Im Unterschied zu den bisherigen Erfahrungen fahren jede Menge Busse von Sucre nach Potosi und zwar auch bei Tag.

Man kann also wählen zwischen einem sehr altersschwachen oder einem etwas weniger heruntergekommenen Bus. Es ist egal, die Fahrt dauert grade mal ein paar Stunden, allerdings mit ansehnlichen Steigungen. Potosi liegt nämlich auf genau 4000 Metern.

Dann hoffen wir mal auf gute Bremsen.

 

Ein epileptischer Anfall

Im Terminal ist offenbar auch eine Abgabe für die Benützung des Bahnhofs zu bezahlen (übrigens auch für die Benutzung des WCs, was allerdings wieder mal eine Erfahrung spezieller Natur ist, über die ich lieber – wie schon so oft – den Schleier des Vergessens lege).

Der ältere Mann beim Ausgang zu den Bussen macht mich auf diesen zu bezahlenden Obolus aufmerksam, ach so sage ich, drehe mich um, da höre ich hinter mir einen lauten Schrei. Der Kontrolleur, eben noch grinsend, liegt am Boden , sein Körper zuckt heftig.

Unschwer zu erkennen – ein epileptischer Anfall. Man rennt zusammen, wir kümmern uns mit vereinten Kräften um ihn, doch es scheint weit und breit niemanden zu geben, der professionell helfen könnte. Immerhin können wir verhindern, dass der arme Kerl seine Zunge verschluckt. Es dauert aber nur ein paar Minuten, bis die krampfhaften Zuckungen aufhören, der Mann die Augen öffnet …

Wir atmen auf …

 

Alte traurige Geschichten

Im Bus sitzt ein älterer, trés distingué gekleideter Herr neben mir, mit dem ich sofort ins Gespräch komme. Er lebt zwar in Sucre, stammt aber ursprünglich aus Potosi und will nun seine Verwandten besuchen.

Während vor dem Fenster der Regen niederprasselt und eine grüne und graue und braune Welt vorüberhuscht, erzählt er mir von Potosi, der Geschichte des Silberabbaus, bis die Minen erschöpft waren und die einst hyperreiche Stadt innert kurzer Zeit einen bitteren Abstieg durchleiden musste.

 

 

On the way to Potosi On the way to Potosi 2 On the way to Potosi 3

Es wird zwar immer noch nach Metallen gegraben, die Mineros sind immer noch die ärmsten Geschöpfe der Welt, und immer noch arbeiten viele Kinder in den höchst gefährlichen Minen. Es gibt viele tödliche Unfälle, und die Lebenserwartung ist durch Staublungen und ähnliche Krankheiten auf einem erschreckend niedrigen Level.

 

Betroffenheitstourismus

Die Hauptattraktion der Stadt, ausser der Tatsache, dass auf der Höhe von 4000 Metern, in einer absolut unwirtlichen Umgebung, über 120’000 Menschen wohnen, sind die Minenexkursionen.

 

Picture of the Miners
Ein Bild der Mineros

Die Touristen werden zu den Minen gekarrt, mit entsprechender Ausrüstung (besser als die der Arbeiter) in die Höhlen geführt, wo man dann die Minenarbeiter bei ihrer Arbeit beobachten kann. Als besondere, das Gewissen beruhigende Komponente der Exkursion, nehmen die Touristen Geschenke mit, die dann an die Arbeiter verteilt werden.

Am nächsten Tag wendet man sich anderen ‚Sehenswürdigkeiten‘ zu. Betroffenheitstourismus in Reinkulter. Ich werde den Teufel tun und daran teilnehmen.

 

Eine hässliche Stadt

Der erste Eindruck von Potosi ist gelinde gesagt grauenhaft. Hässliche Gebäude ziehen sich entlang schmutziger, überschwemmter Strassen.

Aber der Busterminal übertrifft alles bisher Gesehene. Ein riesenhafter, in seiner Hässlichkeit sogar aus seiner hässlichen Umgebung herausragender Kuppelbau, der von der Grösse her vielleicht zu La Paz gepasst hätte, aber keinesfalls zu einer Kleinstadt wie Potosi am Arsch der Welt.

 

Bus-Terminal in Potosi
Bus-Terminal in Potosi

Nicht ganz überraschend ist er ziemlich leer. Im South-American Handbook, das vor allem aus Tipps für Hotels und Restaurants und Warnungen aller Art besteht, wird eindringlich darauf hingewiesen, dass der am Rand von Potosi liegende Terminal nach neun Uhr abends weder von Bussen noch von Taxis angefahren wird.

Grund: Überfälle. Na wunderbar. Das wirklich Bizarre ist aber, dass es mitten in der Stadt einen zweiten Terminal gibt, bei dem wesentlich mehr Busse halten als im neuen Superbau.

 

Hostel auf 4000 Metern über Meer

Ich teile mir das Taxi zurück in die Stadt mit einem Deutschen aus Leipzig, der mit dem gleichen Bus gekommen ist.

Angeregt durch die bisherigen guten Erfahrungen mit Hostels, habe ich wiederum eines in der Hoffnung gebucht, ein Einzelzimmer mit Bad zu kriegen. Doch dieses Mal habe ich Pech und muss mich wohl oder übel mit einer Koje in einem fensterlosen 6-Bettenraum Vorlieb nehmen.

Ich kenne einige Leute, darunter sehr nahestehende, die schon beim Gedanken daran Atemnot kriegen. Aber es gibt auch viel Positives zu erzählen.

Das Hostal ist ein sehr kreativ gebautes und gestaltetes Gebäude mit vielen Treppen und einem Innenraum mit Sofas und einer Bar und lauter Musik und logischerweise vielen jungen Leuten, die mich neugierig begutachten, als wäre ich das letzte Exemplar einer aussterbenden Spezies. Ich kann es ihnen nicht verdenken, ich bin konservativ geschätzt mindestens doppelt so alt wie der Durchschnitt. Aber es ergeben sich sofort viele Gespräche, ich werde zu einer echten spanischen Tortilla eingeladen. Was will man mehr …

 

Hostel on 4000 Meters

 

Gar nicht so hässlich …

Der Besuch der Altstadt bringt Überraschendes zu Tage.

Es gibt tatsächlich einen inneren Stadtkern, der alles andere als hässlich ist. Gepflegte Parkanlagen, weissgetünchte Kirchen, eine Fussgängerzone, wo man den unvermeidichen Micro-Bussen entfliehen kann, zahlreiche Restaurants und Bars und sogar ein Kino, wo die neuesten Streifen aus Hollywood gezeigt werden, machen die Hässlichkeit der übrigen Stadtteile mehr als wett.

Hier ist noch sichtbar, welcher Reichtum wohl früher geherrscht haben muss, bevor alles den sprichwörtlichen Bach runterging.

 

Church in Potosi   Alley in Potosi Pedestrian zone in Potosi Many small squares in Potosi a lot of young people in Potosi Shopping Lane in Potosi  and another church in Potosi  and another alley in Potosi

 

Schlaf in einem Zimmer ohne Fenster auf 4000 Metern über Meer

Das Übernachten in einem von der Aussenwelt vollständig abgeschlossenen Raum mit 3 anderen Touristen, wo man die Höhe von über 4000 Metern über Meer krampfhaft zu vergessen sucht und trotzdem gelegentlich nach Luft schnappt, ist gelinde gesagt grenzwertig. Der Kopf beschliesst aber entschieden, dass es eine ruhige Nacht werden soll. Und schliesslich funktioniert das auch auf stürmischem Meer: der Kopf befiehlt, der Körper gehorcht – Keine Seekrankheit.

Es funktioniert wie erwartet: ich schlafe wie ein Fels, wache kein einziges Mal auf und fühle mich am Morgen richtig ausgeschlafen und bereit für weitere Abenteuer, die mich nach Uyuni bringen sollen.

 

Kilometerstand: 3136

Song zum Thema:  Florence + The Machine – No Light, no Light

Und hier geht die Reise weiter … nach Uyuni

 

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