Während der langen Nachtsstunden ist im Bus nur das leise, gleichmässige Summen des Motors zu hören.

Manchmal ächzt ein Sessel unter den schwerfälligen Bewegungen eines Schläfers, manchmal kaum hörbares Atmen oder Schnarchen oder Stöhnen. Der Bus zieht seine Bahn, beinahe lautlos, kontrolliert durch die (hoffentlich) wachen Augen des Chauffeurs, über Berge und Pässe, im Dunkel unsichtbar, entlang endloser weiter schnurgerader Strassen.

Tote Welt

Die ersten Schimmer des Morgens erscheinen beinahe unbemerkt. Ich ziehe den Vorhang zur Seite und schaue mit verklebten Augen aus dem Fenster. Die Nacht ist noch überall und dort, wo das erste Licht der Dämmerung hinfällt, wirkt sie noch bedrohlicher. Doch allmählich, mit dem Einbruch des Tages, verändern sich die Schatten, verblassen und vergehen.

Eine tote Welt taucht auf, menschenleer, immer noch auf gut 4000 Metern, graugrüne Hügel, aber kein Baum, kein Strauch, nur Felsen und Steine und blassgrünes Gras. Der Bus fährt schnell, windet sich durch tausend Kurven, entlang Abgründen, entlang Flüssen. Doch nirgends ein Lebenszeichen. Tote Welt, wie gesagt …

Frühstück ohne Kaffee

Es dauert aber noch eine ganze Weile, bis Unruhe einsetzt, die ersten Vorhänge zur Seite gezogen werden, dann ein Schnaufen und Husten und Räuspern. Ganz wie zuhause. Wir haben gemäss Fahrplan die erste Hälfte geschafft, doch irgendwie zeigt der Blick auf Google Maps, dass der Rest bis Lima sich noch eine ganze Strecke hinzieht. Mal sehen. Pünktlich um acht versorgt uns die nette Begleiterin mit dem Frühstück, aber – oh Gott! – kein Kaffee! Wie soll man diesen Tag überstehen?

Ich frage mich, wie oft die Dame diese hochanstrengende Aufgabe macht. Auch sie schläft in einem der Sitze ganz zuhinterst, wird aber wahrscheinlich jedes Mal geweckt, wenn jemand während der Nacht auf die Toilette geht. Ich bin sicher, dass wir nach dem Trip ziemlich geschafft sein werden, aber das Mädel macht den gleichen Trip möglicherweise kurz danach erneut, einfach in umgekehrter Richtung. Ich werde sie fragen, ob sie wie eine anständige Stewardess (das heisst zwar heute nicht mehr so) eine gewisse Ruhezeit zugebilligt erhält. Ich hege grosse Zweifel daran.

Nazca

Und so geht die Reise weiter, Google Maps zeigt den Verlauf, die Höhenanzeige die Höhe, und meine Muskeln und Knochen die angesammelte Müdigkeit. Irgendwann nach weiteren Stunden verliert der Bus an Höhe, ziemlich schnell sogar, wahrscheinlich würde man vor dem Fenster das Meer riechen. Es dauert aber noch eine ganze Weile bis dahin.

Zuerst erreichen wir Nasca, die Ebene mit den berühmten Sand-Zeichnungen, die nur aus grosser Höhe erkannt werden können und von Däniken zur Millionen-Idee inspirierten, dass Aliens ihre Hand (oder was auch immer) im Spiel gehabt haben müssen. Für mich auch die Erinnerung an einen unvergesslichen Flug mit einer Uralt-Cessna; auch diese Geschichte ist andernorts bereits erzählt worden.

Nazca - pictures from high up
Scharrbilder in Nazca

Eine braune nasse Welt

Einen Augenblick lang taucht der erschreckende Gedanke auf, ob die verheerenden Regenfälle auch diese Gegend heimgesucht haben könnten. Das wäre ein für alle Mal das Ende der Zeichnungen. Sie haben nur überlebt, weil in dieser Gegend sozusagen nie Regen fällt. Mit dem Klimawandel ist aber auch diese Sicherheit in Frage gestellt.

Die ersten Anzeichen der Regenfälle sind wiederum einige Stunden später zu sehen. Brücken führen über Bäche und Flüsse, die normalerweise wahrscheinlich kaum Wasser führen. Jetzt winden sich braune Fluten durch enge Bette oder auch mal neben ihnen durch, der Bus muss langsam fahren, auch mal anhalten, sozusagen Atem holen für die Durchfahrt über die überfluteten Strassen. Und wir sind uns bewusst, dass das hier nichts, NICHTS, im Vergleich zu dem ist, was sich nördlich Lima abspielt.

a brown desertlike plain in Peru
Braune nasse Wüste
Brown desert in Peru
Kilometer um Kilometer nichts oder fast nichts, dann ein Dorf inmitten von Wüste …
Brown desert in Peru
Mars wiedermal?
Brown desert in Peru
Nur braun und blauer Himmel

Lima

Die Stunden verdämmern, achtzehn an der Zahl sind längst vorbei, dann zwanzig, und erst als die Uhr gegen 23 Stunden zugeht, erreichen wir die Vororte von Lima.

Die Busstation liegt wie üblich am Stadtrand. Das Taxi bringt den leicht erschöpften Passagier an die angegebene Adresse, der Geist ist bereits mit Duschen, etwas Kleines essen und dann nur noch schlafen beschäftigt, da erreichen wir die Adresse, und einmal mehr, Himmelarschnochmal, ist da kein Hotel, kein Name.

Das hatten wir doch schon mal, lang ist’s her in Montevideo, auch hier nützt Läuten und Klopfen nichts, und einmal mehr bin ich dem Taxichauffeur dankbar, dass er mich an diesem ungastlichen Ort nicht einfach stehen lässt, sondern mich zu einem anderen Hotel bringt.

Es ist zwar eine Abzockerbude par excellence, der Hotelbesitzer (oder was auch immer der Kerl ist) griesgrämig, das Zimmer winzig und spartanisch und kostet trotzdem 40 Dollars. Ist mir aber sowas von schnuppe, ich will nur noch eine Dusche, etwas essen, eben …

 

Kilometerstand: 5803

Song zum Thema:  Freur – Riders in the Night

Und hier geht die Reise weiter … in den Norden Perus

 

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