Das Leben ist wie Fahrradfahren. Um die Balance zu halten, muss man in Bewegung bleiben. (Albert Einstein)

Also an der Bewegung fehlt’s nicht, mit der Balance bin ich ganz zufrieden, also Albert wäre sehr zufrieden mit mir.

Heute muss ich zwangsläufig eine alternative Route nehmen, da das Hotel auf dem Napf gemäss Wirt wegen personeller Unterbesetzung geschlossen ist (später wird mir glaubhaft versichert, dass es sich dabei um eine Ausrede gehandelt hat; der Wirt ist offenbar nicht für besonderen Fleiss bekannt).

Aber was soll’s, gehen wir halt  nach Luthern. Das Wetter hält, ich bin schon um halb acht unterwegs.

Und so hätte die Originalroute ausgesehen:

 

From Wolhusen to Napf

Meine alternative Route sieht aber anders aus. Sie folgt der ursprünglichen Route bis Oberleh und dann der Strasse entlang bis St. Joder und später via Hübeli nach Luthern. Keine grosse Sache, so scheint’s, aber wie immer sind Träume manchmal Schäume.

 

Alternative route to Luthern

 

Keuchen und Fluchen

Der nervtötende Durchgangsverkehr macht den Abschied von Wolhusen leicht. Wahrscheinlich war es vor langer Zeit mal ein schmuckes Dorf entlang der Kleinen Emme. Aber eben, wie an vielen anderen vergleichbaren Orten, sind die Lastwagen, die im Minutentakt durch das Dorf brausen, eine Qual.

Der Weg führt der Kleinen Emme entlang gegen Süden. Wer hätte zu diesem Zeitpunkt geahnt, dass ausgerechnet Wolhusen im Juli mehrmals durch Sturm und Überschwemmungen heimgesucht würde. Wenn ich so diesem ruhigen Fluss entlang gehe, sind solche Vorstellungen surreal.

Ausgangs Dorf taucht eine steile Wand auf, kein Problem, aber kaum verschwindet der Weg im Wald, fängt das Keuchen und Fluchen an. Meine Pulsuhr zeigt es später an – es sind knapp 20% Steigung mit dem, nach dem gestrigen Grosseinkauf, schwersten Rucksack ever.

Auf der Karte sieht es ziemlich harmlos aus, aber da meine Kartenlesekünste weiss Gott nicht berühmt sind, habe ich die richtige Interpretation wieder einmal verpasst. Anyway, manchmal ist der Weg zum Glück mit Keuchen und Schimpfen geplastert, da muss man durch.

 

Dieser eine flüchtige Moment

Man sollte nie denken, dass nun alles so bleiben wird, dass nur noch Schweiss und Mühsal wartet, vor allem dann nicht, wenn die Erfahrungen eigentlich etwas anderes sagen. Denn tatsächlich, sobald sich der Wald lichtet, wird der Weg eben, und schon öffnet sich der Blick auf eine sanfte Anhöhe.

Ein einsamer Baum lockt mich unter seine dicht belaubten Äste, stellt mir eine Sitzbank hin, und zeigt mir all das Wunderbare, das ihn alltäglich, das ganze Jahr über umgibt. Ich kann der Einladung nicht widerstehen, obwohl es noch früh ist und ich kaum eine Stunde unterwegs bin.

Und so sitze ich da, lasse mich von der Aussicht verzaubern, bemerke, dass der Himmel, je näher er den Bergspitzen kommt, in ein milchiges Blau übergeht. Dass die Wiesen mal heller, mal dunkler grün sind. Dass die Tannen nicht einfach nur Tannen sind, sondern aufrechte trotzige Krieger.

Die Sinne funktionieren anders, sie sind auf das justiert, was sie umgibt. Als sähe das Auge mehr, als hörte das Ohr Geräusche, die sonst verborgen bleiben, als rieche die Nase Gerüche, die nur noch auf einer tiefen Ebene gespeichert sind, aber jetzt reaktiviert werden.

Habe ich schon mal erwähnt, dass man in diesen Momenten so nahe bei sich selbst ist, wie es nur möglich ist? Dass mit einem Mal alles in einer seltsamen, manchmal fast erschreckenden Balance ist, der man nie mehr entfliehen will, aber trotzdem um deren Flüchtigkeit weiss?

Man möchte diesen einen Augenblick ins Unendliche ausdehnen.

 

Lonely Tree at hill

Lovely Landscape surrounded by mountains
Nur ein Bild, aber perfekt in seiner Harmonie

beautiful blue and green landscape from under the tree

 

Eiger, Mönch und Jungfrau

Und da, kaum zu glauben, weit weg am Horizont, die drei berühmtesten Berge der Schweiz – Eiger, Mönch und Jungfrau (ausser dem Matterhorn natürlich, dem berühmtesten Berg der Welt). Sie werden mich eine Zeit lang begleiten, immer schön zur Linken, so wie es das Alpenpanorama vorgibt.

Die Sicht auf die Berneralpen zeigt auch, dass ich mich langsam und beharrlich der Mitte meines Trails nähere. Morgen Abend, auf der Lüdernalp, bereits im Emmental angekommen, werde ich mit einem speziell verdienten Bier Halbzeit feiern.

Wer hätte das gedacht, ich am allerwenigsten.

 

Eiger, Mönch, Jungfrau - famous Swiss Peaks

Ich bin jetzt auf dem Steinhuserberg, tiefkatholisches Land, die Kreuze am Wegrand zeugen von Vergangenheit und Gegenwart. Manchmal bleibe ich stehen, versuche herauszufinden, was der Grund für das Kreuz ist. Eine Botschaft am Wegrand an alle auf dem Weg? Eine Erinnerung an jemanden, der hier gestorben ist? Ein spezieller Kraftort mit religiösem Hintergrund?

Manchmal ist es egal, irgendwie spürt man die Bedeutung.

 

A cross in the middle of nowhere

Aber dort, wo man sie am wenigsten erwartet, tauchen seltsame Dinge auf, die so gar nicht zum trockenen, wenig skurrilen Charakter der hiesigen Mentalität passen. Man wundert sich, überlegt sich Geschichten, stellt sich die Menschen vor, die eine alte Kabine einer Luftseilbahn hierhin verpflanzt haben.

Dient sie einem bestimmten Zweck? Eine besondere Art Schutzhütte bei Regen und Sturm? Die surreale Installation eines Künstlers? Oder noch viel schräger – ist sie hier vergessen worden?

Man kommt auf allerlei komische Gedanken beim Gehen.

 

old cabin of a cable car
Da stellen sich allerhand Fragen

 

Das Schmelzen des Hirns unter dem Hut

Es ist von Vorteil, hitzeresistent zu sein. Meine diesbezüglichen Erfahrungen in Indien und Südostasien verschaffen mir einen gewissen Vorteil. ich liebe es, wenn es so richtig heiss und feucht ist, wenn der Schweiss schon verdampft, bevor er die Stirn erreicht.

Heute ist es natürlich nicht feucht, nur heiss. Es ist inzwischen kurz nach neun, der Himmel wolkenlos, die Strasse, leider mal wieder eine Asphaltstrasse, fängt bedrohlich an sich aufzuheizen. Das wird noch ein Spass werden bis heute Abend.

Aber was soll’s, die Schmetterlinge auf dem Wiesenbord, die Raubvögel, die leise rauschend über mich hinwegschweben, die riesigen, alleinstehenden Bäume, machen das Gehen einmal mehr zu einer Freude.

 

Cows looking for shade

Ich bin nicht der einzige an der Sonne, aber offenbar der einzige, der dies freiwillig tut. Sogar die Kühe, die einiges gewohnt sind in Sachen Wetter, haben sich in den Schatten der Bäume geflüchtet. Sind es mitleidige Blicke, die sie mir zuwerfen, oder gar spöttische? Ich kann es ihnen nicht verübeln, denn ich scheine tatsächlich der einzige Mensch weit und breit zu sein.

 

finally found shade

Aber immerhin taucht der Weg zwischenzeitlich in einen Wald ein, ich atme tief durch, bleibe einen Augenblick stehen, vermeine die Bäume sprechen zu hören, oder was könnte das leise Raunen sein? Es erinnert mich an Ladakh, den Baby-Trail, und die unvergessliche Stille inmitten des Nichts, wo man glaubt, das Raunen der Berge zu vernehmen.

 

Nordwärts – zur Abwechslung

Schliesslich, wen wundert’s, zweigt der Weg wie erwartet vom Alpenpanoramaweg ab, jetzt kommt die SwissTopo App zur Anwendung. Sie soll mich auf kürzestem Weg nach Luthern führen. Wie sich aber zeigt, ist das, was die App vorschlägt, zwar auch ein Weg nach Luthern, aber garantiert nicht der kürzeste. Seltsam.

Am meisten ärgert mich, dass ich ganz oben, wo sich die Wege trennen, mich eine verwirrende Richtungsangabe (oder habe ich wieder mal was verpasst?) auf den falschen Weg führt. Immerhin werde ich nach einer Viertelstunde misstrauisch, denn die Richtung führt überall hin, nur nicht Richtung Norden.

Und tatsächlich, Google Maps stellt klar, dass ich umkehren muss, was ich dann auch leise grummelnd tue.

Nun, eigentlich ist es egal, im Kopf bin ich richtig, ich weiss zumindest ungefähr, wohin der Weg führt. Allerdings muss ich zugeben, dass mir die vertrauten 3-er Schilder fehlen, diese Wegweiser zum Glück und in diesem Fall meine ich mit Glück das Endziel Genf. Ach Gott, es ist immer noch beinahe 300 Kilometer entfernt.

Meine brennenden Füsse finden diese Aussicht gelinde gesagt eine Zumutung, und in ganz schwachen Momenten muss ich ihnen zustimmen.

 

Working on the fields

Nach der Niederlage bei den Agrarabstimmungen bin ich zwar noch etwas verstimmt, aber die fleissige Arbeit der Bauern auf ihren Feldern nötigt mir doch einen gewissen Respekt ab.

 

Das Ziel rückt näher

Die Route zwischen Menzberg und Hergiswil ist anscheinend eine beliebte Strecke für Mountain Bikers. Während ich abwärts eile und so versuche, möglichst schnell den ungeliebten Teerstrassen zu entgehen, kreuzen mich zumeist ältere Herren auf e-Mountainbikes, je nach Richtung trotz e-Unterstützung schwer schnaufend, oder pfeilschnell an mir vorübersausend.

Ich bin noch nicht so weit, wie ich gerne wäre, aber immerhin taucht die Kapelle St. Joder auf. Ich setze mich auf eine schattigen Sitzbank beim Eingang, während sich auf der anderen Strassenseite einige bejahrte Herren aus einem Brunnen Wasser über die ergrauten Köpfe giessen. Man sieht mich leicht komisch an, ich muss ein ungewohntes Bild inmitten der radelnden Gesellschaft bieten.

Leider geht der Weg so weiter wie die letzten Kilometer, sprich auf asphaltierten Strassen, die sich jetzt um die Mittagszeit alle Mühe geben, mir die Schuhsohlen zu verbrennen.

Aber irgendwann erreiche ich das Dorf mit dem seltsam klingenden Namen Hübeli, tönt irgendwie ein Spielzeug aus dem Kindergarten. Eine riesige Holzverarbeitungsfirma scheint neben ein paar Häusern das ganze Dorf auszumachen. Bis Luthern muss ein weiterer Hügel bezwungen werden, immerhin der letzte heute.

Und dann, bei einer Gruppe schattiger Bäume, sehe ich das Dorf unter mir. Eine ältere Dame gesellt sich zu mir, eine Einheimische aus dem Dorf. Sie erzählt von Luthern, und einmal mehr geht es dabei wieder um Verluste, um irreversible Veränderungen, die langsame Verarmung des Dorflebens.

 

Shady trees abover Luthern

And there it is fainally - Luthern

Aber dann, nach weiteren mühsamen Kehren zum Dorf hinunter (wahrscheinlich habe ich die Abkürzung wieder mal verpasst), stehe ich aufatmend vor dem Hotel Krone und bin nach beinahe 8 Stunden tatsächlich angekommen.

Dieses Bier habe ich mehr als verdient, und so geht ein weiterer Tag ins Land, heiss und anstrengend und wunderbar …

 

Beer at the end of a very strenious day

 

Song zum Thema:  Lambchop – The Man who loves Beer

Und hier geht der Trip weiter … zur Lüdernalp

 

 

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