“Fahre in die Welt hinaus. Sie ist fantastischer als jeder Traum.” – Ray Bradbury

Ray Bradbury, einer meiner liebsten SF-Schriftsteller. „Fahrenheit 452“ oder die „Mars-Chroniken“, wunderbare Geschichten voller Weisheit. Und offenbar hat er auch ein paar davon in fremden Ländern gefunden. Wir sind ihm dankbar für seine Einsichten.

Und wir müssen ihm recht geben. Die Umgebung als tatsächlich fantastischer als ein Traum. Manchmal ist es ein guter, ein schöner Traum, manchmal so schlimm, dass man noch lange daran erinnert wird.

Doch fangen wir mit den guten und schönen Träumen an. Beispielsweise mit den wahrlich traumhaften Tempeln, den verzierten Fenstern, den Gebetsmühlen, an denen die Gläubigen drehen.

Manchmal bleibt man stehen, man darf nicht acht- oder ahnungslos vorbeigehen. Und so staunt man alle paar Meter, blickt hinauf auf die mehrstufigen Dächer, wo sich Tauben und anderes Gefieder tummelt. So viel Schönheit, die dem Untergang geweiht ist, denn Schönheit, vor allem von Menschenhand geschaffen, wird immer vergehen.

Sehr alt sind sie, die mehrstöckigen Pagoden, und ebenso die verzierten Balkone und Fenster. Wir sind einmal mehr unterwegs, manchmal mit müden Beinen, die ewige Fahrerei hat uns die Muskelkraft genommen. Aber es gibt ja nicht nur sehenswerte Gebäude zu erkunden, sondern auch Restaurants oder Bars einen Besuch abzustatten.

Heiligabend

Es erstaunt wenig, dass das buddhistische Land bezüglich Weihnachten wenig zu bieten hat. Eigentlich gar nichts, und das ist für einmal sehr entspannend. Während also in der westlichen Welt die letzten Geschenke gesucht, die letzten Nerven ruiniert werden, und sich am Abend bei trautem Kerzenlicht die hoffentlich erbauliche Weihnachtsstimmung einstellt, wähnen wir uns hier in Kathmandu im weihnachtslosen Paradies.

Es soll sogar unter den heimatgeflüchteten Hippies solche geben, die zum ersten Mal Heimweh verspüren. Das betrifft uns allerdings nicht im geringsten, es kommt uns eher vor, dass der rummellose Heilige Abend an diesem Tag zwar nicht heilig, dafür ausserordentlich ruhig und entspannt ist.

Nun denn, anstelle Prosecco oder Eierlikör (?) oder teurem Wein genehmigen wir uns einen Baccardi-Cola, der an diesem besonderen Tag auch besonders gut schmeckt, allerdings infolge mehrmonatigem Alkoholentzug schnelle Wirkung zeigt. Auf jeden Fall scheint uns die Anziehungskraft des wohlig warmen Schlafsacks im Camp eine wesentlich grössere Versuchung darzustellen als alle Christbäume der Welt zusammen …

„Stille Nacht, heilige Nacht …“

Das Dasain-Fest

Allerdings gibt es eine Art Ersatz-Weihnachtsfest, das Dasain Fest (von dem wir aber erst viel später erfahren werden, wie so vieles andere auch).

Dashain ist ein mehrtägiges Fest in Nepal, bei dem der Sieg des Guten über das Böse, des Lichts über die Dunkelheit und der Weisheit über die Unwissenheit gefeiert wird. Dazu gehören Musik, Spiele, Feste und religiöse Traditionen.

Nach 15 Tagen voller Rituale und Gebete kommt der Höhepunkt des Festivals mit der Tika-Zeremonie. An diesem Tag segnen die Älteren die Jüngeren, indem sie ihnen Tika (eine Mischung aus Joghurt, Reis und Farbe) auf die Stirn geben und Jamara (geheiligtes Gras) hinter die Ohren stecken. Dies symbolisiert Schutz, Wohlstand und das beste Wünschen für das kommende Jahr.

Kafka auf dem Postamt

Der Draht zur Heimat ist noch nicht gerissen, alle paar Wochen gelangt ein Gruss zu uns, dessen Inhalt uns manchmal mehr als exotisch erscheint. Wahrscheinlich sind wir schon zu lange weg, um das Glück eines neuen Eigenheims oder einer baldigen Verlobung zu verstehen. Oder dass Clay Regazzoni an der Formel1-Weltmeisterschaft zweiter geworden ist.

Was viel interessanter sind die Wege der Herrn, die ein Brief manchmal nehmen muss auf dem langen und kurvenreichen Weg nach Asien. Manche Sendungen verschwinden irgendwo in den Katakomben indischer Postämter, und erst viel später wird ihre Existenz nachgewiesen. Andere kommen erfreulicherweise und einigermassen überraschend an. Man stellt sich ja vor, dass man wie bei uns aufs Postamt oder zum American Express Büro geht und sich nach angekommener Post erkundigt.

Dies geschieht hier allerdings etwas anders.

Der verantwortliche Beamte wird nämlich erst mal das Gesicht verziehen, und wenn alles Glück dieser Welt lacht, wird er nach kurzer Zeit mit dem gewünschten Brief auftauchen.

Das ist allerdings die Ausnahme. In anderen Fällen wird man höflichst gebeten, das Dokument doch bitte selbst zu suchen. Man wird in ein fensterloses Zimmer geführt, auf dessen Tischen (oder auch am Boden) sich hunderte, wenn nicht tausende Briefe, Karten, Pakete stapeln. Der Beamte verlässt das Zimmer, ein ziemlich hinterhältiges Grinsen im Gesicht.

Das Wunder ist, dass man nach einiger Zeit tatsächlich das Gesuchte findet …

Alltag

Man könnte fast sagen, dass nach ein paar Tagen so etwas wie Alltag eingekehrt ist. Ist das ein Zeichen dafür, dass wir angekommen sind? Dass wir Teil einer Gemeinschaft geworden sind? Es fehlt nur noch eine etwas komfortablere Unterkunft, eine sinnvolle Arbeit, ein Anzug, eine schöne Wohnung, ein Auto, dann gehörten wir definitiv dazu.

Ein seltsamer Gedanke.

Aber die Tage haben tatsächlich ihren Rhythmus gefunden. Eigentlich erstaunlich, dass man sich selbst im Urlaub, dem Symbol für Freiheit und Ungezwungenheit, plötzlich in einer gewissen Struktur wiederfindet. Es scheint in der Natur des Menschen zu liegen, sich einem mehr oder weniger festen Rhythmus zu unterwerfen. Allzu häufige Veränderungen sind weder dem Geist noch dem Körper zuträglich.Mit anderen Worten: Lange Reisen erfordern Pausen, in denen sich das System regenerieren kann.

Unser neuer Alltag ist jedoch nicht banal, belanglos oder langweilig. Wie gesagt, das Exotische bleibt exotisch, aber man tut das, was man schon immer getan hat. Man schlendert durch die Stadt, man kauft ein, man diskutiert oder schweigt, man leidet unter Sonnenbrand oder Schnupfen, man liest gute oder weniger gute Literatur, man lernt neue Freunde kennen, man freut sich, man ärgert sich Ganz wie zu Hause, aber genau das brauchen wir nach all den aufregenden und anstrengenden Wochen. Einfach ein bisschen Normalität.

Und wenn wirklich mal Abwechslung nötig ist, gibt es ja immer noch den Wagen, der gelegentlich betreut werden muss. Ich muss mit ein klein wenig Stolz vermelden, dass meine Kenntnisse und Erfahrungen zwischenzeitlich besser geworden sind, nicht viel, aber doch ein bisschen.

Ich werde mich allerdings hüten, meine Abenteuer mit einem Ding namens Fettpresse zum Besten zu geben. Nur soviel – erfahrene Mechaniker würden sich totlachen, also legen wir den Mantel des Schweigens darüber.

Der Herr der Ringe

Apropos Literatur – die begrenzten Platzverhältnisse im VW-Bus verweigern das Mitnehmen von Büchern oder allerhöchstens ein paar wenige. Aber es gibt Lösungen, beispielsweise in Form von Buchhandlungen oder Tauschbörsen.

Und wer hätte gedacht, dass sich bei einem dieser Besuche der erste Band einer Trilogie finden lässt, der eine lebenslange Liebesgeschichte entfacht. Der Titel ist mir als Möchtegern-Hippie natürlich bekannt, ein Must-Read sozusagen, also greife ich zu. Der Band ist auf deutsch, offenbar die Hinterlassenschaft eines deutschen Touristen und nennt sich „Die Gefährten“.

Es ist der erste Teil des „Herrn der Ringe“.

Und jetzt beginnt das, was ich ein überwältigendes Erlebnis nennen möchte, oder schlicht – ich bin hin und weg. Der Anfang ist zwar etwas zäh, man muss sich durch Abschnitte kämpfen, wo es vor allem um Pfeifentabak geht. Aber nachher geht die Post ab …

Und was jetzt folgt, ist eine Odysee, nämlich die wochen- und monatelange Suche nach Band zwei und drei.

Ich werde darauf zurückkommen …

Kalt und warm

Der tägliche Wechsel von kalten und warmen Temperaturen führt zwangsläufig zu Erkältungen, die nicht von schlechten Eltern sind. Ein Abend in der Stadt mit Fieber und erhöhtem Puls und allem anderen, was zu einer gehörigen Erkältung sorgt, ist also nicht zu empfehlen. Vor allem nicht in einem Restaurant, wo man auch noch stundenlang Gas aus defekten Lampen einatmet.

Es ist der Besuch in den untersten Ebenen der Vorhölle.

Der Heimweg gestaltet sich dementsprechend schwierig: man kann sich kaum auf den Beinen halten und torkelt wie ein Betrunkener mit steifen Knie und schlotternden Gelenken durch die Gassen Kathmandus dem Zeltplatz zu.

Mit anderen Worten: man vermeide solche Abenteuer und ziehe den warmen Schlafsack und ein paar Tassen Tee vor. 

Alles in allem nicht das, was man sich unter einem wohlverdienten Urlaub vorstellt … An solchen Tagen werden den Hippies sämtliche Flausen ausgetrieben. Kann es sein, dass sie sich dann nach Hause sehnen? Aber lassen wir das …

 

Passender Song von 1974 (der letzte):  Hawkwind – The Psychodelic Warlords

Und hier geht der Trail weiter (oder auch nicht)

 

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