Knapp einem grandiosen Hangover entgangen, der Kopf ist einigermassen klar und bereit für die nächste Etappe. Ich schleiche durch die Korridore, es duftet nach uraltem Holz, nach abgetragenen Teppichen, nach Staub. Es kommt mir vor wie das Eintauchen in die Vergangenheit. Aber mir gefallen diese alten Gemäuer, sie hätten sicher viel zu erzählen.

Ich wäre gerne noch ein Weilchen geblieben, in meinem winzigen Zimmerchen, umgeben von soviel Vergangenheit. Aber ob dieser Gasthof noch eine Zukunft vor sich hat, wage ich zu bezweifeln.

Aber ich muss weiter, Bern entgegen.

 

Letzte Grüsse

Immer sind es irgendwelche Türme oder Kirchen oder Burgen, die mir letzte Grüsse zuwerfen. Ich nehme sie nur noch knapp wahr, denn ich bin schon weg, auf dem Weg zum nächsten Turm, zur nächsten Kirche, zur nächsten Burg. Und heute ist der Weg weit.

 

Last greeting of Laupen

Was meint der Guide zur heutigen Etappe?

Die Route folgt der Sense, windet sich dann zu aussichtsreichen Höhen mit Sicht auf die Gipfel der Alpen. Stolze Bauernhöfe in Mengestorf kontrastieren mit den vorstädtischen Wohnsiedlungen von Bern; dessen Altstadt ist UNESCO-Weltkulturerbe.

Etwas lang, aber flach und vor allem der Sense entlang. Der Weg entlang eines Flusses ist mehr als ein Vergnügen, es ist eine Meditation.

 

From Laupen to Berne

Nachdem die Geräusche des Städtchens hinter mir verstummt sind, herrscht mit einem Mal völlige Stille, sieht man vom leisen Gurgeln der Sense ab. Und ja, ein paar Vögel glauben auch, ihren Gesang beitragen zu müssen. Die Bäume wiegen sich im Morgenwind, flüstern von Baumgeschichten, nur für sie bestimmt.

 

The SEnse river

Es scheint, als wäre hier die Natur noch intakt, eine Illusion, die mir hilft, mich auf das Schöne zu konzentrieren. Vielleicht ist dieser Fluss in ein paar Jahren oder Jahrzehnten vertrocknet, die Fische tot, ebenso alle anderen Kreaturen, die sich heute noch darin tummeln.

«Alarmismus ist angebracht, aber Weltuntergangs­narrative bringen nichts»

Vielleicht kann man sich Trost holen beim vielleicht berühmtesten Philosophen, Fernando Pessoa, oder auch nicht. Seine Vorstellungen sind dunkel und mitleidlos.

„Es herrscht keine Ruhe, und ich habe, weh mir!, nicht einmal das Bedürfnis, sie zu finden.“

Na gut, nach soviel schlechter Laune muss die Schönheit, die existierende Schönheit, wieder die Oberhand kriegen. Es fällt mir nicht schwer, denn das, was sich um mich herum abspielt oder eben auch nicht, ist voller Wunder, manchmal menschgemacht wie die alte Holzbrücke, manchmal gratis von der Natur zur Verfügung gestellt.

 

Old wooden bridge over the Sense

Es ist ein Spaziergang, gut drei Stunden lang, was die ausgedehnten Picknick Pausen beinhaltet. Es darf nicht sein, dass man derart schöne Abschnitte nicht geniesst. Aber dann, bei Sensematt, zweigt der Weg endgültig vom Flussufer weg.

Ein schmaler Pfad führt gemächlich den Hang hinauf, Schafe strecken mir gemeinsam den Hintern entgegen. Haben die was gegen mich?

 

Perfect path uphill, the way I like it

Unfriendly sheep pointing their asses at me

Bei Sensenmatt verlässt man den Flusslauf und folgt dem Scherlibach. Dann folgt ein kurzer Aufstieg zum Mängistorfberg. Mit etwas Glück sieht man von hier aus die Alpengipfel.

Ein kurzer Abstieg und schon befindet man sich in der Agglomeration von Bern. Vorbei an Wohnquartieren folgt der Weg dem Waldrand des Chünzibergwaldes nach Liebefeld und zum Fischermätteli in der Nähe von Bern Bümpliz.

In der Hauptstadt der Schweiz endet die Wanderung.

 

Bern im strömenden Regen

Die dunklen Wolken haben mich für einmal nicht getäuscht. Kaum habe ich die Stadtgrenze erreicht, klatschen die ersten Tropfen schwer auf den aufgeheizten Boden. Eine ältere Dame weist mir den Weg zur nächsten Bushaltestelle, und da bin ich nun, umgeben von schnatternden Kindern (einmal mehr mit einem Blick, der alles aussagt) und warte auf den Bus.

Der Unterschied könnte nicht grösser sein. Ich bin sozusagen in die Zivilisation zurückgeworfen worden. Aber sie hat auch Vorzüge, bringt mich in Windeseile ins Stadtzentrum von Bern, Lärm und Menschen und Autos und Lichter, ich bin gefangen, doch eigentlich ganz glücklich.

Die Berner Altstadt gehört zu den UNESCO-Weltkulturgütern und besitzt mit 6 Kilometern Arkaden, den sogenannten Lauben, eine der längsten wettergeschützten Einkaufspromenaden Europas.

So folge ich also den Lauben, die mich hinunter in das Zentrum der Altstadt führen. Kurz vor meiner Destination, nicht einmal 200 Meter entfernt, prescht ein stattlicher Wolkenbruch vom Himmel. Wie unzählige andere Touristen oder Spaziergänger oder Angestellte auf dem Weg nach Hause bleibe ich im Schutz der Lauben und hoffe auf ein baldiges Ende der Wetterkapriolen.

Es dauert eine ganze Weile, bis man es wagen kann, den Schutz zu verlassen. Die Leute strömen wie eine aufgeschreckte Herde Schafe über die Strasse, ihren jeweiligen Zielen zu, ich zum Backpackers Hotel Glocke an der Rathausgasse gelegen. Ich komme mir nach kurzer Zeit vor wie damals in Südamerika oder Asien, umgeben von jungen Backpackern aus aller Welt.

Beinahe ein bisschen wie zuhause.

 

The famous Zytglogge tower in Berne
Der Zytgloogeturm, Wahrzeichen der Stadt

 

Eine besondere Stadt

Jeder Schweizer kennt die Stadt. Sie besitzt etwas Besonderes, eine Mischung aus alter Tradition und dezenter Modernität. Man fühlt sich seltsam geborgen in dem anheimelnden Dialekt, der so gar nicht dem rasenden Rhythmus der heutigen Welt entspricht.

 

Bern - Switzerland's capital at night

Die Berner werden als langsam bezeichnet, auch dies mag mit dem langsamen melodischen Singsang ihrer Mundart zusammenhängen, aber nicht nur. Hier ist verpönt, gelegentlich auch mit neidischen Augen betrachtet, wie ihr Gegensatz Zürich voller Dynamik funktioniert. Bern ist eher eine Beamtenstadt, hier werden Gesetze gemacht oder auch nicht. Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein, aber auch das mag eine falsche Vorstellung sein.

 

Passender Song:  Mick Jagger – Strange Game (aus „Slow Horses“)

Und hier geht der Trail weiter … nach Worb

 

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