Der Nachtbus nach Cartagena fährt erst um acht (wenn ich Glück habe und ein Ticket kriege).

Also bleibt mir beinahe ein ganzer Tag, um mich ein weiteres Mal der Stadt zu erfreuen. Erstes Ziel: das Museo Casa de Memoria. Es soll an die schlimmen Zeiten erinnern, als die Stadt ein Kriegsschauplatz war, einer der grausamsten zu jener Zeit.

 

La Casa de Memoria

Von aussen sieht das Gebäude bescheiden aus, beinahe versteckt zwischen den Häusern, ein langgezogener grauer Komplex, umgeben von einem Park. Der Eintritt ist frei; damit will man wahrscheinlich auch diejenigen zu einem Besuch animieren, die sich einen Eintrittspreis nicht leisten könnten.

Die Innenräume sind düster, das Licht gedämpft, die Ausstellungsobjekte sachlich und emotionslos zur Schau gestellt. Hier ist nicht das Ziel, den Besucher mit verstörenden Fotos der Opfer zu erschrecken, das ist nicht Tuol Sleng in Phnom Penh. Die Wirkung ist aber genauso eindrücklich.

Zum Beispiel werden in einem sehr dunklen Raum, wo man kaum noch den Ausgang findet, Fotos an die Wand projiziert, nicht Bilder von Toten und Ermordeten, sondern die der noch Lebenden, im Kreis ihrer Familie, mit ihren Kindern oder Eltern oder Freunden.

Zuerst sind alle Personen farbig, dann werden die Nichtbetroffenen schwarzweiss, während das Bild des Opfers farbig bliebt. Daneben steht der Name: Juan Martinez, 28 Jahre, verschollen. Pablo Jimenez, 35 Jahre, ermordet. Eindrücklich. Es ist nicht der Hammer auf den Kopf wie in Kambodscha, aber die Gefühle werden trotzdem auf sehr einfache und unmissverständliche Weise aktiviert.

 

Der Salon Malaga

Danach brauche ich einen Aufsteller, ein Kaffee mit einer Art Flan dazu ist genau das richtige. Im TV läuft eben der Final in Miami, und unser Roger, der alte Hase, ist wieder mal in Bestform und lässt seinem ewigen Rivalen Rafa Nadal keine Chance. Die junge Dame neben mir, offensichtlich eine Spanierin, is not amused, was ich mit grosser Genugtuung zur Kenntnis nehme.

Schon am Vortag ist mir ein Lokal aufgefallen. Schon von weitem ist die Musik zu hören, sie übertönt sogar das laute Durcheinander auf den Strassen. Es scheint sich um eine lokale Berühmtheit zu handeln und nennt sich Salon Malaga.

 

La Malage
La Malaga

Es ist voll von Artefakten zum Thema Tango, Musik, Tanz. An den Wänden hängen unzählige Bilder verblichener oder noch lebender Tangohelden, und auch ein grosser Teil des Publikums ist zwar noch nicht verblichen, aber nicht allzu weit davon.

Ausnahmsweise wird das Durchschnittsalter durch mich eher gesenkt als gehoben, was meinem Feel-Good-Level zu einem gehörigen Schub verhilft.

 

La Malage - dead and living Tango Heroes
La Malaga – Lebende und tote Tango Helden
There are many of them
Es gibt viele davon
Surrounded by Heroes
Umgeben von Tanz Helden

 

Die Herren bitten zum Tanz

Heute ist wieder Show angesagt (Sonntag!).

Das Lokal ist voll, die älteren Damen und noch älteren Herren haben sich bereits auf der Tanzfläche zusammengefunden, es wird zu wunderbaren, wahrscheinlich uralten Tangomelodien getanzt, geschwoft, ganz dem Rhythmus ergeben.

Ich bin hin und weg und kann gar nicht genug kriegen von diesem einmaligen Schauspiel, das es in dieser Ausprägung wahrscheinlich nur noch in Argentinien geben dürfte. Sobald die Melodie ausklingt, geleiten die Herren ihre Damen gentlemanlike zu den Tischen, während sie sich bereits nach der nächsten Dame umsehen. Unendlicher Spass.

Einige der Herren sehen so verschrumpelt aus, dass sie das Pensionsalter schon einige Zeit hinter sich gebracht haben müssen, aber tanzen, mein Gott, tanzen können die Kerle wie der Gott des Tangos persönlich.

 

Ein kleines Detail noch, was zu jedem Lokal in Kolumbien (oder auch anderswo in Südamerika) gehört: obwohl die Musik spielt und die Herrschaften tanzen, sind zwei riesige Flachbildschirme, allerdings ohne Ton, in Betrieb. Auf dem einem wird ein Fussballspiel gezeigt, auf dem anderen läuft eben „Airforce One“, ein Actionkracher mit Harrison Ford. Allerdings guckt niemand zu, was aber erwartungsgemäss kein Schwein interessiert. Ein lustiges Ländchen, dieses Kolumbien …

 

Parque de Botero

Irgendwie passt der berühmteste Künstler des Landes, Fernando Botero, zum oben gesagten. Es gibt einen Parque de Botero, wo unzählige seiner sehr eigenwilligen Figuren ausgestellt sind und für alle Foto-, Selfie- und Videofreaks der Welt zu einem beliebten Sujet geworden sind.

Wer Botero nicht kennt, der kann sich vielleicht schon mal an die voluminösen nackten Damen oder Herren, mit riesigen Ärschen und atomaren Brüsten erinnern.

 

Botero 1 Botero 2 Botero 3 Botero 4 Botero 5 Botero 6Botero 7 Botero 8

Botero 11Botero 13

 

Das Museum Botero

Das nahegelegene Museum stellt eine ganze Reihe mir unbekannter kolumbianischer Künstler ins Zentrum, allerdings ist die Etage, die sich ganz der Bilderkunst Boteros widmet, das eigentliche Highlight.

Seine Gemälde leben von der Spannung, die sich durch den Gegensatz der Üppigkeit der menschlichen Figur und der gleichzeitigen Reduktion der Details aufbaut. Auf jeden Fall ist man am Ende der Tour völlig erschlagen und hat das unbestimmte Gefühl, in den folgenden Nächten durch „die Üppigkeit der menschlichen Figur“ massiven Albträumen ausgesetzt zu sein …

 

Botero Meseum 1 Botero Meseum 2

Botero Meseum 3 Botero Meseum 4

Und so geht Medellin Part I zu Ende. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass auch der Rückweg nach Bogota hier durchführt. Allerdings mit der Erkenntnis, dass die vor mir liegende Nachtbusfahrt ein weiteres Mal in umgekehrter Richtung erlitten werden müsste. Wir werden sehen …

Einem Wiedersehen mit Medellín bin ich auf jeden Fall nicht abgeneigt.

 

Kilometerstand: 8331

Song zum Thema: The Cramps – Naked Girl falling down the Stairs

Und hier geht der Trip weiter … nach Cartagena

 

 

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