Nicht mehr vorwärts …

... nur noch zurück. Delhi ist keine Eroberung mehr, sondern ein Besuch bei einem alten Bekannten. Der Campingplatz ist voll, jetzt stehen Bus an Bus andere Welteroberer auf der Wiese. Und anders als beim ersten Mal stehen wir im Mittelpunkt, die Rückkehrer, die alles hinter sich haben, wovon die meisten noch träumen. Man will wissen, was uns im Osten erwartet, die Straßen, die Unterkünfte, die Gefahren und alles andere.

Wir haben in der Tat viel hinter uns, fühlen uns manchmal ein wenig wie triumphierende Sieger. So viel Schönes, so viel Trauriges. Was machen wir damit? Bringt es uns weiter, macht es uns reifer, jetzt, da wir die Welt gesehen haben, wie sie ist und nicht, wie wir sie uns vorgestellt haben? Oder werden wir über kurz oder lang alles vergessen? Sind wir nur Voyeure, unfähig, tiefer zu graben, unwillig, nicht nur zu sehen, sondern auch zu verstehen? Viele Fragen bleiben offen, wir nehmen sie mit nach Hause.

Seltsame Gedanken, ausgelöst durch die wehmütige Erkenntnis, dass es nicht mehr vorwärts geht, nur noch rückwärts.

Ambassadoren und TukTuks

Und so lassen wir uns, wie es sich gehört, in einem TukTuk durch die Stadt kutschieren und staunen über die schwarz-gelben Taxis der Marke Ambassador. Man sieht sie überall, sie sind für die Ewigkeit gemacht, sie ertragen und erleiden die schlimmsten Straßen, den dichtesten Verkehr, man kann sich nicht vorstellen, dass sie jemals eine Panne haben, sie sind einfach da und fahren. Oder auch nicht.

Und ja, auf jeden Fall für immer, denn auch beim nächsten Besuch in Delhi, viele Jahre später, sind sie immer noch da. Nicht mehr so oft, aber Totgeglaubte leben bekanntlich länger.

Wir haben unsere alten Freunde Beatrice und Ruedi wieder getroffen, die eine Hälfte der Fellowship of the Hippies ist wieder vereint. Wir werden den Rückweg gemeinsam antreten, mal sehen, wie weit uns der Weg führt…

Und TukTuk-Fahrten, was soll ich sagen, die gehören zu Asien wie Wasserbüffel, heilige Männer oder scharfes Essen. Man steigt ein, betet zu den indischen Göttern um Schutz und Beistand, dann röhrt der 2-Takt-Ottomotor los, und den Rest lässt man über sich ergehen. Man liebt sie oder man hasst sie, manche haben Angst. Vor der Gefahr, vor der schlechten Luft (als ob die im Taxi besser wäre), vor den waghalsigen Manövern der meist jungen Fahrer.

Unfälle mit TukTuks gibt es seltsamerweise kaum. Die Fahrer sind es gewohnt, auch im schlimmsten Stau noch eine Lücke zu finden, und wenn nicht, wird schon mal der Bürgersteig als Ausweichroute genutzt, was den einen oder anderen Händler oder Fußgänger zu Wutausbrüchen veranlasst. Der Fahrer lacht, die Fahrgäste wundern sich.

Daily Life in Delhi

Jetzt, wo keine Hektik mehr herrscht, genießen wir ein letztes Mal diese verrückte Stadt und entdecken abseits der Hauptstraßen ein anderes Leben, das Daily Life in Delhi. Es findet überall statt, auch dort, wo man es nicht vermuten würde. Ganze Familien leben auf dem Bürgersteig, ihre wenigen Habseligkeiten auf dem Boden ausgebreitet. Kinder, überall Kinder, viele schmutzig, mit dünnen Ärmchen.

Man erinnert sich an frühere Aussagen, dass es in Indien keine Grauzonen gibt, nur schwarz oder weiß, man liebt es oder hasst es. Ein unerträglicher Kulturschock für viele, sie fliehen zurück in ihr ruhiges, sicheres Leben, wo niemand auf dem Trottoir lebt, wo man sich keine Gedanken über Armut und Leid machen muss.

The Two Towers

Wir erinnern uns: Der erste Band der Herr der Ringe-Trilogie in Kathmandu, aber weder der zweite noch der dritte Band waren auffindbar. Also ein neuer Versuch in Delhi, der Stadt der Kultur, der Stadt der Bücher. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn ich hier nicht die Folgebände finden würde.

Nun ja, es gibt unzählige Buchhandlungen, zum Teil sehr gut ausgestattet mit westlicher Literatur, aber Herr der Ringe? „Sorry, keine Hobbits!“, erklärt mir der nette ältere Herr im Buchladen und verweist auf die Straßenhändler, die angeblich seltene Bücher im Angebot haben. Straßenhändler? Herr der Ringe? Wohl kaum.

Aber eine Stunde später könnte ich ihn umarmen, denn in meinen Händen halte ich – „The Two Towers“, den zweiten Band der Trilogie (und ja, meine Damen und Herren, ich besitze ihn immer noch).

Aber wo zum Teufel finde ich „Die Rückkehr des Königs“?

Musik oder keine

Es scheint, dass, sobald man sich auf dem Heimweg befindet, alte Bedürfnisse, die monatelang keine große Bedeutung hatten, wieder auftauchen. Zum Beispiel das Bedürfnis nach musikalischer Unterhaltung. Ein mit viel Mühe am Armaturenbrett befestigter Kassettenspieler und eine Vielzahl bespielter Kassetten würden zum gewünschten Sound beitragen (die jeweiligen Songs am Ende der Beiträge sind Beispiele dafür) und uns während der Fahrt den Rock- und Pophimmel vorgaukeln.

Weit gefehlt, denn wer sich an Kassettenspieler erinnert, weiß, wie schnell sich die Bänder bei Vibrationen verheddern. Und genau das passiert jetzt bei unseren weiß Gott rüttelnden und schüttelnden Fahrten. Während wir also für ein paar Minuten lauthals mitsingen und endlich mal andere, vertrautere Klänge hören, dauert es nicht lange, bis das Gerät oder die Kassette den Geist aufgibt. Und die Möglichkeit, uns während der Pausen zu beschallen, führt zu einem weiteren Problem, nämlich der ohnehin schon schwachen Batterie unseres Busses.

Kurzum – keine Musik.

Aber der Tag ist entspannt. Man kauft ein und bewundert die Einkäufe. Oder man wäscht sich die Haare. Die Freude am Nichtstun ist größer denn je…

Nordwärts

Doch dann verabschieden wir uns endgültig, tauchen ein letztes Mal in den Verkehr ein, ärgern uns hoffentlich ein letztes Mal über unmögliche Verkehrsteilnehmer und blicken zurück auf diese verrückte Stadt, die für manche der Himmel, für viele die Hölle ist. Man kann verrückt werden.

Bei Wagah überqueren wir die Grenze nach Pakistan, bye-bye Indien. Du hast uns alles gezeigt, was diese fremde Welt zu bieten hat. Wir werden es nie vergessen. Heute, mehr als fünfzig Jahre später, ist es kaum noch vorstellbar, was uns damals durch den Kopf ging. Indien – einmal und nie wieder!

 

Passender Song von 1975:  Black Sabbath – Am I going insane?

Und hier geht der Trail weiter – nordwärts durch Pakistan

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