Gratwanderung an der Westflanke des Pfyffers. Auf dem Wachthubel atemberaubende Sicht auf die Voralpen-Bollwerke Schrattenflue und Hohgant. Im Abstieg stösst man auf schwarze Büffel. Sie haben Schangnau für seinen Mozzarella berühmt gemacht.

Klingt interessant, was der Guide zu erzählen weiss. Mal sehen, ob ich die berühmten Büffel zu sehen kriege. Das letzte Mal dürfte es in Asien gewesen sein.

Und die Anstrengung scheint sich heute in Grenzen zu halten:

Nun gut, wie die Erfahrung zeigt, sind diese Werte in meinem Fall Schall und Rauch. So sehen sie aus:

Länge 14.29 km; Aufstieg | Abstieg 1025 m | 790 m, Wanderzeit 6 h 04 min

Na ja, die unterschiedliche Dauer kann mit meiner Langsamkeit erklärt werden, aber über 200 Meter mehr Aufstieg und Abstieg? Verstehe ich nicht. Ich mache ja keine zusätzlichen Steigungen.

Die Welt ist voller Geheimnisse.

 

From Eggiwil to Schangnau

 

Der wiedergefundene Wirt

Ich bin beinahe überrascht, dass sich beim Frühstück, wider Erwarten sehr opulent, tatsächlich ein Herr zeigt, der sich als der verschwundene Wirt entpuppt. Eine mehr als seltsame Figur, scheint irgendwie noch nicht richtig angekommen zu sein.

Auf jeden Fall hat er alle Mühe, die Kaffeemaschine in Gang zu bringen und benötigt dazu die telefonische Hilfe eines Freundes. Dann setzt er sich an meinen Tisch und beginnt zu erzählen.

Man könnte meinen, irgendjemand hätte einen Knopf gedrückt, und jetzt redet er. Er redet und redet und kann nicht mehr aufhören. Während ich also mehr oder weniger schweigend ein Brot nach dem anderen genussvoll zelebriere (man stellt mir ein ganzes Pfund Butter auf den Tisch), erzählt er mir sein Leben.

Und er weiss alles. Tausend Geschichten. Man möchte ihm stundenlang zuhören. Er kennt nicht nur alles über die Bewohner des Dorfes, sondern – und das ist äusserst interessant – auch über sämtliche Hotels und Gasthäuser der weiteren Umgebung.

Was mich zu einem Nachbarn bringt, nämlich den Krypto-Gasthof in Signau.

Man erinnere sich. Bei der letztjährigen Übernachtung im Rothen Turm in Signau versuchte der Wirt, mir die Segnungen der Kryptowährungen nahe zu bringen, was ihm allerdings nicht gelang.

Es verwundert mich nun nicht, dass es schlechte Neuigkeiten darüber gibt. Der Gasthof ist anscheinend geschlossen, hat sich Bitcoin und Co. doch nicht als die Rettung der Welt herausgestellt? Nun, ich habe den Wirt gewarnt, er wollte partout nicht auf ein paar gut gemeinte sachliche Argumente hören.

Schade um den schönen Gasthof.

 

Kein Mangel an Hügeln

Man kennt sie in der Zwischenzeit, diese hölzernen Brücken aus alter Zeit. Sie sind Zeugen einer Vergangenheit, die längst entschwunden ist. Deshalb liebt man sie. Man erkennt in ihnen etwas, was unsere Vorfahren geprägt haben. Etwas für die Ewigkeit, so sieht es zumindest aus.

 

Old wooden bridge over the Emme

Nun , auf jeden Fall folgt der Trail eine kurze Weile der Emme, hier immer mehr zu einem jungfräulichen Flüsschen geworden. Die Quelle liegt irgendwo im Hinterland, nicht allzu weit von hier. Vielleicht werde ich sie finden, vielleicht auch nicht.

Dann aber, wer hätte das gedacht, beginnt die Steigung, nicht überraschend, denn genau das hat der Guide beschrieben. Und noch eine Überraschung, die keine ist: ich bin wieder mal allein auf weiter Flur. Was mir aber sehr gelegen kommt, denn ich habe mich daran gewöhnt und kann mir schon gar nicht mehr etwas anderes vorstellen.

Wie sagt man so schön – der Starke ist allein am stärksten. Oder ähnlich. Vielleicht Bullshit, vielleicht auch nicht.

Anyway, der Weg führt hinauf, immer höher, der Atem geht stossweise, manchmal ist der Weg völlig zugewachsen. Man könnte meinen, dass der letzte Mensch vor hundert Jahren hier durchgekommen ist. Erinnert mich wieder mal an den Alpenpanoramaweg.

 

Uphill, towards the blue sky Is this the path? hard to believe

 

Aufforderung zum Genuss

Wer hätte das gedacht? Es gibt doch tatsächlich ein paar humorvolle Schweizer (obwohl ich nicht wirklich überzeugt bin davon). Da stehen Bänke mitten in der Landschaft mit bester Aussicht natürlich, daneben metallene Hinweistafeln, auf denen eingraviert ist: Gniesse (geniessen) oder Pouse mache (Pause einlegen).

Diesen kategorischen Imperativ lasse ich mir nicht entgehen. Ich setze mich also folgsam auf die Bänke, lasse den Blick schweifen und denke nichts. Oder nicht viel. Aber man fühlt sich gleich entspannt, leicht wie eine Feder. Fehlt nur noch jemand neben mir auf der Bank, mit dem der Genuss geteilt werden kann.

 

Invitation to enjoy Invitation to rest

 

Begleitung mit E-Mountainbike

Manchmal hat man das irritierende Gefühl, dass der Rest der Welt gar nicht existiert. Nur dieser winzige Ausschnitt, ein paar Wiesen, ein paar Wälder, ein Fluss im Tal, Wolken am Himmel. Ennet den Wolken gibt es nichts, doch mit jedem Schritt erweitert sich die Welt, während sie hinter mir verschwindet. Es erinnert mich an einen Film, den ich nicht zuordnen kann, eine Aufgabe für den weiteren Weg.

Doch genau in diesem Moment bricht die Realität ein. Ein keuchender Atem hinter mir lässt mich einhalten. Da ist doch tatsächlich ein nicht mehr ganz junger Mann, der sich mittels e-Mountainbike den Abhang hinauf müht. Der Schweiss trifft von seiner Stirn, offenbar ist die elektrische Unterstützung an ihre Grenzen geraten.

Er scheint froh zu sein, für einen Augenblick durchatmen zu können, wir kommen ins Gespräch, gehen gemeinsam weiter. Natürlich er auf dem Bike, ich zu Fuss. Eine etwas seltsame Kombination. Nun, es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell man in tiefgründige Gespräche gerät, sobald die üblichen Floskeln ausgetauscht sind. Und wir erkennen schliesslich sogar, dass wir aus dem selben Kanton stammen, zwei Landsleute also.

Nun, seine Ausfahrt war dem Einkaufen gewidmet, und so verlässt er mich auf dem Pfyffer, dem ersten etwas höheren Hügel, und fährt seinem Ferienhaus entgegen.

Ich aber bleibe stehen, wundere mich einmal mehr über die Aussicht.

 

 

Die Schrattenfluh, diese monströse Wand

Nach dem Pfyffer führt der Weg weiter hügelan, beileibe kein Mangel an atemraubenden (im Sinne des Wortes) Anstiegen. Man fragt sich, wie diese Hügel entstanden sind. Waren sie mal stattliche Berge, geformt durch den Zusammenprall zweier Kontinentalplatten und langsam aber stetig durch die Elemente auf das heutige bescheidene Niveau reduziert?

Man könnte beinahe Mitleid haben, wenn man bedenkt, welchen Abstieg sie hinter sich haben. Aber das ist unsere Welt. Auf- und Abstiege sind das, was sie prägt. Geschieht ja auch im eigenen Leben. Manchmal geht’s hinauf, manchmal runter. What comes up, must go down.

Auf dem Wachthubel (schon wieder so ein Name), der höchsten Erhebung an diesem Tag, breitet sich nach allen Seiten eine Bergpracht aus, die es in sich hat. Im Süden der Hohgant, aber zur Linken die Schrattenfluh, eine wahrhaft furchterregende Wand aus lauter Felsen und sonst nichts.

Ein paar Bilder aus diesbezüglicher Wanderung von einigen Jahren mögen zeigen, wie abweisend und unwirtlich dieser Brocken von einem Berg aussieht.

 

Schrattenfluh - terrifying wall   Schrattenfluh - no pleasure for beginners

Schrattenfluh - view from the Wachthubel

Von hier aus sieht sie ganz manierlich aus, obwohl die dunklen Schatten, die senkrechten Falten in der Wand, der eckige Kopf am Ende, zeigen, wie unwirtlich und abstossend diese Wand ist. Ganz zu schweigen von der anderen Seite, wie obige Bilder zeigen.

Nicht eine meiner schönsten Erinnerungen.

Aber dann, nicht allzu weit vom Tagesziel, beginnt sich der Himmel mit Wolken zu bedecken. Nicht diese zarten, schwebenden weissen Flecken am Firmament, nein, diese zuckenden, flackernden, düsteren Gebilde aus Wasserdampf und Energie, die im Nu bedrohliche Gefühle bewirken.

 

The sky gets darker ... ... and darker

Während in der Ferne erste Regenschlieren die Sicht verdunkeln, eile ich den Weg hinunter, ein Schotterbett, von früherem Regen ausgehölt, sehr mühsam. Meine Knie, diese armen Gelenke, die mich bisher nie im Stich gelassen haben (im Gegensatz zur letztjährigen Wanderung), melden sich mit erbosten Signalen, so nicht, scheint es zu bedeuten. Ich kann es ihnen nicht verdenken.

 

Schangnau - small village along the trail My room in the Löwen - just as I like it

Aber als eben die ersten schweren Tropfen auf den staubigen Boden klatschen, nähert sich Schangnau, das Tagesziel, der Gasthof Löwen, wieder mal das einzige Hotel im Dorf.

Und so bin ich gerettet, wieder einmal im letzten Moment der Traufe entgangen.

Und der Gasthof entpuppt sich als eines dieser Etablissements, die ich so sehr liebe. Mit einer Gaststube, wo die hölzernen Wände lange Geschichten erzählen könnten, wo die Wirtin in ihrem wunderbaren Dialekt den Gast empfängt als wäre er ein König, dabei bin es nur ich. Etwas müde und ausgepumpt, aber glücklich hier zu sein.

Ich weiss jetzt schon, dass ich mich in meinem kleinen Zimmerchen mit den rotweiss karierten Bettanzügen sehr wohl fühlen werde.

Und während draussen der Regen über das Dorf galoppiert, sitze ich in der Gaststube, trinke mein tägliches, wohlverdientes Bier und schaue aus dem Fenster.

 

Passender Song:  Bob Dylan – Rainy Day Woman Nr. 12&35

Und hier geht der Trail weiter – zur Rossweid

 

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