Die „Grand Trunk Road“ nach indischer Art

Wir sind wieder auf der Grand Trunk Road unterwegs, der berühmten Strasse, die quer durch Pakistan und Indien bis nach Bangladesh führt. Seit dem Khyberpass an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan sind wir ihr immer wieder gefolgt und haben dabei ihre angenehmen wie auch unangenehmen Seiten am eigenen Leib erfahren.

Der heutige Streckenabschnitt entspricht allerdings in keinster Weise dem pompösen Namen der berühmten Strasse. Das, was uns hier angeboten wird, ist sogar für indische Verhältnisse eine Zumutung.

Natürlich ist sie schmal und schlecht, so wie in den letzten Tagen, aber die Inder haben sich noch ein paar zusätzliche Kalamitäten einfallen lassen. Über viele Kilometer ist die eine Seite der Strasse 10 bis 20 Zentimeter höher als die andere, ausserdem machen zahlreiche Löcher und Wellen im Belag das Fahren zu einem mühsamen und riskanten Unterfangen.

Alles in allem – die Nerven sind zum Zerreissen gespannt.

Das normale Chaos

Ungeladene Besucher im Wagen

Man muss kein Psychologe sein, um zu verstehen, dass sich seit Indien ein gewisses Problem mit den Einheimischen, vor allem aber gegen alles, was auf den Strassen den Verkehr behindert, entwickelt hat.

Natürlich ist uns klar, dass sich die Art und Weise, wie sich Menschen verhalten, von Land zu Land unterscheidet. Wir haben uns daran gewöhnt, und je länger man unterwegs ist, desto einfacher wird es, auch die seltsamsten Dinge zu akzeptieren.

Doch Indien ist nochmals eine andere Stufe der Verwirrung.

Es kann also beispielsweise durchaus geschehen, dass man irgendwo Halt macht und im Innern des Wagens gemütlich picknickt. Dass sich innerhalb Minuten eine ansehnliche Menge Leute um den Wagen versammelt, ist normal. Grosse dunkle Augen starren neugierig, alles ist fremd, alles ist anders. Man unterhält sich leise oder auch lauter, man lacht, zeigt auf Dinge, die unbekannt ist.

Doch dann kann es passieren, dass plötzlich und unerwartet irgendjemand ins Innere des Wagens steigt und neben uns Platz nimmt. Unsere Reaktion kann man sich vorstellen. Verwunderung? Heiterkeit? Ärger?

Alles zusammen. Auf jeden Fall werden die Besucher höflich und bestimmt hinauskomplimentiert.

Ein Radfahrer sieht dem Tod ins Auge

Die Strecke ist nicht allzu lang, gut 250 km, aber eben, schwierig zu bewältigen. Der Gegenverkehr ist ausnahmsweise eher dürftig, doch das Volk auf der Strasse vermag leider diesen Vorteil zu kompensieren. Und wieder einmal zeigen uns die Radfahrer, wer der Herr im Lande ist.

Der Stresslevel des Fahrers steigt von Stunde zu Stunde, von einem mühsamen Kilometer zum nächsten. Und irgendwann reisst der Faden. Ein Radfahrer, natürlich in der Mitte der Strasse fahrend, will für einmal zeigen, dass er absolut nicht gewillt ist, dem lauten Hupen nachzugeben.

Und so geschieht es.

Ich behalte mir vor, über die nächsten paar Minuten den Mantel des Schweigens zu legen. Nur soviel: aus dem indischen Velofahrer wird innerhalb Sekunden ein indischer Eddy Merckx, der weit draussen auf dem Feld um sein Leben fährt. Etwas später, der Verstand hat wieder das Szepter über den unkontrollierten Wutanfall übernommen, sehe ich im Rückspiegel den Radfahrer, der langsam vom Rad steigt und mir hinterher schaut. Ein Königreich für seine Gedanken.

Ein kleines Dorf im Nirgendwo

Bodhgaya, an sich ein kleines unscheinbares Dorf mitten in den Pampas, stellt eines der wichtigsten Zentren des Buddhismus dar. Wir erreichen es nach kilometerlangen Umwegen, auf Nebenstrassen, die erstaunlicherweise in besserem Zustand sind als die vielgerühmte Grand Trunk Road.

Der Name sagt schon alles – Bodhagaya für „Ort der Erleuchtung“. Denn ausgerechnet hier, an diesem abgelegenen Ort, erlangte der Buddha Siddharta Gautama, der Buddha unseres Zeitalters, im Jahr 534 v.Chr. unter einer Pappelfeige die Erleuchtung .

In Bodhgaya befindet sich auch eine der heiligsten Stätten des Buddhismus, der Mahabodhi-Tempel, wo der Mahabodhi wächst, der nach der Überlieferung ein Abkömmling jenes Baumes ist.

Im kleinen anliegenden Muchalinda Teich steht eine Skulptur, die Buddha auf einer Lotosblüte sitzend darstellt, überragt von einer Königskobra. Die riesigen Welse im Teich gelten als heilig.

Auffassungen des Mahayana-Buddhismus zufolge sollen im aktuellen Weltzeitalter 1000 Buddhas erscheinen, die alle in Bodhgaya Erleuchtung erlangen.

Der historische Buddha Shakyamuni war der 4. Buddha in dieser Reihe. Bodhgaya wird im Mahayana-Buddhismus auch Vajrasana, der „Diamantene Thron“ genannt. (Wikipedia)

Buddhismus in allen Formen

Der Buddhismus hat sich vor langer Zeit in unterschiedliche Schultraditionen aufgespalten. Der Theravāda ist die älteste noch existierende Schultradition des Buddhismus. Er ist heute vor allem in Sri Lanka, Myanmar, Thailand, Kambodscha, Laos und teilweise auch in Vietnam und der VR China verbreitet.

Bodhgaya ist seit 1953 ein internationales buddhistisches Pilgerzentrum. Buddhisten aus Sri Lanka, Bangladesch, Thailand, Burma, Tibet, Bhutan, Vietnam, Taiwan, Korea und Japan errichteten in Bodhgaya bisher 45 Klöster und Tempel. Eine riesengroße Statue des Buddha in Meditationshaltung und lebensgroße Statuen seiner Schüler (aufrecht stehend) aus grauem Stein befinden sich ebenfalls in Bodhgaya. Die Statue wurde im Jahr 1989 vom Dalai Lama enthüllt. 2002 wurde der Ort in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen.

Immer und immer wieder begegnet man in Asien den Buddhastatuen, sei es in Burma oder Thailand oder Laos oder Ladakh, und jedes Mal wird man von einem seltsamen Gefühl der Verbundenheit erfüllt. Wie kann es bloss sein, dass man für einen Augenblick die westliche Rationalität vergisst und in etwas eintaucht, was nicht erklärbar ist?

Der Rundgang durch das Dorf eröffnet den Blick auf die unterschiedlichen Traditionen des Buddhismus, seine Vielfältigkeit, die trotzdem auf den gleichen Wurzeln basiert. Da gibt es die typischen thailändischen Pagoden, vergoldet, verschnörkelt, umgeben von den dazugehörigen Mönchen in ihren goldgelben Roben.

Und unweit davon steht ein tibetisches Kloster oder zumindest das, wofür wir es halten. Dumpfe Gongschläge und monotoner Gesang erfüllen die von Duftkerzen geschwängerte Luft. Wir fühlen uns inmitten der dunkelrot gekleideten Mönche in einer anderen Welt.

Dem Norden zu

So, nun entschwindet der Osten und macht dem Norden Platz. Die Strecke bis zur nepalesischen Grenze misst zwar nur etwas über 300 km, aber die bisherigen Erfahrungen mit den indischen Strassen haben uns gelehrt, vorsichtig zu sein. Wir werden also erst mal bis Patna fahren, um den Rest der Strecke auf morgen aufzusparen.

Indien im Winter

Das Fahren ist zur täglichen Gewohnheit geworden, Indien gleitet vorbei, eine immer wiederkehrende Erfahrung der besonderen Art. Verdorrte Felder wechseln ab mit Wiesen, auf denen abgemagerte Kühe weiden. Dazwischen winzige Dörfer, dann wieder grössere mit -pur als Namensendung. Manchmal stoppen wir, wollen uns mit Proviant eindecken, doch es gibt ausser Kokosnüssen nichts zu kaufen. Die Armut ist nun allüberall, spürbar, sichtbar. Bihar, der Bundesstaat, in dem wir uns nun befinden, ist dicht bevölkert und arm.

Wir fahren weiter, verdrängen die Gedanken. Der Blick wird immer wieder abgelenkt, hinaus auf die endlosen Weiten. Keine Hügel, keine Erhebung, die den Augen eine Zuflucht gewährt. Man könnte sich verloren fühlen in dieser horizontlosen Ferne, vielleicht sind wir in einem Land gelandet, wo nichts mehr endet, wo alles zwischen Anfang und Ende liegt.

Indien im Winter.

Gerüche von Feuern, von Abgasschwaden der vor uns tuckernden Lastwagen, von Feldern, auf denen nichts wächst, helle Kinderstimmen, die uns hinterherrufen, das Geräusch gequälter Motoren dringen durch die offenen Fenster. Sie sind die täglichen Zutaten, wir nehmen sie kaum mehr wahr.

Die Gedanken sind in der Gegenwart, vor dem nächsten Kilometer, und doch kehren Erinnerungen an vergangene Ereignisse zurück, an überstandene Gefahren, an Risiken, von denen wir nichts geahnt hatten.

Haben wir manchmal Angst? Vor dem nächsten Kilometer? Sind wir durch alles Erlebte ängstlicher geworden, oder haben wir uns so sehr an das Überraschende gewöhnt, dass uns nichts mehr erschüttern kann?

Angst wäre manchmal gut, aber wir verdrängen sie erfolgreich (nicht immer).

Regen in Patna

Patna liegt am Ganges, der längst zu einem mäandrierenden Monstrum geworden ist. Viele Jahre später, auf einem Flug nach Kathmandu, wird mich ein Blick auf den Ganges und Patna an längst vergessene Tage erinnern.

So lange her, ein ganzes Leben.

Ganges bei Patna

Irgendjemand hat uns erzählt, dass es in Patna eine Bata-Schuhfabrik gibt, wo man übernachten kann. Eine hervorragende Idee.

Der Himmel ist allerdings mit allerlei seltsamen Gespinsten bedeckt, die nichts Gutes verheissen. Ein bisschen Regen nach all diesen heissen Tagen wäre mehr als willkommen.

Es zeigt sich aber schnell, dass auch das willkommenste Geschenk eine negative Seite hat, denn kaum prasseln die ersten Tropfen auf das Dach – was wir selig geniessen – merken wir schnell, dass der Dachaufbau die permanenten Vibrationen der letzten Monate schlecht überstanden hat.

Mit einem Wort, es regnet uns auf den Kopf.

Passender Song von 1974:  Roxy Music – The Thrill of it all

Und hier geht der Trail weiter … nach Nepal

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