Es haben sich genau zwei Personen zum Morgenessen eingefunden, wie sich herausstellt ein älterer Holländer sowie ein sehr drahtig und kräftig aussehender und braungebrannter Engländer.

Der Running Man

Mit ihm komme ich ins Gespräch, und es stellt sich heraus, dass ich es mit einem ausserordentlichen Exemplar der Spezies Mensch zu tun habe. Man begegnet ihnen selten, manchmal liest man etwas in den Medien, aber wenn man sie dann in Natura vor sich hat, wow.

Er heisst Jamie Ramsay, und er ist der Running Man. Ich kann zwar nicht mehr genau an die Distanzen erinnern und die Orte, wo er überall durchgerannt ist, aber es sind tausende von Kilometern. Momentan hat er die Laufschuhe zur Seite gestellt und ist nun auf seinem Bike unterwegs, seit Monaten in Südamerika, durchschnittlich 140 km pro Tag. Eine ganz schöne Distanz, wenn man an die teilweise miserablen Strassenverhältnisse denkt (meine eigene Extremleistung liegt gerade mal bei knapp hundert Kilometern von Dietikon nach Näfels, und ich war – als Nichtvelofahrer – absolut am Ende meiner Kräfte; das nur als Vergleich).

Natürlich ist es – vor allem als Jogger – nicht möglich, am jeweiligen Abend ein Dorf oder eine Stadt zu erreichen, also schlägt er irgendwo im Niemandsland sein Zelt auf, kocht sich sein Essen und übernachtet in aller Ruhe. Ehrlich, ich könnte dem Kerl stundenlang zuhören, aber die Uhr tickt, um 10.30 fährt der Jeep in Richtung des Salzsees los.

Railway Cemetery

Es hat sich bereits eine Truppe versammelt, ein üblicher Mix wie immer: ein Latino-Ehepaar aus Houston/Texas, ein Chilene, ein junger Ami-Boy aus New York und zwei ältere Franzosen.

Der Driver nennt sich Fausto, spricht vor allem spanisch und nichts anderes und entpuppt sich auch sonst als nicht gerade idealer Fall eines Führers. Nun, mit etwas Verspätung geht’s dann doch noch los, erste Destination Railway Cemetery.

In der Ferne tauchen surreale Gebilde auf, Fremdkörper in der unberührten Landschaft, rötlich-braune Ungetüme, die ein Riese hinterlassen haben  muss. Je näher wir kommen, desto klarer werden die Umrisse der Monster.

Ein Meer an Jeeps hat sich auf dem riesigen Parkplatz versammelt, Selfie-geile Touristen quellen daraus hervor, machen sich über die traurigen Überreste vergangener Eisenbahnpracht her.

Und traurig ist es tatsächlich. In einer Ebene ohne Horizont rosten die einst prächtigen Vehikel zu hunderten vor sich hin, zum Teil noch auf den Geleisen, zum Teil daneben, und versinken langsam im Boden. Die trockene Luft verhindert ein schnelles Verrosten, und so wird es noch einige Zeit dauern, bis der Zerstörungsprozess allem ein Ende macht.

Es sind alte Züge, Lokomotiven in allen Zuständen des Verfalls, lange Züge, die man hier zur letzten Ruhe gebettet hat. Ein unendlich trauriger Anblick.

Man möchte heulen angesichts der einst so stolzen Lokomotiven, die nun ausrangiert und bestenfalls noch als Hintergrund für Fotos und Selfies dienen.

Railway Cemetery
Lange Züge bis zum Horizont
Railway Cemetery
Langsamer stetiger Verfall
Railway Cemetery 3
Man glaubt, das Rosten zu hören
Railway Cemetery 4
Nur noch Canvas für Möchtegern Künstler
Railway Cemetery 5
So unendlich traurig
Railway Cemetery 6
Tief eingesunken
Railway Cemetery 7
Kein Respekt
Railway Cemetery 8
Die letzten Stufen des Verfalls
Railway Cemetery 9
Seltsame Gebilde aus rostendem Stah

Das sind also die letzten Hinterbleibsel einer einstmals blühenden Bahnlandschaft.

Vielleicht ist eine dieser kleinen herzigen Lokomotiven diejenige, die mich 1981 aus der Atacamawüste nach La Paz brachte, vielleicht sind die Wagons dahinter diejenigen, in denen ich eine der kältesten Nächte meines Lebens verbrachte. Irgendwie stimmt mich der Gedanke wehmütig.

Aber nicht nur das. Man kann kaum eine Lokomotive oder einen Wagons finden, die nicht voll mit Graffitis und irgendwelchen dummen Sprüchen vollgekritzelt ist (so nach dem Schema„ Ken was here, „so was Bryan“, oder „Ana para siempre“).

Eine Schande und wie halt überall in diesen komischen Zeiten absolut respektlos. Die zumeist jungen Touristen klettern auf die Dächer, glotzen mit bedauernswert dummen Gesichtern aus den Fenstern und lassen sich ablichten. Dazu gehört auch, dass man sich in allerlei Posen wirft, um dann ein Selfie zu schiessen.

Tja, einmal mehr die Auswirkungen des Massentourismus (in diesem speziellen Fall auch des Individualtourismus), und einmal mehr gilt: der Mensch neigt grundsätzlich dazu, alles Schöne zu zerstören …

Railway Cemetery
Schienen, die ins Nirgendwo führen. Traurig …

Zwischenhalt auf dem Weg zum Salzsee

Dann hoffen wir doch mal, dass das eigentliche Ziel des Ausflugs weniger der Zerstörungswut der Menschen ausgesetzt ist.

Der Jeep folgt ein paar Kilometer einer überraschend guten Strasse, bevor er nach links auf eine Naturstrasse abbiegt. Zwischen Hütten haben sich wiederum zahlreiche Fahrzeuge verkeilt, die Strasse ist voll tiefer Pfützen und ringsherum Verkaufsstände, die den üblichen Kram anbieten.

Man wird für genau fünfundzwanzig Minuten in die Shoppingmeile entlassen, doch das Durcheinander macht es schwierig, vor allem dann, wenn man absolut kein Interesse daran hat, diese immer gleichen Produkte zu kaufen.

Shopping Mile Shopping Mile 2 Shopping Mile 3 Shopping Mile 4

Der grosse Salzsee von Uyuni

Der Weg zum See (von Strasse kann nicht mehr gesprochen werden) ist gelinde gesagt grauenhaft, aber nach einer halben Stunde Schüttelbecher erreichen wir das Ufer.

Stiefel werden verteilt, man kann nun mal etwas im kaum fusshohen Wasser herumplanschen. Leise Entäuschung setzt ein: das soll der wunderbare Salzsee sein, von dem alle schwärmen? Aber nein, es fängt jetzt erst richtig an.

Uyuni Saltlake
Der Salzsee – das Ufer
Uyuni Saltlake 2
Ich und der Salzsee

Einige Infos dazu: der Salar de Uyuni ist mit seinen etwas über 10’000 Quadratkilometern die grösste Salzpfanne der Welt, entspricht also ungefähr einem Viertel der Fläche der Schweiz.

Die Salzkruste kann an einzelnen Stellen bis zu dreissig Meter dick sein und erlaubt es so, dass auch Busse und Lastwagen gefahrlos darüber fahren können. Der See ist bis zu 72 Meter oder sogar mindestens 121 Meter tief. Die Salzmenge des Salar de Uyuni wird auf ungefähr zehn Milliarden Tonnen geschätzt. Jährlich werden davon etwa 25.000 Tonnen abgebaut und in die Städte transportiert.

Mit gleißender Helligkeit am Tag und sehr kalten Nächten ähnelt er äußerlich einem zugefrorenen See. Der See ist so gut wie frei von jeglicher Art von Lebewesen. Er ist Brutplatz einiger nur in Südamerika vorkommender Flamingo-Arten.

Uyuni Saltlake
Spieglungen
Uyuni Saltlake
Spieglungen
Uyuni Saltlake
Spieglungen
Uyuni Saltlake
Spieglungen

Salvador Dali

Auf diesen toten Boden, der im Wasser durchscheint und seltsame Strukturen aufweist (Sechsecke, Fünfecke wie Gartenplatten), fahren wir nun im Schritttempo hinaus. Der Horizont verschwindet langsam, die Grenze zwischen Himmel und Erde löst sich auf. Je weiter man sich hinauswagt, desto verrückter werden die Luftspieglungen. Es sind Bilder, die Salvador Dali gemalt haben könnte, fehlt eigentlich nur noch eine brennende Giraffe in der Ferne.

Uyuni Saltlake
Dalis Bilder
Uyuni Saltlake
Dali – mit Fahrzeugen in der Ferne

Ein Restaurant mitten im See

Mitten auf dem See liegt eine Art Restaurant in runder Zeltform. Es ist überraschend heiss im Inneren, so dass sich schnell der warmen Kleider entledigt. Hier werden die Kunden der verschiedenen Organisationen verpflegt. Unsere, vom Driver mitgenommene Verpflegung besteht unter anderem auch aus Lamafleisch.

Ein Genuss, den ich mir das erste und mit hoher Sicherheit das letzte Mal antun werde.

Uyuni Salt Flat
Surreal – das Restaurant mitten im See
Uyuni Salt Flat 2
Die Fahnen flattern im steifen Wind
Uyuni Salt Flat restaurant
Lunch im See-Restaurant
Uyuni Salt Flat cars
Jeeps auf dem Parkplatz vor dem Restaurant

In der flachen Ebene vor dem Restaurant liegen seltsame, wunderbar geformte Steine im Wasser.

Uyuni Salt Flat strange stones in water
Seltsame Gebilde im Wasser
Uyuni Salt Flat salt or rocks?
Steine? Salzgebilde?

Ein Unwetter droht

Die schwarzen Wolken am Horizont lassen darauf schliessen, dass ein veritabler Sturm im Anzug ist.

Die Spieglungen erhalten nun eine zusätzliche Komponente: waren sie bisher hellblau, weiss, milchig, so werden sie nun dräuenden Ungeheuern, doppelt gespiegelt auf dem See, die sich schnell nähern. Das Dach des Restaurants gerät in Bewegung, ein tosendes Knarren ertönt, einzelne Fenster werden durch die Wucht des Sturms nach innen gedrückt, zerschellen am Boden.

Aber so schnell wie es gekommen ist, verschwindet das Gewitter, Ruhe kehrt ein, nur noch das Plätschern des heftigen Regens dringt von draussen herein.

Uyuni Salt Flat
Spieglung des drohenden Unwetters
Uyuni Salt Flat
Irgendwie bedrohlich

Rückweg

Und irgendwann, nach einem weiteren Ausflug noch weiter hinaus auf die konturlose, schimmernde, seltsame Fläche kehren wir um, schweigend.

Uyuni Salt Flat
Allein und einsam
Uyuni Salt Flat
Spuren im Salz
Uyuni Salt Flat
Sogar ein Bus mitten im See

Man ist irgendwie erschlagen von den Eindrücken, die man in dieser Form und Intensität vielleicht nirgendwo sonst zu sehen kriegt …

 

Kilometerstand: 3450

Song zum Thema:  The Rolling Stones – Salt of the Earth

Und hier geht der Trip weiter … nach La Paz

 

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