Der schläfrige Blick nach draussen entdeckt nicht viel Neues. Und nicht viel Positives.

Es ist immer noch grau und nass, auch wenn der Regen eine kurze Pause eingelegt hat. Die Verabschiedung vom Hüttenpersonal ist herzlich, man lacht über den gestrigen Abend, der auch ein paar überraschende Erkenntnisse gebracht hat.

Ich befinde mich ja nun wieder in Appenzell Ausserrhoden. Das Verhältnis der beiden Kantone ist mir unbekannt, nur dass Innerrhoden katholisch und Ausserrhoden protestantisch ist. Mein Bericht über das touristische Treiben in Appenzell löst sofort  Unwillen aus. „Typisch katholisch. Immer nur den Profit im Sinn! Das wäre hier ganz anders.“

Finde ich überraschend und sehr lustig.

 

Nebel, Dunst, Regen

Wieder eine Wanderung durch ein Spinnennetz aus Nebel und Dunst und Regen. Der Pfad bis zur Schwägalp ist zwar breit und angenehm zu gehen, aber das, was sich am Himmel zusammenbraut, ist weniger angenehm. Aber ich erwarte eine schöne Wanderung nach Lutertannen und über den Aussichtspunkt Risipass nach Stein im Toggenburg. Es ist ja  nicht das erste Mal, dass ich von Regen und Nebel und Schnee belästigt werde, sei es in Kolumbien oder andernorts.

Wiesen und Alpweiden, naturnahe Flachmoore und Nadelwälder wechseln sich in bunter Folge ab, behauptet der Führer. Die Buntheit möchte ich ansgesichts des trüben Himmels eher in Frage stellen.

 

from Chamhaldenhütte to Stein

Mist, Haze, whatever you desire

Das Restaurant auf der Schwägalp ist trotz schlechtem Wetter gut besucht, ich gehe vorbei, und nach nicht mal fünfhundert Metern beginnt das erwartete: Regen in allen Formen der Feuchtigkeit. Mal nieselt es, mal schlägt auf mich nieder wie ein Strafgericht Gottes.

Ist mir aber egal, also folge ich dem mal abwärts, dann wieder steil aufsteigenden Wanderpfad. Nicht überraschend führt er schon nach kurzer Zeit wieder abseits der Strasse über völlig durchnässtes hohes Gras, das mir um die Beine schlägt. Aber was soll’s, irgendwann wird alles besser.

 

Path down the woods

 

Das Wetter als Metapher

Es ist nicht wirklich angenehm, allerdings entwickelt man nach einiger Zeit eine stoische Beziehung zum Wetter.

Was ganz gut dient als Metapher für das Leben an sich. In Zeiten wie diesen (die mich auch während des Wanderns beschäftigen) gibt es nicht viele Möglichkeiten, sich den aktuellen Themen zu entziehen. Man kann selbstverständlich auf stumm und taub stellen, alles ignorieren, was Unruhe und Zweifel und Pessimismus fördert, aber das funktioniert nur bedingt.

Ich habe es vor einigen Monaten ausprobiert, eine Woche lang alles Medienmässige ausgesperrt, um meinen Ärgerlevel wieder auf ein normales Mass zurückzubringen. Es hat teilweise sogar geklappt, aber eben, sobald man sich wieder in die Welt einklickt, ist die Lawine wieder da. Die Pandemie hat vieles, was vorher schon da war, verstärkt. Vieles hat schlummernd auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, um nun, wenn die Grenzen des Sagbaren verschoben wurden, den alten Hass hervorzuholen. Risse gehen durch die Gesellschaft, Lebenswelten kollidieren, Konflikte brechen aus. Nicht gut.

Eine bessere Möglichkeit, vielleicht die einzige, besteht darin, eine gewisse Gelassenheit zu entwickeln. Ein dickes Fell gegen alles Trumpsche der Welt, alles, was momentan schlecht läuft, Ängste hervorruft, Untergangsszenarien generiert. Man kann/darf sich nicht über alles ärgern, auch wenn es schwierig ist.

Die Ziegen am Strassenrand zeigen, wie’s geht. Was interessiert uns das Wetter? Oder sonstwas. Hauptsache ein bisschen fast trockenen Boden (es hat zwischenzeitllich wieder mal aufgehört zu regnen), Futter in Hülle und Fülle und ein paar Freunde und Verwandte, mit denen es sich gut gehen lässt.

 

Goats in peace

Deswegen sind die Wetterkapriolen während des Wanderns zwar manchmal ärgerlich, aber es bringt nichts, dem Regen und Nebel den Finger zu zeigen. Also gehe ich weiter und kümmere mich nicht um den schwarzen Himmel, der sich auch heute gegen mich verschworen hat. Ich gehe jede Wette ein, dass es in ein paar Minuten wieder giessen wird.

 

Schneefelder, Sümpfe

Auch wenn der heutige Tag kein Ruhmesblatt für das Wetter ist, so strahlt die nasse Landschaft doch eine eigenartige Schönheit aus. Wie ein Bild, gemalt von einem depressiven Maler, der nur noch weiss, grau und grünlich auf seiner Palette hat. Es genügt, um einen regnerischen, nebligen Tag in den Alpen in allen Facetten darzustellen. Man könnte von dieser Melancholie angesteckt werden, aber eigentlich gibt es doch nichts Schöneres als eben dieses Schauspiel der Elemente.

Wie langweilig ist doch dagegen ein schöner Tag mit blauem Himmel und strahlender Sonne, aber wahrscheinlich versuche ich ganz einfach, aus einem miesen Tag ein Juwel zu machen. Aber gut …

 

Not the weather preferred

Die Liebe zur traurig-nassen Landschaft hört spätestens dann auf, wenn der Weg durch Frühlingsschnee und aufgeweichten Sumpfboden führt. Offenbar wäre ich hier vor ein paar Wochen noch vor einem Problem gestanden, den Starttermin auf Anfang Juni zu setzen, war also richtig.

Meine Schuhe versinken im dem nassen Boden, manchmal habe ich Mühe, die Füsse wieder aus dem Sog des Bodens zu  befreien. Ist das mit den naturnahen Flachmooren gemeint? Irgendwann zweigt der Weg in Richtung des Risipasses ab, natürlich regnet es erneut, was ein bisschen blöd ist, denn man kann sich nirgends mehr setzen.

Also marschiert man weiter, setzt einen Fuss vor den anderen, versucht, die Umstände zu vergessen und denkt an einen trockenen Ort im Toggenburg, das Tal, das schon bald auftauchen sollte. Es erinnert mich an Skiferien auf der Sellamatt, an den Essraum im Hotel, der immer nach nichts anderem roch als nach Pommes Frites, an einen schlimmen Hexenschuss und anderê Gegebenheiten, die hier ungesagt bleiben müssen. Eine schöne Zeit.

 

the last spring snow

 

Wet wet wet

Nach dem Risipass zweigt der Wanderweg – wie könnte es anders sein – wieder zurück auf die tropfenden Wiesen. Meine Schuhe sehen in der Zwischenzeit sehr nass und sehr mitgenommen aus, also entschliesse ich mich, den Rest des Weges die Strasse zu nehmen.

 

Wet and dirty shoes

Obwohl  meine Knie wie immer auf abwärtsführenden Asphaltstrassen sehr ungnädig reagieren und schon bald höllisch zu schmerzen beginnen, folge ich den unzähligen Kehren ins Tal hinunter. Manchmal grüssen mich ein paar Kühe, haben sich extra für mich in einer sauberen Reihe aufgestellt. Ich fühle mich willkommen geheissen, ziehe meinen Hut und muhe ihnen zu. Was allerdings nicht wirklich zu Reaktionen führt. Man kann beinahe spüren, was in ihren merkwürdigen Gehirnen vorgeht: Wieder so ein Spinner, der bei diesem Wetter spazieren geht.

Ich muss ihnen recht geben.

 

some cows greeting me
Eine Parade unterschiedlich gefärbter Kühe begrüsst mich

Das Tagesziel Stein taucht im Tal auf, genauso eingespinnt in Nebel und Dunst wie alles andere, aber ich bin sicher, dass sich das Gasthaus Ochsen als die Herberge entpuppt, die ich mir in meinen trockenen und warmen Träumen vorstelle.

 

Stein in the Toggenburg Valley

Die Wirtin hat mich offenbar erwartet (viele Gäste werden an diesem garstigen Tag wohl kaum eintreffen), ich darf den Trocknungsraum benutzen, in der Hoffnung, dass wenigsten bis morgen früh das Zeug wieder in einen trockenen Zustand zurückfindet.

Ich fühle mich gut, auch wenn die Gäste im Restaurant dem komischen tropfnassen Kauz mitleidige Blicke zuwerfen. Das Hotel ist aus altem Schrot und Korn, das Hotelzimmer ist allerdings von erstaunlich fortschrittlicher Qualität. Ich finde es irgendwie lustig, dass die beiden Betten durch einen Zwischenraum getrennt sind. Es erinnert mich an alte Hollywood Filme, wo auch nur der kleinste Hinweis auf etwaige sexuelle Aktivitäten im Schlafzimmer unmöglich war (und bei Übertreten dieses Verbots eine sofortige Sperre oder Schlimmeres bedeutet hätte).

 

Song zum Thema:  Wet Wet Wet – Love is all around

Und hier geht der Trail weiter … nach Amden

 

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