Knien reicht. Je nach Laune oder Wetter wird bei sehr vielen noch eine Weste oder ein Jackett getragen.

Selbstverständlich alles in grosser Würde. Es ist nicht erstaunlich, dass wir schon nach kurzer Zeit eine ziemliche Hochachtung entwickeln.

 

Song von 1974: Cockney Rebel – Tumbling down

Und hier geht der Trail weiter … in Herat

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Über die Grenze nach Afghanistan

Maschhad bleibt hinter uns zurück, wenn alles gut läuft, werden wir uns in ein paar Monaten auf dem Rückweg wieder sehen. Vielleicht immer noch euphorisch, vielleicht enttäuscht, aber sicher verändert. Es gibt ja offenbar kein Land, das den Besucher derart in seinen Bann zu ziehen vermag – und ihn dabei dauerhaft verändert.

Aber im Moment kennen wir kein Zurück, nur ein Vorwärts, und jetzt wird es zum ersten Mal wirklich spannend. Denn Afghanistan ruft, es ist schon ganz nahe. Afghanistan, ein unbekanntes Land, wild, unbezwungen, von unvergleichlicher Schönheit, von Menschen bewohnt, die noch im Mittelalter zu verbleiben scheinen.

Unsere Gefühle sind ambivalent – voller Vorfreude und doch mit einem gewissen Respekt vor dem, was uns da im wilden Land erwartet.

Wir werden sehen …

Turbane, wallende Hosen und Schleier

Wir fahren entspannt entlang der letzten persischen Dörfer in Richtung afghanische Grenze. Die Strecke ist lang, länger als die längste Ausdehnung der Schweiz, und sie führt einmal mehr durch bergiges, ausgetrocknetes Land, und man fragt sich, wie Menschen in diesem lebensfeindlichen Gebiet existieren können.

Die charakteristischen Lehmhäuser weisen nun eine andere Form auf als im westlichen Iran. Nun sieht man nur noch runde Kuppeldächer, Innenhöfe, Lehmgebäude. Die Männer tragen nun durchwegs kunstvoll geschwungene Turbane und weite wallende Hosen, während die Frauen – sofern man sie als solche erkennen kann – nicht mehr ohne Schleier auf der Strasse anzutreffen sind.

Hier treffen unterschiedliche Zivilisationen, unterschiedliche Kulturen aufeinander, die manchmal besser, manchmal schlechter miteinander zu existieren vermögen.

Eine Wagenburg wie im Wilden Westen

Zu unserem Gunsten gibt es kurz vor der Grenze noch eine letzte iranische Tankstelle mit Superbenzin. Das ist nicht wirklich überraschend, denn ennet der Grenze gibt es nur noch das extrem schlechte afghanische Benzin, eigentlich ist es russischer Herkunft, das „Shurevie“ Petrol. Es wird uns noch einige Zeit das Leben schwer machen und unserem eh schon schwachen Motörchen noch zusätzliche Probleme aufhalsen.

Die Grenze wird um 19 Uhr geschlossen, warum wissen die Götter oder zumindest Mohammed oder Allah persönlich. Es gilt also, ein weiteres Mal beim iranischen Grenzposten zu übernachten. Wir bilden zu diesem Zweck (man weiss ja nie) eine echte Wagenburg nach Wildwest Manier, stellen unsere Wagen im Halbkreis auf, drei VW-Busse und ein niedlicher Döschwo.

Ein Grenzpolizist, der eben Feierabend gemacht hat und offenbar noch keine Lust hat, nach Hause zu gehen, setzt sich bei uns in den Wagen. Wir spielen Joker, ein Spiel, das ich ausnahmsweise gut beherrsche, und so kommt es, wie es kommen muss. Der Polizist gibt nach einigen verlorenen Runden entnervt auf und geht schlafen oder wohin auch immer.

Eine denkwürdige Grenzüberquerung

Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir  mit den berüchtigten asiatischen Grenzritualen in Kontakt kommen. Man denke nur an die Grenze zwischen der Türkei und dem Iran, was auch schon zu nervöser Unruhe geführt hatte.

Aber das hier übertrifft alles. Auf der iranischen Seite geht noch ziemlich harmlos vonstatten. Nach einer guten Stunde werden wir durch ausserordentlich freundliche und zuvorkommende Grenzbeamte mit guten Wünschen für die Weiterreise entlassen. Merkwürdigerweise liegen zwischen den beiden Grenzposten etwa sieben Kilometer Niemandsland, allerdings trennen diese paar Kilometer Welten.

Viele Jahre später werde ich dieses Phänomen noch öfters erfahren, aber nie so krass wie an der Grenze zwischen Vietnam und Kambodscha. Das Kapitel heisst nicht umsonst „Und plötzlich diese Stille„.

Die Unterschiede zwischen den beiden benachbarten Staaten ist frappierend (auch hier ein Beispiel aus einem späteren Leben – Laos und China). Auf der iranischen Seite Reichtum, Fortschritt, Bildung (eine zynische Feststellung, wenn man an die heutigen Umstände denkt), ennet der Grenze eine ungeheure sichtbare Armut und Rückständigkeit, wie wir sie bisher allenfalls in der Osttürkei angetroffen haben.

Auf der iranischen Seite moderne Gebäude, geteerte Strassen, Büros nach westlichem Muster, elegant gekleidete Zollbeamte, auf der anderen Seite ist es schwierig zu entscheiden, welches der halbverfallenen Gebäude unter Umständen das Zoll- und Grenzgebäude sein könnte.

 

Der richtige Beamte

Ein Soldat, falls es sich um einen handelt, in einer wirklich grauenhaften Uniform und kahlgeschorenem, ziemlich hässlichem Schädel (ein Template für jeden echten Punkt ein paar Jahre später) weist uns den Weg zu einem der grösseren Gebäude abseits der Strasse.

Der Weg dorthin kann bestenfalls in Schritttempo befahren werden, falls wir nicht frühzeitig schon mit einem Gelenkschaden konfrontiert werden wollen. Die Strasse, falls sie man sie nennen darf, besteht im Wesentlichen aus Gräben und Löchern, dazwischen hügelähnlichen Verwerfungen. Wen wundert’s, denn abseits der Hauptstrassen gibt es keine befestigten Strassen. Das werden wir etwas später am eigenen Leib erfahren.

Irgendwie schaffen wir es mit Ächzen und Stöhnen, unsere Wagen zum Zollgebäude zu fahren, doch da stellt sich ein weiteres Problem – wer gehört nun zu den Zollbeamten und wer nicht? Zahlreiche mit Turbanen und weiten Röcken bekleidete Gestalten stehen im Hof und im Gebäude herum, von denen niemand genau weiss, was sie hier tun oder ob sie überhaupt eine Funktion innehaben.

Nun, Allah ist gross, und so gibt sich eine der Gestalten als Zöllner zu erkennen und drückt uns einen Zettel in die Hand, wobei zu bemerken ist, dass der Zettel zuerst irgendwo zu beschaffen ist. Anyway, nach erfolgreicher Beschaffung des Dokuments, kritzelt der Herr nach einer oberflächlichen Begutachtung unseres Wagens ein paar unleserliche Zeichen auf den Zettel und macht sich von dannen.

The picture is new - the people the same
Das Bild ist neu – das Aussehen das gleiche wie früher (Thanks Gettyimages)

Kafka und das Schloss

Leider ist es so, wie wir in den nächsten Wochen noch mehrmals erleben werden. Das, was auf den ersten Blick klar ist, ist alles andere als klar. Im Zusammenhang mit dem Grenzübertritt nach Afghanistan in ganz besonderem Masse.

Nun werden wir nämlich von Pontius bis Pilatus geschickt und wieder zurück. Niemand scheint zu wissen, was zu tun ist, denn auf unsere langsam etwas ungehaltenen Fragen wird nicht geantwortet, denn blöderweise spricht niemand englisch.

Und es ist erst noch Mittagszeit, dann wird erstens gegessen und zweitens geruht. Oder was immer die Herren dann tun. Auf jeden Fall dauert es geschlagene zwei Stunden, bis sich die Herrschaften bequemen, in ihre Büros zurückzukehren und sich mit den unmöglichen Problemen von ein paar langhaarigen Touristen herumzuschlagen.

Nun gut, man könnte sagen, das Spiessrutenlaufen hat zwar keinen ersichtlichen Grund, aber es ergibt letztlich so etwas wie einen Sinn in dem ganzen sinnlosen Theater. Einmal mehr hat Franz Kafke mit seinem „Schloss“ die Blaupause für jede Art bürokratischer Sinnlosigkeit geschaffen. Schliesslich, mit leisem Aufatmen, glauben wir fest daran, dass nun alles in Ordnung ist, und fahren zum Ausgang.

Und oh Wunder, ein Soldat weist uns freundlich, aber sehr bestimmt zurück, denn der Impfschein ist offenbar noch nicht kontrolliert worden.

 

Ein wahrhaft gelehrter Herr Doktor

Es folgt nun also der Tragödie dritter Teil.

Der Doktor, der unsere Impfzeugnisse unter seine professionelle Lupe nimmt, hat wohl kaum je eine Praxis oder ein Spital von innen gesehen. Er fühlt sich aber von seiner Wichtigkeit überzeugt und lässt es uns genüsslich spüren. Man nennt sowas auch die Ausübung von Macht,

Egal, wir werden diesem Phänomen noch einige Male begegnen, und das wichtigste, was daraus gelernt werden muss, ist Demut. Nicht wütend werden, nicht ausrasten, nicht die berüchtigte westliche Überlegenheit an den Tag legen. Einfach lächeln, auch wenn es weh tut, immer schön servil nicken, dann entspannt sich die Situation meistens.

Das stimmt zwar, aber in diesem Fall macht das Zurschautragen von Demut mehr als nur Schmerzen. Der Herr Doktor nimmt sich nämlich heraus, an unseren Impfausweisen herumzumeckern, gerade so, als wäre er die einzige Instanz, die sowas beurteilen kann.

Natürlich, das begreifen sogar unbedarfte Seelen wie wir, ist er auf einen Bakschisch aus. Da unsere Geduld in der Zwischenzeit aber auf den Nullpunkt gesunken ist – schliesslich sind wir seit Stunden hier – hat er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Wir sind so aufgebracht, dass wir dem guten Doktor beinahe seinen gelehrten Hals umgedreht hätten.

Und wieder zurück zum Ausgang, diesmal in der festen Überzeugung, dass nun wirklich alles in Ordnung ist. Eben, wir sind in Asien, an einem der Orte, wo alles möglich ist, oder eben alles nicht möglich ist.

Kurz – wir werden ein weiteres Mal zurückgewiesen, diesmal ist es die Haftpflichtversicherung. Auch dieses Problem lässt sich mit den allerletzten noch verbliebenen Nerven lösen – und heureka! Das Unfassbare geschieht, und wir können passieren.

 

Passender Song von 1974:  Steely Dan – Rickie don’t lose that Number

Und hier geht der Trail weiter … in Herat

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Maschhad, die heilige Stadt

Mark Twain behauptete in seiner unnachahmlichen Art: „Man merkt erst auf Auslandreisen, was für ein Trottel man ist.“

Die Unbedarftheit und Ignoranz der meisten Indienfahrer, was im Besonderen auch uns betrifft, ist nichts Neues. Im besten Fall kann es unserer Jugend und der Unbekümmertheit zugerechnet werden.

Man fährt so dahin, rechts und links des Weges liegen unbekannte Welten, die man nicht kennt und zum grossen Teil gar nicht versteht. Man lernt neue Lebenswelten kennen, Mentalitäten, die nicht nur fremd, sondern gelegentlich ausgeprochen beängstigend sind.

So wie hier in Maschhad, der heiligen Stadt. Von der wir keine Ahnung haben. Aber das werden wir nachholen.

Kalte Nächte und herrenlose Hunde

Aber bevor wir uns der unbekannten Stadt und ihrer Highlights annehmen, gilt es zum ersten Mal echt kalte Nächte zu überstehen. Hier im äussersten Nordosten des Landes herrscht ein typisches Kontinentalklima – am Tag bis zu 30 Grad heiss, in der Nacht nahe am Nullpunkt.

Auf jeden Fall sind wir froh um unsere guten Schlafsäcke (wenigstens etwas, was bei der Vorbereitung nicht vergessen wurde). Wir kuscheln uns bis zur Nasenspitze unter die schützende Decke und finden es in unserem temporären Zuhause fast wie bei Mutter zuhause.

Das erinnert mich doch glatt an eine unvergessliche Reise, die Jahre später stattfinden wird, aber wie man weiss, wird der Samen für spätere Unternehmungen viel früher gelegt. Wie beispielsweise jetzt, auf unserem Trip nach Indien.

Wie schon Buddha sagte, alles, was auf der Welt geschieht, ist eine Folge von Ursache und Wirkung. In den meisten Fällen nicht auf Anhieb erkennbar.

Was die herrenlosen Hunde betrifft – sie sind auch hier an jeder Ecke zu finden. Grosse Viecher mit struppigem Fell und hungrigen Augen. Ihr besonderer Liebling ist schnell erkoren: Roli schwingt sich um Nu zu einem Wohltäter in Sachen Verköstigung vernachlässigter Tiere auf.

Ein rollendes Hotel

Gegen Abend kommt Leben in die Bude. Ein riesiger roter Bus, mit ebenso grossem Anhänger mit herzigen kleinen Bullaugen, parkiert neben unserem Standplatz. Es handelt sich ganz klar um ein Exemplar der bekannten und nicht minder berüchtigten rollenden Hotels der Firma Rotel Tours.

Von nun an ist für Unterhaltung gesorgt.

 

In den nächsten Minuten entleert sich aus dem Bus ein scheinbar endloser Strom von Menschen, älteren und jüngeren, alle aus unserem nördlichen Nachbarland, alle mit erschöpftem und etwas leidendem Ausdruck in den Gesichtern.

Man hat den Eindruck, dass sie aus der ersten Stufe der Vorhölle entronnen sind, denn als erstes wird die Toilette besetzt, und man fragt sich, ob auf solche Einrichtungen aus Platzgründen verzichtet worden ist.

Anfänglich sehen wir dem Besuch mit Skepsis entgegen, er entwickelt sich jedoch schnell in eine Abendunterhaltung der besonderen Art.

Denn nun vollzieht sich unter unseren staunenden Augen ein Musterbeispiel teutonischen Organisationstalents.

Alles huscht hin und her, in Windeseile wird eine Küche installiert, ganze Berge von Konservendosen bereitgestellt, Tische und Stühle erscheinen wie von Zauberhand aus den dunklen Innereien des Busses. Und es dauert tatsächlich nur eine knappe halbe Stunde bis die ersten hungrigen Gäste mit Teller und Tasse auf ihr Abendbrot warten.

Respekt!

Den krönenden Höhepunkt unserer Unterhaltung bilden jedoch die Auseinandersetzungen zwischen den älteren und den jüngeren Reisenden. Während die älteren Herrschaften (etwas muffig, mit heruntergezogenen Mindwinkeln) auf Respekt und Anstand pochen, entsprechen die jüngeren mit ihren frischen Gesichtern eher dem Gegenentwurf zu den spiessigen Mitfahrern (wobei man sich fragen muss, was diese Jungen ausgerechnet zu dieser Art des Reisens gebracht hat).

Man stellt sich lieber nicht vor, wie die lange Reise unter diesen mühsamen Bedingungen abläuft. Und wenn man dazu an die Schlafplätze (zu jedem Bullauge ein Bett oder was Ähnliches) denkt, werden Albträume erst richtig beängstigend. Da werden Erinnerungen an MRI-Röhren wach.

Zumindest sind sie sich bezüglich der anderen Campingbewohner einig. Man flüstert sich mit abschätzigen Blicken böse Worte zu. „Zigeuner. Hippies. Ungewaschene Leute. Mit sowas müssen wir uns abfinden.“

Immerhin beruhigt sich nach dem wohlverdienten Abendbrot die Stimmung, denn jetzt folgt deutsche Gemütlichkeit mit Gesang und Musik.

Zentralasien kommt näher

Auf den Strassen der Stadt, deren Eroberung wir am nächsten Tag angehen, begegnet man zum ersten Mal nun anderen ethnischen Gruppen. Im Gegensatz zu den Persern und Arabern (man hüte sich davor, die Perser als Araber zu bezeichnen, das zieht sich bis in unsere Tage hin) weisen diese mongolische Züge auf oder profaner ausgedrückt, sie haben Schlitzaugen.

Die Nähe Afghanistans und Turkmenistans macht sich zum ersten Mal bemerkbar. Sie sind uns auf den ersten Blick sympathisch, denn sie strahlen etwas aus, was den Einheimischen abgeht – eine eigene Würde, eine entspannte Gelassenheit.

Es macht die Vorfreude auf die nächsten Wochen noch grösser.

Der Imam-Reza-Schrein

Nicht überraschend, dass Maschhad an Schönheit und Sehenswürdigkeiten die Hauptstadt Teheran bei weitem übertrifft.

Insbesondere das Heiligtum mit den goldenen Kuppeln, der Imam-Reza-Schrein, der heilige Schrein des achten schiitischen Imams Reza, stellt einen unvergleichlichen Höhepunkt in architektonischer wie auch kultureller Hinsicht dar. Es ist die einzige Grabstätte eines schiitischen Imams auf iranischem Boden.

Er beherbergt des Weiteren die Goharschad-Moschee, ein Museum, eine Bibliothek, vier Seminare, einen Friedhof, die Razavi-Universität für islamische Wissenschaften, einen Speisesaal für Pilger, große Gebetshallen sowie weitere Gebäude (Wiki).

The Imam Reza Shrine
Der Imam Reza Shrine

Folgt man der Geschichte des Heiligtums, wird man über eine Kaskade von Opfertod und Märtyrern, von Verwüstungen, Wiederinstandsetzung, Kriegen, Zerstörung, Erdbeben und Bombardierungen geführt. Es ist eine Geschichte, die sich andernorst ähnlich abgespielt hat. Immer geht es um Macht und Religion (was dasselbe ist), um Einfluss und unterschiedliche Moralvorstellungen.

Aber eben, aus all diesen Verrücktheiten und Tragödien ist dieses Wunderwerk entstanden. Wie heisst es im „Dritten Mann“?

„Denk dran, was Mussolini gesagt hat: In den 30 Jahren unter den Borgias hat es nur Krieg gegeben, Terror, Mord und Blut. Aber dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe. 500 Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr.

Filmzitate Datenbank

Museen, Schleier und ein Schlepper

Es ist nicht überraschend, dass der innere Bereich nur durch Moslems betreten werden darf. Unsere hilflosen Versuche, es trotzdem zu tun, wird durch herbeieilende Wächter schnell unterbunden (natürlich  haben sie recht, man erinnere sich an Mark Twain).

Und es ist auch nicht erstaunlich, dass der Zugang für Frauen absolut tabu ist. Unsere Damen benötigen sogar für den Durchgang durch den Hof, der zum Museum führt, einen Schleier. Ein Mann eilt flugs herbei, ein paar Schleier in der Hand, die er bereitwillig zur Verfügung stellt. Und so schaffen wir den Besuch des Museums doch noch.

Viel ist allerdings nicht zu sehen, immerhin erfreuen wir uns an den grossartigen Mosaikwänden. Da wäre natürlich zu erwähnen, dass zur Zeit, als diese Kunstwerke entstanden, sich unser Europa noch in der tiefsten Dunkelheit des Mittelalters befand. Tja, Reisen bildet, wie man so schön sagt, und bringt gelegentlich ein paar feste eurozentrische Überzeugungen ins Wanken.

 

Tschelo Kabāb

Der Herr mit den Schleiern hat uns nicht vergessen, wie könnte er auch, schliesslich hat er uns einen Dienst erwiesen, der nun beglichen werden sollte. Wir haben es also mit einem waschechten Schlepper zu tun, was mich wiederum an ähnliche Gegebenheiten erinnert.

Er erwartet heute ein paar grosse Geschäfte, allerdings müssen wir ihn enttäuschen. Wir wollen weder Geld wechseln noch Teppiche kaufen, aber wir haben nach den anstrengenden Besuchen Hunger. Immerhin kann er uns nun zu einem Kellerrestaurant führen (wo er sicher eine ansprechende Provision erhalten wird), und so kommen wir endlich zum ersehnten Tschelo Kabāb, dem iranischen Nationalgericht.

Es ist mit Abstand das beste Essen, was wir seit Wochen gekostet haben.

 

Passender Song von 1974:  The Allman Brothers – Ramblin‘ Man

Und hier geht der Trail weiter … in Richtung Afghanistan

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Unterwegs im Niemandsland

Vom Kaspischen Meer nach Maschad

Es geht also weiter, Ade Chalous, wir werden dich nicht vermissen, den Nachthimmel allerdings schon. Und Otto natürlich, wir wünschen dem armen Kerl alles Gute und vielleicht doch noch ein langes Leben.

Der Weg führt anfangs eine ganze Weile dem Kaspischen Meer entlang. Eine farbige fruchtbare Gegend, ganz anders als das, was wir bisher vom Iran gesehen haben. Sie erinnert uns in verschiedener Hinsicht an Griechenland, an Methoni, das kleine Städtchen im Süden des Peloponnes.

Methoni auf dem Peloponnes

Warum erinnern wir uns an Orte, an Menschen, an andere nicht?

Methoni ist ein gutes Beispiel. Ein abgelegener kleiner Ort, als Tourist ist man das Ereignis des Tages. Es gibt genau eine einzige Taverne, wo sich die alten Männer treffen, ihre seltsamen Spiele spielen. Aber es gibt eine Musikbox. Angesichts der musikalischen Dürre während unserer Reise drücke ich ein paar Lieder, griechische natürlich, um den Gästen eine Freude zu machen.

Und es wird mit wohlwollendem Nicken zur Kenntnis genommen. Einer der bärtigen Männer mit dunkelgebranntem, zerfurchtem Gesicht steht auf und geht ebenfalls zur Musikbox. Und gleich darauf erklingt das einzige englischsprachige Lied.

Gibt es bessere Beispiele für die Möglichkeiten gegenseitiger Verständigung?

Der Grund, warum manche Orte, manche Menschen, manche Erlebnisse nicht vergessen werden, während andere sofort verschwinden, sind die damit verbundenen Gefühle.

Seltsame Leute

Die Bewohner dieser Gegend sind aber im Unterschied zu den Griechen, die wir als freundlich und zurückhaltend in Erinnerung haben, laut und aufdringlich. Wir machen gute Miene zum bösen Spiel, sogar wenn sie auf die Stossstange springen oder, noch viel schlimmer, uns in protzigen Autos verfolgen.

Wahrscheinlich ist es besser, dass wir das, was sie uns hinterher rufen, nicht verstehen, denn es scheint sich nicht um freundliche Grussworte zu handeln. Seltsam. Man fragt sich, ob der sonst überall sichtbare Fortschritt diesen Leuten vorenthalten worden ist. Oder ob Fremde grundsätzlich als solche wahrgenommen werden. Das kennen wir doch irgendwie auch.

Na ja, auf jeden Falle wächst unsere Sympathie zu ihnen mit dem Quadrat der Entfernung.

 

From Chalous to Maschad
Von Chalous nach Maschad

Zurück in der Wüste

Sobald man den Einflussbereich des Meeres verlässt und sich gegen Osten richtet, findet man sich wieder in der gewohnten wüstenähnlichen Einöde. Und es geht wieder aufwärts und abwärts, die Berge, die Hügel, die Täler und Schluchten haben uns wieder.

Und damit unsere alltägliche Mühsal. Der kleine herzige 1200cc Motor schnurrt zwar zuverlässig, doch wenn die Steigungen allzu steil werden, kann er schon mal ein protestierendes Geräusch von sich geben, was wie das verzweifelte Keuchen eines Asthmatikers klingt. Aber wir reden ihm gut zu, loben ihn über den Klee, und so führt er uns gehorsam durch das unwegsame Gebiet.

Am Abend treffen wir uns wie gewohnt in einer Highway Police Station, wir sind mit unserem langsamen Vehikel nicht erstaunlich wieder die letzten, was uns aber nicht aus der Ruhe bringt (solange man sich jeweils am Abend wieder findet).

Die Abendunterhaltung wird durch einen der Polizisten bestritten, der unter dem Gelächter seiner Kollegen versucht, auf Englisch eine Diskussion in Gang zu bringen. Sein Wortschatz von geschätzten sieben Wörtern dient allerdings kaum zuz einem sinnvollen Gespräch, seine Bemühungen werden aber auf jeden Fall sehr wohlwollend aufgenommen.

Das neue Leben

Der erste Monat auf dem Trail liegt hinter uns, in der Rückschau scheint der Abschied von zuhause viel länger zurückzuliegen. Das Leben auf der Strasse gefällt uns, das Wohnen im Auto ist alltäglich geworden. Wir sind nicht nur distanzmässig sondern auch gefühlsmässig Lichtjahre entfernt von unserem alten Leben.

Ausnahmsweise sind wir am folgenden Morgen früh unterwegs, damit wir wenigstens ein einziges Mal nicht die letzten sind. Es liegen wieder viele hundert Kilometer vor uns, die Strecke ist wie gestern sehr mühsam zu befahren.

Die Gegend scheint ausgestorben zu sein, selten ein Dorf, ein paar Hütten, manchmal ein paar lebende Seelen an einer Bushaltestelle.

Und so fahren wir dahin, den Blick geradeaus gerichtet, nach Osten, dorthin, wo wir hinwollen. Und wo es doch immer noch so weit zu sein scheint.

 

 

Mörderische Unfälle

Es überrascht nicht, dass auch auf dieser abgelegenen Gegend der Lastwagenverkehr ebenso dicht ist wie überall in diesem aufstrebenden Land. Und es ist nicht erstaunlich, dass auch hier mörderische Unfälle passieren.

Und tatsächlich, an der nächsten Station der Highway Police, hoffentlich die letzte Übernachtung vor Maschad, sind gut sichtbar für alle Vorbeifahrenden die zerknautschten Überreste einer Frontalkollision ausgestellt.

Es scheint eine Mahnung an alle jene Temposünder zu sein, die ohne Rücksicht auf Verluste durch die Gegend brausen.

Der Nutzen kann bezweifelt werden.

Verunfallter Lastwagen

 

Maschad – die heilige Stadt der Schiiten

Maschad, einer dieser exotischen Städtenamen, die unverzüglich Bilder vor dem geistigen Auge entstehen lassen. Wie Mandalay. Rangun. Jaipur. Man stellt sich wundersame Tempel und Moscheen vor, mit goldenen Türmen und blauen Kuppeln.

Doch Maschad ist mehr als nur ein schöner Name, es ist die heilige Stadt der Schiiten. Hier starb Ali, der Schwiegersohn Mohammeds, den Märtyrertod, und nicht erstaunlich, dass Maschad nun den Mittelpunkt des schiitischen Islam darstellt.

Wir erreichen die Stadt kurz vor Mittag, die letzten Kilometer von der Highway Police haben den vorherigen Kilometern entsprochen. Viel Einöde, viel verbrannte Erde, viel Nichts.

Das Interesse an Ali und all der Pracht der Stadt ist vorderhand gering, alles, was uns interessiert, ist eine heisse Dusche und warmes Wasser, um endlich wieder einmal waschen zu können.

Und by the way, der Campingplatz – relativ neu und gut angelegt – ist gerammelt voll. Die halbe Welt scheint Richtung Osten zu reisen.

 

Passender Song von 1974:  Manfred Mann’s Earthband – Blinded by the Light

Und hier geht der Trip weiter … wir erkunden die heilige Stadt

 

Von Sasan Geranmehr - Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35042525
Hippie Trail

Der Hippie Trail – Das Kaspische Meer

Der Morgen am Kaspischen Meer zeigt sich in seinem besten Gewand, schon beinahe sonntäglich.

Es kann vortrefflich gefaulenzt werden. Das Wetter ist warm und von würziger Klarheit (falls es sowas überhaupt gibt, aber offenbar verführt der blaue Himmel über dem blauen Meer wieder mal zu allerlei poetischem Unsinn).

Und übrigens – der zweite orange Bus ist doch noch eingetroffen, offenbar hat das Elbursgebirge soviel Neugierde bewirkt, dass eine ungeplante Übernachtung am Strassenrand nicht vermieden werden konnte.

 

Faulenzen in Chalous

Wir campieren in der Nähe des Ufers, ein Zaun verstellt den Weg zum Strand, der Boden ist steinig, man fragt sich, was sich hier normalerweise abspielt. Ist es ein Badestrand? Ein ungenützter Platz, den niemanden interessiert? Wer weiss, auf jeden Fall sind wir recht glücklich über die Umgebung, und da wir ja nicht baden wollen, sind uns die Steine ziemlich egal.

 

The Caspian Sea welcomes us with perfect weather
So kann man es aushalten – Strand, Meer, Sonne

Wir sind also in Chalous (oder Tschalus oder Chalus), einem Dorf am Kaspischen Meer, wunderbar gelegen, man kann es hier tatsächlich aushalten. Damals tatsächlich noch ein Dorf, etwas ärmlich, alles andere als eine Destination für Touristen. Aber das sind wir ja auch nicht. Ausser ein paar verlausten Hippies auf dem Weg nach Indien gibt es selten Besucher.

 

Tschalus at the Caspian Sea  Tschalus Iran

Chalous am Kaspischen Meer – damals ein Dorf, heute eine mittelgrosse Stadt (CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=868156)

Otto

Heute sieht die Sache allerdings etwas anders aus. Aus dem Dorf ist eine Stadt geworden, knapp 50’000 Einwohner, und es hat tatsächlich einen touristischen Hotspot, ein Erholungsgebiet namens Namakābrūd, Tourist City genannt. Und he, es gibt sogar zwei Seilbahnen, die auf einen Berg hinaufführen.

Alles undenkbar im Jahr 1974.

Immerhin haben wir in Gestalt eines schmutzigen schwarzen Hundes Gesellschaft erhalten, wir nennen ihn Otto. Nicht, dass wir seine besondere Sympathie erweckt haben, er wird bei uns ganz einfach nicht geschlagen, dafür ausgiebig gefüttert. Roli beweist zum ersten Mal sein überaus grossherziges Herz für Tiere, vor allem herrenlose Hunde. Nicht überraschend, dass Otto nach kurzer Zeit so zutraulich wird, dass er uns (vor allem Roli) nicht mehr von der Seite weicht.

Es gibt allerdings ein kleines Problem: in Abwesenheit von Toiletten muss man sich bei gewissen Bedürfnissen in die Büsche schlagen, was natürlich Ottos Neugier weckt. Es gilt also, vor dem Gang hinter die Büsche allerlei Ablenkungsmassnahmen zu treffen, die erfolgreich sind – oder auch nicht.

 

Steine fliegen

Die Dorfjugend hat entdeckt, dass da ein paar seltsame Ausländer am Ufer des Meeres campieren. Wir stehen nun sozusagen im Schaufenster, man beobachtet uns aus der Ferne, doch niemand wagt es, näher zu kommen.

Es dauert nur bis zum Einbruch der Dunkelheit bis die ersten Steine fliegen. Das, was wir eigentlich in der Osttürkei erwartet haben, findet nun also hier statt. Nun denn, etwas Bewegung tut gut nach all den Stunden im Auto, und so erweist sich ein sportlicher Hundert-Meter-Lauf als das, was es braucht, um die unwillkommenen Störenfriede in die Flucht zu schlagen. Es ist allerdings kein Anlass sich zu ärgern, in unserem Alter hätten wir die Langeweile genauso bekämpft.

 

Ein Pillendreher und das Glasperlenspiel

Die vor uns liegende lange und wahrscheinlich mühsame Strecke bis Maschad und anschliessend durch Afghanistan verlockt natürlich zu Musse, zu Faulenzen, zu allem, was man so macht, wenn man Zeit und keine Eile hat.

Und so geht ein weiterer Tag dahin, nichts Besonderes, nichts Erwähnenswertes, ein bisschen spazieren dem Meer entlang, meistens aber vor allem schwatzen und Kaffee trinken, sich noch besser kennenlernen. Wir fahren ins Dorf, füllen unsere Vorräte auf, denn bis Maschad wird es nicht viele Gelegenheiten dafür geben.

Von Tashkoskim - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0,
Von Tashkoskim – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0,

Hermann Hesse - Das GlasperlenspielEs braucht wenig, um uns abzulenken. Zum Beispiel durch ein seltsames Tier, das durch den Sand kriecht und eine Mistkugel vor sich her rollt. Es handelt sich um einen sogenannten Pillendreher, also einen waschechten Skarabäus.

Ich zitiere aus Wikipedia:

Sie ernähren sich vom Kot pflanzenfressender Säugetiere und werden deshalb auch Koprophagen (Kotfresser) genannt. Nach der Paarung formt der Käfer eine Kugel aus Dung, die seine Körpermasse oft um ein Vielfaches übertrifft. Diese Kugel klemmt er dann zwischen seine Hinterbeine und rollt sie rückwärts laufend vor sich her, bis er eine geeignete Stelle findet und die Kugel mit Hilfe von Kopf und Vorderbeinen im Boden vergräbt. Das Weibchen legt die Eier dann an die vergrabene Kotkugel, von der sich die Larven später ernähren.

Der Pillendreher galt im Alten Ägypten als Symbol für die Auferstehung und für den Kreislauf der Sonne. Den Toten gab man Skarabäen, kleine Käferamulette, als Grabbeigabe zum Schutz im Jenseits mit, aber auch Lebende trugen Skarabäen als Schmuck.

Also, auch Faulenzer haben dazwischen ihre fünfzehn intelligenten Minuten, diese sind dem heiligen Käfer gewidmet. Wir wünschen seinen Nachkommen auf jeden Fall guten Appetit.

Da die Käfer aber nicht den Tag füllen, versuchen wir anderweitig etwas für den Geist zu tun, in meinem Fall mit Hermann Hesse und seinem Glasperlenspiel. Die Reisebücher sind auf jeder Reise die Kirsche auf dem Dessert, unverzichtbar in langen Nächten, langweiligen Bus- oder Bahnfahrten.

Josef Knecht hat es im altehrwürdigen Orden Kastalien bis zum angesehenen Magister Ludi, zum Meister des Glasperlenspiels, gebracht. Dieses Spiel vereint in sich das Wissen und die Künste der ganzen Welt. Wir begleiten den jungen, hochbegabten Waisenknaben Josef Knecht auf seiner Laufbahn durch alle Stufen der Ordenshierarchie bis zu dem Punkt, an dem in ihm eine weitreichende Erkenntnis reift…

Ich muss gestehen, dass der Roman viele Jahre auf meinem persönlichen Kanon gelegen hat, ich allerdings bis zum Schluss nicht kapiert habe, wie dieses seltsame Spiel funktionieren soll. Egal. Heute ist die Hesse-Euphorie verflogen, man ist älter geworden, die Zeit des Steppenwolfs gehört zu den jüngeren Jahrgängen.

 

Der Nachthimmel über dem Kaspischen Meer

Bevor es am nächsten Morgen losgeht, bewundern wir noch ein letztes Mal den Sternenhimmel über dem Kaspischen Meer. Jetzt erst kann man erkennen, was uns durch die Lichtverschmutzung in unseren Breitengraden entgeht.

Angesichts dieses funkelnden endlosen Meers von Sternen fühlt man mit einem Mal seine eigene Zwergennatur. Wir sind nichts, buchstäblich weniger als ein winziges Staubkorn im Universum. All das, was da oben scheint und vermutlich längst verloschen ist, ist die wahre Welt, während wir auf unserer seltsamen blauen Kugel an unsere Besonderheit glauben. Nichts könnte weniger wahr sein, nichts könnte drastischer beweisen, dass wir vernachlässigbar sind. Da oben, in unserer Milchstrasse, unserer eigenen Galaxie, schwirren Milliarden von Sonnen, von Planeten, von anderen Fels- und Staubkörpern umher, und das ist nur eine Galaxie von weiteren Milliarden.

Da kann man schon sehr klein und sehr demütig werden.

Wir verrenken also unsere Hälse, werden ganz still und leise, betrachten die Pracht des Universums und gehen beschenkt ins Bett.

 

Passender Song: Dolly Parton – Jolene

Und hier geht der Trip weiter … in Richtung Maschad im Osten des Irans

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Das Elburs-Gebirge

Der Sonntag ist, wie man weiss, der biblische Ruhetag nach sechs anstrengenden Werktagen. So wie heute.

Ob man in unserem Fall von Werktagen sprechen kann (schliesslich sind wir in den Ferien, auch wenn sich das nicht immer so anfühlt), ist eine andere Frage. Und anstrengend? Eher nicht, die Wartezeit in Täbris hat uns zu einigen, allerdings unerwünschten Ruhetagen verholfen.

 

Hin- und Rückreisende

Aber was soll’s, wir geniessen den Tag, liegen auf der sprichwörtlichen faulen Haut und lernen neue Leute kennen. Man sitzt ja sozusagen im Zentrum des Sturms, das Leben läuft rings um uns herum, man kann einfach sitzen und schauen und sich wundern über all die Leute, die sich  hier versammelt haben und wie man erfährt, die gleichen Ziele haben.

Einige sind auf der Rückreise, man sieht es ihnen an, oder waren sie schon immer so mager und abgekämpft?

Allerdings strahlen sie etwas aus, etwas Besonderes, schliesslich haben sie alles geschafft, was wir noch vor uns haben. Sie sind Helden, man umlagert sie, man möchte alles wissen, über die Erlebnisse und Erkenntnisse, über eventuelle Gefahren und Risiken, über die Menschen dort, noch weit weg, aber trotzdem näher kommend.

Man lechzt nach Informationen, nach all den Dingen, die nur durch eigene Erfahrungen generiert werden können und in den Führern nicht erwähnt werden. Aber eben, die meisten von uns sind noch auf dem Hinweg, alle mit Vorfreude auf das Kommende, aber auch mit gewissen Zweifeln und Ängsten, die man allerdings lieber für sich behält.

Und natürlich geniessen die Rückkehrer ihren besonderen Status und erzählen mit Gesichtern, auf denen viel Stolz zu erkennen ist.

Von den Strassenverhältnissen in Indien, von den rücksichtslosen Bus- und Lastwagenfahrern, von der Neugier der Menschen, von der Armut, von den unzähligen Erlebnissen auf und abseits der Dörfer und Städte. Manchmal hat man den Eindruck, dass sie vor allem die dramatischen Erlebnisse in den Vordergrund stellen, während das „Normale“, was vermutlich den Grossteil der Zeit ausmacht, in den Hintergrund rückt.

Aber ich gehe davon aus, dass es uns auf der Rückreise genauso ergehen wird. Wir als Helden. Falls wir das je schaffen.

 

Neue Freunde

Unweit unseres Platzes hat sich ein Citroën 2CV mit einem Graubündner Kennzeichen eingefunden, es dauert nicht lange, bis man sich kennenlernt.

Hallo, Beatrice und Ruedi.

Nicht überraschend ist ihr Ziel ist das gleiche, Indien, der grosse Traum aller, das ultimative Paradies, das man unbedingt erreichen möchte. Wir spüren gegenseitig schon bald viel Sympathie, aber dass unsere Reise in trauter Zweisamkeit viele tausend Kilometer weitergehen wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch weit weg.

Anyway, der Kreis unserer Bekanntschaften erweitert sich im Verlauf unseres Aufenthalts noch weiter, eigentlich fast zwingend, denn – wie wir später feststellen werden – sind die Autos mit CH-Kennzeichen häufig anzutreffen, manchmal sogar in der Überzahl. Was natürlich etwas stutzig macht. Ich habe nicht gewusst, dass die Schweizer derart abenteuerlich veranlagt sind.

Die neuen Bekanntschaften sind Roli und Dora mit einem nagelneuen orangen VW-Bus, begleitet von Ueli und Silvia, mit einem ebenso neuen wie orangen Vehikel. Wenn ich da an unseren alten Kasten denke, der alle paar Tage kurz davor ist, den Geist aufzugeben, bekommen wir schon gewisse Minderwertigkeitskomplexe. Und auch ihr gemeinsames Ziel unterscheidet sich von unseren vergleichsweise bescheidenen Vorhaben – sie wollen bis nach Australien.

Aber eben, eigentlich wollten wie schon lange die Reise fortsetzen. In Afghanistan soll es im November, also schon recht bald, ziemlich kalt werden, auch Schnee ist eine durchaus ernst zu nehmende Möglichkeit. Schnee? Um Gottes Willen, nur das nicht. Wir wollen in die Wärme, in den ewigen Sommer, und vor allem, unser Wagen besitzt vieles nicht, was andere haben, vor allem aber keine Heizung.

Das hält uns aber nicht davon ab, trotz all diesen Unabwägbarkeiten weiter Kaffee zu trinken, zu schwatzen und das Leben zu geniessen. Und die Weiterfahrt zu verzögern. Ich hoffe, wir werden das nicht früher oder später bedauern.

Und übrigens – die Wasserpumpe ist wieder in Betrieb, die Wellen der Empörung haben sich in Minne aufgelöst.

 

Dann aber doch noch die Weiterfahrt

Mit dem afghanischen Visum in der Tasche und aufgefülltem Vorrat an Lebensmitteln und Benzin und Gas und was es sonst noch braucht für die nächsten Etappen lassen wir Teheran mit wenig Wehmut hinter uns entschwinden.

Teheran ist in verschiedener Hinsicht ein prekärer Ort, aber es ist auch eine Stadt, die brummt.

Wir schauen zurück, und nicken bedauernd, doch das Bedauern gilt der Bevölkerung, die trotz Reichtum der kleinen oberen Schicht immer noch in tiefer Armut lebt (wie wenig uns die damaligen Gefühle getäuscht haben, wird ein paar Jahre später mit der Revolution klar). Teheran ist eine dieser Orte auf der Welt, wo man partout nicht leben möchte. Es werden in der Zukunft noch einige dazukommen, aber das ist nicht wirklich überraschend.

 

Das Elburs-Gebirge

Wie könnte es anders sein – auch in Gesellschaft der neuen Freunde starten wir kein bisschen früher als sonst.

Es ist schon beinahe Mittag, als wir endlich im Pulk von vier Vehikeln losbrausen. Ein sehr heterogener Pulk, bestehend aus 2 glänzend orangen neuen Bussen, einem blauen 2CV und einem sehr heruntergekommenen VW-Bus, was uns doch ein bisschen beschämt, aber nur ein bisschen.

Anyway, das Elburs-Gebirge liegt vor uns, es muss überwunden werden, um das heutige Ziel, das Kaspische Meer, zu erreichen.

Also ein ziemlich lange Strecke, die wir einmal mehr, diesmal in Gesellschaft, sträflich unterschätzen. Es hält uns nicht davon ab, inmitten einer wunderschönen Landschaft mit fruchtbaren Tälern und malerischen Dörfern zuerst mal in aller Ruhe den Lunch zu geniessen.

Und auch ein gelegentlicher Halt inmitten rauer Berglandschaft, der Blick des jungen Herrn zwar schon ein wenig angespannt, scheint möglich zu sein (obwohl die im Hintergrund sichtbaren schroffen Hügel etwas anderes aussagen).

Allerdings, es ist nichts anderes zu erwarten, ist es mit unserer Ruhe ziemlich schnell vorbei, als kurz nach Karadsch die Steigungen durch eine braune öde Landschaft beginnen. Gelb-rotes Felsgestein, mit breiten Bändern durchzogen, säumt zu beiden Seiten die Strasse. Die Steigungen den Pass hinauf werden immer steiler, die Schluchten immer tiefer.

Es dämmert uns, dass wir einmal mehr in Zeitnot kommen werden.

 

 

 

Der Amir-Kabir-Staudamm

Auch die grösste Zeitnot kann uns nicht hindern, an einem der längsten Stausee (40km2), die wir je gesehen haben, eine Pause einzulegen. Die Amir-Kabir-Talsperre ist so eindrucksvoll, dass ich ein paar gekürzte Informationen aus Wikipedia zitiere:

Die Bogenstaumauer der Talsperre ist 180 m hoch und doppelt gekrümmt. Die ersten Überlegungen zum Bau der Talsperre stammen noch aus der Zeit von Reza Schah Pahlavi. Es sollte dann allerdings bis zum Jahr 1952 dauern, bis die ersten konkreten Planungen in Angriff genommen wurden.

1956 wurde das Genehmigungsverfahren eingeleitet und mit den Bauarbeiten durch die US-amerikanische Firma Morrison-Knudsen begonnen. Die Bauarbeiten liefen ohne Unterbrechung in drei Schichten 24 Stunden am Tag. Am 24. Februar 1963 wurde die Talsperre ihrer Bestimmung übergeben. Die Finanzierung der Bauarbeiten erfolgte vollständig aus den Öleinnahmen der staatlichen NIOC.

Die Talsperre erfüllt mehrere Zwecke, unter anderem Wasserkraftgewinnung und Trinkwasserversorgung der Stadt Teheran sowie der Stromversorgung der Stadt. Außerdem ist der Stausee als Ausflugsort beliebt und es gibt im Sommer Möglichkeiten zum Wassersport wie zum Beispiel Bootfahren und Wasserski.

Wir können nicht umhin, diesem Bauwerk die verdiente Hochachtung zu schenken. Das ist mehr als eine beachtliche Meisterleistung.

 

Our (very bad foto) of that time And an even worse foto of the Amir-Kabir-Dam

Einige unserer eigenen verblichenen Fotos vom Amir-Kabir-Damm

 

Die Luft wird dünn

Je höher wir kommen und je dünner die Luft wird, desto mehr keucht unser armer 1200cc Motor. Aber eigentlich ist sein gutmütiges Schnurren beruhigend, auf jeden Fall bringt es uns trotz Keuchen heroisch bis auf fast 3000 Meter hinauf. Der höchste Punkt ist eine Erleichterung, denn lange hätte unser Vehikel nicht mehr durchgehalten.

Wer hätte schon gedacht, dass wir so schnell derartige Höhen zu bezwingen haben.

Aber eben, im Nachhinein ist man immer (immer?) klüger. Meistens sind die Dinge anders als vorgestellt. Nur eine der Erkenntnisse, die uns auf der Reise begleiten und immer wieder beweisen, wie wenig wir wissen. Im Grunde genommen, ist es bloss ein anderer Ausdruck für unsere unbeirrbare, unheilbare Arroganz und Ignoranz, die uns hierher geführt hat. Wie weit wird sie uns noch tragen? Wir wollen es lieber nicht wissen.

Always look at the bright side of Life.

Es geht also nun abwärts, hinein in eine tiefe Schlucht, die sich schattig und dunkel in Richtung Norden zieht. Endlose Kurven, manchmal an die Tremola erinnernd, machen das Fahren zur Qual. Ausserdem, was uns doch langsam ein wenig beunruhigt, zieht im Osten langsam und unaufhaltsam die abendliche Dunkelheit heran.

Als ob ein schwerer samtener Vorhang zugezogen würde.

 

Chalous am Kaspischen Meer

Der Vorhang ist zugezogen, und so ist es also bereits zappenduster, als wir endlich in Chalous, unserem heutigen Ziel, ankommen. Irgendwo muss das Meer sein, dieser riesige blaue Kosmos aus Wasser, genannt Kaspisches Meer, doch es hat sich in die Dunkelheit zurückgezogen, so wie alles andere.

Wir schauen nicht zurück, aber wir haben es bezwungen, dieses 3000 Meter hohe Hinterniss, diese abgrundtiefen Schluchten, die dünne Luft, unsere Angst, dass wir es nicht schaffen.

Und natürlich werden wir durch die schnelleren Vehikel bereits erwartet. Der zweite orange Bus scheint allerdings noch ausstehend zu sein, also versammeln wir uns im anderen orangen Vehikel, trinken Kaffee, schwatzen, lernen uns besser kennen. Und warten mit zunehmender Beunruhigung, wo Ueli und Silvia geblieben sind.

Nach zwei Stunden sieht es nicht danach aus, dass die Vermissten noch kommen, also suchen wir uns einen geeigneten Platz am Meer, um dort die Nacht zu verbringen.

 

Passender Song:  Eric Idle – Always look at the bright side of Life

Und hier geht der Trail weiter … am Kaspischen Meer

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Keine Stadt für Geniesser

Was kann eine kaputte Wasserpumpe bedeuten?

In einem Land wie dem Iran, einer Stadt wie Teheran, einem Campingplatz wie dem unseren – sehr viel. Es ist nicht nur ein dummes Missgeschick, es ist eine ausgewachsene Katastrophe.

 

Man stelle sich einen Wassernotstand vor

Wir im reichen Westen sind uns gewohnt, alles zu erhalten, was wir uns wünschen. Energie, Lebensmittel, Benzin – und Wasser. [Ich wage es fast nicht zu erwähnen, aber heute, 2022, Jahrzehnte später, sieht die Geschichte etwas anders aus, aber davon ein anderes Mal.]

Anyway, einen echten, spürbaren Wassernotstand zu erleben, steht nicht zuoberst auf der Bucket List. Es ist eine ziemlich grauenhafte, grauslige Erfahrung.

Jeder schreit nach Wasser.

Doch die Toiletten sind verstopft, die Hahnen tropfen bestenfalls, keine Dusche, kein Zähneputzen, kein Wasser zum Kochen. Der Manager, verantwortlich für die schnellstmögliche Behebung des Schadens, im Normalfall sehr cool und sehr lässig, hat wenig Lust, sich des Problems anzunehmen. Und so bleibt er das, was er immer war, ein aufgeblasener Wicht.

Und wir, wir müssen eine Art orientalischer Gelassenheit lernen, indem wir uns entspannt der Misere ergeben.

 

Falsche Vorstellungen

Wer an eine Stadt wie Teheran denkt, stellt sich etwas Orientalisches vor, Basare, Moscheen, verträumte Innenhöfe, exotische Menschen, verschleiert, mit Turbanen und langen luftigen Kleidern, während sie entspannt und ernsthaft dem Muezzin lauschen.

Weit gefehlt.

Wir sind ja bereits bei der denkwürdigen Ankunft eines Besseren belehrt worden und wissen nun, dass diese Stadt alles andere als eine verträumte orientalische Kapitale ist. Nachdem wir den gestrigen Ausfall der Wasserpumpe einigermassen, wenn auch etwas streng riechend, überstanden haben, gilt es nun endlich, die Stadt zu erkunden.

 

Öffentliche Verkehrsmittel und andere Kalamitäten

Um unseren Wagen, der endlich wieder in gutem Zustand ist, nicht unnötig zu Schrott zu fahren, benutzen wir die sogenannten öffentlichen Verkehrsmittel. Sogenannt, weil sie so gar nicht unserem Begriff entsprechen. Es handelt sich schlicht um bizarre Vehikel, die man allerdings selten zu Gesicht bekommt.

Ausserhalb der Stadt ist es noch einigermassen möglich, einen Bus oder ein Gemeinschaftstaxi zu erwischen, allerdings nur bis zum ersten Umsteigen.

Da fängt die erste Stufe zur Hölle an.

Das Getümmel ist unbeschreiblich. Man stelle sich hunderte von Menschen vor, zornige schwitzende Männer mit schwarzen Bärten, schüchterne Frauen mit und ohne Verschleierung, mit Kindern an der Hand und Babies an der Brust, und alle schreien durcheinander, rufen den heranfahrenden Taxis ihre jeweiligen Bestimmungsorte entgegen, manche mit Erfolg, die meisten ohne.

 

Tehran Traffic

Der Verkehr ist eine Hölle aus tausenden von Vehikeln, die Luft ist stickig vom Rauch der Abgase, Motoren dröhnen, Polizisten pfeifen, Hupen hupen … Man muss es erlebt und gesehen haben, um es zu glauben.

 

Das Alte muss weg

Je näher das Stadtzentrum kommt, desto westlicher und wohlhabender sieht die Stadt aus. Boulevards werden breiter, Gebäude höher, mehr Beton, mehr Fenster, noch mehr riesige Wolkenkratzer, man glaubt, in Manhattan zu sein.

Diese Stadt scheint wie ein Magnet Geld und Wohlstand anzuziehen. Ein ungeheurer Reichtum hat dieses Land, vor allem aber diese Stadt in kürzester Zeit wie eine Lawine überrollt und alles umgekrempelt.

Nichts ist so, wie es noch vor wenigen Jahren war.

Doch wie immer hat alles seine Schattenseite. Das bei uns schon länger Verpönte – unmenschliche Betonklötze, verpestete Luft, Verkehrszusammenbrüche, Staus und Stress – feiert hier ein genussvolles Wiederauferstehen. Das Alte muss weg, um dem Neuen Platz zu machen.

 

Tehran Alley
Einige sind noch da

Die alten Basarstrassen und -gassen mit den verträumten Krämerläden sind verschwunden, mussten weichen. An ihrer Stelle stehen nun riesige Gebäude mit den üblichen Verdächtigen – Banken, Versicherungen, Modeketten, Anwaltskanzleien.

Man glaubt, in einem Märchenland gelandet zu sein, einem Märchen, wo der böse Zauberer unsichtbar ist und im Hintergrund an seinen Fäden zieht. Wo man lange nicht merkt, dass hier eine Triage passiert, wo der Reichtum neu verteilt wird.

Einigen wenigen viel, ganz vielen wenig.

 

Es ist heiss und deprimierend

Die Umgebung beeinflusst Körper und Geist. Man ermüdet schnell, will nur noch weg, irgendwohin, wo man atmen kann.

Dazu kommt, dass dieser Tag es generell nicht gut mit uns meint.

Das afghanische Konsulat ist geschlossen, wir finden keine Briefe auf der Post (hat man uns bereits vergessen?), und zu guter Letzt haben wir die grössten Probleme, in dieser Monsterstadt so etwas Ähnliches wie ein Restaurant zu finden.

Ein Restaurant? Wofür denn?

Anyway, am Nachmittag ist die Flasche leer, wie man so schön sagt, und wir machen uns auf den Heimweg. Beziehungsweise wollen wir uns auf den Heimweg machen. Doch alle Mühe, ein geeignetes Transportmittel in der gewünschten Richtung zu finden, schlägt fehlt. Kein Taxi, kein Bus, kein Irgendwas, das uns zum Campingplatz bringt.

Kann man sich vorstellen, dass Teheran-City stündlich an positiver Resonanz verliert? Wir machen uns also zu Fuss auf den Weg, kein Problem, es ist ja nur weit über 30 Grad heiss, die Luft steht, die Sonne brennt.

Immerhin, am grossen Platz, wo wir am Morgen zum ersten Mal umsteigen mussten, finden wir tatsächlich ein Taxi.

 

Passender Song zur Zeit:  Deep Purple – Mistreated

Und hier geht der Trip weiter … in Teheran und über das Elburs Gebirge

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Teheran Monster

Nach genau drei Wochen haben wir das erste grosse Ziel erreicht – Teheran.

Die knapp 300 Kilometer bis zur Hauptstadt sind angenehm zu fahren, die letzten 40 Kilometer sogar auf einer richtigen Autobahn.

 

Eine Autobahn mit allem

Wer nun an eine geordnete Strasse denkt mit Abschrankungen und Mittelstreifen und – ganz wichtig – der Beschränkung auf Fahrzeuge, täuscht sich gewaltig.

Natürlich ist der Unterschied zum schrecklichen Tahir und ähnlichen Zumutungen erheblich, und natürlich geniessen wir das Fahren auf sanften ebenen Oberflächen, ohne Löcher, ohne Gräben.

 

From Zandjan to Tehran
Von Zandschan nach Teheran

Das ist aber auch schon alles, denn was sich da alles auf der Autobahn drängt, ist alles andere als vergleichbar mit europäischen Strassen.

Alles, was Räder hat oder Beine, tummelt sich fröhlich auf der Strasse, also Fussgänger, Fahrradfahrer, Kinder und Hunde und anderes Getier.

Die hunderten von Lastwagen, immer in Eile, immer gestresst, versuchen mit mehr oder weniger Erfolg den wandelnden Hindernissen auszuweichen. Was seltsamerweise tatsächlich gelingt.

Es gibt keine Trennung zwischen erlaubt und verboten, es scheint, dass sich die Leute an der schnurgeraden Strasse erfreuen und mal ausprobieren wollen, wie es sich anfühlt. Auf jeden Fall sind die Gesichter fröhlich, es sieht nach Karneval aus.

 

Eine Dunstglocke über der Stadt

Die Nähe zur Hauptstadt zeigt sich schon von weitem in Form einer riesigen Staub- und Dunstwolke.

Schon heute zählt die Stadt viele Millionen Einwohner (heute geschätzte 20 Millionen!), und obwohl sie eigentlich mitten in einer Wüste liegt, werden es immer mehr.

Hier ein paar Infos zur Stadt (heute):

Im administrativen Stadtgebiet leben knapp 8,7 Millionen Menschen (laut Volkszählung von 2016). Die Bevölkerungszahl der Metropolregion wird auf rund 20 Millionen Einwohner geschätzt; die offizielle Statistik von 2011 belegt jedoch nur 15,2 Millionen Menschen. Als Industrie- und Handelsstadt mit Universitäten, Hochschulen, Bibliotheken und Museen ist Teheran ein bedeutendes Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturzentrum sowie ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt des Landes. (Wikipedia)

 

Begrüssung durch ein Ungetüm

Am Stadtrand – von weitem schon erkennbar – hat sich der Schah ein weiteres Monument seiner göttlichen Pracht errichten lassen – den sogenannten Freiheitsturm (persisch Azadi), erstellt vom berühmten Architekten Hossein Amanat.

Na ja, über Geschmack lässt sich bekanntlich trefflich streiten, nach unserer bescheidenen Meinung ist es ein grossspuriges, klobiges, geschmackloses Ungetüm, das den Charakter und Willen des verehrten Gottkaisers sehr genau manisfestiert.

 

The Freedom Tower in Tehran

Wir fahren mehr oder weniger achtlos daran vorbei, bevor wir vom Verkehr aufgesogen werden.

 

Verkehrshölle

Der Verkehr in Istanbul als bisheriger Höhepunkt der automobilen Vermessenheit wird klar übertroffen, Teheran 100 Punkte.

Es nützt gar nichts, dass wir mehrfach gewarnt worden sind. Jetzt ist Konzentration gefragt, Autos rechts, Lastwagen rechts, Fussgänger in heldenhaften Versuchen, über die Strasse zu gelangen, knapp vor der Stossstange. Dass für sie grün angezeigt wird, interessiert niemanden.

Der stärkere gewinnt, und das sind in keinem Fall die Verkehrsteilnehmer auf Beinen.

Die Stadt ist unermesslich gross, ein Monstrum mit vielen Beinen, ein Ungeheuer, das uns zu verschlucken droht.

 

Today's Tehran from above

Und so bleiben wir mit wachsender Verzweiflung mehrmals stecken. Man befindet sich also irgendwo an einem unbekannten Ort mitten in der Stadt, es geht weder vorwärts noch rückwärts, Daily Business in Teheran. Obwohl man sich daran gewöhnt haben müsste, ist nichts von entspannter orientalischer Gelassenheit zu erkennen, im Gegenteil. Es wird gehupt, gehornt, geflucht, verflucht und verdammt.

Ohne Ergebnis.

Was die Geschichte noch schlimmer macht, ist die Tatsache, dass wir vergeblich nach irgendwelchen Hinweisen auf den Campingplatz suchen. Ich gebe zu bedenken, dass zu dieser Zeit weder Google Maps noch Navigationsgeräte noch irgendwelche anderen Hilfsmittel existierten.

Dieses Thema wird noch öfters im Zentrum vielfältiger Orientierungsprobleme sein.

 

Der Campingplatz

Nun, manchmal findet auch ein blindes Huhn ein Korn, und genau so geht es uns. Im Nachhinein ist es schwierig zu sagen, wie wir es doch noch geschafft haben, den ziemlich weit ausserhalb der Stadt befindlichen Zeltplatz zu finden.

Offenbar scheint es der zentrale Sammelplatz aller Indien- oder zumindest Afghanistanfahrer zu sein. Ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus haschverträumten Hippies, denen man kaum zutraut, den Weg zur nächsten Toilette zu finden geschweige den Weg nach Indien. Aber wie wir später herausfinden werden, schafft es jeder irgendwie, auch diejenigen, die sich irgendwo befinden, aber garantiert nicht in unserer Welt.

Der genaue Gegensatz zu ihnen sind pfadfinderähnliche Herrschaften älteren Datums, die sich alle Mühe geben, genauso cool auszusehen wie die viele Jahrzehnte jüngeren Indienreisenden. Man würde nicht erstaunt sein, wenn sie beim morgendlichen Appell „Allzeit bereit“ rufen würden.

Jedes Cliché wird bestätigt, jedes vorteilhafte, jedes abwertende.

Es kümmert niemanden. Langsam scheint sich so eine Art künstlicher Familie zu bilden. Alle mit dem gleichen Ziel, alle mit den gleichen Vorbehalten, Ängsten.

Aber das Schöne ist – wir sind mitten drin, ein Teil der Familie.

 

Passender Song zur Zeit:  Roxy Music – Out of the Blue

Und hier geht der Trip weiter …

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Tote Schafe, tote Esel

So sind wir nun also tatsächlich wieder unterwegs.

Nach ein paar begeisterten Kilometern – wir fühlen uns wie neugeboren – verzieht sich die Begeisterung und macht Sorgenfalten Platz.

 

Zurück nach Täbris

Der Boss hat uns gewarnt, dass der Motor am Anfang etwas rucken könnte, aber dieses Rucken macht keinen guten Eindruck. Wir werden zwar nicht allzu fest, aber doch sanft durchgerüttelt, was für die weiteren Kilometern ein unerträglicher Zustand bedeuten würde.

Wir kehren also um, der Boss empfängt uns mit wenig Euphorie, doch er kriecht zähneknirschend nochmals unter den Wagen und wünscht uns dabei wahrscheinlich zum Teufel. Aber seine Kompetenz enttäuscht uns nicht, nach ein paar Minuten gibt er grünes Licht, und wir nehmen erneut Abschied, hoffentlich zum letzten Mal.

 

Durch ein fremdes grausames Land

Da wir sozusagen mit einem neuen Motor unterwegs sind, muss er zuerst eingefahren werden. Wir tuckern also mit gemütlichen 60 km pro Stunde durch dieses neue unbekannte Land.

Nicht, dass es sich fundamental von den wüstenartigen Gegenden in der Osttürkei unterscheiden würde, nein, es sieht gleich aus und doch wieder anders.

Es sind die gleichen verbrannten Hügel und Felder, in allen möglichen Gelb- und Braunschattierungen, manchmal ein paar magere Schafe und Kamele, die genüsslich an verdorrten Gräsern nagen.

Und trotzdem entsteht der merkwürdige Eindruck, dass sich diese Gegend nicht gegen uns verschworen hat wie in der Osttürkei, da ist keine Feindseligkeit zu spüren, keine Zurückweisung.

Was allerdings seltsam ist. Denn immer wieder fahren wir an Autowracks in allen Stufen der Zerstörung vorbei, wir weichen den Kadavern von überfahrenen Hunden aus, ein toter Esel liegt im Strassengraben. Eine zerfetzte, überfahrene Schafherde. Der schuldige Lastwagen liegt zertrümmert m Strassengraben.

Niemand kümmert sich darum.

Ein Schlachthaus.

Wieso fühlen wir uns trotzdem wohl? Ist es die Erleichterung über das Ende des Täbris-Abenteuers? Oder spüren wir einfach, dass wir weder willkommen noch unwillkommen sind? Das es dem Land schnurzegal ist, ob wir da sind oder nicht?

Seltsame Gedanken.

 

From Tabriz to Zandjan

 

Ein Dorf am Horizont

Der Erdoelboom scheint in den ärmeren Gegenden noch nicht angekommen zu sein.

Die seltenen Dörfer, manchmal direkt an der Strasse, andere fern am Horizont, ducken sich unter der erbarmungslosen Sonne. Vor den ärmlichen Lehmhäusern lehnen schattenhafte Gestalten, regungslos, apathisch. Frauen waschen ihre Wäsche am Bach, sie schauen nicht auf.

 

Northern Iran 2

Doch der Himmel ist weit und blau und kümmert sich nicht um die kümmerlichen Existenzen auf der Erde.

Wir fahren durch eine lebensfeindliche Gegend, manchmal für viele Kilometer nichts ausser Sand und Steine und Felsen, rötlich und braun und gelb und grau, in der Hitze glühend.

Und dann ist da diese allumfassende Stille, lediglich unterbrochen durch das Geräusch des Motors. Manchmal halten wir an, stellen den Motor ab, lauschen, man meint, ein Raunen zu vernehmen. Das Raunen der Wüste. Es ist kein Geräusch, es ist dessen Abwesenheit.

Viele Jahre später werde ich mich in Ladakh an das Raunen der Berge erinnern, auf dem Baby-Trek.

Eine Klimaanlage wäre schön, die Vorstellung einer kühlen Brise durch den geschlossenen Wagen ein Traum. Also denkt man an geöffnete Fenster, aber das ist keine gute Idee. Die Luft draussen glüht, niemand will sich einen Föhn auf höchster Stufe mitten ins Gesicht halten.

Anyway, wir werden von Tag zu Tag resistenter gegen die bösartigen Temperaturen, eine gute Übung für das, was im Osten auf uns wartet.

 

Stop in Zandschan

Nach ungefähr der Hälfte der Strecke bis Teheran erreichen wir, ziemlich ausgeglüht und müde von der langen Fahrt mit verminderter Geschwindigkeit, die Stadt Zandschan.

Nichts besonderes würde man denken, doch ein Zitat aus Wikipedia zeigt etwas anderes:

In den letzten Tagen des Regimes Mohammad Reza Pahlavis legten die Händler des Basars von Zandschan aus Protest gegen das Ausbleiben versprochener Reformen den Betrieb des Basars für 45 Tage still.

Einmal mehr zeigt sich, dass kleine, vermeintlich unwichtige Dinge grosse Auswirkungen haben können.

Doch wer hätte im Herbst 1974 gedacht, dass das Schah-Regime in etwas mehr als vier Jahren wie ein klappriges Kartenhaus zusammenstürzen würde? Dass ein fundamentalistischer Ajatollah namens Ruhollah Chomeini auf den Trümmern des vorherigen Imperiums einen Gottesstaat fründen würde, die unter dem Namen Islamischer Gottesstaat bis heute existiert?

Historische Entwicklungen sind unvorhersehbar, unerklärlich und manchmal ziemlich verrückt.

 

Zandjan Iran
Von Mardetanha – Own work by upload, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6430133

Auf jeden Fall verbleibt die Stadt ohne nennenswerte Erinnerungen auf dem Weg in den Osten.

Oder doch wenigstens ein bisschen: beim Einkaufen lernen wir einen jungen Iraner namens Reza kennen. Wie könnte es anders sein – er ist an allem interessiert, was aus dem Westen kommt.

Und da stellt sich doch gleich die Frage, was nach der Revolution aus seinen Träumen geworden ist.

Zerbrochene Träume.

 

Passender Song zur Zeit:  Bachman Turner Overdrive – You ain’t seen nothing yet

Und hier geht die Reise weiter … endlich nach Teheran

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Ramadan und Hunger

Das Hotel „Ramsar“ an der Pahlevi Avenue mag zwar nach europäischen Standards billig erscheinen, doch wenn man Komfort, Dienstleistungen und alles andere, was ein gutes Hotel ausmacht, in die Beurteilung miteinbezieht, sieht die Sache etwas anders aus.

Kurz – unsere Unterkunft ist eine schmierige Absteige mit schmierigen Möbeln, schmierigen Hauseingängen und schmierigem Personal.

Perfekt, um unseren Zwangsurlaub zu verbringen. Manchmal ist es gut, wenn die eigenen Ansprüche nicht besonders hoch sind.

 

Täbris – Einstieg in den Orient

Der persische Alltag bietet auf den ersten Blick nicht viel Überraschendes. Der Verkehr rauscht wie bei uns auf breiten und gut angelegten Strassen vorbei. Überall geschäftiges Treiben, vor allem, wenn man die Hauptstrassen verlässt und sich in die dahinterliegenden Gassen wagt und auf einen Schlag in die Vergangenheit katapultiert wird.

Man glaubt, in einer anderen Welt, in einer anderen Zeit gelandet zu sein. Könnte es das 18. oder 19. Jahrhundert in Europa sein? So stellen wir es uns vor: schmale Gassen, die scheinbar nirgends hinführen. In dunklen Hinterhöfen spielen dreckige Kinder, die uns gleichzeitig neugierig und misstrauisch beäugen. Ich vermute, dass uns dieser Eindruck noch öfters begegnen wird.

Und wieder einmal zitiere ich aus einem Machwerk, das Jahrzehnte später erstellt werden wird:

Als erstes führte sie Jaco die abschüssige Gasse hinab, die in jenes Viertel führte, das von seinen Bewohnern ironisch, jedoch durchaus treffend das Loch genannt wurde, ein Irrgarten, in dem der Unkundige nach kurzer Zeit jeglichen Sinn für die Orientierung verlor. Verwinkelte Gässchen führten mitten in ein undurchdringliches Labyrinth und über kurz oder lang verlor man sich in Hinterhöfen, Sackgassen und verwunschenen Plätzen. [Eine Schlange in der Dunkelheit]

Inmitten vollgestopfter Krämerläden, wo eine Menge undefinierbaren Krams angeboten wird, inmitten düsterer Handwerkerbuden, wo emsig gehämmert, gesägt, geschraubt wird, erwarten wir auch kleine Spelunken, wo die Handwerker ihre wohlverdiente Pause verbringen und bei einem Schwatz den neuesten Klatsch austauschen. Oder normale Restaurants oder Hotels, die notwendige Abrundung des Angebots.

Doch nichts dergleichen.

Man muss sich Mühe geben und sehr lange suchen, bis man eher zufällig ein entsprechendes Etablissement entdeckt, ganz verschämt in einer Ecke des Quartiers versteckt.

Aber es ist geschlossen. Es braucht etwas Zeit, bis wir den Grund verstehen.

 

Ramadan

Natürlich, der Ramadan. Die jährliche Fastenzeit der Moslems, dieses Jahr vom 17. September bis zum 16. Oktober. Während des Tages, d.h. zu Beginn des Fastens am frühen Morgen bis zum Abend, ist Essen, Trinken und Rauchen untersagt. Dementsprechend sind auch alle Restaurants geschlossen. Upps – das hätten wir eigentlich wissen müssen.

Ich verweise auf einen Beitrag, der einen anderen Tag im Ramadan beschreibt.

Das bedeutet konkret, dass wir in unserem inzwischen sehr lädiert aussehenden VW Bus inmitten ausgehöhlter Autowracks kochen und essen müssen. Es riecht nach altem Schmieroel, nach verbranntem Gummi, nach Staub und Dreck und allerhand Undefinierbarem.

Andererseits bietet es die Gelegenheit, den fleissigen Arbeitern zuzusehen bei ihrer täglichen Mühsal. Man muss sich vorstellen, dass es noch keine Werkzeuge, keine Apparate, keine elektronischen Hilfsmittel gibt, wie sie heute gang und gäbe sind. Alles muss manuell erledigt werden, alles ist Handarbeit.

Immerhin ergibt sich damit die Gelegenheit, die Reparatur unseres Motors zu beobachten. Der Boss zeigt uns die lädierten Pleuellager, die beschädigte Kurbelwelle, aber ausser einem zustimmenden Nicken kann ich nicht viel beitragen. Wir können nur hoffen, dass die Kerle ihr Handwerk verstehen. Schade ist einzig, dass wir uns nicht unterhalten können. Englisch gehört definitiv nicht zu ihren kommunikativen Angebot.

Allerdings, angesichts der momentan unsicheren Situation mit unserem VW Bus und der möglichen Konsequenzen, falls die Reparatur schief gehen sollte, diskutieren wir einen Plan B. Wir denken über die Weiterreise mit öffentlichen Verkehrsmittel nach, Busse, Züge, vielleicht eine Mitfahrgelegenheit auf einem Lastwagen. Irgendetwas wird sich schon ergeben.

Alles noch sehr diffus, aber mit einer gewissen beunruhigenden Wahrscheinlichkeit.

 

Freitag – oder doch eher Sonntag?

Wie bereits erwähnt, manchmal übersieht man etwas oder vergisst es oder ist einfach zu blöd, um zu realisieren, was es bedeutet. Auf jeden Fall ist für uns heute Freitag, was in der westlichen Welt normal ist, allerdings, was wir sehr schnell feststellen, nicht in der islamischen Welt.

Hier ist nämlich nicht Freitag sondern Sonntag.

Die Restaurants sind geschlossen.

Die Läden sind geschlossen.

Der Zugang zur Autoreparaturwerkstätte und damit zu unserem Bus ist verschlossen.

Alles in allem – wir sitzen sozusagen auf der Strasse.

Ausser einem ziemlich harten Stück Brot und ungefähr einem Kilo Haselnüsse aus der Türkei haben wir nichts zu essen.

Aber wenigstens ist das Wetter so, wie wir es wünschen. Blau und heiss mit einem Touch Feuchtigkeit. Der Schweiss rinnt ungewollt von der Stirn, während wir Haselnüsse kauend durch die Strassen und Gassen unserer temporären Heimat flanieren.

Eigentlich ganz in Ordnung, wenn nicht das Geräusch unserer knurrenden Mägen den Kontrapunkt zum allgemeinen Wohlgefühl legen würde.

 

Tabriz - nice place but no food  Teeth in Täbriz

Die Stadt entspricht der Vorstellung, die man von einer Stadt im Orient hat, aber dann doch wieder nicht. Es gibt eine Reihe von Universitäten, natürlich Moscheen, Paläste, Museen, Basare, Kirchen und Pärke. Wenn nicht der Grund für unseren Aufenthalt ein besonderer wäre, könnte man sich vorstellen, ein paar Tage entspannten Urlaubs zu verbringen.

Und manchmal stolpert man über besonders erwähnenswerte Sehenswürdigkeiten, zum Beispiel obenstehende Gebisse, ausgestellt in einem Schaukasten, damit man sich schon mal ein Bild über die zukünftigen Kauwerkzeuge machen kann.

Es ist alles da, auch die zumeist wilden Katzen, ganz grosse Überlebenskünstler im rauen Umfeld. Irgendwie gibt es immer irgendwo einen Happen zu finden.

 

Wild cats in tabriz

 

Ein böses Erwachen

Der Abend verläuft ruhig, sieht man vom immer noch protestierenden Geräusch unserer Verdauungssysteme ab. Wir lesen bis zur Bewusstlosigkeit alte Krimihefte, die eine gnädige Seele im Hotel liegen gelassen hat, bis uns schliesslich die Augen zufallen.

Ein sehr seltsamer Tag.

Eine seltsame Nacht.

Sie dauert allerdings nicht sehr lange. Mindestens in meinem Fall nicht.

Die vielen frischen Haselnüsse, an sich eine Quelle vieler gesunder Fette, tun mitten in der Nacht ihre Wirkung. Viel Zeit habe ich nicht, um fluchtartig die Toilette aufzusuchen, die sich irgendwo auf einem anderen Stockwerk befindet. Die Nacht, bis jetzt still und leise, wird durch seltsame Geräusche aufgeschreckt. Man könnte meinen, dass irgendwo ein kleineres Erdbeben stattfindet. Allerdings sind es nur meine Eingeweide, die sich des überflüssigen Fetts entledigen.

Das Frühstück allerdings ist nach der 24-stündigen Fastenzeit eine Offenbarung. Nicht dass es ein besonders gutes gewesen wäre, nein, nicht in diesem Etablissement, aber wir hätten wahrscheinlich auch Dinge gegessen, vor denen es uns üblicherweise grausen würde.

Und so beginnt ein weiterer Tag auf unserem erzwungenen Aufenthalt.

 

Passender Song zur Zeit:  Steve Miller Band – The Joker

Und hier geht die Reise weiter … aber nicht sehr weit

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Endgültig am Arsch

Wir sind uns bezüglich Strassen nun einiges gewohnt, also kann uns nichts mehr erschüttern.

Keine Ahnung, was wir diesbezüglich vom Iran erwartet haben, aber ganz sicher nicht diese wunderbaren Highways, die uns nun Richtung Süden führen. Strassen ohne Löcher, ohne Querrinnen, ohne Kies und Steine. Einfach wunderbar perfekte Strassen, auf denen man wie auf Daunen fährt. Also beinahe europäischer Standard.

Wir verabschieden uns von unserer freundlichen Bedienung bei der Highway Police, die sich mit feuchten Augen verabschieden. Dabei dürfte Monika eine Rolle gespielt haben.

Nun also Täbris, die erste grössere Stadt im Iran, das heutige Tagesziel.

Allerdings stellt sich heraus, dass wir am Ende dieser Fahrt, zwar insgeheim befürchtet, aber überraschend im Ausmass, endgültig am Arsch sind.

 

From Dogubeazit to Tabriz
Von der Grenze nach Täbris

 

Der Motor will nicht mehr

Nun, so ganz überrascht uns das Unheil nicht, wir haben es kommen gesehen. Der Motor, der die letzten Tage trotz Tahir Pass seinen Dienst getan hat, scheint nun endgültig genug zu haben.

Er gibt heute Geräusche von sich, die alles andere als ermutigend klingen (und die uns sehr bekannt vorkommen).

Irgendwie schaffen wir es in Richtung Täbris, doch kurz vor der Stadt wird das Geräusch zu einer konstanten Erinnerung daran, dass Glauben und Hoffnung nicht mehr funktionieren. Natürlich hat sich die Oelkontrolllampe immer mal wieder gemeldet, und der Oelverbrauch ist tatsächlich von Tag zu Tag grösser geworden. Könnte da was kaputt gegangen sein?

Vielleicht haben wir unser Glück überstrapaziert. Die Vorstellung, irgendwo in den Bergen des Tahir mit kaputtem Motor gestrandet zu sein, verursacht im Nachhinein kalte Schauer. Aber es scheint, dass wir trotz allem wieder mal Glück im Unglück gehabt haben.

Irgendwie erreichen wir mit knatterndem Motor unsere Destination und suchen erst mal den Campingplatz, den wir nach einigen Umwegen auch finden. Die Stadt ist zu dieser Zeit noch nicht so gross wie heute, aber verrirren kann man sich trotzdem.

 

Tabriz today
Das heutige Täbris – eine Mega-City

 

Die schockierende Erkenntnis

Ein Einheimischer auf dem Campingplatz, dessen englischer Wortschatz sich zur Hauptsache aus „okay“ beschränkt, führt uns zu einer Autogarage in der Nähe. Eigentlich wollen wir in erster Linie den Anlasser reparieren lassen, das hat uns zwar ein paar lustige Begegnungen ermöglicht, manchmal aber auch zu Fluchen und Beschimpfungen meinerseits geführt. Falls man im Vorbeigehen auch noch das Geräusch im Motor erklären bzw. lösen kann, soll es uns recht sein.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: obwohl längst klar sein müsste, dass der Motor in sehr schlechtem Zustand ist, suchen wir eine Reparaturwerktstätte auf, um den Anlasser zu reparieren. Ist es also ein Wunder, dass die Leute sich fragen, wie wir Idioten es jemals nach Indien und wieder zurück schaffen sollen?

Anyway, die Werkstätte entpuppt sich als Hinterhof, umgeben von einer hohen Mauer, vollgestopft mit allen möglichen Vehikeln und Autowracks. Der erste Eindruck ist nicht sehr ermutigend, unsere Vorstellung eines seriösen, professionellen Anbieters von Reparaturleistungen sieht etwas anders aus.

Allerdings haben wir keine Wahl.

Immerhin scheinen die Leute etwas von ihrem Metier zu verstehen, auch wenn dies nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Wir stehen mit etwas belämmertem Gesichtsausdruck herum, versuchen zu verstehen, was vor sich geht, während wir von den Männern mit Neugier und Spott beobachtet werden. Das ist nun bereits das dritte Mal nach Italien und Griechenland, dass wir uns wie die letzten Vollpfosten vorkommen. Was natürlich zutrifft.

Der Boss kümmert sich persönlich um seine ausländischen Gäste. Der Wagen wird über eine Grube gefahren, von wo man Zugriff auf den Boden hat (moderne Lifte gibt es hier nicht). Der Anlasser ist schnell repariert, doch dann, als der Boss den Motor startet, verzieht sich seine Miene. Irgendetwas – das Geräusch? Taktaktak – scheint ihn zu irritieren. Nach mehrmaligem Wiederanlauf des Motors, schüttelt er den Kopf.

„No good?“, frage ich. „No good!“ bestätigt er. „Motor nix good!“ Diese wenigen Worte beinhalten ungefähr seine Englischkenntnisse, aber wir verstehen ihn nur zu gut.

 

Alles kaputt

Natürlich bedarf es einer vertieften Erklärung, warum der Motor nix good ist und was man nun unternehmen muss. Der Boss führt uns zu einer nahegelegenen Schule für Automechaniker. Die beiden Chefs sind in Deutschland ausgebildet worden und sprechen deutsch.

Sie überbringen uns nun die schreckliche Nachricht. Durch den permanenten Oelverlusts sind die Pleuellager kaputt gegangen, eventuell auch die Kurbelwelle und möglicherweise noch anderes mehr. Man teilt uns schonend bei (wahrscheinlich um das Schlechte mit etwas Gutem zu versüssen), dass es ein Wunder ist, dass wir mit diesem defekten Motor so weit gekommen sind.

connecting rod bearing
Von Benutzer:Thomas Ihle – Eigenes Werk (Originaltext: Eigene Aufnahme), CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8336792

Die nächsten Fragen sind klar. Was kostet der Spass und wie lange wird es dauern, bis wir weiterfahren können.

Beide Antworten sind nicht wirklich erbauend. Kosten über den Daumen gepeilt etwa 20’000 bis 30’000 Rials, also umgerechnet 1’000 bis 1’200 Franken. Dauer der Reparatur noch nicht abzuschätzen, aber wir sollten schon mal mit 4-5 Tagen rechnen.

Nachdem sich der Schock etwas gelegt hat und unsere blassen Gesichter wieder ihre normale Farbe zurückerhalten haben, parkieren wir unseren Wagen im besagten HInterhof. Eine halbe Stunde später liegt der Motor im Staub. In diesem Moment sind wir überzeugt, dass dieser Wagen kaum je indischen Boden befahren wird.

Car without engine

Aber was soll’s, jetzt kommt unsere besondere Fähigkeit zum Tragen, dass wir uns blitzschnell auf eine neue Situation einstellen können (was mir im übrigen im späteren Leben immer wieder unverhoffte Vorteile eingebracht hat). Wir richten uns also auf ein paar Tage Zwangsurlaub ein und suchen zu diesem Zweck zuerst mal ein geeignetes Hotel.

Und by the way, erst am anderen Tag wird klar, dass wir einen, zwei Fehler gemacht haben, deren fatale Konsequenzen wir in den nächsten Tagen schmerzhaft zu spüren bekommen. Aber was soll’s, im Moment sind wir ganz zufrieden, geniessen die Stadt und den Abend.

 

Passender Song zur Zeit:  Genesis – Carpet Crawlers

Und hier geht der Trip weiter … gestrandet in Täbris

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Staub und Dreck und Mühsal

Es hat uns trotz Respekt vor den Distanzen schon zweimal erwischt. Zweimal in der Dunkelheit auf osttürkischen Strassen – kein Vergnügen!

Das soll nun definitiv der Vergangenheit angehören. Wir starten also noch früher, ohne grosse Begeisterung zwar, aber bis Erzurum sind wieder über 400 Kilometer zu fahren. Und was uns dabei erwartet, ist wie jeden Tag nicht vorhersehbar. Aber wir sind wie immer zuversichtlich.

Nicht ganz überraschend sind wir trotzdem wieder die letzten. Alte Leute erwachen bekanntlich früher, also ist nichts mehr zu sehen von den älteren Herrschaften.

Wir sind nun tief in der Osttürkei, einer armen, vernachlässigten Gegend, die so gar nichts zu tun hat mit dem Glanz Istanbuls. Was interessiert dort die reichen Leute wie es ihren armen Landsleuten im wilden Osten geht, einer Gegend, in die sie keinen Fuss setzen würden. Ausser wenn sie zur Armee eingezogen werden und ausgerechnet dort einen Teil ihrer Ausbildung absolvieren müssen.

 

From Sivas to Erzurum

 

Harte Gesichter

Die Armut ist sichtbar und spürbar. Die Leute machen einen ärmlichen Eindruck, die Gesichter sind hart, der Ausdruck darin aggressiv.

Es wird nicht mehr um eine Zigarette gebettelt, sondern mit grimmigem Gesichtsausdruck danach gefordert. Da ist Misstrauen, Abneigung, kaum zurückgehaltene Aggression. Wer kann es ihnen verdenken. Wir kommen aus dem Paradies, mit Geld wie Heu, mit seltsamen, unverständlichen Reisezielen, während die Menschen hier tagtäglich um ihre Existenz kämpfen.

Wir fahren als Fremde durch ihr Land, ohne viel über sie, ihre Kultur, ihre Sprache, ihre Traditionen zu wissen. Vielleicht kommen sie sich vor wie Tiere im Zoo; man sieht ihnen zu, man spottet vielleicht über sie, man fühlt sich so wunderbar erhaben. Ist es einfach Arroganz oder – wie meistens – simple Ignoranz? Manchmal fühlt man sich nicht sehr wohl bei diesen Gedanken.

Immerhin sind noch keine Steine geflogen. Und das mühsam konstruierte Schutzgitter vor dem Frontfenster bleibt festgebunden auf dem Dach.

 

On the road in Eastern Turkey

Aber leider ist man nicht immer in der Lage, unterschiedliche Kulturen mit Gelassenheit zu ertragen.

Auch kein Wunder, denn jedesmal, wenn ich einkaufen gehe und Monika im Bus wartet, wird sie belästigt. Mit Worten, mit Gesten, mit Grimassen. Offenbar ein Reflex der türkischen Machos, die dem Anblick einer weissen Frau nichts entgegenzusetzen haben als unverholene Abwertung.

Da ist keine Freundlichkeit mehr da, wie sie im Westen des Landes noch sprichwörtlich ist. Die Welt ist irgendwie finster geworden, als wäre sie ein Spiegelbild der Umgebung, wo wenig Leben spriesst, wo Mensch und Tier und Pflanze einen endlosen Kampf ums Überleben kämpft. Der Mann im Laden bedient mich, ohne Freude und Interesse, aber immerhin mit einem schwachen Lächeln, als er vom Fremden das Word Ekmek (Brot) hört. Eines der wenigen Worte, die wir gelernt haben.

Tja, da müssen wir durch (und wenn alles läuft wie geplant, werden wir das Vergnügen auf der Rückreise noch einmal haben).

Noch etwas apropos Abneigung: unser geliebter Bus hat sich eine neue Schikane ausgedacht. Nun funktioniert auch der Anlasser nicht mehr. Also wie vor zwei Jahren parkieren an einer abfallenden Strasse oder, falls es geht, lassen wir den Motor laufen. Oder lassen uns von hilfsbereiten Seelen anstossen.

 

Morgengymnastik

Es ist zwar kaum zu glauben, aber wir erreichen das Tagesziel Erzurum tatsächlich bei Tageslicht. Das heutige Mocamp ist ein ebenes trockenes Stück Land, von einer Mauer umgeben, mit Dusche und WC, und weiter nicht viel. Wäre etwas gewöhnungsbedürftig, wenn Zustände solcher Art nicht bereits zum Alltag geworden wären.

Also schlafen wir den Schlaf der Gerechten, nehmen schwach wahr, dass in der Nacht weitere Autos ankommen. Irgendwie beruhigend.

Der Morgen allerdings verschafft uns eine willkommene Abwechslung.

Während wir gemütlich frühstücken,  stellt sich eine Gruppe skandinavischer Tramper, die in der Nacht mit einem Reisebus angekommen sind, in einer Reihe auf, um Morgengymnastik zu betreiben. Und zwar in allen Schikanen. Da wird gekeucht und gestöhnt, da werden Muskeln und Sehnen gestreckt, da werden eingeschlafene Körper zum Leben erweckt.

Es wäre auch für uns nach all den mühsamen Kilometern eine Wohltat (und eine Aufforderung), wenn das Ganze nicht so lustig und irgendwie seltsam aussehen würde. Also lassen wir das und vertrauen auf „Mens sana in Corpore sano“.

Die Gymnastik hat auch Vorteile – die kampfgewohnten Skandinavier prügeln sich fast darum, unseren Bus anzustossen (nun eine tägliche Mühe, wir werden im Iran etwas unternehmen müssen).

 

Dieser elende Tahir-Pass

Wir haben es gewusst, wir sind gewarnt worden, alle Omen haben darauf hingezeigt. Interessiert uns das irgendwie? Natürlich nicht.

Es ist die Rede vom Tahir-Pass, den es heute auf dem Weg an die Grenze zu überqueren gilt. Die ersten 200 Kilometer sind ganz in Ordnung, eine asphaltierte Strasse führt in Richtung Nordosten, nach Dogubeyazit, dem letzten Ort auf türkischem Boden.

 

From Erzurum to Dogubeyazit
Dies ist die neue Route; die alte Strasse über den Tahir führt weiter nördlich durch (siehe unten)

Diese Karte (ich danke dem Ersteller) zeigt die ungefähre Route. Weiter südlich führt die neue Strasse durch.

Ich zitiere aus dem Beitrag (https://www.dangerousroads.org/europe/turkey/7771-tahir-gecidi.html):

Der Tahir-Pass ist ein hoher Gebirgspass auf einer Höhe von 2.496 m über dem Meeresspiegel in der Provinz Ağrı im Osten der Türkei.

Die Straße zum Gipfel ist nicht asphaltiert und sehr steil, mit einigen engen Abschnitten. Im Winter ist die Straße ein Alptraum für die Lastwagenfahrer auf dem Weg in den Iran. Lawinen, starke Schneefälle und Erdrutsche können jederzeit auftreten und sind wegen der häufigen Eisflächen extrem gefährlich.

Vier Monate im Jahr ist die Straße fast unpassierbar. Auf den steilen, eisbedeckten Straßen rutschen Lastwagen selbst im Stand. Die berüchtigte unbefestigte Straße zum Gipfel ist eigentlich eine Militärstraße auf der alten Seidenstraße zwischen Erzurum und Agri.

 

Staub und Dreck und Mühsal

Die obige Beschreibung bringt es auf den Punkt. Denn nun ist es vorbei mit dem geruhsamen Vorwärtskommen.

Kurz  bevor die Steigung zum Tahir beginnt, endet die geteerte Strasse. Was nun folgt ist die erste Stufe der Vorhölle: Querrinnen, Steine, Sand, Staub und Staub und nochmals Staub. Er knirscht zwischen den Zähnen, er legt sich auf alles, trotz geschlossenen Fenstern. Eine dicke Schicht Staub oder Sand oder wie immer man diese Variante verpulverten Gesteins nennen möchte. Und die Sicht wird immer schlechter, schlimmer als bei den nächtlichen Fahrten in Richtung Osttürkei.

 

Tahir Pass old 1  Tahir Pass old 2

Immer steiler werdende Kehren führen hinauf zur Passhöhe. Die türkischen Lastwagen machen sich einen Spass daraus, mit Vollgas an uns vorbeizupreschen und uns jedes Mal erneut mit einer undurchdringlichen Wolke aus Staub zu verhüllen, die kaum noch mehr als ein, zwei Meter Sicht erlaubt.

Und so sieht der Pass heute aus. Mehr oder weniger ein kies- und steinbedeckter Weg, den man sich nicht mehr als wichtigste Strecke in Richtung der iranischen Grenze vorstellen kann.

 

Tahir Pass very old 1  Tahir Pass very old 2

Und hier sind einige Youtube Videos, die die Situation in den 70-er Jahren und die modernere Route ziemlich exakt zu beschreiben vermögen.

 

 

Der Ararat und die Arche Noah

Auf 2500 Metern haben wir die Passhöhe erreicht, wir atmen durch, doch das Knirschen des Sandes zwischen den Zähnen bleibt. Immerhin geht es nun bergab, und nun wird auch die Strasse wieder besser.

Allerdings haben wir uns mit dem Benzinverbrauch verrechnet, etwa 50 Kilometer vor der Grenze nähert sich die Benzinanzeige beunruhigend dem letzten Strich. An sich kein Problem, doch nicht nur das Benzin sondern auch unsere türkischen Devisen sind auf ein Minimum geschrumpft.

Und nun, um der Sache so richtig Dampf zu machen, wird nun auch die Strasse wieder schlechter. Die tiefen Schlaglöcher quer über der Strasse zwingen zu seltsamen Slalomfahrten, und so nähern wir uns sehr langsam aber stetig Dogubeyazit, dem letzten Ort auf türkischem Boden. Dort tanken wir mit dem letzten türkischen Geld ein paar Liter Benzin, um wenigstens an die Grenze zu kommen. Natürlich mit laufendem Motor, denn der Mann an der Tankstelle macht nicht den Eindruck, dass er uns helfen würde, unser Vehikel in Gang zu bringen.

Aber, als das Highlight des Tages, die letzten Meter bis zur Grenze passieren wir den Ararat, den höchsten Berg in der Gegend, über 5000 Meter hoch, und wo sich, nach Ansicht vieler Experten, die Überreste der Arche Noah befinden. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, wie das biblische Phantom ausgerechnet an diesem Berg gestrandet sein soll. Aber wie man weiss, sind die Wege Gottes unergründlich …

 

Mount Ararat and Noah's Ark

 

Ein Tor zwischen zwei Welten

Die Grenzstation zwischen der Türkei und dem Iran liegt mitten in der Wüste, ringsherum nur brauner Sand und Steine und ein paar spärliche, von der Sonne verbrannte Gräser. Eine Gegend, die zu schleuniger Weiterfahrt auffordert. Man erkennt sie von weitem, denn eine kilometerlange Schlange von Lastwagen steht reglos in der weiten Oede, darauf wartend, irgendwann das Tor zur Glückseligkeit durchfahren zu dürfen. Wir sind aber sozusagen bevorzugte Kunden, dürfen die Kolonne überholen und uns ganz vorne hinstellen.

 

Dogubeyazit today
Das heutige Dogubeyazit

Die Station selbst ist ein Unikum der besonderen Art. Man erreicht sie von der türkischen Seite her durch ein grosses Tor und befindet sich anschliessend in einem Innenhof, der genau in der Mitte durch eine Mauer getrennt ist. Diese Mauer ist nichts anderes als die Grenze zwischen zwei grossen, mächtigen Staaten mit langer wechselvoller Vergangenheit.

Und während wir in beinahe feierlicher Stimmung die seltsame Atmosphäre einatmen, werden wir aufgefordert, den Wagen im türkischen Teil des Hofs zu parkieren und die aufwendigen und zeitraubenden Zollformalitäten zu erledigen.

Sobald dies erledigt ist (was etwas dauert), also man alle benötigten Stempel hat und sämtliche Formulare ausgefüllt sind, steigt man in den Wagen und lässt sich unter viel Lachen und Spotten anstossen. Erst jetzt ist man, natürlich unter Vorweisung der Papiere, berechtigt, auf den persischen Teil des Hofes zu fahren (viele Jahre später stehe ich im Niemandsland zwischen Argentinien und Uruguay und erinnere mich wehmütig an eine lang zurückliegende Episode an der türkisch-iranischen Grenze).

 

Passport Stamps

Und natürlich fängt im persischen Hof alles wieder von vorne an. Man parkiert also den Wagen ein zweites Mal, man füllt weitere Formulare aus, um anschliessend stundenlang an irgendwelchen Schaltern mit zahllosen weiteren Leuten Schlange zu stehen. Immerhin ergibt sich damit die Gelegenheit, neue Bekanntschaften zu knüpfen, und he, es scheint, dass sich die halbe Welt auf dem Weg nach Indien befindet. Na ja, vielleicht ein bisschen übertrieben, aber nur ein bisschen …

 

Highway Police

Aber irgendwann, nach Stunden, ist man durch.

Einige Seiten in den Pässen sind nun gefüllt mit unleserlichen Eintragungen und Stempeln und Marken und Unterschriften. Das Portemonnaie voller neuer Noten und Münzen. Und auch das Carnet de Passage, das notwendige Formular zur Identifikation des Fahrzeugs, ist nach einigen Problemen mit der Eintragung im falschen Pass doch noch abgestempelt worden. Na ja, wie sollte der arme Mann auch verstehen, dass in unseren Breitengraden ein Fahrzeug auch auf den Namen der Frau eingetragen werden kann. Auf den Namen einer Frau? Unvorstellbar …

Aber die Beamten sind herzlich und freundlich und jung und flott gekleidet. Und nehmen sich natürlich sehr wichtig.

Natürlich hat das Grenzabenteuer viele Stunden gekostet, und so ist es, nicht ganz überraschend, stockdunkel, als wir endlich zurück auf der Strasse sind und ein Plätzchen zum Übernachten suchen. Offenbar sind im Iran die Stationen der Highway Police dazu besonders gut geeignet.

Die erste befindet sich schon kurz nach der Grenze, ein Geheimtipp der Indienfahrer. Und tatsächlich, wir werden sehr freundlich empfangen und sogar mit einem Tee bedient. Nach den eher düsteren Erfahrungen in der Osttürkei eine willkommene Abwechslung. Auf jeden Fall schlafen wir fest und tief und fühlen uns im neuen Land ausgesprochen wohl …

 

Passender Song zur Zeit: Bob Marley – No Woman no cry

Und hier geht der Trip weiter … nach Täbris im Iran und einigen besonderen Problemen

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Das absurde Verlangen nach Abenteuer

Das kühlere Kontinentalklima macht sich bemerkbar – die nächtliche Kälte arbeitet sich von den Füssen die Beine hoch, was das Schlafen zum ersten Mal beunruhigend frostig macht. Wir nähern uns langsam der Osttürkei, eine Gegend, die berüchtigt ist für ihre eisigen Temperaturen.

Da kann es offenbar schon mal vorkommen, dass man sich bei Temperaturen um 30 Grad minus in Sibirien glaubt. Aber irgendwann, so Gott will, werden wir in Gegenden landen, wo Kälte ein Fremdwort ist.

 

Die Gegend – Same same

Im Gegensatz zum gestrigen, sehr entspannten Start (der uns wie erwähnt ein paar Probleme bereitet hat), sind wir heute früh unterwegs. Durch irgendwelche fremden Leute geweckt zu werden, ist nicht das, was wir uns für den Morgen wünschen.

From Ankara to Sivas
Von Ankara nach Sivas

Anyway, wir verdrängen – vorläufig noch erfolgreich – die zunehmenden Probleme mit dem Oelverbrauch, und machen uns auf in Richtung Osten. Sivas ist das heutige Ziel, eine Stadt mitten im Zentrum der Türkei, von da an fängt die dritte Welt an, so wurde uns mitgeteilt. Oder wie man auch hört, der wirkliche Abschied von allem, was wir kennen.

 

Near Kirikkale  Yerköy in Middle Turkey

Die Gegend allerdings, obwohl schon weit im Osten, ändert sich wenig. Wir sind nun bereits soweit im Nirgendwo, dass wir uns ein bisschen als Abenteurer vorkommen. He, rings herum fremde, unbekannte, manchmal furchteinflössende Landschaft mit Menschen, die aus einem anderen Universum zu kommen scheinen. Schnauzbärtige, seltsam harte Gesichter, hinter denen sich Misstrauen und Abneigung versteckt. Oder reden wir uns das nur ein, weil wir ganz einfach überfordert sind?

Hügel, noch mehr Hügel, braune, graue, gelbe Hügel. Es geht Kilometer um Kilometer geradeaus, aufwärts und abwärts, an einer Gegend vorbei, die immer lebloser wird. Manchmal ein Dorf, eine kleine Stadt, alle mit seltsamen, ungewohnten Namen. Hasanoglan. Kirikkale. Cerikli. Yerköy …

 

Das Fahren als Formel-1 Pilot

Das Fahren mit dem alten Bus ist eine Mühsal.

Der Motor ist viel zu schwach, um schnellere Tempi oder grössere Steigungen zu bewältigen. Es bedeutet, dass ich häufiger schalten muss als die Formel-1 Fahrer vor der Einführung moderner Schalt-Technologie. Kurz, ich bin eigentlich dauernd am Schalten und komme mir vor wie Ayrton Senna selig am Grand Prix von Monaco.

Ausserdem haben wir uns entschlossen, dass ich auch in Zukunft das Fahren übernehmen werde. Ich habe mich bereits etwas an die riskante Umgebung mit den eigenwilligen Fahrgewohnheiten gewöhnt. Und ganz wichtig – ich bin ein wirklich ekelhafter Beifahrer.

 

Somewhere in Eastern Turkey
Irgendwo in der Osttürkei – samt von der Sonne gebleichtem Schädel

Und so fahren wir weiter, immer weiter, immer ostwärts, der Osttürkei entgegen, getrieben von einem unverständlichen absurden Verlangen nach Abenteuer, nach Entdecken, nach dem Unbekannten.

So geht es uns heute …

 

Langeweile? Oder doch nicht?

Was kann man sagen über etwas, was irgendwie gar nicht stattfindet? Eine Gegend, deren Gleichförmigkeit einlullend wirkt, wie ein Schlafmittel, wie ein Glas Rotwein zuviel? Aber wir fühlen uns wohl, kommen gut vorwärts, dazwischen ein Halt, ein Picknick, ein Kaffee, ein Glas Wasser. Und viele Blicke auf die Umgebung, obwohl sie uns nicht mit Einladungen überhäuft.

A brown lifeless region
Eine braune leblose Gegend, durchbrochen von einer Strasse, gesehen durch das Auge unserer Camera

Manchmal verirrt sich ein Vogel oder vielleicht ein anderes fliegendes Wesen durch die Lüfte, ohne das Dröhnen des Motors würde man ein klagendes Krächzen vernehmen. Es ist auf der Suche nach Leben, nach Nahrung, nach Irgendwas, was sich lohnt, dahin zu fliegen.

Und noch seltener eine Haltestelle, offenbar gibt es einen Bus. Vermummte Gestalten suchen Schatten, während sie auf die Abfahrt warten. Allein dieser Anblick ist eine Abwechslung, sogar eine halbverfallene Hütte auf dem Hügel genügt, um unsere Neugier zu wecken.

Die Dörfer wechseln sich ab, manchmal ein See, ein Fluss, der sich geruhsam zwischen den Hügeln durchschlängelt. Dann wieder lange nichts.

 

Einmal mehr düstere schwarze Nacht

Wir fahren den ganzen Tag, kommen vermeintlich gut vorwärts, doch 60 Kilometer vor dem Tagesziel Sivas bricht wieder die Dunkelheit über uns herein.

Es ist eine andere Dunkelheit, sie kommt nicht auf leisen Sohlen wie bei uns, sie ergiesst sich unangemeldet über das Land, als wollte sie es zudecken mit einem Mantel aus geflochtenem Schwarz. Sie kostet uns den letzten Nerv.

Denn einmal mehr kämpfen wir uns durch eine Nacht, die sich gegen uns verschworen hat. Unsere schwachen Scheinwerfer versuchen, die undurchdringliche Dunkelheit zu durchbrechen. Für einen Augenblick ist alles ruhig, dann steht mitten auf der Fahrbahn ein Esel, dann anderes Getier, das sich offenbar einen Spass daraus macht, auf der Fahrbahn herumzustreunen.

Und die anderen Autos sind wie gestern Nacht kaum beleuchtet, erscheinen wie Phantome aus düsterer Nacht, fliegen an uns vorbei, ohne Spuren zu hinterlassen. Ohne Spuren? Nein, denn jede Begegnung bringt den Puls auf schwindelerregende Höhen.

Bei der Ankunft in Sivas sind wir fix und fertig.

 

Das Mocamp

Mocamps in der Türkei sind Camping Plätze, die aus einer gemeinsamen Anstrengung der Regierung und den BP Tankstellen entstanden sind.

Das heutige liegt etwas ausserhalb Sivas, besteht im wesentlichen aus einer elenden Wiese und kostet pro Nacht 15 Lira. Und es ist ziemlich bevölkert. Busse und Camper und allerlei seltsame Vehikel aus aller Herren Länder sind versammelt. Das Wichtigste – sie alle sind auf dem Weg nach Indien. Alle Hippietrailer, wenn auch unterschiedlichen Alters.

Da gibt es ein älteres belgisches Ehepaar, zwei noch ältere englische Ehepaare, eine Familie mit Baby. Man könnte meinen, man befinde sich auf einem Sonntagsausflug.

Es sieht also zum ersten Mal so aus, als würden sich von nun an einige Wege kreuzen.

 

Passender Song zur Zeit:  Mott The Hoople – The golden Age of Rock ’n‘ Roll

Und hier geht der Trip weiter … nach Erzurum

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Das Morgengrauen und das Weiterschlafen

Irgendwann, es muss meinem inneren Kompass gemäss noch tiefe Nacht sein, wage ich einen Blick durchs Fenster. Tatsächlich, am östlichen Horizont macht sich das Morgengrauen breit.

Aber es ist einfach viel zu früh, um aufzustehen. Allerdings, im Hinterkopf meldet sich ein fieses Teufelchen und erinnert mich daran, dass wir heute eine lange Etappe vor uns haben.

Egal, ich drehe mich auf die andere Seite und schlafe wieder ein …

 

Ein paar Stunden später …

Und so kommt es, wie es kommen muss. Wir stehen nicht nur zu spät auf, wir waschen noch das Geschirr, duschen, kümmern uns um den Wagen, alles in allem – es sieht aus, als hätten wir heute nichts Besonderes vor.

From Istanbul to Ankara
Von Istanbul nach Ankara

Dabei ist unser heutiges Ziel Ankara, knapp 500 Kilometer entfernt.

Es ist also halb elf, als wir endlich losfahren, natürlich quer durch die Stadt, und das bedeutet, dass es bereits Mittag ist, als wir endlich freie Fahrt haben. Allerdings, wenn man sich den heutigen Verkehr in der Monströsität namens Istanbul ansieht, ist das, was wir heute erleiden müssen, ein Klacks!

Nun, wir haben zwar Istanbul hinter uns gelassen, was aber nicht bedeutet, dass wir nun Ruhe haben. Der Verkehr bis Izmit ist mörderisch, wir kommen im Pulk von Millionen anderer Fahrzeuge nur schleppend vorwärts, dann aber, wir atmen auf, wird es nach Izmit schlagartig besser.

 

Gruss vom Boxermotor

Vielleicht ein kurzer Hinweis zu unserem Motor.

Man glaube nicht, dass alles in Ordnung ist, nur weil es momentan (fast) nichts Auffälliges zu erzählen gibt. Er läuft ziemlich rund, schnurrt wie eine satte Katze, aber der Motor verbraucht täglich einen Liter Oel.

Ich habe mir die Mühe genommen, den entsprechenden Abschnitt in der Betriebsanleitung zu studieren.

Das Ergebnis beunruhigt erheblich. Es tauchen nun Begriffe wie Kurbelwelle, Pleuellager, Zylinderkopfdichtungen auf, alle deuten auf potentielle Schrecknisse hin. Unser geliebter Motor könnte uns schon in Bälde gehörige Streiche spielen, die weit über das bisher Erlebte hinausgehen.

Aber was soll’s, wir verlassen ja lediglich die Zivilisation. Orte, wo man einen Motor flicken lassen kann, wo es Experten gibt, die das Problem erkennen und beheben. Das, was vor uns liegt, ist allerding Einöde, Wüste, mit ein paar verstreuten Städten und Dörfern mittendrin. Dazwischen – nichts.

Alles kein Problem, man darf einfach nicht darüber nachdenken.

 

Die Anatolische Halbwüste

Nach Izmit – wir haben das Meer nun definitiv hinter uns gelassen – beginnt die charakteristische Halbwüste Anatoliens. Sand- und Steinhügel, endlose schnurgerade Strassen, die rauf und runter gehen, dazwischen spärliche Vegetation, auf der gelegentlich ein paar Schafe weiden.

 

anatolian semi-desert  Working on the fields in Turkey

Manchmal steht ein Türke am Strassenrand, winkt nach Zigaretten, dann wieder meilenweit keine lebende Seele.

Manchmal wilde Hunde, die uns ein paar hundert Meter weit nachrennen, man möchte ihnen nicht auf dem offenen Feld begegnen.

Anatolien semi desert

Hält man doch irgendwo im Nirgendwo an, im festen Glauben an menschenleeres Gelände, stehen plötzlich wie magisch herbeigezaubert ein paar schnauzbärtige Männer um den Wagen herum.

Am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig, aber mit einer Zigarette werden sie im Nu zu unseren Freunden und würden uns wahrscheinlich zum Essen einladen. Was kein Scherz ist – die türkische Gastfreundschaft im Vergleich zur unsrigen ist berühmt.

Mit der Zeit vergeht das Ungewohnte, dazu sind wir hier, um Ungewohntes kennenzulernen, um um zu erkennen, das etwas Unbekanntes nicht mit Gefahr gleichzusetzen ist.

Und so fahren wir durch das Ungewohnte und Unbekannte, erstaunlich entspannt. Man könnte meinen, wir befänden uns auf einem Ausflug ins Berner Oberland.

Was es aber nicht ist, beileibe nicht.

 

Das Fahren in dunkler Nacht

Die Rechnung für allerhand verspätetes Tun wird uns jetzt präsentiert.

Im Rückspiegel nähert sich die Sonne behutsam, aber unaufhörlich dem Horizont, doch heute Abend fehlt es uns an Interesse an diesem täglichen Wunder. Wir befinden uns nämlich noch sehr sehr weit entfernt von Ankara, und die Strassen sind in der Zwischenzeit nicht besser geworden, im Gegenteil.

Dazu kommt der wieder dichtere Verkehr mit allerlei seltsamen Vehikeln auf der Strasse, die mehrheitlich gar nicht oder nur schwach beleuchtet sind. Die Lastwagen, von denen es mit einem Mal wieder wimmelt (ausgerechnet!), sind gelegentlich gar nicht beleuchtet, was da bedeutet, dass sie urplötzlich wie von Geisterhand vor uns erscheinen und den Adrenalinspiegel in ungeahnte Höhen treiben.

Das Gegenteil sind die Lastwagen, die so stark beleuchtet sind, dass sie wie fahrende Weihnachtsbäume aussehen und die Sicht für eine Minute lang verunmöglichen.

ich spüre jetzt noch, viele Jahre später, den Stress.

In einem düsteren Kaff (alle Dörfer sind düster, was nicht nur mit der Dunkelheit zu tun hat) etwa 90 Kilometer vor Ankara geben wir den Geist entnervt auf, bevor uns ein blinder oder blindmachender Truck aus dem Verkehr zieht. Und einmal mehrparkieren wir am Strassenrand, es wird irgendwann dunkel, nur weit entfernt heult ein Hund seinen Schmerz in die stumme Nacht hinaus.

 

Passender Song zur Zeit:  Stevie Wonder – Living for the City

Und hier geht der Trip weiter … nach Sivas, schon beinahe in der Osttürkei

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Istanbul

Istanbul! Die letzte Stadt Europas und die erste Stadt Asiens.

Die Schnittstelle zwischen Orient und Okzident.

Eine faszinierende Mischung aus Ost und West. Tor zum Osten und zum Westen.

Eine Stadt, die man immer wieder besuchen, immer wieder geniessen möchte. Wie Buenos Aires. Oder Luang Prabang. Hanoi. Mandalay.

Die Hagia Sophia. Der Taksim-Platz oder die Galata-Brücke. Die Sultan-Ahmed-Moschee. Das Topkapi Museum. Oder eben der Grosse Bazar.

Istanbul. Konstantinopel. Byzanz. Drei geschichtsträchtige Namen für die eine geschichtsträchtige Stadt.

Und hier sind wir nun.

 

Der Bazar – eine Welt in der Welt

Auch das Bild der Stadt ist nach unserer Erinnerung geformt. Und für einmal ist es ihr ähnlich.

Der grosse Bazar mit seinen verwinkelten Gassen, die in alle Richtungen und nirgends hinführen, das wimmelnde Leben, das sich in allen Sprachen der Welt verständigt. Wenn gar nichts mehr hilft, dann kommuniziert man mit Blicken, Grimassen oder nach alter Sitte mit Händen und Füssen.

Die versteckten Restaurants, aus denen der Duft exotischer Speisen in die Nase steigt und einen unmittelbaren Zuwachs an Hunger bewirkt.

Die Verkäufer, auf der oberen Stufe weltweiten Verkäufertalents stehend, nähern sich vorsichtig und gleichzeitig unaufhaltsam, sie preisen etwas an, was wir jetzt denkbar schlecht brauchen können, auch wenn ihre Waren genauso erstrebenswert aussehen wie sie angepriesen werden.

Die Träger, die auf ihren verkrümmten Rücken ungeheure Lasten tragen, die uns kräftige Mitteleuropäer an die Grenze ihrer Möglichkeiten bringen würde (erst viele Jahre später, auf dem Langtang-Trek in Nepal, konnte ich eine weitere, beinahe unfassbare Steigerung beobachten).

Die Läden, grössere mit ausladenden Verkaufsflächen und kleinere, versteckte, über die man beinahe stolpert, und deren Inhaber schüchterne und manchmal herausfordernde Blicke auf die potentiellen Kunden werfen.

 

Shops in the Istanbul Bazar

 

Teppiche und Süssigkeiten

Und das Angebot, ein Universum an wunderbaren kostbaren Teppichen und Stoffen und Figuren, aber einem tausendfachen an unmöglichem Ramsch, dessen Qualität und Verwendungszweck schon auf den ersten Blick zweifelhaft erscheint.

Der Duft von gebratenem Fleisch und frischem Fisch mischt sich mit dem fremdartigen Aroma von Pfefferschoten, die auf Tüchern ausgebreitet sind, von Muskatnuss und anderen Gewürzen, gelben, roten, braunen, schwarzen.

Es riecht nach geröstetem Brot und Süßigkeiten, frischen Kuchen und Nüssen, nach kandierten Früchten, Marzipan, Konfekt und Pralinen und Tafeln aus gebranntem Zucker.

 

Bazaar in Istanbul

Und dann eben wir, die Touristen, die Käufer, die Kunden, die Opfer, gierig suchend, mit geblähten Nüstern nach Schnäppchen schnüffelnd, und um trotzdem nach kurzer Zeit über den Tisch gezogen zu werden. Natürlich in der festen Überzeugung, einen bsonders guten Kauf getätigt zu haben.

Alle sind da, die Amerikaner in ihren grosskarierten Hosenund farbigen, kitschigen Sonnenbrillen. Sie fallen auf, andere weniger. Deutsche und Italiener. Franzosen und Schweizer.

Das Grinsen der Verkäufer bleibt versteckt.

Zusammengefasst: Der Große Basar erstreckt sich über 31.000 m² und beherbergt rund 4.000 Geschäfte mit den verschiedensten Angeboten. Angelegt wurde er im 15. Jahrhundert unter Sultan Mehmet Fatih nach der Eroberung Konstantinopels.

Er ist genauso geblieben, und man ist dankbar dafür.

 

Ein altes zerknittertes Männchen

Der Lärm, die verrauchte, verbrauchte, von allerlei seltsamen Gerüchen aufgestaute Luft macht müde.

Die Restaurants nahe der Gassen bieten einen vortrefflichen Ort, um das Gewimmel zu beobachten und sich wieder einmal eine Meinung über das faszinierende Verhalten der Spezies Mensch zu machen.

Ein uraltes, zerknittertes Männchen streicht an den Tischen vorbei, bietet etwas an, das sich beim Näherkommen als seltsame Figuren entpuppt. Er erkennt im Nu unser Interesse und setzt sich an unseren Tisch.

Und jetzt erst erkennen wir, was für einen Schatz er anbietet. Es handelt sich um uralte, sehr wertvolle Marionetten aus Kamelhaut, die zwar in ähnlicher Art auch andernorts im Bazar angeboten werden, aber niemals in dieser einmaligen Schönheit.

Der Mann stellt sich im Gespräch als mindestens so interessant heraus wie seine Marionetten. In fliessendem Deutsch erzählt er von seiner Herkunft in Aserbeidschan, seinen Studien in Leningrad, seiner Flucht aus Russland nach Berlin. Er zählt nun an die neunzig Jahre und verdient sich durch den Verkauf seiner geliebten Marionetten einen Platz im Altersheim.

Man sieht ihm an, dass ihn der Verkauf seiner Marionetten schmerzt, aber es stellt die einzige Möglichkeit dar, etwas Geld zu verdienen. Seine Lieblinge sind kostbar und teuer, aber der wahre Wert wäre vermutlich noch viel höher.

Auf dem Heimweg könnten wir der Versuchung nicht widerstehen, aber eben, wir sind erst auf dem Hinweg, die Reise ist lang, der Platz beschränkt, und so wünschen wir ihm alles Gute und verabschieden uns.

 

Unterwegs in der Stadt

Wir hängen einen Tag an, es sieht beinahe nach einem Businesstrip aus. Und tatsächlich gibt es einiges zu erledigen, manches angenehm, anderes weniger.

Das Visum für den Iran bekommen wir (vielleicht) heute, keine Ahnung, wie die dortige Bürokratie funktioniert, aber wir hoffen auf das Beste. Denn ohne Visum keine Iran-Durchquerung. Immer diese Unabwägbarkeiten, sie sind eine elende Mühsal.

Und dann haben wir ein besonderes Rendezvous mit unseren französischen Freunden, die sicher darauf freuen, uns das geliehene Geld zurückzugeben. Erstaunlicherweise treffen wir sie tatsächlich im Puddingshop, Geld ist erwartungsgemäss immer noch nicht vorhanden, also verschieben wir unser Treffen auf den Nachmittag. Die Hoffnung ist klein, und so ist das Erstaunen gering, dass sich unsere Freunde auch um drei Uhr nachmittags rar machen. Nun, Shit happens, man lernt nie aus.

Eigentlich sind wir ja ein weiteres Mal auf der Suche nach geeignetem Kartenmaterial, allerdings ohne Erfolg. Auch die Hilfe unseres türkischen Freundes Arto führt zu keinen positiven Ergebnissen.Seine Zeit ist allerdings beschränkt, denn er ist in Aufbruchstimmung. Die Wahrscheinlichkeit, dass er in absehbarer Zeit in die Armee eingezogen wird, ist hoch, und so fliegt er morgen zu seiner Freundin in die Schweiz.

Und wir, wir stellen uns langsam darauf ein, dass wir ohne Strassenkarten nach Indien fahren.

 

Song zum Jahr:  Mike Oldfield – Tubular Bells

Und hier geht der Trip weiter … nach Ankara

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Von Kavala nach Istanbul

Die Strecke von Kavala nach Istanbul ist uns in bester Erinnerung.

Nur schon die Namen der Orte, die wir passieren werden, verursachen einen Pawlov’schen Reflex. Das buchstäbliche Wasser der Vorfreude läuft uns im Mund zusammen.

Wir erwarten, wie sagt man, na klar …

 

… ein echtes Dejà-Vu

Es ist nämlich eine wunderbare Strecke, manchmmal am Meer entlang, dann wieder durch kleine malerische Dörfer und Städte, in denen man verweilen möchte, endlose Stunden in einem Strassencafé sitzend, während die Hitze den Asphalt zum Schmelzen bringt, der örtliche Pope gemessenen Schrittes die Gasse herunterkommt, sich rechts verbeugt, links einen Blick auf die junge Schöne wagt.

Man müsste nicht reden, kaum denken, nur spüren, wie das Leben vorbeitreibt.

Und so ist es auch heute.

Nicht, dass wir das letzte Mal mit einem besserem Vehikel ausgestattet gewesen waren, oh nein. Ist es dieses Jahr der Motor oder die Kipphebelwelle oder weiss Gott was, so war es damals der Anlasser.

Entweder musste man den VW Käfer anstossen (kräfteraubend) oder ihn von Anfang an so parkieren, dass man hügelabwärts einen Rollstart durchführen konnte (nur in hügeligem Gelände möglich).

Man sieht, dass wir inicht das erste Mal mit einem besonders fiesen Vehikeln gesegnet sind. Wir können uns gar nicht vorstellen, in einem Wagen unterwegs zu sein, der nicht für permanent schlechte Überraschungen sorgt.

 

Für einmal wenig Verkehr

Und so fahren wir also heute durch bekanntes Gelände, entlang verbrannten Wiesen und Äcker, wo kein einziges Tier zu sehen ist, keine Kuh, kein Esel, nicht mal Vögel, und doch fühlen uns beinahe wie zuhause.

Manchmal blinkt für einen Augenblick der Gedanke auf, dass wir die einzigen Lebewesen weit und breit sind. Selten ein Lastwagen, manchmal ein Pickup, dann wieder lange niemand.

Der Grund leuchtet erst nach einer gewissen Zeit ein. Natürlich, Griechenland und die Türkei liegen sich wieder mal in den Haaren, der Konflikt hat uns beinahe schlaflose Nächte verursacht. Wären die Auseinandersetzungen eskaliert, hätte unser geplanter Indientrip ein vorschnelles Ende genommen. Aber dazu weiter unten.

Vorerst sind wir noch auf griechischem Boden, wir passieren die Orte, die in lebendiger Erinnerung geblieben sind – Xanthi, Alexandropoulos, Komotini. Die Namen erinnern an Stopps am Strassenrand, an Restaurants, wor wir uns mit Händen und Füssen verständigen mussten, weil das Personal ausschliesslich griechisch sprach, und wir in der Küche auf entsprechende Pfannen zeigen mussten.

 

Komotini Greece
Xanthi -alte Erinnerungen

Aber das Essen, obwohl eher unbekannt nach Aussehen und Geschmack, mundete köstlich.

Das alles meldet sich zurück, spätestens dann, wenn wir durch Gerüche eingeholt werden, Gerüche als zuverlässigste Erinnerungsdetektoren, Gerüche aus der Küche, Gerüche vom dampfenden Teller, der Geruch der Strasse oder der zirpenden Vögel in den aufgehängten Käfigen.

 

Das Kirchlein im Sumpf

Manchmal verwandeln sich Erinnerungen in Bilder, die sich beim Wiedersehen als bestenfalls annähernd korrekt herausstellen. Der Strand, als endlose weisse Fläche bis zum Horizont in Erinnerung, entpuppt sich als eher schmutziger Abschnitt am Meer, der nicht nur weissen Sand sondern auch voll von spitzen schwarzen Steinen ist, denen man barfuss besser aus dem Weg gehen sollte. Oder sind wir am falschen Ort?

Eben. Die Erinnerung – ein fragwürdiges Instrument.

Aber gelegentlich trifft auch sie ins Schwarze. Beispielsweise bei dem kleinen schmucken Kirchlein mitten in einem Sumpf, und einem Popen, der Monika heisse Blicke zuwarf.

Path to the tiny church
Alte Zeiten …

Wir finden tatsächlich die richtige Abzweigung, dann den Weg über den Holzsteg, mitten durch einen Sumpf, der voll besonderer Laute und Geräusche ist, wo sich das Schilf im Wind beugt, wo man ringsherum nur den Himmel und das Schilf und den löchrigen Steg sieht.

Und tatsächlich, als hätte er die ganze Zeit auf uns gewartet, begrüsst uns der seltsame Heilige an der Pforte zum Kirchlein, sein Blick ist genauso feucht und auf seltsame Weise irritierend wie vor zwei Jahren, aber es macht nichts.

Ein weiteres Dejà-Vu, eines der besonderen Gattung.

Doch die Sprache ist auch diesmal eine Barriere, obwohl die Gesten einladend, das Timbre seiner Stimme wohlklingend ist. Nach einer halben Stunde verabschieden wir uns, natürlich eine kleine Spende hinterlassend, die von seiner Geistlichkeit wohlwollend zur Kenntnis genommen wird.

Dann, einmal mehr grinsend und irgendwie erleichtert gehen wir den Weg zurück, wenden uns ein letztes Mal um, bevor wir den Weg wieder unter die Räder nehmen …

 

Griechen und Türken – eine ewige Geschichte

Je näher wir der türkischen Grenze kommen, desto häufiger werden die Militärkonvois. Der Beinahe-Krieg zwischen den beiden Erzfeinden liegt lediglich ein paar Wochen zurück.

Ein kurzer Blick auf den sogenannten Zypernkonflikt im Jahre 1974.

Wer der Auslöser der Konflikte war (die Geschichte geht auf jeden Fall weit weit zurück) – griechische Putschisten, die Zyperntürken, die Zyperngriechen, Erzbischoff Makarios oder wer auch immer – auf jeden Fall wurde im Sommer 1974 der Norden der Insel (und damit ein Drittel des Staatsgebietes der Republik Zypern) von türkischen Streitkräften besetzt, nachdem griechische Putschisten den Anschluss Zyperns an Griechenland durchsetzen wollten.

Mehr möchte man auch gar nicht dazu sagen, die Sache ist etwa gleich mühsam wie diejenige in Nordirland. Immer mal wieder entsteht neues explosives Potential, das neue Fehden, neue Kriege, neue Opfer bewirkt. Wie gesagt, äusserst mühsam und unverständlich.

Auf jeden Fall hat uns der Konflikt mehr beunruhigt als alle anderen vorher oder nachher. So geht es eben – erst wenn man selber betroffen wird, bekommt die Sache einen Stellenwert.

 

Der Grenzübertritt

Man könnte allenfalls annehmen, dass der immer noch vor sich hin schwelende Konflikt den Grenzübertritt erschweren würde. Zu unserer Überraschung bereitet dies aber nicht die geringsten Probleme, so als hättten sich alle Streitigkeiten in Minne aufgelöst.

Natürlich werden die Zollbeamten auf der einen und der anderen Seite kaum gemeinsame Ferien planen, aber immerhin werfen sie sich bestenfalls ein paar grimmige Blicke zu. ich bin sicher, dass falls sich die Gelegenheit ergeben würde, man sicher ein Gläschen Raki oder Ouzo gemeinsam kredenzen würde.

Anyway, wir sind froh, denn nach dem Grenzübertritt liegen immer noch gut 250 Kilometer vor uns, und der Abend ist nicht mehr fern. Es sind eher langweilige Kilometer, ausser dauerndem Auf und Ab gibt es nichts Besonderes zu vermelden.

 

Und dann das Lichtermeer

Manchmal ist die Dunkelheit ein Segen, so wie heute, kurz vor dem Tagesziel. Was würde man verpassen, wenn die Stadt zwar am Horizont auftaucht, aber eine mehr oder weniger zufällige Ansammlung grauer Häuser und Strassen wäre.

Und wie atemberaubend eine Stadt erscheint, wenn sie aus der Ferne ein Lichtermeer als Willkommensgruss schickt. Wenn man sich in der Dunkelheit der Nacht dem Ziel nähert und das Ziel wie ein glänzendes pulsierendes Wesen erscheint. So in Mumbai, so in Singapur, in Doha oder Delhi.

So auch heute. Istanbul begrüsst uns, und wir grüssen zurück.

Der erste wichtige Abschnitt der Reise ist geschafft.

Aber viele Abschnitte liegen vor uns …

 

Der Song zum Thema: Lynyrd Synyrd – Sweet Home Alabama

Und hier geht die Reise weiter … in Istanbul

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Gestranded

Sonntagmorgen, ein Morgen für die Götter, der Himmel eine Ode an die Schönheit, die Luft zart und mit einem Hauch Lavendelduft durchzogen.

Einen solchen Tag sollte man feiern, vor allem unsere Ankunft in Griechenland, deswegen haben wir für uns ein besonderes Geschenk ausgedacht. Wir fahren auf der Strecke von Thessaloniki nach Kavala ans Meer und frühstücken irgendwo am Strand. Griechisches Brot mit Butter und Konfitüre und Kaffee.

Etwas frugal, aber was braucht man mehr. Unsere Wünsche sind bescheiden geworden.

 

Ein Knall und das Ende der Frühstücksträume am Meer

Nach dreissig Kilometern, das Meer ist nahe und der Magen knurrt empört, werden wir von einem Knall aufgeschreckt. Er ist nicht sehr laut, aber ich merke sofort, dass etwas ganz und gar falsch ist.

Nach unseren anfänglichen Problemen hat uns der Wagen für ein paar Tage eine trügerische Ruhe vorgegaukelt, die nun ein jähes Ende gefunden hat.

Natürlich haben wir nicht die geringste Ahnung, was passiert sein könnte, auf jeden Fall hat der Motor keine Kraft mehr. Wir fahren also höchstens noch im zweiten Gang, so ungefähr mit 20-30 km pro Stunde. Und kommen unserem Tagesziel etwa gleich schnell näher, wie wenn wir mit dem Fahrrad unterwegs wären.

Da sind wir also, einmal mehr ziemlich am Ende unseres Lateins. Weit und breit kein Haus in Sicht, kein Dorf, nur von der Sommerhitze verbrannte Wiesen, ein paar Sträucher und Bäume. Und wir mit unserem verflixten VW-Bus, der uns einmal mehr einen bösen Streich gespielt hat.

 

Eine unvergessliche Zitterfahrt

Da sich die nächste Garage erst in Kavala befindet, steht uns eine ziemliche Zitterpartie über die nächsten 120 Kilometer bevor. Wir fahren los, ziemlich still und kleinlaut, und einmal mehr könnten wir dem Verkäufer des Wagens den Hals umdrehen. Unseren eigenen Hals allerdings auch.

Es wird also nichts mit dem Frühstück am Meer, obwohl der Hunger seinen Beitrag zur schlechten Gefühlslage beiträgt. Wir müssen einfach versuchen, irgendwie nach Kavala zu kommen.

Nun gut, die ersten Kilometer sind ganz ok, auch ein Motor, der nur noch auf zwei Zylindern fährt (wie wir etwas später erfahren), bewältigt ebene Strassen ohne Steigungen zwar hustend und röhrend, aber immerhin. Langsam atmen wir auf, der Optimismus, offenbar nicht kleinzukriegen, kriegt Oberwasser.

Irgendwie werden wir es schaffen.

Doch die Strecke will sich nicht unserem positiven Gefühl unterwerfen. Wir glauben ein höhnisches Gelächter zu hören. Wahrscheinlich der Motor. Oder die Strasse. Oder einfach irgendein gelangweilter griechischer Gott, der sich einen sonntäglichen Spass erlaubt.

Es dauert erwartungsgemäss nicht lange, bis die ersten Steigungen kommen. Am Anfang nur leichte, die uns aber bereits ansehnlich ins Schwitzen bringen. Der Motor dröhnt, als würde er im nächsten Moment explodieren. Im Nachhinein wird uns klar, was der kleine tapfere Motor ausgehalten hat. Wir werden uns nie mehr über ihn lustig machen.

Aber eben, die Strasse hat sich entschieden, uns den Tag zu verderben. Aus den leichten Steigungen werden steilere Abschnitte, die nicht mehr zu bewältigen sind. Wir müssen zurückfahren, um Anlauf zu nehmen, um dann in Höchstgeschwindigkeit (falls man dem so sagen kann) den Hügel runter zu rasen, in der Hoffnung, irgendwie die Steigung hochzukommen.

 

Ein triumphaler Einzug in Kavala

Das geht eine Zeitlang recht gut, bis etwa 40 Kilometer vor Kavala. Nichts kann uns noch überrraschen. Mitten in einer starken Steigung bleiben wir trotz Anlauf stehen: Zurückfahren ist ebenfalls keine Option mehr, denn hinter uns fängt nach ein paar Metern eine Steigung an.

Da sind wir nun also. In einem Loch gefangen, es geht weder vorwärts noch rückwärts. Wenn es nicht so ärgerlich wäre, könnte man darüber lachen. Irgendwann werden wir das tun. Aber nicht jetzt, nicht an diesem gottverlassenen Ort, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen.

Doch unser griechischer Hausgott zeigt Gnade, denn nach einer halben Stunde nähert sich in Form eines freundlichen Bauern Hilfe. Er hängt uns kurzentschlossen an seinen Traktor an und und schleppt uns den Hügel hinauf. Unsere Dankbarkeit kennt keine Grenzen, doch der Mann will partout kein Trinkgeld annehmen und knattert weiter.

Our tractor - in a few years
Unser Traktor – in einigen Jahren

Anschliessend geht das Zittern weiter, doch kurz vor Kavala, an einem Lichtsignal vor der letzten Steigung, bleiben wir endgültig stehen. Ein Streifenwagen der Polizei, glücklicherweise in der Nähe postiert, ruft den Abschleppdienst herbei, der uns die letzten Kilometer bis vor eine Garage in der Stadt schleppt.

Ein wahrhaft triumphaler Einzug!

Tja, das Tagesziel haben wir geschafft, wir sind in Kavala, allerdings etwas anders als vorgestellt. Wir sind auf dem Gehsteig an einer stark frequentierten Strasse parkiert, weit und breit weder ein Restaurant noch ein Laden (Sonntag!), also bleiben wir halt in unserem mobilen, wenn auch momentan gestrandeten Heim und kochen uns endlich was für die immer noch leeren Mägen.

Dann, es ist zappenduster geworden, sinken wir erschöpft und voll düsterer Gedanken in einen unruhigen Schlaf.

 

Das Grinsen der Mechaniker

Der Lärm des Verkehrs reisst uns früh aus den Federn. Um halb acht trudeln die Arbeiter ein und grinsen anfänglich etwas verwirrt unser gestrandetes Gefährt an.

Uns selbst ist nicht zum Grinsen zumute.

Immerhin, man hat Erbarmen mit uns (man erinnere sich an das erste Problem in Italien, ach ihr Automechaniker, wir lieben euch alle), man stellt unseren Wagen kurzentschlossen auf den Lift und geht dem Problem auf den Grund. Es wird erstaunlich schnell klar, was passiert ist. Eine der Befestigungsschrauben an der Kipphebelwelle ist abgebrochen.

Da ich selbst nicht den  Hauch einer Ahnung habe, worum es sich dabei handelt, hier ein kurzer Einblick in die Geheimnisse eines klassischen Verbrennungsmotors.

Die Kipphebelwelle oder Nockenwelle wird verwendet, um das Öffnen und Schließen der Ein- und Auslassventile im Zylinderkopf zu steuern, wodurch das Kraftstoff/Luft Gemisch in die Verbrennungskammer gelangt und die verbrannten Abgase für den nächsten Zyklus ausgestoßen werden.

Was sogar für mich Laien klar wird: durch die gebrochene Schraube hat sich die Welle gelöst. Zwei der vier Ventile konnten nicht mehr bedient werden, was natürlich bedeutete, dass zwei der vier Zylinder nicht mehr liefen.

Ein anderer Motor hätte die gestrigen Strapazen wohl kaum überstanden. Tapferer kleiner Wagen!

Nun, am Nachmittag ist die Sache in Ordnung, und wir werden weitere Fr. 300.- los. Unser eh schon bescheidenes Budget schmilzt in periodischen Abständen, meistens in Form von Reparaturleistungen. Wenn das so weitergeht …

 

Kavala, ein Ort zum Träumen

Kavala war bereits vor zwei Jahren das absolute Highlight der Reise. Wikipedia sagt dazu folgendes:

Kavala (griechisch Καβάλα) ist eine Handels- und Hafenstadt in Nordgriechenland in der Verwaltungsregion Ostmakedonien und Thrakien unmittelbar am Golf von Thasos (Golf von Kavala) des Thrakischen Meers. Die nach Drama zweitgrößte Gemeinde der Region hat etwa 70.500 Einwohner. Sie besitzt den Haupthafen Ostmakedoniens und verfügt über einen etwa 30 km östlich der Stadt gelegenen Verkehrsflughafen, der hauptsächlich für Inlandsflüge und den touristischen Charter-Verkehr genutzt wird.

Was den Reiz eines Ortes ausmacht, ist nicht immer ganz klar. Manchmal genügt ein einziger Augenblick, ein Geruch, das freundliche Gesicht des Mannes am Nebentisch, die kräuselnden Wellen auf dem Meer, verwinkelte Gassen, Frauengesichter hinter verstaubten Fenstern.

Oder es ist noch viel einfacher: aus irgendeinem Grund fühlt man sich wohl. Einfach so.

Das genügt.

So geht es uns heute. Nach der erfolgreich Instandstellung unseres Lieblingsvehikels entschliessen wir uns, auch den morgigen Tag auf dem Zeltplatz am Meer zu verbringen.

Und so landen wir an einem Ort, der uns noch in bester Erinnerung ist. Und plötzlich ist alles wieder in Ordnung. So schnell geht’s, wenn man jung und blöd ist …

 

Sonne, Strand und Meer

Eigentlich sind wir ja in den Ferien oder was immer das heissen mag. Allerdings bin ich am Abend jeweils ziemlich geschafft, die langen Stunden am Steuer, die aggressiven Autofahrer, die schlechten Strassen machen das Abenteuer gelegentlich zu alles anderem als Ferien.

Nun also der erste richtige Ferientag. Keine Hetze, keine Probleme, keine Frustrationen. Nur Sonne, Strand, Meer,  dazwischen harzig schmeckenden Retsina, der uns schläfrig macht, und griechisches Essen. Endlich Zeit für andere Dinge als Routen und Tankstellen und Sorgen wegen dem Wagen. Lesen, diskutieren. Den weiteren Verlauf der Reise planen, überdenken, Alternativen suchen.

 

Kavala Beaches
Strand in Kavala

Man könnte sich durchaus daran gewöhnen.

Doch die Saison geht spürbar dem Ende entgegen. Die Touristen sind wieder in ihre Heimatländer zurückgekehrt, zeigen ihre griechisch gebräunten Körper und reden bereits über den nächsten Urlaub. Ausser uns sind lediglich noch zwei, drei andere Autos auf dem Campingplatz. So lernt man schnell die letzten Mohikaner dieses Sommers kennen. Darunter auch einen Franzosen aus Paris und seine Cousine, nett und undurchsichtig und etwas schlüpfrig.

Er redet viel und schnell, nichts Aussergewöhnliches bei Parisern, während sie es vorzieht, vornehm zu schweigen. Irgendwann wird aus seinem Maschinengewehr-Französisch klar, dass man sie bestohlen hat. Geld, Zelt und alles andere weg. Und nun braucht man sozusagen einen Überbrückungskredit, damit man wenigstens bis Istanbul kommt.

Natürlich hätten alle Alarmglocken schlagen sollen, doch wir sind genauso naiv und selbstlos und dumm, dass wir ihnen, zwar etwas zähneknirschend, die gewünschten hundert Franken in die Hände drücken. Das Versprechen, uns das Geld in Instanbul zurückzugeben, klingt sogar für uns Hohlköpfe ziemlich leer.

Nach einer halben Stunde verschwindet das seltsame Paar und mit ihnen unser Geld. Wir sind ausserordentlich gespannt, ob wir sie in Istanbul wiedersehen werden.

Die Wette steht eins zu tausend.

 

Song zum Thema:  The Allman Brothers – Southbound

Und hier geht der Trail weiter … in Richtung Istanbul

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Endlich das gelobte Land

Wenn heute alles einigermassen normal abläuft und der Motor oder sonstwas keine Probleme macht, sollten wir heute Abend in Griechenland sein. Heureka, das gelobte Land.

Tatsächlich, der schwache Verkehr tut sein Gutes, wir kommen schnell vorwärts, erreichen schon im Vormittag Skopje (heute die Hauptstadt von Nordmazedonien). Ein verschlafenes Kaff, so kommt es uns vor, obwohl dies überhaupt nicht zutrifft. Hier kamen wir vor zwei Jahren durch, und auch damals erschien uns die Stadt als zuwenig sehenswert, vielleicht aus dem gleichen Grund wie dieses Mal: man will möglichst schnell weiter, zur griechischen Grenze, zum Meer, zur Wärme.

Dabei hätte Skopje einiges zu bieten.

Skopje ist die Hauptstadt Nordmazedoniens und mit über 540.000 Einwohnern zugleich die größte Stadt des Landes. Etwa ein Viertel der Bevölkerung Nordmazedoniens lebt in der Großstadt. Skopje weist eine mehr als zwei Jahrtausende zurückreichende Besiedlungsgeschichte auf und gehört somit zu den ältesten noch bestehenden Städten des Landes.

Die Stadt am Vardar ist sowohl Sitz des Parlamentes als auch der Regierung. Sie ist ebenso das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum des Landes, orthodoxer Bischofssitz der mazedonisch-orthodoxen Kirche und des autonomen Erzbistums Ohrid der serbisch-orthodoxen Kirche und Sitz eines Großmuftis. (Wikipedia)

 

Skopje - Capital of North Mazedonia  Skopje North Mazedonia

Aber eben, Skopje fällt durch, genauso wie letztes Mal, wir fahren durch, ebenso schnell und so ungeduldig wie jetzt.

Titov Veles (heute nur noch Veles), noch so eine Stadt, mit der wir nicht viel anfangen können, wahrscheinlich einfach eine kleine Stadt mit viel Geschichte, vielleicht hübsch, mit angenehmen freundlichen Menschen, wo sich ein Aufenthalt lohnen würde, aber nein, wir preschen durch, ohne einen Blick nach links oder rechts zu werfen.

Es drängt uns vorwärts, die Strecke zur griechischen Grenze scheint endlos, wir kennen sie, man gibt Gas und nimmt den Fuss erst wieder vom Pedal, wenn wir da sind.

 

Die griechische Grenze, das beinahe gelobte Land

Und tatsächlich, am späteren Nachmittag, der Himmel begrüsst uns mit einem strahlenden Lächeln, erreichen wir die Grenze, doch die Freude dauert nicht lange.

Denn die griechischen Zollbeamten, ihrer Wichtigkeit bewusst, begutachten unser seltsames Gefährt mit Argusaugen. Man würde meinen, dass wir nicht die ersten Indienfahrer und auch nicht diejenigen mit dem auffälligsten Vehikel sind, aber offenbar sticht ihnen etwas ins Auge, etwas Unpassendes, etwas Schräges, was man besser unter die Lupe nimmt.

Aber das Interesse lässt schnell nach, offenbar entsprechen wir doch nicht ihrem Feindbild (Hippies? Freaks? Drogenabhängige?) aus dem Katalog der Feinde des griechischen Volkes, und wir werden mit einer lässigen Handbewegung durchgewunken. Kann es sein, dass wir im Rücken grimmige Blicke spüren, so nach dem Motto „Das nächste Mal kriegen wir euch?“

 

Griechische Trauben und andere Köstlichkeiten

Es gibt Augenblicke, vor allem wenn man eine anstrengende Reise hinter sich und das gelobte Land nun vor sich hat, wo alles stimmt. Es dunkelt zwar bereits, als wir uns Thessaloniki nähern, ein Sonnenuntergang, wie er nur am Mittelmeer vorkommt, verschwimmt am Horizont, macht griesgrämig Platz für die schnell einsetztende Dunkelheit.

Eine süsse Erinnerung wird wach, als wir am Strassenrand einen Traubenverkäufer sehen, wir stoppen, eilen hin, kaufen eine Tüte (viel teurer als vor zwei Jahren), stecken noch vor dem Stand die süssen Früchte langsam und mit geschlossenen Augen in den Mund, und in diesem Augenblick wissen wir, dass wir angekommen sind. Noch nicht sehr weit, aber doch irgendwie.

Aber der Tag ist noch nicht vorbei, warum sollte er auch, wir sind an der Wärme, die Hitze des Tages steigt immer noch vom Asphalt auf, und so setzen wir uns ins erstbeste Restaurant am Strassenrand und bestellen Souflaki, bekommen beinahe feuchte Augen vor Glück.

Am Nebentisch sitzt ein alter Grieche und trinkt mit seligen Augen Weisswein.

Manchmal meinen es die (griechischen) Götter gut mit uns. Mal sehen, wie lange ihr Wohlwollen anhält …

 

Song zum Tag: The Rolling Stones – It’s only Rock ’n‘ Roll, but I like it

Und hier geht der Trail weiter … aber anders als gedacht

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Durchs wilde Jugoslawien

Manchmal ist es besser, Unangenehmes möglichst schnell hinter sich zu lassen.

Das ist unser heutiges Mantra. Nach dem gestrigen Tag gilt es, dieses auf Teufel komm raus Land mit Bleifuss auf dem Gaspedal zu durchqueren, nicht rechts oder links zu sehen, einfach nur zu fahren und auf möglichst wenige Probleme zu hoffen.

Ein Wort zum damaligen Jugoslawien.

Das Land war zu dieser Zeit noch ein Vielvölkerstaat, ein seltsames Gebräu aus unterschiedlichen Ethnien, Religionen, Kulturen, einzig zusammengehalten durch die eiserne Faust von Martschall Tito. Man stelle sich vor, die heutigen selbständigen Staaten Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien und Kosovo, damals noch einander mehr oder weniger freundschaftlich zugetan, waren in einem einzigen Staat vereint.

Doch im Untergrund döste eine Zeitbombe still vor sich hin, auf den richtigen Zeitpunkt wartend, und dieser kam mit dem Tod Titos, der das fragile Gefüge nachhaltig veränderte bzw. in mörderischen Kriegen zum Einsturz brachte. Im Nachhinein erkannte man, dass man es hätte wissen müssen.

Heute ist einigermassen Ruhe eingekehrt, und für die gleiche Strecke würde man nmehrere Länder durchqueren.

Der Verkehr lässt nicht nach. Es scheint, dass jedes, wirklich jedes Vehikel mit vier Rädern und einer Ladefläche auf dem Weg in den Iran ist. Man erkennt die Kennzeichen so ziemlich jedes europäischen Landes, sogar das Kennzeichen von Liechtenstein.

Was wird ihnen der Schah abkaufen? Liechtensteiner Spezialitäten? Käsknöpfle mit Apfelmus, Rheintaler Ribelmais?

Rätsel über Rätsel.

 

Trucks to Iran 3  Trucks to Iran

Und so fahren wir weiter, immer weiter Richtung Süden, manchmal euphorisiert und glücklich, dann wieder still und nachdenklich, denn in schwachen Momenten wird uns klar, auf was wir uns eingelassen haben. Die Strasse vor uns, ob in schlechtem Zustand wie jetzt oder vielleicht unbefahrbar wie in Zukunft, ist unsere Richtschnur, an ihr entlang finden wir unseren Weg ins Ungewisse.

Wir haben uns schnell an das Fahren gewöhnt, allerdings muss man sich vorstellen, dass es damals noch kein Gurtenobligatorium gab und man es sich also ohne Angst vor allfälligen Bremsmanövern geschweige denn Kollisionen auf den Sitzen bequem machte (Monika im Schneidersitz, was aus heutiger Sicht suizidal erscheint). Der untenstehende Abschnitt gibt Einsicht in das, was tatsächlich hätte passieren können.

Aber lassen wir das, andere Zeiten, andere Sitten.

 

Kränze für die Toten

Wenn es einen Beweis für die Gefährlichkeit der Strasse gibt, so sind es die Kränze, die an den Strassenrändern auf Unfälle mit tödlichem Ausgang hinweisen. Nicht, dass es jemanden interessieren würde, am allerwenigsten die Lastwagen, die mit unverändert hoher und gemeingefährlicher Geschwindigkeit den Strassen entlang preschen.

So wird für jeden Toten ein makabres und ziemlich verstörendes Zeichen hinterlassen. Zwei Kränze, drei, vier, der Tagesrekord liegt bei sechs (!) Kränzen. Sechs Kränze. Sechs Tote bei einem einzigen Unfall.

Und jeder sieht die Kränze, macht sich seine Gedanken oder auch nicht, und fährt weiter. So schnell wie möglich. Vielleicht ist es eine Art Wettrennen. Vielleicht sind die Lieferungen nicht vertraglich besiegelt, vielleicht gilt first come, first served. Den Letzten beissen die Hunde, also vorwärts.

Irgendwie pervers. Aber überrascht uns das?

Nicht wirklich.

Das einzige, was uns überrascht, ist die Tatsache, dass es nicht viel mehr Unfälle gibt. Spielt hier der Zufall eine Rolle oder einfach Glück? Wir wissen es nicht und wollen es auch nicht wissen. Alles, was zählt, ist möglichst schnell aus dieser irdischen Hölle zu kommen. Je näher wir der bulgarischen Grenze kommen, desto näher sind wir dem Glück.

Und tatsächlich, in Nis, nahe der bulgarischen Grenze, biegen die Lastwagen ab, es wird schlagartig friedlich. Die Route über Bulgarien in die Türkei ist offenbar kürzer und schneller, also verschwinden die Trucks in dunkelblauen Dieselschwaden auf hoffentlich Nimmerwiedersehen. Good Luck!

 

Und doch wieder der Motor

Unser Wagen, die letzten Stunden in durchaus befriedigendem Zustand, scheint uns daran erinnern zu wollen, dass nichts, aber auch gar nichts so ist, wie es scheint.

Es ist nicht nur so, dass wir Benzin in geradezu erschreckender Menge verbrauchen. Man hat sich ja ungefähre Vorstellungen über den Verbrauch gemacht, dazu dienen Statistiken, durchschnittliche Verbrauchswerte des Herstellers. Aber eben, unser Vehikel ist durch den seltsamen Aufbau alles andere als stromlinienförmig. Man könnte sagen, der viereckige Dachaufbau (eine wirklich blödsinnige Idee) führt jede Aerodynamik ad absurdum.

Wenn es nur das Benzin wäre, könnten wir uns, etwas zähneknirschend zwar, in das unvermeidliche Schicksal fügen, aber was viel schlimmer ist, wir müssen jeden Tag einen Liter Oel nachfüllen.

Einen ganzen Liter Oel pro Tag?

Dies bedeutet, dass unser Notvorrat an Oel, der eigentlich für ganz andere Gegenden gedacht war, bereits aufgebraucht ist. Meine Kenntnisse über die Zusammenhänge eines Verbrennungsmotors sind wie erwähnt bescheiden, aber da kommen doch langsam Begriffe wie defekte Dichtungen, kaputte Kolbenringe etc. ins Spiel, die sich als kleine bösartige Teufelchen ins Unterbewusstsein einnisten.

Was sagte der gute Mann bei der Überprüfung des Motors: „Mit diesem Vehikel würde ich nicht mal nach Liechtenstein ins Ausland fahren.“

Langsam dämmert es auch den einfachsten Gemütern, dass er recht hatte. Das kann ja heiter werden.

Aber was soll’s, einfache Gemüter schlagen die bösen Gedanken beiseite und denken an morgen, an Griechenland, an das blaue Meer. Wir übernachten vor einem einsamen Hotel, vielleicht leer, vielleicht nur von Geistern bewohnt, aber sie lassen uns in Frieden, wachen über unseren friedlichen Schlaf.

Wenigsten schlafen kann man sehr gut in diesem Land, das ist doch immerhin etwas …

 

Und wie immer, der Sound zur Epoche:  Eric Clapton – I shot the Sheriff

Und hier geht die Reise weiter … nach Griechenland (vielleicht)

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Selbstmordstrassen

Kann es sein, dass wir erst kurze Zeit unterwegs sind und bereits einen Rückstand auf unsere provisorische Marschtabelle haben? Wenn das so weiter geht …

Aber wir sind zu unserem Glück nicht pressiert, wir haben Zeit im Überfluss. Wen interessiert es schon, ob wir ein paar Tage oder Wochen früher oder später in Indien eintreffen. Und Indien ist noch eine Vision, etwas Unwirkliches, das es wahrscheinlich gibt, wir aber erst mit Sicherheit wissen werden, wenn wir dort sind.

Also lassen wir das Haareraufen und fahren einfach weiter. Heute, wenn alles gut geht, überqueren wir immerhin schon die Grenze nach Jugoslawien, und hallo, schon die zweite Grenze.

 

Unser geliebter und gehasster VW-Bus

Eigentlich wollten wir unserem Vehikel, das uns bereits sagenhafte Probleme bereitet hat, einen Namen geben. Na ja, wir lassen das lieber, vielleicht wäre er beleidigt, wenn wir ihn August oder Franz oder Hans taufen würden.

Wir sind heute ganz zufrieden mit ihm, er läuft wie aus einem Guss.

Meint er es ehrlich, oder ist es nur Vorspielung falscher Tatsachen? Dass wir bereits nach so kurzer Zeit misstrauisch geworden sind und dem Frieden nicht recht trauen, ist verständlich, aber warten wir’s mal ab. Der alte Herr will uns offenbar beweisen, dass er durchaus in der Lage ist, uns in weit entfernte Länder zu bringen.

Hier eine kurze Übersicht über unser mobiles Heim, unser Schlafplatz, unsere Küche, unser Wohnzimmer, unser Fortbewegungsmittel, unsere Zuflucht vor Kälte und Hitze und aufdringlichen Leuten und tiefer dunkler Nacht.

Das besondere Highlight – die Küche. Da es bei älteren Versionen des VW-Bus noch keine Schiebetür gegeben hat, wird die Seitentür gegen aussen aufgezogen und eignet sich damit perfekt, um an der Innenseite die Küche anzubringen. Mit allem, was dazu gehört – Kochplatten, Pfannen, Reinigungsmittel, Küchenutensilien etc. Manchmal scheppert was, aber das ist ein permanentes Geräusch mit vielen anderen zusammen, die den Sound unseres Wohnmobils ausmachen. Das hängt mit den Kästen zusammen, wo sich der restliche Hausrat befindet.

Es gibt einen Tisch, der aufgeklappt werden kann und zwei Sitzgelegenheiten mit Polstern natürlich. Das Bett mit der Matratze ist wie erwähnt ausziehbar, während des Tages verschwunden, vor dem Zubettgehen in ausgezogenem Zustand Tisch und Bänke überdeckend.

Die Führerkabine ist in mehr oder weniger Standardzustand, ausser meinem Sitz, der besonders gut gepolstert ist. Und irgendwo hinten, wo die Heckklappe geöffnet werden kann, verbirgt sich alles, von Lebensmitteln über Benzin und Werkzeugen und weiss der Kuckuck was alles.

Und auf dem Dach – Ersatzreifen und anderes, was keinen Platz im Inneren hat. Worauf wir besonders stolz sind: wir haben uns für den berüchtigten Osten der Türkei, wo sich Jugendliche einen Spass daraus machen, die vorbeifahrenden fermdländischen Autos mit Steinen zu bewerfen, ein Schutzgitter erstellen lassen, das man bei Bedarf vor der Frontscheibe Installieren kann. Ob wir das Ding je brauchen werden, liegt in den Sternen.

Alles in allem – keine Luxuskarosse, aber wir fühlen uns sehr wohl, ausser, wenn der wagen wieder mal zeigen will, wer der Herr im Hause ist …

 

Triest und die Suche nach Karten

Anyway, am Mittag erreichen wir Triest. Ich weiss ehrlich gesagt nicht allzu viel darüber, ausser dass James Joyce einige Zeit hier verbracht hat (wenn ich mich recht erinnere, eine unglückliche Zeit). Es stellt sich zum ersten Mal das Problem, das uns die ganze Reise begleiten wird. Soll man Zeit an Orten verbringen, wo es uns gefällt, oder reisen wir weiter, etwas ungeduldig, etwas atemlos?

Triest
Triest

Triest ist das erste Opfer. Vielleicht ein anders Mal …

Wir essen zwar noch einen Happen (wer weiss, wann wir das nächste Mal qualitativ hochstehendes Essen geniessen können, die jugoslawische Kost im Vergleich zur italienischen? Na ja …).

Vor allem irren wir durch die Stadt in der verzweifelten Suche nach Strassenkarten, die wir wie bereits erwähnt zuhause vergessen haben.

Natürlich wird jede Menge Strassenkarten angeboten, nach Österreich, Frankreich, ins Friaul oder die Toscana, aber Indien? Fehlanzeige. Keinen Meter über Europa hinaus. Wer in Triest interessiert sich schon für eine Landkarte nach Indien? Una cosa così stupida. Man sollte es nicht für möglich halten,

Also fahren wir weiter, hoffen auf Istanbul. Und Läden mit Strassenkarten.

 

Ein anderer Trail

Erstaunlicherweise bringen wir auch die zweite Grenze ohne Probleme hinter uns, Jugoslawien heisst uns zwar nicht unbedingt mit offenen Armen willkommen, die Zollbeamten schauen ziemlich griesgrämig, als hätten wir ihre wohlverdiente Mittagspause gestört.

Egal. Aber einige Unterschiede sind schnell spürbar, vor allem die Qualität und der Zustand der Strassen. Sie geben uns einen ersten Vorgeschmack auf Kommendes.

Wir brauchen nicht lange zu warten. Nach der Einmündung der Hauptverkehrsader von Österreich her, werden wir mit dem Phänomen konfrontiert, das wir aus den Medien zwar kennen, aber erst jetzt am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet.

Eine unendlich lange Lastwagenkolonne aus tausenden von Trucks aus aller Herren Länder ist auf dem Weg nach Osten. Seit der Schah von Persien die Modernisierung seines Landes in Auftrag gegeben hat, bedeutet der Iran für Europa das gelobte Land, und jeder will sich ein Stück des Kuchens abschneiden.

Die meisten Lastwagen scheinen pressiert zu sein und fahren entsprechend wie die Idioten. Auf den schmalen und schlechten Strassen durch Jugoslawien eine grenzwertige Geschichte, vor allem weil auch der übrige Verkehr sich nicht lumpen lässt und das gefährliche Spiel mitmacht.

Man ist also gezwungen, für jeden, ob hinten oder vorne fahrend, mitzudenken, von den entgegenkommenden Fahrzeugen ganz zu schweigen. Alle paar Minuten prescht einer an den dümmsten Orten an den Kolonnen vorbei, immer gerade noch rechtzeitig, um einen Crash zu vermeiden.

Das scheint allerdings nicht in jedem Fall gutzugehen, denn jeder Unfall mit Todesfolgen wird mit der jeweiligen Anzahl Kreuzen am Strassenrand deklariert. Da kann man schon mal ein mulmiges Gefühl kriegen.

Ein entgegenkommendes Fahrzeug schiesst den Vogel ab. Er fährt doch tatsächlich mit brennenden Reifen qualmend und stinkend an uns vorbei. Es scheint niemanden zu stören.

 

Nicht die einzigen Indienfahrer

Immerhin geschieht nach all den Aufregungen des Verkehrs etwas Erfreuliches: Ein VW-Bus mit deutschen Kontrollschildern überholt uns, und wir fahren ein Stück weit Seite an Seite. Dabei stellt sich heraus, dass die beiden auch nach Indien unterwegs sind. Heureka! Wir sind nicht die einzigen.

Und schon fühlen wir uns mit jemandem verbunden, auch wenn wir nur das gleiche, im Moment noch unendlich weit entfernte Ziel haben.

Der Tag ist lang und nervenaufreibend.

Jugoslawien macht sich rar, ausser trübem Wetter, schlechten Strassen und viel Verkehr bekommen wir nicht viel mit. Der Blick ist auf der Strasse, alles daneben verschwindet, wird unsichtbar, spielt keine Rolle. Nichts daran ist schlecht, es ist einfach so, wie es ist. Jugoslawien gibt einfach einen ersten Vorgeschmack auf das, was auf uns wartet.

Es könnte ja gut sein, dass wir irgendwann mit Wehmut an diesen Tag und diese Strassen zurückdenken.

Trotzdem entscheiden wir uns für einen frühen Feierabend, suchen einen Übernachtungsplatz auf einer Wiese und während auf der nahen Strasse der Wahnsinn die ganze Nacht weitergeht, träumen wir von brennenden Reifen und Monstertrucks, die uns von allen Seiten bedrohen, aber auch vom Meer, das näher kommt, von Frühstück am Strand, von weissen Yachten auf dem glitzernden Wasser …

Hoffen wir auf einen schöneren Tag.

 

Passender Song aus dieser Zeit: Golden Earring – Radar Love

Und hier geht der Trail weiter, immer noch in Jugoslawien …

 

Hippie Trail

Der Hippie Trail – Takeoff

Erinnerungen sind fragwürdige Zeugen, wenn es um Zuverlässigkeit, um Wahrheit, um Genauigkeit geht.

Sie sind Versionen unseres Geistes, zusammengeschustert aus Bildern, Geräuschen, Vorstellungen, Träumen, Gerüchen. Man kann ihnen nicht trauen, und trotzdem stellen sie auf ihre Weise eine Wahrheit dar, vielleicht eine andere als die tatsächlich erlebte, und doch ein Zeugnis von etwas vielleicht so Gewesenem.

Letztlich ist es egal. Eine gute Geschichte, auch wenn sie nicht ganz der Wahrheit entspricht, ist immer noch eine bessere Geschichte als eine schlechte, die ganz der Realität entspricht.

Alles, was nun folgt, ist eine Version. Meine Version.

Manches tatsächlich erlebt, anderes vorgestellt, wie es gewesen sein könnte, dazu Versatzstücke, Teile der Wahrheit, Phantasien, Lügen.

Aber irgendwie trotzdem wahr.

 

Der Abschied

Ich weiss nicht mehr, ob uns auf den ersten Kilometern bewusst wird, auf was wir uns eingelassen haben. Vielleicht wiegen wir uns in der Illusion, dass wenn alles schief geht, wir einfach wieder nach Hause zurückkehren, mit geknickten Hoffnungen natürlich, angeknackstem Selbstvertrauen, aber wenigstens heil und gesund.

Our VW BusWahrscheinlich ist dieser Gedanke weit weg. Oder doch, kann es sein, dass wir selbst noch nicht ganz überzeugt von unseren hochfliegenden Plänen sind? Immerhin liegen geschätzte 10’000 Kilometer durch schwierige Gegenden, auf schlechten Strassen, vor uns unvorhersehbare Hindernisse, vielleicht Pannen und weiss der Henker was alles.

Aber den Mutigen gehört die Welt, wie man so schön sagt. Mal sehen, wie weit uns der Mut trägt …

Wir verabschieden uns von unseren Eltern und Geschwistern, bemühen uns, ein optimistisches Bild unseres Abenteuers zu zeichnen. Ob es auf Verständnis gestossen ist, ist fraglich.

 

Schlechte Vorzeichen

Aber dann sind wir definitiv unterwegs. Das Gefühl ist berauschend und irritierend zugleich. Wir befinden uns zwar tatsächlich auf dem Weg, aber eine gewisse Unruhe lässt sich nicht verheimlichen.

Dass ein paar nicht unwesentliche Dinge zu Hause liegen geblieben sind, macht die Sache auch nicht besser, im Gegenteil. Die Sterne sind uns nicht so wohl gesonnen, wie wir gerne hätten. Sie scheinen sich zu bemühen, uns den Abschied möglichst schwer zu machen.

Wir haben zwar tausende Kilometer vor uns, entlang unbekannter, wahrscheinlich schlecht beschilderter Routen, die Notwendigkeit guter und zuverlässiger Strassenkarten ist unbestritten, doch unsere Karten sind irgendwo, nur nicht dort, wo sie sein sollten. Wir haben sie schlicht zu Hause vergessen. Wenn es noch einen Beweis für unsere Beschränktheit braucht, hier ist er.

Kurz vor Chur ein weiteres Omen. Nach nicht mal 200 km, kurz vor Chur, kommt uns ein Auto heftig schleudernd entgegen, schiesst an uns vorbei, rammt den Wagen hinter uns. Ein paar Sekunden später, und unsere Reise hätte ein schnelles Ende gefunden.

Der Fahrer des Unfallwagens soll dem Himmel danken, dass er uns verpasst hat, denn ich hätte ihn sonst eigenhändig erwürgt.

Nach einer eher mühsamen Überquerung des San Bernadino erreichen wir Chiasso, den letzten Ort auf Schweizerboden. Wir genehmigen uns einen Kaffee und füllen sämtliche Kanister mit dem billigen Schweizer Benzin. Und dann – heureka – überqueren wir die Grenze nach Italien. Wir sind im Ausland.

Und wir sind glücklich.

 

Die Probleme beginnen

Hundertfünfzig Kilometer weiter südlich, auf der Autostrada Richtung Venedig, sind wir weniger glücklich. Sollten die Omen doch noch Recht behalten?

Die Ladekontrolllampe beginnt zu flackern und scheint irgendeinen Defekt anzuzeigen. Ich als Chauffeur und Verantwortlicher für alles, was unser Vehikel betrifft, habe nicht den leisesten Schimmer, was da los sein könnte. Meine Kenntnisse bezüglich Motor und alles andere beschränken sich auf das Öffnen und Lesen der entsprechenden Reparaturanleitung.

Wir verschieben das Problem auf morgen (Probleme soll man bekanntlich besser überschlafen) und beschliessen, die Nacht auf dem nächsten Pavesi zu verbringen.

Natürlich läuft angesichts der engen Platzverhältnisse noch nicht alles rund. Zähneputzen, ins Pijama steigen, das Bett bereitstellen (wobei der Begriff Bett etwas hoch gegriffen ist; es handelt sich um ein Brett, das ausgezogen werden muss, darüber eine ziemlich dünne Matratze), an das alles muss man sich gewöhnen, aber dazu haben wir Wochen und Monate Zeit. Wir stehen uns auf den Füssen herum, suchen verzweifelt nach Utensilien, die sich irgendwo versteckt haben.

Der Schlaf allerdings ist göttlich. Angesichts der anstehenden Probleme ist eine gewisse Unbedarftheit die einzige Möglichkeit, die Ruhe zu bewahren …

 

Ziemlich viel kaputt

Das Erwachen in fremder Umgebung – für die nächsten Monate der Normalzustand – ist verwirrend, vor allem, wenn man zum ersten Mal in einem VW-Bus erwacht. Die Decke ist gefährlich nahe, ein Aufschrecken in der Nacht würde zwangsläufig zu Beulen und Kopfschmerzen führen. Knie und Füsse stossen an, es riecht nach Benzin und Motor und allerhand anderem, das sich nicht auf Anhieb identifizieren lässt.

Alles in allem ungewohnt, aber nicht unangenehm. Überraschenderweise fühlen wir uns ausgesprochen gut, obwohl ein böses Teufelchen herumgeistert und was von Motorproblemen flüstert.

Our repair manual
Unsere Reparatur-Anleitung

Ich habe zwar auch nach dem Blättern in der Reparaturanleitung keine Ahnung, was der Grund für das Problem mit der Lampe sein könnte, also wechsle ich vorsorglich schon mal den Keilriemen. Kann ja nicht schaden.

Wir fahren also mehr oder weniger frohgemut weiter und hoffen auf ein Wunder, das selbstverständlich nicht eintrifft.

Beim nächsten Pavesi müssen wir notgedrungen wieder weg von der Autobahn, denn nun flackert das kleine böse Lämpchen nicht mehr, es brennt jetzt ohne Pause. Langsam breitet sich nun eine gewisse Nervosität aus, auch erneutes Nachsehen in der Reparaturanleitung bringt keine Lösung. Was also tun?

Nun, immerhin läuft der Wagen ansonsten tadellos, vielleicht ist ja einfach die Lampe kaputt. Wenn es noch etwas braucht, um unseren unbegrenzten Optimismus (oder Dummheit?) nachzuweisen, so ist es der Entschluss, einfach mal weiterzufahren.

In Mestre, unweit nach Venedig, ist die Batterie leer (die Lampe war also ganz in Ordnung). Mit dem Fuss ständig auf dem Gaspedal, denn sonst stellt der Motor ab und kann nicht mehr gestartet werden, suchen wir verzweifelt nach einer Garage. In der ersten ist der Autoelektriker in den Ferien, in der zweiten verstehen sich die Leute nur auf Rennwagen. Natürlich können wir ihnen nicht verübeln, dass sie unser unansehnliches Gefährt nicht gerade als Lotus Elan betrachten.

 

Erbarmen mit den armen Hippies

Dann haben wir allerdings Glück, denn einer der Mechaniker, normalerweise mit Maseratis und Lamborghinis beschäftigt, erbarmt sich unser und wagt schon mal einen Blick in die Innereien unseres Ferrarris. Die mitleidigen Blicke seiner Kollegen pariert er mit stoischem Gleichmut. Muss man wahrscheinlich haben, wenn man sich der Aufgabe widmet, der er sich angenommen hat.

Definitely not our car
Definitv nicht unser Wagen

Im Nachhinein, wenn nach einer knappen halben Stunde klar ist, was alles kaputt ist, kann ich mir keine Vorwürfe bezüglich Nichtkenntnisse mehr machen.

Ohne Übertreibung könnte man behaupten, dass der grösste Teil der elektrischen Anlage defekt ist, also die Lichtmaschine, der Regler und einiges anderes, was ich eh nicht verstehe. Zum ersten Mal wird uns klar, was der TCS Spezialist meinte, als er behauptete, mit diesem Auto nicht mal nach Liechtenstein fahren zu wollen.

Es wird langsam dunkel, doch es wird immer noch emsig gearbeitet. Schliesslich aber, um Fr. 200.- erleichtert, können wir doch noch weiterfahren, es ist in der Zwischenzeit halb neun. Ich bin kein Fan von Extrapolationen, es kommt ja doch immer anders als man denkt, aber an diesem dunklen Abend wage ich nicht an die weitere Zukuft zu denken …

Offenbar haben aber die schnellen Boliden in meinem Unterbewusstsein ihre Spuren hinterlassen, denn meine Träume sind erfüllt vom Röhren eines gelben Lamborghinis, genauso wie ich mir mein Auto vorstelle. Nicht dieses klobige Ding, das uns bisher nur Scherereien gebracht hat. Aber andererseits – wenn ich an die Strassen in Indien oder Nepal denke, da könnte ich mir vorstellen, dass diese italienischen Superkarossen schnell an ihre Grenzen stossen würden.

 

Passender Song aus dieser Zeit: The Sparks – This town ain’t big enough for the both of us

Und hier geht der Trail weiter … nach Jugoslawien