Wir sind von der Gastfreundschaft, der Freundlichkeit der Menschen, der täglich neu entdeckten Wunder auf dem Wasser und auf der Erde überrascht und berührt. Wenn es nicht so verdammt kalt wäre in Srinagar, könnte man sich tatsächlich überlegen, etwas länger in diesem Tal zu bleiben und ein Hausboot zu mieten. 

Ein Hausboot kostet pro Tag 45 Rupien, darin enthalten sind drei Mahlzeiten, je nach Wunsch nach indischer oder europäischer Art zubereitet. Wir haben in der Zwischenzeit das indische Essen nach Kaschmirart gekostet, es ist weniger scharf als erwartet, und mundet ausgeprochen gut.

Kurz – wir nehmen teil am täglichen Leben der Menschen, ohne selbst ein Teil zu sein. Das ewige Schicksal aller Reisenden. Erst wenn man sich irgendwo für längere Zeit  niedergelassen hat, vielleicht für Jahre, vielleicht den ganzen Rest des Lebens, wird man, mit viel Glück, Teil einer fremden Gemeinschaft. Vielleicht auch nicht.

Natürlich, wer würde was anderes erwarten, sind Schlepper am Werk. Immer und überall versuchen sie, ihre Dienste an den Mann zu bringen, sei es uns mit einem besonderen Freund bekannt zu machen, der für Spezialpreise für die Freunde aus Europa bekannt ist. Oder man erhält einen todsicheren Tipp für das beste Restaurant in der Stadt, dessen Koch für besondere Künste berühmt ist.

Manchmal macht man das Spiel mit, manchmal auch nicht. Aber eben, die Kerle sind geschickt, schlauer als wir uns das vorstellen können, und psychologisch besser geschult als ein erprobter Verkaufstrainer wie folgender Fall beweist.

Eine Pelzfabrik und ein paar wirklich bescheuerte Hippies

Ein Freund unserer Schlepper besitzt offenbar eine Pelzfabrik. Nur schon deren Erwähnung hätte sämtliche Alarmglocken zum Erklingen bringen müssen. Natürlich erkennen wir die Absicht dahinter, wir sind ja nicht dumm, oder doch? Jedenfalls lassen wir uns mit einer Shikara (so werden die lokalen Boote genannt) durch die unzähligen Kanäle chauffieren und landen schliesslich in der besagten Fur-Factory. Was nun geschieht, geht in die Annalen unfassbarer Dummheit ein.

Eine traditionelle Shikara

Heute, nach so vielen Jahren, fragen wir uns, ob wir einfach nur dumm waren oder ob der Verkäufer nach allen Regeln der Verführung sein Überredungstalent ausspielte?

Auf jeden Fall werden wir in seltsam riechende Räume geführt, gefüllt mit Pelzen. Von Tieren jeder Art, die meisten davon für uns nicht identifizierbar. Aber sie sind von ausgesprochener Schönheit und Qualität und vor allem – ich neige mein Haupt vor Scham – sie sind auch ausgesprochen billig. Kann es sein, dass wir deswegen, wenn auch mit gemischten Gefühlen, schwach werden?

Auf jeden Fall wechseln, nach gut zwei Stunden intensiven Nachdenkens über das Dafür und Dawider, eine Wolfspelzjacke und eine Luchsfelljacke den Besitzer.

Was soll man nach heutigen Kriterien dazu sagen? In unseren Tagen eine unverzeihliche Sünde, zu jener Zeit hatte man zumindest ein paar Zweifel, aber mehr nicht (wir konnten die Pelze zwar tatsächlich in die Schweiz bringen, aber das Tragen dieser Jacken entpuppte sich schliesslich als so peinlich, dass sie im Schrank blieben und irgendwann irgendwohin verschwanden).

Die staatlichen Emporien

In ganz Indien gibt es spezielle Verkaufsläden, Emporien genannt, wo die Arbeiten und Kunstwerke einer ganzen Region angeboten werden. Auch das Emporium in Srinagar bietet alles an, was die lokalen Handwerker und Künstler erschaffen haben.

Stoffe in allen Farben, Schnitzereien, Flechtereien, bemalte Papiermaché-Puppen, Vasen in allen Grössen, verführerisch schillernd, scheinbar gewichtslose Lampen an der Decke hängend, Bilder von Gottheiten und seltsam unwirklichen Menschen. Man geht durch die Gänge, verspürt die Sehnsucht, die Schönheit zu besitzen und das Bedürfnis, sie nach Hause zu verpflanzen. Aber eben, unsere weitern Reisepläne, die zu erwartende Hitze, die Platznot im Wagen lassen die Sehnsucht verklingen.

Unser Haus- und Hofschlepper überredet uns schliesslich noch zum Besuch einer Wollfabrik, doch diese entpuppt sich nicht als möglicher Lieferant von warmen Pullovern und Jacken, die wir bei der zunehmenden Kälte dringend brauchen würden, sondern bietet ausschliesslich Wollstoffe an. Damit können wir allerdings nicht viel anfangen, also verlassen wir zur grossen Enttäuschung unseres Schleppers die Fabrik, ohne eine einzige Rupie ausgegeben zu haben.

Immerhin ergibt sich dadurch die Gelegenheit, den Weg zurück durch die Altstadt zu gehen, ein besonderes Erlebnis. Die Gassen sind eng und schmutzig, sie sind voll von ebenso schmutzigen Kindern und Hunden. Ein Bild, das an andere Zeiten erinnert, an die Jahrhundertwende in Europa.

Es wird kalt, der Abschied naht

Der nahende Winter macht sich immer stärker bemerkbar. Zum ersten Mal ist es so richtig kalt geworden, am Morgen bedecken dicke Eisschichten die Fenster. Zeit für den Abschied, Zeit loszufahren!

Merkwürdigerweise verlassen wir den Kaschmir mit gemischten Gefühlen. Einerseits so viele wunderbare Erlebnisse und Bilder – der Dal See, die Kanäle, die farbigen Boote, die Altstadt, die warmherzigen Menschen – und trotzdem lassen wir die letzten Tage ohne Wehmut hinter uns zurück. Angesichts der langen und mühseligen Rückfahrt fragen wir uns, ob sich der 1000-Kilometer Ausflug wirklich gelohnt hat.

Tut man letztendlich nicht doch immer Dinge, weil man sie einfach tut, weil sie jeder tut, weil sie zum guten Ton und zum Programm gehören? Man glaubt zwar, einem eigenen festgelegten Fahrplan zu folgen, doch in vielen Fällen ist dieser eben nicht so selbstbestimmt, wie man glaubt.

Eine Rückfahrt zum Vergessen

Die Rückfahrt nach Jammu ist nicht dazu angetan, diese Zweifel zu zerstreuen. Im Gegensatz zur Hinfahrt scheint uns der Weg erstens weiter und zweitens mühsamer zu sein. Kurve um Kurve auf den schlechten Strassen, eine Schinderei bei maximal 40 Km pro Stunde, man kommt und kommt nicht vorwärts, die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt.

Das gebratene Huhn zum Abendessen in Jammu vermag zwar die Strapazen einigermassen zu lindern, doch der Blick zurück nach Norden ist voller Zweifel. Dass wir beim Einlegen eines neuen Films in die Kamera feststellen, dass der ganze vorherige Film über den Kaschmir zerstört ist, passt dazu. Man könnte weinen.

Passender Song zum Jahr:  Kraftwerk – Autobahn

Und hier geht der Trip weiter … in Richtung Delhi

 

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