Es gibt viele Gründe, Buenos Aires zu mögen, einer davon, ein etwas morbider, ist die Stadt der Toten – El Cementerio de la Recoleta.

Die Anziehungskraft von Friedhöfen hat mich mein Leben lang verfolgt. Keine Ahnung, warum das so ist (ich bin allerdings nicht der einzige, hat man mir zur Beruhigung mitgeteilt). Ich will mir diesen besonderen Treffpunkt der Toten heute ansehen.

Mein heutiges Ziel (wo sich auch der Friedhof befindet), ist eine komplett andere Seite der Stadt – Recoleta. Sogar Antoine, dem ich nicht allzu viel sportliche Fitness zutraue, findet, dass man Recoleta problemlos zu Fuss erreichen kann.

Gute Vibes

Eigentlich sind mir die kleinen, stillen Strassen, wo kaum ein Auto durchfährt, wo der Lärm der Stadt nur als fernes Raunen zu hören ist, wo alte Leute unter der Tür sitzen und schwatzen, wo Kinder spielen und Vögel zirpen, viel lieber als die protzigen Avenues. Diese sind trotz aller Grandezza zu hektisch, zu lärmig und – wer hätte das gedacht – in einer Stadt, die mit guter Luft prahlt, mit zuviel schlechter Luft verpestet.

Heute suche ich die guten Vibes, ich lasse mir also Zeit, nehme alles auf, versuche den Augenblick zu geniessen.

Die Biblioteca National

Auf dem Weg stolpere ich, mehr oder weniger zufällig, über ein sehr seltsames Gebäude, die ‚Biblioteca National‘.

Da der Haupttrakt viel grösser ist als das untere Geschoss, glaubt man von weitem an einen riesenhaften Pilz. Das Gebäude scheint zu schweben, wohl ein beabsichtigter Eindruck des Architekten.

Doch wenn man das Innere betritt (was gar nicht so einfach ist), entpuppt es sich als leise Enttäuschung.

Ich stelle mir eine riesige Büchersammlung vor, an uralten Holzwänden, hinter dicken Glasscheiben vor Wind und Wetter und allzu neugierigen Blicken geschützt, so wie die National Library in London oder wie in Hogwarts im Harry Potter Universum. Nichts von alledem!

Ich werde in den 5. Stock geschickt, trete erwartungsvoll ein in die heiligen Hallen, doch da sind keine Bücher, keine Holzwände, nicht mal dickes Glas. Nur einige Studenten sitzen geduckt und mucksmäuschenstill über ihren Arbeiten und werfen mir ein paar verwunderte Blicke zu. Auch wenn ich mich noch so umsehe, es sind keine Bücher zu sehen, nirgends.

Wahrscheinlich sind sie alle digitalisiert worden und verstauben nun in einem muffigen Keller.

La Biblioteca National
La Biblioteca National – ein beinahe schwebendes Gebäude

El Cementerio de la Recoleta – Die Stadt der Toten

Dann aber das Tagesziel, der erste echte Höhepunkt, eine der Hauptattraktionen der Stadt, el Cementerio de la Recoleta.

Dieser Friedhof El Cemeterio de la Recoltea ist nicht einfach ein Friedhof, es ist eine Stadt in der Stadt, ein Treffpunkt der Toten, die sich hier seit hunderten von Jahren versammelt haben. Er erinnert mich an den Friedhof Père Lachaise in Paris, die letzte Ruhestätte für Edith Piaf, Yves Montand, Marcel Proust und all die anderen. Und natürlich, der hauptsächliche Anziehungspunkt für die jüngeren Besucher, das Grab Jim Morrisons, des legendären Sängers der Doors.

Hier ist es anders. Mit Ausnahme von Evita Peron, der berühmt-berüchtigten Präsidentin des Landes, deren Erwähnung heute noch Tränen in die Augen der älteren Argentinier treibt, kenne ich niemanden.

Aber jede einigermassen bekannte Persönlichkeit aus Politik, Wirtschaft, Kultur oder einfach Geld und Adel scheint hier begraben zu sein.

Tombs like castles  Alley allong the tombs  Tomb like a pantheon

Jedes Grab ist anders, jedes für sich ein Kunstwerk, manchmal kitschig, manchmal von echter Schönheit, manche klein, beinahe versteckt hinter den protzigeren Mausoleen. Einige sind riesig, ragen heraus, besitzen Kuppeln wie der Petersdom, andere erinnern an Miniaturkirchen und -kapellen.

Man schreitet durch die Strassen und Gassen, verliert sich schon bald, staunend vor diesen Relikten einer vergangenen Zeit, die aber so gar nicht vergangen zu sein scheint. Alle paar Meter wird man durch Horden von Touristen aufgehalten, die eine organisierte Führung gebucht haben, und nun schwitzend den in schlechtem Englisch oder Französisch vorgetragenen Erklärungen der Führer lauschen.

El Cemeterio de la Recoleta 1
El Cemeterio de la Recoleta 4
El Cemeterio de la Recoleta 5
El Cemeterio de la Recoleta 6
El Cemeterio de la Recoleta 7
El Cemeterio de la Recoleta 8

El Museo de las Bellas Artes

In der Zwischenzeit ist es so heiss geworden, dass das Hirn unter der Mütze zu kochen beginnt. Dann also ein Ausflug in die Hochkultur, sprich die gekühlten Räume des ‚Museo de las Bellas Artes‘.

Museo de las Bellas Artes
Museo de las Bellas Artes

Ich erwarte zwar mir völlig unbekannte argentinische Künster, aber weit gefehlt. Das was mir trotz freiem Eintritt (!) geboten wird, ist erste Sahne. Alles mit Rang und Namen, ausgehend vom Mittelalter bis in die Neuzeit, ist versammelt, also Monet und Manet und Gauguin und Sisley und all die anderen. Und sogar, wenn auch nur ein kleiner, Jackson Pollock und ein Mark Rothko. Die neuzeitlichen Argentinier hingegen sind genauso versponnen wie ihre Kollegen im Rest der Welt, manches ist lustig, anderes vollkommen unverständlich.

Eine seltsame Blume

Es ist nun später Nachmittag, bleibt noch die seltsame Blume auf der Plaza Naciones Unidas. Es handelt sich dabei um eine riesige metallene Installation, ca. zwanzig Meter hoch, deren Blätter sich mit dem Lauf der Sonne öffnen und schliessen. Der Lauf der Sonne hat aber nicht nur die Blume geöffnet, sie hat auch meine Beine schwer gemacht.

a very strange flower 1
a very strange flower 2

Ticket nach Montevideo

Bleibt noch das Ticket für die Bootsfahrt nach Montevideo zu besorgen, was einen weiteren Spaziergang von ein paar Kilometern bedeutet, aber dann ist der Mist für heute geführt. Mein blödes Knie (das ich eigentlich nicht mehr erwähnen wollte) gibt mir zuhause im Hotel zu verstehen, dass es nun mehr als genug ist und es bei weiteren Strapazen dieser Art streiken wird. Dann also aufgepasst!

 

Kilometerstand:  null

Song zum Thema:  Halsey – Graveyard

Und hier geht die Reise weiter …

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