Maschhad bleibt hinter uns zurück, wenn alles gut läuft, werden wir uns in ein paar Monaten auf dem Rückweg wieder sehen. Vielleicht immer noch euphorisch, vielleicht enttäuscht, aber sicher verändert. Es gibt ja offenbar kein Land, das den Besucher derart in seinen Bann zu ziehen vermag – und ihn dabei dauerhaft verändert.

Aber im Moment kennen wir kein Zurück, nur ein Vorwärts, und jetzt wird es zum ersten Mal wirklich spannend. Denn Afghanistan ruft, es ist schon ganz nahe. Afghanistan, ein unbekanntes Land, wild, unbezwungen, von unvergleichlicher Schönheit, von Menschen bewohnt, die noch im Mittelalter zu verbleiben scheinen.

Unsere Gefühle sind ambivalent – voller Vorfreude und doch mit einem gewissen Respekt vor dem, was uns da im wilden Land erwartet.

Wir werden sehen …

Turbane, wallende Hosen und Schleier

Wir fahren entspannt entlang der letzten persischen Dörfer in Richtung afghanische Grenze. Die Strecke ist lang, länger als die längste Ausdehnung der Schweiz, und sie führt einmal mehr durch bergiges, ausgetrocknetes Land, und man fragt sich, wie Menschen in diesem lebensfeindlichen Gebiet existieren können.

Die charakteristischen Lehmhäuser weisen nun eine andere Form auf als im westlichen Iran. Nun sieht man nur noch runde Kuppeldächer, Innenhöfe, Lehmgebäude. Die Männer tragen nun durchwegs kunstvoll geschwungene Turbane und weite wallende Hosen, während die Frauen – sofern man sie als solche erkennen kann – nicht mehr ohne Schleier auf der Strasse anzutreffen sind.

Hier treffen unterschiedliche Zivilisationen, unterschiedliche Kulturen aufeinander, die manchmal besser, manchmal schlechter miteinander zu existieren vermögen.

Eine Wagenburg wie im Wilden Westen

Zu unserem Gunsten gibt es kurz vor der Grenze noch eine letzte iranische Tankstelle mit Superbenzin. Das ist nicht wirklich überraschend, denn ennet der Grenze gibt es nur noch das extrem schlechte afghanische Benzin, eigentlich ist es russischer Herkunft, das „Shurevie“ Petrol. Es wird uns noch einige Zeit das Leben schwer machen und unserem eh schon schwachen Motörchen noch zusätzliche Probleme aufhalsen.

Die Grenze wird um 19 Uhr geschlossen, warum wissen die Götter oder zumindest Mohammed oder Allah persönlich. Es gilt also, ein weiteres Mal beim iranischen Grenzposten zu übernachten. Wir bilden zu diesem Zweck (man weiss ja nie) eine echte Wagenburg nach Wildwest Manier, stellen unsere Wagen im Halbkreis auf, drei VW-Busse und ein niedlicher Döschwo.

Ein Grenzpolizist, der eben Feierabend gemacht hat und offenbar noch keine Lust hat, nach Hause zu gehen, setzt sich bei uns in den Wagen. Wir spielen Joker, ein Spiel, das ich ausnahmsweise gut beherrsche, und so kommt es, wie es kommen muss. Der Polizist gibt nach einigen verlorenen Runden entnervt auf und geht schlafen oder wohin auch immer.

Eine denkwürdige Grenzüberquerung

Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir  mit den berüchtigten asiatischen Grenzritualen in Kontakt kommen. Man denke nur an die Grenze zwischen der Türkei und dem Iran, was auch schon zu nervöser Unruhe geführt hatte.

Aber das hier übertrifft alles. Auf der iranischen Seite geht noch ziemlich harmlos vonstatten. Nach einer guten Stunde werden wir durch ausserordentlich freundliche und zuvorkommende Grenzbeamte mit guten Wünschen für die Weiterreise entlassen. Merkwürdigerweise liegen zwischen den beiden Grenzposten etwa sieben Kilometer Niemandsland, allerdings trennen diese paar Kilometer Welten.

Viele Jahre später werde ich dieses Phänomen noch öfters erfahren, aber nie so krass wie an der Grenze zwischen Vietnam und Kambodscha. Das Kapitel heisst nicht umsonst „Und plötzlich diese Stille„.

Die Unterschiede zwischen den beiden benachbarten Staaten ist frappierend (auch hier ein Beispiel aus einem späteren Leben – Laos und China). Auf der iranischen Seite Reichtum, Fortschritt, Bildung (eine zynische Feststellung, wenn man an die heutigen Umstände denkt), ennet der Grenze eine ungeheure sichtbare Armut und Rückständigkeit, wie wir sie bisher allenfalls in der Osttürkei angetroffen haben.

Auf der iranischen Seite moderne Gebäude, geteerte Strassen, Büros nach westlichem Muster, elegant gekleidete Zollbeamte, auf der anderen Seite ist es schwierig zu entscheiden, welches der halbverfallenen Gebäude unter Umständen das Zoll- und Grenzgebäude sein könnte.

Der richtige Beamte

Ein Soldat, falls es sich um einen handelt, in einer wirklich grauenhaften Uniform und kahlgeschorenem, ziemlich hässlichem Schädel (ein Template für jeden echten Punkt ein paar Jahre später) weist uns den Weg zu einem der grösseren Gebäude abseits der Strasse.

Der Weg dorthin kann bestenfalls in Schritttempo befahren werden, falls wir nicht frühzeitig schon mit einem Gelenkschaden konfrontiert werden wollen. Die Strasse, falls sie man sie nennen darf, besteht im Wesentlichen aus Gräben und Löchern, dazwischen hügelähnlichen Verwerfungen. Wen wundert’s, denn abseits der Hauptstrassen gibt es keine befestigten Strassen. Das werden wir etwas später am eigenen Leib erfahren.

Irgendwie schaffen wir es mit Ächzen und Stöhnen, unsere Wagen zum Zollgebäude zu fahren, doch da stellt sich ein weiteres Problem – wer gehört nun zu den Zollbeamten und wer nicht? Zahlreiche mit Turbanen und weiten Röcken bekleidete Gestalten stehen im Hof und im Gebäude herum, von denen niemand genau weiss, was sie hier tun oder ob sie überhaupt eine Funktion innehaben.

Nun, Allah ist gross, und so gibt sich eine der Gestalten als Zöllner zu erkennen und drückt uns einen Zettel in die Hand, wobei zu bemerken ist, dass der Zettel zuerst irgendwo zu beschaffen ist. Anyway, nach erfolgreicher Beschaffung des Dokuments, kritzelt der Herr nach einer oberflächlichen Begutachtung unseres Wagens ein paar unleserliche Zeichen auf den Zettel und macht sich von dannen.

Kafka und das Schloss

Leider ist es so, wie wir in den nächsten Wochen noch mehrmals erleben werden. Das, was auf den ersten Blick klar ist, ist alles andere als klar. Im Zusammenhang mit dem Grenzübertritt nach Afghanistan in ganz besonderem Masse.

Nun werden wir nämlich von Pontius bis Pilatus geschickt und wieder zurück. Niemand scheint zu wissen, was zu tun ist, denn auf unsere langsam etwas ungehaltenen Fragen wird nicht geantwortet, denn blöderweise spricht niemand englisch.

Und es ist erst noch Mittagszeit, dann wird erstens gegessen und zweitens geruht. Oder was immer die Herren dann tun. Auf jeden Fall dauert es geschlagene zwei Stunden, bis sich die Herrschaften bequemen, in ihre Büros zurückzukehren und sich mit den unmöglichen Problemen von ein paar langhaarigen Touristen herumzuschlagen.

Nun gut, man könnte sagen, das Spiessrutenlaufen hat zwar keinen ersichtlichen Grund, aber es ergibt letztlich so etwas wie einen Sinn in dem ganzen sinnlosen Theater. Einmal mehr hat Franz Kafke mit seinem „Schloss“ die Blaupause für jede Art bürokratischer Sinnlosigkeit geschaffen. Schliesslich, mit leisem Aufatmen, glauben wir fest daran, dass nun alles in Ordnung ist, und fahren zum Ausgang.

Und oh Wunder, ein Soldat weist uns freundlich, aber sehr bestimmt zurück, denn der Impfschein ist offenbar noch nicht kontrolliert worden.

Ein wahrhaft gelehrter Herr Doktor

Es folgt nun also der Tragödie dritter Teil.

Der Doktor, der unsere Impfzeugnisse unter seine professionelle Lupe nimmt, hat wohl kaum je eine Praxis oder ein Spital von innen gesehen. Er fühlt sich aber von seiner Wichtigkeit überzeugt und lässt es uns genüsslich spüren. Man nennt sowas auch die Ausübung von Macht,

Egal, wir werden diesem Phänomen noch einige Male begegnen, und das wichtigste, was daraus gelernt werden muss, ist Demut. Nicht wütend werden, nicht ausrasten, nicht die berüchtigte westliche Überlegenheit an den Tag legen. Einfach lächeln, auch wenn es weh tut, immer schön servil nicken, dann entspannt sich die Situation meistens.

Das stimmt zwar, aber in diesem Fall macht das Zurschautragen von Demut mehr als nur Schmerzen. Der Herr Doktor nimmt sich nämlich heraus, an unseren Impfausweisen herumzumeckern, gerade so, als wäre er die einzige Instanz, die sowas beurteilen kann.

Natürlich, das begreifen sogar unbedarfte Seelen wie wir, ist er auf einen Bakschisch aus. Da unsere Geduld in der Zwischenzeit aber auf den Nullpunkt gesunken ist – schliesslich sind wir seit Stunden hier – hat er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Wir sind so aufgebracht, dass wir dem guten Doktor beinahe seinen gelehrten Hals umgedreht hätten.

Und wieder zurück zum Ausgang, diesmal in der festen Überzeugung, dass nun wirklich alles in Ordnung ist. Eben, wir sind in Asien, an einem der Orte, wo alles möglich ist, oder eben alles nicht möglich ist.

Kurz – wir werden ein weiteres Mal zurückgewiesen, diesmal ist es die Haftpflichtversicherung. Auch dieses Problem lässt sich mit den allerletzten noch verbliebenen Nerven lösen – und heureka! Das Unfassbare geschieht, und wir können passieren.

Herat in der Wüste

Trotz der übermässig langen Prozedur an der Grenze sind wir tatsächlich in der Lage, die erste grosse Stadt in Afghanistan, Herat, noch bei Tageslicht zu erreichen. Die Strasse ist erstaunlicherweise asphaltiert, eine erste positive Überraschung. Hoffentlich nicht die letzte.

Herat, die Hauptstadt der Provinz Herat und die zweitgrößte Stadt des Landes nach Kabul, hat eine lange Geschichte. Mitten in der Wüste liegend, war sie früher eine lebendige Handelsstadt auf der Seidenstrasse von Europa nach Asien. 

The ancient Silk Road
Die alte Seidenstrasse

Wiki meint dazu:

Alexander der Große eroberte die Stadt 330 v. Chr. und baute sie unter dem Namen Alexandria in Aria zu einem militärischen Stützpunkt aus. In dieser Zeit entstand die berühmte Zitadelle der Stadt. Die Region um Herat wurde nach dem Fall der Seleukiden von den einheimischen Parthern erobert – von hier aus begann die Gründung des mächtigen Parther-Imperiums.

Mit dem Fall der persischen Sassaniden wurde Herat Teil des muslimischen Kalifats. Die Samaniden erhoben Herat später zu einer Residenzstadt und entwickelten sie zu einem Zentrum der persischen Kunst, Kultur und Literatur

Zeugen einer ruhmreichen Vergangenheit

Heute hat sie ihre frühere Bedeutung weitgehend verloren, doch immer noch zeugen eine Moschee und ein Fort von ihrer ruhmreichen Vergangenheit. Vieles davon lässt die Wunder von Maschhad beinahe vergessen.

Herat ist eine alte Stadt mit vielen historischen Bauwerken. Die meisten Gebäude sind aus Lehmziegeln erbaut. Die kürzlich wiederaufgebaute Zitadelle von Herat, die unter Alexander dem Großen errichtet wurde, beherrscht die Ansicht der Stadt. Im 15. bis 17. Jahrhundert wurde Herat auch als das Florenz Asiens bezeichnet. (Wiki)

Herat war offenbar lange Zeit ein Zentrum der persisch-muslimischen Kulturwelt.

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Haben wir das gewusst? Natürlich nicht. Wir müssen zugeben, dass wir wieder einmal ohne jegliche Ahnung sind. Afghanistan liegt weit weg, weiter als unser geschichtlicher und geographischer Unterricht gereicht hat. Wer interessiert sich schon für die reichhaltige Vergangenheit eines unbekannten Landes irgendwo im tiefsten Asien, wenn die Schlacht bei Näfels im Vordergrund steht.

Immerhin erfahren wir einige Details (viele davon sehr viel später). Zum Beispiel, dass die Stadt für ihre bedeutende Kunst- und Literaturtradition besonders bekannt ist. Und dass Herat zudem für seine handgeknüpften Perserteppiche einige Berühmtheit erlangt hat. Man spricht deswegen vom nach der Stadt benannten Herat-Stil. Er gehört zu den teuersten und bekanntesten seiner Art.

Car-Parking

Als Tourist – wer hätte das gedacht – hat man keine Probleme, eine Unterkunft zu finden. Der Hippie Trail hat auch hier seine Spuren hinterlassen. Überall hängen Tafeln, die auf günstige Car-Parking Möglichkeiten oder Ähnliches hinweisen.

Nach all den seltsamen Übernachtungen im Verlauf der letzten Wochen landen wir schliesslich sehr zufrieden in einem riesigen Park eines Hotels inmitten gepflegter Gärten und Bäume. Man fragt sich allerdings, für wen dieser Aufwand betrieben wird, denn wir sind die einzigen Gäste. Und eben darum werden wir mit überschäumender Freundlichkeit empfangen, als ob wir die Könige von Frankreich wären.

Nicht verwunderlich, dass wir die Annehmlichkeiten in extremis geniessen. Warmes Wasser, keine lärmigen Nachbarn oder vorbeidonnernde Lastwagen, Infrastruktur für alles und jeden. So könnte man es sich gefallen lassen. Nach einer überaus angenehmen Nacht geht es am nächsten Morgen darum, die unbekannte Stadt zu erobern. Was nicht überraschend mit einem Gaudi passiert.

Gaudis und buntgeschmückte Lastwagen

Die Stadt erinnert an die autofreien Sonntage während der Oelkrise. Keine Autos auf der Strasse, dafür viele Fussgänger. Sehr angenehm und sehr entspannend.

Ausser den buntgeschmückten Lastwagen sind auf den Strassen nur dies sogenannten Gaudis zu sehen. Es handelt sich dabei um zweirädrige Vehikel, die von einem Pferd gezogen werden.

Es erinnert entfernt an alte Zeiten, die noch gar nicht so lange zurückliegen. Aber das wird uns in den nächsten Wochen noch häufig begegnen.

Später, viele Jahre später, werde ich an diese sogenannte Dischronie denken, in Ladakh, bei den Klöstern und ihrem direkten Draht zum Himmel. Es scheint, als wäre man aus der Zeit gefallen, als ob man in einer Zeit gelandet wäre, die längst vergangen ist.

Manchmal ist es irritierend, sogar ein bisschen beängstigend, aber immer überraschend und von wohltuender Anderstheit. Man könnte sagen, dass wir hier in Herat zum ersten Mal an einem Ort sind, der jenseits aller bisherigen Vorstellungen liegt.

Ein sehr fremdes Land

Wir sind nun mitten im Herz eines sehr fremden Landes. Man hätte annehmen können, dass sich die beiden benachbarten Länder Iran und Afghanistan nicht allzu sehr unterscheiden, aber weit gefehlt. Ob die unterschiedliche religiöse Strömung – hier Sunniten, da Schiiten – oder der sehr unterschiedliche ökonomische Stand eine massgebliche Rolle spielen, ist für uns Aussenstehende schwierig zu verstehen.

Tatsache ist, dass hier die extremeren Auswüchse häufiger zu sehen sind. Frauen tragen durchwegs die Burka, dieses Kleidungsstück, das der vollständigen Verschleierung des Körpers dient.

Wiederum ein tiefer Griff in die Wikipedia Wissenskiste:

Die afghanische Burka (Ganzkörperschleier wird in Afghanistan als چادرى Tschaderi und das Kopftuch als چادر Tschadar bezeichnet) besteht aus einem großen Stofftuch, mit dem oben eine flache Kappe vernäht ist. Manchmal ist im Stirnbereich ein Gummiband vernäht. Im Bereich der Augen ist eine Art Gitter aus Stoff oder Rosshaar als Sichtfenster eingearbeitet. Das Gesicht ist bei der afghanischen Burka vollständig bedeckt. Der Stoffüberwurf reicht entweder in der Rückenpartie bis auf den Boden und vorn bis zur Hüfte oder er fällt rundum bodenlang. Das Kleidungsstück entstand aus der Verbindung eines Körperschleiers mit einem Gesichtsschleier.

Die Männer tragen ihre traditionelle Bekleidung, einen Turban, kunstvoll geschlungen, dazu lange wallende Hosen, darüber eine Art Hemd, das bis zu den Knien reicht. Je nach Laune oder Wetter wird bei sehr vielen noch eine Weste oder ein Jackett getragen.

Selbstverständlich alles in grosser Würde. Es ist nicht erstaunlich, dass wir schon nach kurzer Zeit eine ziemliche Hochachtung entwickeln.

Die Stadt der Schlitzohren

Der Ruf des Muezzin weckt aus tiefem Schlaf, man kriecht empor aus dem Schlamm der Bewusstlosigkeit. Die erste Nacht in einem fremden Land. Irritierend, irgendwie surreal. Vögel begrüssen den Morgen jubilierend, ich hoffe für sie, dass es etwas zum Jubilieren gibt.

Später besteigen wir frohgemut eines der wartenden Gaudis (der Gaudi? das Gaudi?) und lassen uns durch die Stadt kutschieren. Die Sinne offen, lassen wir die fremden Aromen, Bilder, Geräusche der Stadt auf uns wirken. Eigentlich ist alles braun. Die Häuser. Die Strassen, die Gassen, die Hinterhöfe. Der Staub, der alles bedeckt. Monochromatisch.

Aber da sind Farben. Überraschend und doch wieder nicht. Denn der lokale Handel hat sich an die Nachfrage der Touristen angepasst.

Wandelnde Afghanmäntel

An allen Ecken und Enden laden kleinere und grössere Läden zum Eintreten, zum Shoppen, zum Feilschen. Ihr Angebot aus lokaler Kunstfertigkeit, manches heutig, anderes aus tiefster Vergangenheit,  lässt sich perfekt mit dem Geschmack der jungen Touristen koordinieren: Felldecken, Teppiche, Schmuck, alte Waffen und andere Antiquitäten, Stiefel und natürlich Afghanmäntel in unübersehbarer Menge und Qualität.

Unsere Reisegefährten, offenbar voller Respekt vor der zu erwartenden Kälte in den nördlichen Gefilden des Landes, lassen sich überreden und kleiden sich ein. Man könnte meinen, dass wir einen Auflug in die Arkis machen.

Es handelt sich nach erfolgtem Handel ohne Übertreibung um sechs währschafte wandelnde Afghanmäntel. Sie fallen allerdings nicht gross auf, denn jeder zweite Tourist sieht genauso aus.

Es könnte gut sein, dass sich ihre Vorsicht auszahlt, denn die frostigen Nächte in Kabul, von denen Heimkehrer raunen, könnten noch einige ungute Überraschungen bereiten.

Wir werden sehen. Aber es sieht auf jeden Fall schön aus, wenn auch etwas gewöhnungsbedürftig.

Türme und Moscheen

Eine leichte Brise weht, als wir uns den wirklichen Sehenswürdigkeiten der Stadt nähern. Manchmal hat man den Eindruck, dass es Dinge jenseits der profanen Wirklichkeit gibt. Es gibt Kunstwerke und Kunstwerke, diese hier gehören in die Kategorie ewiger Hinterlassenschaften menschlicher Kreativität.

Nur schon die Aussenmauern der Moschee sind eine Augenweide, und man fragt sich, welche Künstler hier am Werk gewesen sind. Das Auge kann sich kaum sattsehen, und immer wieder taucht die Überlegung auf, wie sehr sich diese Kunstwerke vom profanen Alltag der heutigen Zeit unterscheiden.

Aber so stehen wir halt da, staunend und mit offenem Mund, können kaum glauben, was die islamische Kunst der Welt hinterlassen hat.

Die Fremden sind Gäste

Etwas fällt sofort auf – im Gegensatz zu vielen Iranern sind die Einheimischen in Herat freundlich und zurückhaltend. Es scheint, dass Ehre und Tradition verlangen, die Fremden, auch wenn sie noch so seltsam erscheinen, als Gäste zu behandeln.

Aber vielleicht ist die Wirklichkeit viel profaner: sie interessieren sich schlichtweg nicht die Bohne für das seltsame Volk, das mehr durch Zufall in ihrer Stadt aufgetaucht ist. Also beachtet man sie gar nicht, ausser man will ein Geschäft mit ihnen machen. Und davon gibt es einige.

Darunter auch das Geschäft mit dem Geld.

Bankbeamte und andere Schlitzohren

Die Freundlichkeit und Zurückhaltung gilt allerdings nicht überall. Zum Beispiel dann, wenn unbedarfte Ausländer, denen man offenbar jede Intelligenz abspricht, vor dem Bankschalter stehen und Geld wechseln möchten.

Man betritt also als Kunde eine Bank, um Dollars in Afghanis zu wechseln. An sich eine einfache Geschichte, die man kennt. Nicht so hier in Herat (und sämtlichen zukünftigen Orten in diesem Land ebenfalls). Der Beamte, mit abweisendem grimmigem Gesichtsausdruck, als hätte er etwas Schlechtes gegessen, rechnet den entsprechenden Betrag aus und zählt die Scheine in Afghani auf den Tresen.

Während der Wartezeit – die Warteschlange ist lang – hat man Gelegenheit, seine Tricks zu beobachten, die zwar plumper nicht sein könnten, aber trotzdem funktionieren. Beim Herauszählen irrt er sich und zwar immer zu seinen Gunsten.

Eigentlich ist die Lösung ganz einfach. Man nimmt das Paket Noten – es sind viele – entgegen und zählt sie vor den Augen des Beamten nochmals durch, ganz langsam natürlich. Die ärgerlichen Blicke des Bankbeamten sagen alles. Denn der Betrag stimmt nicht. Es fehlen Noten, nicht viele, aber trotzdem.

Man gibt also das Bündel Noten zurück, er zählt grimmig ein zweites Mal, legt ein paar Noten hinzu. Und diesmal stimmt es. Zumindest fast. Aber der Sieg ist so überwältigend, dass man grosszügig über den kleinen Betrag, der immer noch fehlt, hinwegsieht und sich ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen kann.

Soviel zu diesen unnötigen Kleinkriegen. Man muss sie mitmachen, ob man will oder nicht.

Feilschen und Tee trinken

Aber schliesslich sind wir hier im Orient, wo kein Produkt, und sei es nur eine Handvoll Äpfel, keine Dienstleistung, einen festen Preis hat. Wo alles und jedes zuerst ausgehandelt werden muss. Und damit muss man sich als Europäer, gewohnt an feste Regeln und Preise, zuerst anfreunden. Auf jeden Fall dauert es seine Zeit, bis man die innere Blockade überwindet und selbst zum professionellen Feilscher wird.

Natürlich sind auch die Strassenhändler Schlitzohren, die sich niemals eine Gelegenheit entgehen lassen, einen Kunden übers Ohr zu hauen. Doch das geschieht mit einer gewissen verschmitzten Lässigkeit.

Und so findet man sich plötzlich auf dem Boden sitzend und Tee trinkend, während der orientalische Teppichhandel in die nächste Phase geht. Wenn die Händler nämlich merken, dass man ein harter Verhandlungspartner ist und nicht den erstbesten, viel zu hoch angesetzten Preis akzeptiert, dann beginnt das wirkliche Spiel, dessen Ausgang von Anfang an klar ist.

Das schlaue Grinsen im Gesicht zeigt, dass am Ende zwar immer der Händler gewinnt, man dem Kunden aber den Anschein vermitteln will, dass er gewonnen hat. Schliesslich soll er wiederkommen.

Dem sagt man wahrscheinlich die Psychologie der alltäglichen Wirklichkei

So geht der Tag vorüber, man möchte bleiben, eintauchen in die Seele dieses seltsamen Ortes, der soviel auslöst. Aber wir müssen weiter, bis Kabul sind es über 1000 Kilometer durch Wüste und Einöde. Immerhin tröstet uns der Gedanke, dass wir uns auf dem Heimweg wiedersehen werden.

Song von 1974: Supertramp – Crime of the Century

Und hier geht der Trail weiter … in der afghanischen Wüste

 

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