Kann es sein, dass wir erst kurze Zeit unterwegs sind und bereits einen Rückstand auf unsere provisorische Marschtabelle haben? Wenn das so weiter geht …

Aber wir sind zu unserem Glück nicht pressiert, wir haben Zeit im Überfluss. Wen interessiert es schon, ob wir ein paar Tage oder Wochen früher oder später in Indien eintreffen. Und Indien ist noch eine Vision, etwas Unwirkliches, das es wahrscheinlich gibt, wir aber erst mit Sicherheit wissen werden, wenn wir dort sind.

Also lassen wir das Haareraufen und fahren einfach weiter. Heute, wenn alles gut geht, überqueren wir immerhin schon die Grenze nach Jugoslawien, und hallo, schon die zweite Grenze.

Unser geliebter und gehasster VW-Bus

Eigentlich wollten wir unserem Vehikel, das uns bereits sagenhafte Probleme bereitet hat, einen Namen geben. Na ja, wir lassen das lieber, vielleicht wäre er beleidigt, wenn wir ihn August oder Franz oder Hans taufen würden.

Wir sind heute ganz zufrieden mit ihm, er läuft wie aus einem Guss.

Meint er es ehrlich, oder ist es nur Vorspielung falscher Tatsachen? Dass wir bereits nach so kurzer Zeit misstrauisch geworden sind und dem Frieden nicht recht trauen, ist verständlich, aber warten wir’s mal ab. Der alte Herr will uns offenbar beweisen, dass er durchaus in der Lage ist, uns in weit entfernte Länder zu bringen.

Hier eine kurze Übersicht über unser mobiles Heim, unser Schlafplatz, unsere Küche, unser Wohnzimmer, unser Fortbewegungsmittel, unsere Zuflucht vor Kälte und Hitze und aufdringlichen Leuten und tiefer dunkler Nacht.

Das besondere Highlight – die Küche. Da es bei älteren Versionen des VW-Bus noch keine Schiebetür gegeben hat, wird die Seitentür gegen aussen aufgezogen und eignet sich damit perfekt, um an der Innenseite die Küche anzubringen. Mit allem, was dazu gehört – Kochplatten, Pfannen, Reinigungsmittel, Küchenutensilien etc. Manchmal scheppert was, aber das ist ein permanentes Geräusch mit vielen anderen zusammen, die den Sound unseres Wohnmobils ausmachen. Das hängt mit den Kästen zusammen, wo sich der restliche Hausrat befindet.

Es gibt einen Tisch, der aufgeklappt werden kann und zwei Sitzgelegenheiten mit Polstern natürlich. Das Bett mit der Matratze ist wie erwähnt ausziehbar, während des Tages verschwunden, vor dem Zubettgehen in ausgezogenem Zustand Tisch und Bänke überdeckend.

Die Führerkabine ist in mehr oder weniger Standardzustand, ausser meinem Sitz, der besonders gut gepolstert ist. Und irgendwo hinten, wo die Heckklappe geöffnet werden kann, verbirgt sich alles, von Lebensmitteln über Benzin und Werkzeugen und weiss der Kuckuck was alles.

Und auf dem Dach – Ersatzreifen und anderes, was keinen Platz im Inneren hat. Worauf wir besonders stolz sind: wir haben uns für den berüchtigten Osten der Türkei, wo sich Jugendliche einen Spass daraus machen, die vorbeifahrenden fermdländischen Autos mit Steinen zu bewerfen, ein Schutzgitter erstellen lassen, das man bei Bedarf vor der Frontscheibe Installieren kann. Ob wir das Ding je brauchen werden, liegt in den Sternen.

Alles in allem – keine Luxuskarosse, aber wir fühlen uns sehr wohl, ausser, wenn der wagen wieder mal zeigen will, wer der Herr im Hause ist …

Triest und die Suche nach Karten

Anyway, am Mittag erreichen wir Triest. Ich weiss ehrlich gesagt nicht allzu viel darüber, ausser dass James Joyce einige Zeit hier verbracht hat (wenn ich mich recht erinnere, eine unglückliche Zeit). Es stellt sich zum ersten Mal das Problem, das uns die ganze Reise begleiten wird. Soll man Zeit an Orten verbringen, wo es uns gefällt, oder reisen wir weiter, etwas ungeduldig, etwas atemlos?

Triest
Triest

Triest ist das erste Opfer. Vielleicht ein anders Mal …

Wir essen zwar noch einen Happen (wer weiss, wann wir das nächste Mal qualitativ hochstehendes Essen geniessen können, die jugoslawische Kost im Vergleich zur italienischen? Na ja …).

Vor allem irren wir durch die Stadt in der verzweifelten Suche nach Strassenkarten, die wir wie bereits erwähnt zuhause vergessen haben.

Natürlich wird jede Menge Strassenkarten angeboten, nach Österreich, Frankreich, ins Friaul oder die Toscana, aber Indien? Fehlanzeige. Keinen Meter über Europa hinaus. Wer in Triest interessiert sich schon für eine Landkarte nach Indien? Una cosa così stupida. Man sollte es nicht für möglich halten,

Also fahren wir weiter, hoffen auf Istanbul. Und Läden mit Strassenkarten.

Ein anderer Trail

Erstaunlicherweise bringen wir auch die zweite Grenze ohne Probleme hinter uns, Jugoslawien heisst uns zwar nicht unbedingt mit offenen Armen willkommen, die Zollbeamten schauen ziemlich griesgrämig, als hätten wir ihre wohlverdiente Mittagspause gestört.

Egal. Aber einige Unterschiede sind schnell spürbar, vor allem die Qualität und der Zustand der Strassen. Sie geben uns einen ersten Vorgeschmack auf Kommendes.

Wir brauchen nicht lange zu warten. Nach der Einmündung der Hauptverkehrsader von Österreich her, werden wir mit dem Phänomen konfrontiert, das wir aus den Medien zwar kennen, aber erst jetzt am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet.

Eine unendlich lange Lastwagenkolonne aus tausenden von Trucks aus aller Herren Länder ist auf dem Weg nach Osten. Seit der Schah von Persien die Modernisierung seines Landes in Auftrag gegeben hat, bedeutet der Iran für Europa das gelobte Land, und jeder will sich ein Stück des Kuchens abschneiden.

Die meisten Lastwagen scheinen pressiert zu sein und fahren entsprechend wie die Idioten. Auf den schmalen und schlechten Strassen durch Jugoslawien eine grenzwertige Geschichte, vor allem weil auch der übrige Verkehr sich nicht lumpen lässt und das gefährliche Spiel mitmacht.

Man ist also gezwungen, für jeden, ob hinten oder vorne fahrend, mitzudenken, von den entgegenkommenden Fahrzeugen ganz zu schweigen. Alle paar Minuten prescht einer an den dümmsten Orten an den Kolonnen vorbei, immer gerade noch rechtzeitig, um einen Crash zu vermeiden.

Das scheint allerdings nicht in jedem Fall gutzugehen, denn jeder Unfall mit Todesfolgen wird mit der jeweiligen Anzahl Kreuzen am Strassenrand deklariert. Da kann man schon mal ein mulmiges Gefühl kriegen.

Ein entgegenkommendes Fahrzeug schiesst den Vogel ab. Er fährt doch tatsächlich mit brennenden Reifen qualmend und stinkend an uns vorbei. Es scheint niemanden zu stören.

Nicht die einzigen Indienfahrer

Immerhin geschieht nach all den Aufregungen des Verkehrs etwas Erfreuliches: Ein VW-Bus mit deutschen Kontrollschildern überholt uns, und wir fahren ein Stück weit Seite an Seite. Dabei stellt sich heraus, dass die beiden auch nach Indien unterwegs sind. Heureka! Wir sind nicht die einzigen.

Und schon fühlen wir uns mit jemandem verbunden, auch wenn wir nur das gleiche, im Moment noch unendlich weit entfernte Ziel haben.

Der Tag ist lang und nervenaufreibend.

Jugoslawien macht sich rar, ausser trübem Wetter, schlechten Strassen und viel Verkehr bekommen wir nicht viel mit. Der Blick ist auf der Strasse, alles daneben verschwindet, wird unsichtbar, spielt keine Rolle. Nichts daran ist schlecht, es ist einfach so, wie es ist. Jugoslawien gibt einfach einen ersten Vorgeschmack auf das, was auf uns wartet.

Es könnte ja gut sein, dass wir irgendwann mit Wehmut an diesen Tag und diese Strassen zurückdenken.

Trotzdem entscheiden wir uns für einen frühen Feierabend, suchen einen Übernachtungsplatz auf einer Wiese und während auf der nahen Strasse der Wahnsinn die ganze Nacht weitergeht, träumen wir von brennenden Reifen und Monstertrucks, die uns von allen Seiten bedrohen, aber auch vom Meer, das näher kommt, von Frühstück am Strand, von weissen Yachten auf dem glitzernden Wasser …

Hoffen wir auf einen schöneren Tag.

Selbstmordstrassen

Manchmal ist es besser, Unangenehmes möglichst schnell hinter sich zu lassen.

Das ist unser heutiges Mantra. Nach dem gestrigen Tag gilt es, dieses auf Teufel komm raus Land mit Bleifuss auf dem Gaspedal zu durchqueren, nicht rechts oder links zu sehen, einfach nur zu fahren und auf möglichst wenige Probleme zu hoffen.

Ein Wort zum damaligen Jugoslawien.

Das Land war zu dieser Zeit noch ein Vielvölkerstaat, ein seltsames Gebräu aus unterschiedlichen Ethnien, Religionen, Kulturen, einzig zusammengehalten durch die eiserne Faust von Martschall Tito. Man stelle sich vor, die heutigen selbständigen Staaten Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien und Kosovo, damals noch einander mehr oder weniger freundschaftlich zugetan, waren in einem einzigen Staat vereint.

Doch im Untergrund döste eine Zeitbombe still vor sich hin, auf den richtigen Zeitpunkt wartend, und dieser kam mit dem Tod Titos, der das fragile Gefüge nachhaltig veränderte bzw. in mörderischen Kriegen zum Einsturz brachte. Im Nachhinein erkannte man, dass man es hätte wissen müssen.

Heute ist einigermassen Ruhe eingekehrt, und für die gleiche Strecke würde man nmehrere Länder durchqueren.

Der Verkehr lässt nicht nach. Es scheint, dass jedes, wirklich jedes Vehikel mit vier Rädern und einer Ladefläche auf dem Weg in den Iran ist. Man erkennt die Kennzeichen so ziemlich jedes europäischen Landes, sogar das Kennzeichen von Liechtenstein.

Was wird ihnen der Schah abkaufen? Liechtensteiner Spezialitäten? Käsknöpfle mit Apfelmus, Rheintaler Ribelmais?

Rätsel über Rätsel.

Trucks to Iran 3  Trucks to Iran

Und so fahren wir weiter, immer weiter Richtung Süden, manchmal euphorisiert und glücklich, dann wieder still und nachdenklich, denn in schwachen Momenten wird uns klar, auf was wir uns eingelassen haben. Die Strasse vor uns, ob in schlechtem Zustand wie jetzt oder vielleicht unbefahrbar wie in Zukunft, ist unsere Richtschnur, an ihr entlang finden wir unseren Weg ins Ungewisse.

Wir haben uns schnell an das Fahren gewöhnt, allerdings muss man sich vorstellen, dass es damals noch kein Gurtenobligatorium gab und man es sich also ohne Angst vor allfälligen Bremsmanövern geschweige denn Kollisionen auf den Sitzen bequem machte (Monika im Schneidersitz, was aus heutiger Sicht suizidal erscheint). Der untenstehende Abschnitt gibt Einsicht in das, was tatsächlich hätte passieren können.

Aber lassen wir das, andere Zeiten, andere Sitten.

Kränze für die Toten

Wenn es einen Beweis für die Gefährlichkeit der Strasse gibt, so sind es die Kränze, die an den Strassenrändern auf Unfälle mit tödlichem Ausgang hinweisen. Nicht, dass es jemanden interessieren würde, am allerwenigsten die Lastwagen, die mit unverändert hoher und gemeingefährlicher Geschwindigkeit den Strassen entlang preschen.

So wird für jeden Toten ein makabres und ziemlich verstörendes Zeichen hinterlassen. Zwei Kränze, drei, vier, der Tagesrekord liegt bei sechs (!) Kränzen. Sechs Kränze. Sechs Tote bei einem einzigen Unfall.

Und jeder sieht die Kränze, macht sich seine Gedanken oder auch nicht, und fährt weiter. So schnell wie möglich. Vielleicht ist es eine Art Wettrennen. Vielleicht sind die Lieferungen nicht vertraglich besiegelt, vielleicht gilt first come, first served. Den Letzten beissen die Hunde, also vorwärts.

Irgendwie pervers. Aber überrascht uns das?

Nicht wirklich.

Das einzige, was uns überrascht, ist die Tatsache, dass es nicht viel mehr Unfälle gibt. Spielt hier der Zufall eine Rolle oder einfach Glück? Wir wissen es nicht und wollen es auch nicht wissen. Alles, was zählt, ist möglichst schnell aus dieser irdischen Hölle zu kommen. Je näher wir der bulgarischen Grenze kommen, desto näher sind wir dem Glück.

Und tatsächlich, in Nis, nahe der bulgarischen Grenze, biegen die Lastwagen ab, es wird schlagartig friedlich. Die Route über Bulgarien in die Türkei ist offenbar kürzer und schneller, also verschwinden die Trucks in dunkelblauen Dieselschwaden auf hoffentlich Nimmerwiedersehen. Good Luck!

Und doch wieder der Motor

Unser Wagen, die letzten Stunden in durchaus befriedigendem Zustand, scheint uns daran erinnern zu wollen, dass nichts, aber auch gar nichts so ist, wie es scheint.

Es ist nicht nur so, dass wir Benzin in geradezu erschreckender Menge verbrauchen. Man hat sich ja ungefähre Vorstellungen über den Verbrauch gemacht, dazu dienen Statistiken, durchschnittliche Verbrauchswerte des Herstellers. Aber eben, unser Vehikel ist durch den seltsamen Aufbau alles andere als stromlinienförmig. Man könnte sagen, der viereckige Dachaufbau (eine wirklich blödsinnige Idee) führt jede Aerodynamik ad absurdum.

Wenn es nur das Benzin wäre, könnten wir uns, etwas zähneknirschend zwar, in das unvermeidliche Schicksal fügen, aber was viel schlimmer ist, wir müssen jeden Tag einen Liter Oel nachfüllen.

Einen ganzen Liter Oel pro Tag?

Dies bedeutet, dass unser Notvorrat an Oel, der eigentlich für ganz andere Gegenden gedacht war, bereits aufgebraucht ist. Meine Kenntnisse über die Zusammenhänge eines Verbrennungsmotors sind wie erwähnt bescheiden, aber da kommen doch langsam Begriffe wie defekte Dichtungen, kaputte Kolbenringe etc. ins Spiel, die sich als kleine bösartige Teufelchen ins Unterbewusstsein einnisten.

Was sagte der gute Mann bei der Überprüfung des Motors: „Mit diesem Vehikel würde ich nicht mal nach Liechtenstein ins Ausland fahren.“

Langsam dämmert es auch den einfachsten Gemütern, dass er recht hatte. Das kann ja heiter werden.

Aber was soll’s, einfache Gemüter schlagen die bösen Gedanken beiseite und denken an morgen, an Griechenland, an das blaue Meer. Wir übernachten vor einem einsamen Hotel, vielleicht leer, vielleicht nur von Geistern bewohnt, aber sie lassen uns in Frieden, wachen über unseren friedlichen Schlaf.

Wenigsten schlafen kann man sehr gut in diesem Land, das ist doch immerhin etwas …

 

Und wie immer, der Sound zur Epoche:  Eric Clapton – I shot the Sheriff

Und hier geht die Reise weiter … nach Griechenland (vielleicht)

 

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