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Südamerika

Palermo – Die andere Seite von Buenos Aires

Aus der Ferne, sagt Charly Chaplin, ist das Leben eine Komödie, aus der Nähe eine Tragödie.

Er hat recht.

Aber kommt man als Reisender überhaupt je in die Lage, hinter die Fassade zu sehen? Will man das überhaupt? Dorthin, wo es weh tut?

Ich bezweifle es. Man zieht die Hochglanzversion vor. Das Schöne und das Grossartige. Das, was in den Erinnerungsfotos an erster Stelle steht.

Nicht das Hässliche. Das Armselige. Das Leben der Menschen, die täglich um ihre Existenz kämpfen. Deswegen reist man nicht. Man geht lieber dorthin, wo das schöne Leben vorgegaukelt wird. Wo nichts zum Nachdenken reizt.

Buenos Aires hat beides. Die Hochglanzfassade in Recoleta mit der stählernen Blume, dem Museum, der Bibliothek. Und wie sich zeigen wird auch in Palermo mit den hippen Restaurants, den teuren Boutiquen, den Strassencafés.

 

Das Leben ist keine Kömödie

Aber es gibt eben auch La Boca. Die hässliche Seite der Stadt. Die versteckte Armut. Die Menschen, die auf der Strasse leben. Aber bin ich der Tragödie wirklich näher gekommen? Kaum.

Ich bin wie die meisten anderen ein Gefangener meiner Vorstellungen. Ich will im Grunde gar nicht konfrontiert werden mit der Tragödie. Es würde meine Ruhe stören, meine Erwartungen erschüttern.

Deswegen bin ich heute erneut auf der Suche nach der Komödie. In Palermo. Wo nichts meine Ruhe stört.

Oder höchstens ein bisschen.

 

Palermo

Palermo? In Buenos Aires?

Klingt doch eher nach Sizilien. Die Namensgebung ist umstritten. Sicher ist nur, dass der Name Palermo in irgendeiner Weise auf die sizilianischen Einwanderer zurückzuführen ist.

Allerdings gibt es auch alternative Auslegungen, so beispielsweise soll der Name von einer Abtei herrühren, die nach Benedikt von Palermo benannt ist, oder noch besser, dass ein Kerl namens Juan Domínguez Palermo für die Namensgebung verantwortlich ist.

Egal, das Viertel lohnt einen Ausflug zur ‚Plaza Immigrantes de Armenia‘ (??) oder zur ‚Plaza Cortazar‘ im Zentrum dieses Stadtteils. Man hat nicht den Eindruck, in einer Stadt am Rande des Abgrunds gelandet zu sein.

 

Palermo in Buenos Aires
Strassencafés – beinahe wie in Paris

Es könnte auch Paris sein oder Barcelona oder eines der hippen Quartiere in Los Angeles oder sonstwo.

Nirgends findet man um wunderschön gestaltete Plätze herum, entlang der mit Steinplatten belegten Strassen und Gassen soviele aufgemotzte, gestylte Restaurants und Cafes, die meisten bunt bemalt, jedes anders.

Die Tische davor sind voll besetzt mit jungen Leuten, es wird viel gelacht und noch vielmehr geredet.

Was für ein Unterschied zu La Boca, wo sich Armut und ein Leben ohne Perspektive versammelt haben.

Das hier ist die andere Seite.

 

Strassencafés
Strassencafés mit schönen, hippen Menschen

Und die Atmosphäre ist tatsächlich speziell.

Ich setze mich in eines der zahlreichen Strassencafes und bestelle einen überdimensionierten Ceasar’s Salad a la Argentina, also ohne die klassische Sauce mit Ei, aber auch ohne Lattichsalat, dafür mit etwas anderem Grünem. Dazu gibt es ein undefinierbares Gebäck, das ausgezeichnet mundet.

Es muss ein aussergewöhnlicher Tag sein, denn ich versuche sogar die mir im Normalfall verhasste Guacamole-Sauce und finde sie erstaunlicherweise gar nicht schlecht. Das muss wohl an der speziellen Atmosphäre liegen.

 

Nice World in Buenos Aires
Man hat den Eindruck einer schönen Welt
Boutiquen in Palermo
Alles da – für die wohlhabenden Einwohner

La Casita de los Viejos

Ist Buenos Aires the place to be?

Es kommt drauf an.

Wenn man das schöne, entspannte Leben sucht, so wie hier in Palermo, wenn man zu den Privilegierten gehört, wie die meisten dieser jungen Leute hier, wenn man Geld und ein gutes Leben hat, dann dürfte es tatsächlich the Place to be sein.

Es gibt alles, was das Herz begehrt. Neben den Restaurants haben sich viele teure Läden und Hotels angesiedelt, sie passen in die besondere Atmosphäre des Viertels. Aber nicht nur das. Es gibt grossartige Märkte, wo alles angeboten wird, und  noch viel mehr.

 

La Casita de los Viejos
La Casita de los Viejos – siempre abierta
beautiful markets
Stand in einem der vielen Märkte

 

House-Party

Das Chillhouse hat am Abend eine Houseparty auf dem Dach organisiert, zu der ich auch eingeladen bin.

Ein vorsichtiger Blick auf die Partygäste lässt mich erahnen, dass ich wieder mal mit weitem Abstand der älteste Knochen bin. Immerhin komme ich mit ein paar ganz interessanten Leuten in Kontakt. Ein typischer Hipster mit Glatze und Vollbart entpuppt sich als Holländer und ausserdem Navigator auf einem riesigen Passagierschiff, das jeweils mit ca. 6000 Personen (!) bestückt ist.

Eine für mich unvorstellbare Qual, Wochen und Monate mit den meistens ältlichen Leutchen zu verbringen. Diese sind zum Teil so alt, dass auch immer wieder mal ein paar auf der Reise sterben und dann zusammen mit den Blumen in einen gekühlten Raum gesteckt werden, bis sie am nächsten Halteort ausgeladen und nach Hause geflogen werden.

Ich könnte dem Kerl noch stundenlang zuhören, doch leider hat sich ein neues Tattoo auf seiner Brust entzündet und verlangt nach Behandlung.

Und da in der Zwischenzeit die Musik einen Lautstärkepegel erreicht hat, der jede Unterhaltung verunmöglicht, ziehe ich mich in meine Gemächer zurück. Ich höre am Morgen, dass nach Beendigung der Party auf dem Dach eine neue auf der Strasse vor dem Hotel begann, die sage und schreibe bis morgens um acht dauerte.

Ach die Jugend, wie war sie doch schön …

 

Kilometerstand:  null

Song zum Thema:  Anywhere – The all run for the carving Knife

Und hier geht die Reise weiter … in Uruguay

 

Südamerika

Buenos Aires – El Cementerio de la Recoleta

Es gibt viele Gründe, Buenos Aires zu mögen, einer davon, ein etwas morbider, ist die Stadt der Toten – El Cementerio de la Recoleta.

Die Anziehungskraft von Friedhöfen hat mich mein Leben lang verfolgt. Keine Ahnung, warum das so ist (ich bin allerdings nicht der einzige, hat man mir zur Beruhigung mitgeteilt). Ich will mir diesen besonderen Treffpunkt der Toten heute ansehen.

Mein heutiges Ziel (wo sich auch der Friedhof befindet), ist eine komplett andere Seite der Stadt – Recoleta. Sogar Antoine, dem ich nicht allzu viel sportliche Fitness zutraue, findet, dass man Recoleta problemlos zu Fuss erreichen kann.

 

Gute Vibes

Eigentlich sind mir die kleinen, stillen Strassen, wo kaum ein Auto durchfährt, wo der Lärm der Stadt nur als fernes Raunen zu hören ist, wo alte Leute unter der Tür sitzen und schwatzen, wo Kinder spielen und Vögel zirpen, viel lieber als die protzigen Avenues. Diese sind trotz aller Grandezza zu hektisch, zu lärmig und – wer hätte das gedacht – in einer Stadt, die mit guter Luft prahlt, mit zuviel schlechter Luft verpestet.

Heute suche ich die guten Vibes, ich lasse mir also Zeit, nehme alles auf, versuche den Augenblick zu geniessen.

 

Die Biblioteca National

Auf dem Weg stolpere ich, mehr oder weniger zufällig, über ein sehr seltsames Gebäude, die ‚Biblioteca National‘.

Da der Haupttrakt viel grösser ist als das untere Geschoss, glaubt man von weitem an einen riesenhaften Pilz. Das Gebäude scheint zu schweben, wohl ein beabsichtigter Eindruck des Architekten.

Doch wenn man das Innere betritt (was gar nicht so einfach ist), entpuppt es sich als leise Enttäuschung.

Ich stelle mir eine riesige Büchersammlung vor, an uralten Holzwänden, hinter dicken Glasscheiben vor Wind und Wetter und allzu neugierigen Blicken geschützt, so wie die National Library in London oder wie in Hogwarts im Harry Potter Universum. Nichts von alledem!

Ich werde in den 5. Stock geschickt, trete erwartungsvoll ein in die heiligen Hallen, doch da sind keine Bücher, keine Holzwände, nicht mal dickes Glas. Nur einige Studenten sitzen geduckt und mucksmäuschenstill über ihren Arbeiten und werfen mir ein paar verwunderte Blicke zu. Auch wenn ich mich noch so umsehe, es sind keine Bücher zu sehen, nirgends.

Wahrscheinlich sind sie alle digitalisiert worden und verstauben nun in einem muffigen Keller.

 

La Biblioteca National
La Biblioteca National – ein beinahe schwebendes Gebäude

 

El Cementerio de la Recoleta – Die Stadt der Toten

Dann aber das Tagesziel, der erste echte Höhepunkt, eine der Hauptattraktionen der Stadt, el Cementerio de la Recoleta.

Dieser Friedhof El Cemeterio de la Recoltea ist nicht einfach ein Friedhof, es ist eine Stadt in der Stadt, ein Treffpunkt der Toten, die sich hier seit hunderten von Jahren versammelt haben. Er erinnert mich an den Friedhof Père Lachaise in Paris, die letzte Ruhestätte für Edith Piaf, Yves Montand, Marcel Proust und all die anderen. Und natürlich, der hauptsächliche Anziehungspunkt für die jüngeren Besucher, das Grab Jim Morrisons, des legendären Sängers der Doors.

Hier ist es anders. Mit Ausnahme von Evita Peron, der berühmt-berüchtigten Präsidentin des Landes, deren Erwähnung heute noch Tränen in die Augen der älteren Argentinier treibt, kenne ich niemanden.

Aber jede einigermassen bekannte Persönlichkeit aus Politik, Wirtschaft, Kultur oder einfach Geld und Adel scheint hier begraben zu sein.

 

Tombs like castles  Alley allong the tombs  Tomb like a pantheon

Jedes Grab ist anders, jedes für sich ein Kunstwerk, manchmal kitschig, manchmal von echter Schönheit, manche klein, beinahe versteckt hinter den protzigeren Mausoleen. Einige sind riesig, ragen heraus, besitzen Kuppeln wie der Petersdom, andere erinnern an Miniaturkirchen und -kapellen.

Man schreitet durch die Strassen und Gassen, verliert sich schon bald, staunend vor diesen Relikten einer vergangenen Zeit, die aber so gar nicht vergangen zu sein scheint. Alle paar Meter wird man durch Horden von Touristen aufgehalten, die eine organisierte Führung gebucht haben, und nun schwitzend den in schlechtem Englisch oder Französisch vorgetragenen Erklärungen der Führer lauschen.

El Cemeterio de la Recoleta 1
El Cemeterio de la Recoleta 4
El Cemeterio de la Recoleta 5
El Cemeterio de la Recoleta 6
El Cemeterio de la Recoleta 7
El Cemeterio de la Recoleta 8

El Museo de las Bellas Artes

In der Zwischenzeit ist es so heiss geworden, dass das Hirn unter der Mütze zu kochen beginnt. Dann also ein Ausflug in die Hochkultur, sprich die gekühlten Räume des ‚Museo de las Bellas Artes‘.

 

Museo de las Bellas Artes
Museo de las Bellas Artes

Ich erwarte zwar mir völlig unbekannte argentinische Künster, aber weit gefehlt. Das was mir trotz freiem Eintritt (!) geboten wird, ist erste Sahne. Alles mit Rang und Namen, ausgehend vom Mittelalter bis in die Neuzeit, ist versammelt, also Monet und Manet und Gauguin und Sisley und all die anderen. Und sogar, wenn auch nur ein kleiner, Jackson Pollock und ein Mark Rothko. Die neuzeitlichen Argentinier hingegen sind genauso versponnen wie ihre Kollegen im Rest der Welt, manches ist lustig, anderes vollkommen unverständlich.

 

Eine seltsame Blume

Es ist nun später Nachmittag, bleibt noch die seltsame Blume auf der Plaza Naciones Unidas. Es handelt sich dabei um eine riesige metallene Installation, ca. zwanzig Meter hoch, deren Blätter sich mit dem Lauf der Sonne öffnen und schliessen. Der Lauf der Sonne hat aber nicht nur die Blume geöffnet, sie hat auch meine Beine schwer gemacht.

 

a very strange flower 1
a very strange flower 2

Ticket nach Montevideo

Bleibt noch das Ticket für die Bootsfahrt nach Montevideo zu besorgen, was einen weiteren Spaziergang von ein paar Kilometern bedeutet, aber dann ist der Mist für heute geführt. Mein blödes Knie (das ich eigentlich nicht mehr erwähnen wollte) gibt mir zuhause im Hotel zu verstehen, dass es nun mehr als genug ist und es bei weiteren Strapazen dieser Art streiken wird. Dann also aufgepasst!

 

Kilometerstand:  null

Song zum Thema:  Halsey – Graveyard

Und hier geht die Reise weiter …

Südamerika

Buenos Aires – La Boca und die Boca Juniors

Immer wieder erstaunlich, wie schnell sich der Mensch von der Strapaze eines langen Fluges und mehr als dreissig schlaflosen Stunden erholt.

Auf jeden Fall scheint am Morgen alles in bester Ordnung zu sein. Die von draussen hereinschwebenden Düfte von frischem Kaffee sind so verführerisch, dass der Magen in lautes Knurren verfällt.

 

Das Chillhouse

Das Chillhouse ist Klasse. Es besitzt mehrere Etagen, auf dem Dach lässt sich geruhsam von den Strapazen erholen, während man beim Morgenessen über das ganze Parterre verteilt sitzt. Einige sitzen an winzigen Metalltischchen, deren ungleich lange Beine (oder ist es der Boden?) zu erheblichen Schwankungen führen, andere sitzen auf Bänken oder einer der Wand entlang führenden Bar.

 

Breakfast in quiet surroundings Chilling on the roof

Das Problem ist, dass man dabei kaum in Kontakt kommt. Man hört die unterschiedlichsten Sprachen, spanisch natürlich, aber auch englisch, französisch, deutsch. Die übliche Mixtur. Aber das Morgenessen ist Klasse: frisch gebackenes Brot mit selbst gemachter Konfitüre, Butter, Rührei, frisch gepresster Orangensaft und Kaffee, was begehrt das Herz (oder der Magen) mehr.

 

Die ersten Schritte

Wie sich schnell zeigt, ist Buenos Aires, wie soll ich sagen, auf den ersten Blick eindrücklich, auf den zweiten herausfordernd, auf den dritten eine Liebeserklärung. Mehr Zuneigung kann man einem Ort nicht zusprechen, als zu sagen, dass man hier leben könnte.

Die offiziell nur 202 Quadratkilometer große Stadt bildet den Kern einer der größten Metropolregionen Südamerikas, des Gran Buenos Aires mit etwa 13 Millionen Einwohnern.

Sie streckt sich heute rund 68 Kilometer von Nordwest nach Südost und etwa 33 Kilometer von der Küste nach Südwesten aus. Sie wird oft als „Wasserkopf“ Argentiniens bezeichnet, da sich hier fast alle wichtigen Institutionen des Landes befinden und in der Stadt und vor allem in der Umgebung etwa ein Drittel aller Argentinier wohnt. Sie ist ein wichtiges kulturelles Zentrum und wurde 2005 durch die UNESCO mit dem Titel Stadt des Designs ausgezeichnet. [Wikipedia]

Antoine erklärt mir auf der Karte, was man in Buenos Aires nicht verpassen darf.

Ich werde zwar kaum die ganze Stadt zu Fuss durchqueren, aber heute beginne ich mal mit dem berühmten Zentrum mit der Avenida 9 de Julio, der Plaza de Mayo, dann die beiden Quartiere San Telmo und La Boca und – falls es die Beine zulassen – den Puerto Madero.

Aber, um dahin zu gelangen, kommt man nicht um die Benutzung der Metro herum, was bekanntlich eine spezielle Herausforderung für mich darstellt (siehe Bangkok).

Ich bin in der Zwischenzeit zur Überzeugung gelangt, dass jede Stadt versucht, auch ein eigenes Ticketing-System für ihre Metro zu erfinden, mit dem Ziel, möglichst jeden Kunden vor eine intellektuelle Herausforderung zu stellen (vielleicht gilt das aber nur für mich).

Bezahlt man am einen Ort mit Münzen, ist es am anderen mit Jetons, am dritten mit Tickets. Hier eine neue Variante, eine mit einer geladenen Karte, einer Kreditkarte ähnlich, auf der zwei Fahrten geladen sind. Anschliessend kann sie wieder aufgeladen werden. Nicht schlecht …

Und tatsächlich, für diese Variante genügt auch meine intellektuelle Kapazität.

 

Avenida 9 de Julio

Das Zentrum der Stadt, dort, wo die breiteste Strasse der Welt, die Avenida 9 de Julio, durchführt, ist der Ausgangspunkt der heutigen Unternehmung. Der Obelisk beherrscht den Platz, ein gewaltiges Monument, mit historischem Hintergrund, den er sollte an die 400-jährige Gründung der Stadt erinnern.

Obelisk in the midst of Avenida 9 de Julio
Obelisk bei der Avenida 9 de Julio

Hohe Gebäude säumen die Strassen, hektischer rauscht durch. Im Vergleich zu Delhi ist es erstaunlich ruhig; kaum einmal ein Hupen oder eine der anderen typisch indischen Vergewaltigungen der Hörgänge. Vom Baustil her könnte es durchaus auch Madrid sein oder Barcelona, die Ursprünge der Architektur sind ersichtlich. Am besten lässt man sich treiben, ganz langsam, so wie gewohnt, spürt den Sog, den Rhythmus der Stadt.

Die Plaza de Mayo (hier wird der ‚y‘ zwischen Vokalen als ’sch‘ ausgesprochen) führt direkt zur Casa Rosada, einem tatsächlich in rosa gehaltenem Gebäude, das ich mir etwas näher ansehen will. In der irrigen Meinung, dass es sich um ein Museum oder etwas Ähnliches handelt, trete ich entschlossen durch den Eingang, wo mich ein schwer bewaffneter Soldat mit grimmiger Miene aufhält, denn das, was ich für ein etwas kitschiges Museum gehalten habe, entpuppt sich als der Präsidentenpalast. Upps …

Buenos Aires - Center
Es könnte auch irgendeine Grossstadt in Europa sein
La Casa Rosada
La Casa Rosada – das Regierungsgebäude
Skyscapers in Buenos Aires
Der Eindruck täuscht – das Land steht permanent am finanziellen Abgrund

 

Mothers of the Plaza de Mayo

Auf der Plaza de Mayo versammeln sich übrigens jeden Donnerstag die ‚Mothers of the Plaza de Mayo‘ und marschieren im Gegenuhrzeigersinn um das zentrale Monument herum. Damit wollen sie an die verschwundenen Kinder des schmutzigen Krieges in den 70-Jahren erinnern, die Fotos ihrer vermissten Lieben an die Brust geheftet.

 

San Telmo

San Telmo ist berühmt für seine idyllischen Gassen, die vielen Bars und Restaurants, die kleinen Läden und Museen und die schattigen Plätze, wo man die müden Beine ausstrecken und einen Kaffee geniessen kann.

 

Cafes at San Telmo
Wunderschöne Cafés Und Restaurants in San Telmo …
Churches in San Telmo
… und ebenso schöne Kirchen

Es wimmelt von Touristen, man hört viel amerikanisches Englisch, ganze Gruppen wohlbeleibter älterer Trumps, in ihrem Schlepptau ziemlich schrecklich gekleidete ältere Damen, folgen ihrem Führer, während die brennende Sonne die Gesichter unter den Hüten rot anlaufen lässt. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass sie mir über den Weg laufen.

 

La Boca

La Boca ist ein anderes Kaliber. Es ist das ärmste und raueste Quartier der Stadt. Hier sollte man gewisse Gassen nicht zur Nachtzeit aufsuchen. Nicht, dass Buenos Aires besonders gefährlich wäre, aber man sollte es auch nicht herausfordern. Aber das gilt für alle Grossstädte dieser Grössenordnung, sei es Mumbai oder Moskau oder Paris oder was auch immer …

Aber La Boca ist natürlich die Heimat der ‚Boca Juniors, einem der heissesten Fussballclubs der Welt. Hier haben namhafte Fussballer ihre Sporen abverdient, also letztlich ein Mekka für Fussball-Aficionados.

Die erste Mannschaft zählt zu den erfolgreichsten Fußballmannschaften Argentiniens und spielt seit der Gründung des modernen argentinischen Ligensystems in der Primera División. Heimspiele werden im Estádio Alberto J. Armando oder im Volksmund La Bombonera ausgetragen. Bocas größter Rivale ist River Plate. Die Spiele zwischen den beiden Vereinen werden Superclásicos genannt und versetzen das ganze Land in den Ausnahmezustand.

Ich bin zwar ein Fan des argentinischen Fussballs, aber was mich noch mehr begeistert, ist das spezielle Flair des Viertels. Die Murales von La Boca sind weltberühmt, und man kann nicht anders als trotz der Hitze vor den bunt bemalten Mauern stehen zu bleiben und sich zu wundern über die Kunstfertigkeit der Laienkünstler.

 

Bienvenidos La Boca
Wahre Künstler am Werk
Murales
Murales in La Boca

 

Puerto Madero

Es ist übrigens heiss, sehr heiss, und ich bin froh um das stetige leichte Lüftchen, das dem schwitzenden Gesicht schmeichelt. Auf der Karte sind die Ausläufer des Rio de la Plata als blaue Zonen, also so wie Wasser normalerweise aussieht, eingezeichnet.

Das, was sich allerdings zeigt, ist eine braune Brühe, die nur mit Mühe als Wasser bezeichnet werden kann. Offenbar ist die argentinische Seite des Flusses komplett verunreinigt (auf der uruguayanischen Seite soll es besser sein; dort kann man immer noch baden).

Finde ich ziemlich schändlich, denn der Puerto Madero, eine kilometerlange, wunderschön angelegte Überbauung des ursprünglichen Hafengebiets, hätte ein schöneres Bild verdient.

 

Puerto Madero
Puerto Madero – und Wolkenkratzer
Puerto Madero
Puerto Madero – und braunes Wasser
Puerto Madero
Puerto Madero – beeindruckende Gebäude
Puerto Madero
Puerto Madero – alte Hafenanlagen

 

Eine alte Fregatte

Festgezurrt am Hafenquai, wahrscheinlich für alle Ewigkeit, liegt eine Fregatte, ein ehemaliges Schulschiff, wie sich herausstellt. Es wurde im 19. Jahrhundert gebaut und war bis in die 30-Jahre des letzten Jahrhunderts im Einsatz.

 

An old School Ship
Eine Fregatte – früher ein Schulschiff

Jetzt tummeln sich Touristen in seinem Inneren, Kinder spielen in den unendlich lange scheinenden Gängen.

Was mich besonders fasziniert, ist das Steuerrad. Wer zumindest die ‚Pirates of the Caribean‘ gesehen hat, kann sich das ungefähr vorstellen. Nicht auf diesem Schiff: hier sind drei (!) Steuerräder hintereinander installiert. Grund: bei schweren Stürmen genügte ein einziges Steuerrad nicht, es brauchte im Extremfall alle drei Steuerräder, die von bis zu 6 Männern bedient werden mussten. Wow …

 

Three Steering Wheels for bad Weather
Drei Steuerräder für stürmisches Wetter
Weaponry
Da bekommt man beinahe Angst

 

Das andere Buenos Aires

Der Schritt wird noch langsamer, man bezahlt langsam den Tribut an die langen Kilometer in der flirrenden Hitze. Und so ende ich in einem kleinen Restaurant, trinke ein Glas Vino Tinto, esse eine Empanada und fühle mich einfach grossartig.

Dieser Eindruck verblasst auf dem Weg zurück zum Hotel. Im Gegensatz zu den protzigen Wolkenkratzern, die ein vollkommen anderes Bild der Stadt abgeben, herrscht bei den unteren Bevölkerungsschichten grosse Not. Siehe unten …

 

Poverty in the former rich city
Armut – die andere Seite der Stadt

 

Kilometerstand:  null

Song zum Thema: Talking Heads – Air

Und hier geht die Reise weiter …

 

Südamerika

Das Dröhnen der Rolls Royce Motoren

Wie die Evolution gezeigt hat, ist der Mensch ein äusserst anpassungsfähiges Wesen.

Andernfalls wäre er wohl kaum zur etwas umstrittenen Krone der Schöpfung geworden. Allerdings ist fraglich, ob die Evolution auch das Eingepferchtsein im Innern einer ziemlich dünnen Metallhülle vorgesehen hatte, 12 Stunden in einem viel zu engen Sitz, kaum Möglichkeiten, die Beine auszustrecken, dazwischen eine Art Nahrungsaufnahme mit allerhand Plastikgeschirr und der organisatorischen Frage, wie man verhindert, dass der volle Becher Wasser sich über den Rest des Essens, die Beine oder den Nachbar ergiesst.

Schlafen? Dem einen oder anderen gelingt es, den meisten nicht oder – so wie mir – höchstens als kurzes Absacken in die Bewusstlosigkeit.

 

Das Dröhnen der Rolls Royce Motoren

Das Auge folgt dem Flug auf der Anzeige, das langsame Herantasten an den Atlantik, am Anfang immer in der Nähe des afrikanischen Kontinents, dann erst im letzten Moment das Abbiegen hinaus in die Weite des Ozeans.

Eine ganze Weile bleibt es so, ganz blau, kein Land, keine rettenden Inseln, so wie Kolumbus vor 500 Jahren auf der Suche nach Indien. Erst ein zaghafter Zipfel (Brasilien?), dann eine breite dunkle Fläche zeigt, dass wir es geschafft haben. Allerdings behauptet die Distanzangabe, dass wir erst gut die Hälfte der Strecke hinter uns haben, es bleiben also nochmals über 5000 Kilometer.

From Madrid to Buenos Aires
Von Madrid nach Buenos Aires

Es ist dunkel, auch im Flugzeug, neben mir ein schwaches Schnarchen der Dame, irgendwo die Schrei eines Babys, die beruhigende Stimme der Mutter, umgeben vom allgegenwärtigen Dröhnen der riesigen Rolls Royce Motoren. Der Dreamliner ist eines der grössten Flugzeuge, die je gebaut wurden, aber so wie die A380, das andere Ungeheuer, eher die letzten dieser überdimensionierten Spezies, da sich der Trend in Richtung kleinerer und sparsamerer Flugzeuge bewegt.

Unter uns bewegt sich der Kontinent langsam nach Norden, lange Zeit das nicht enden wollende Brasilien, dann endlich Uruguay, der Descent beginnt, der Rio de la Plata und dann Buenos Aires. Wir sind da.

 

Das ist also Argentinien … und Uber

Obwohl die Kolonne vor der Passkontrolle endlos erscheint, geht es überraschend schnell. Wie kommt man nun am schnellsten in die Stadt? Der Möglichkeiten gibt es viele, allerdings wurde mir von meinem Hotel geraten, entweder die weissen Taxis für 30 Dollars oder halt Uber zu benützen.

Uber?

Na ja, man könnte es ja mal versuchen. Ich tippe also den Zielort ein und habe nach ein paar Sekunden tatsächlich einen Fahrer namens Gabriel gefunden, der in genau 16 Minuten bei mir sein soll. Sehr gut!

Was ich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht weiss, dass sich nun eine Kette von Fehlern und Ungereimtheiten zu endloser Warterei und Frust führt .

Gabriel taucht auf jeden Fall nicht auf; die Karte zeigt, dass er sich in die entgegengesetzte Richtung bewegt, was Uber allerdings nicht davon abhält, diese Fahrt auf mein Konto zu buchen (was ich aber erst später bemerke).

uber driver

Ein neuer Fahrer meldet sich und taucht auch tatsächlich auf. Er bringt mich in seinem uralten Fiat in Windeseile zu meinem Hotel und verlangt 380 Pesos in Cash. Ich bin zwar etwas irritiert, dachte ich doch, dass Uber via Kreditkarte abrechnet.

Wie auch immer, das Hotel Chillhouse ist ok, und Antoine, der Host, empfängt mich mit grosser Herzlichkeit. Und ein letztes kleines Uber-Detail: die Verbuchung der Fahrt, die ich in bar bezahlt habe, ist in der Zwischenzeit auch auf die Kreditkarte gebucht worden.

Uber? Nur über meine Leiche …

 

Irgendwie wie Paris oder so

Die ersten Schritte an einem neuen Ort sind immer die interessantesten. Alles erscheint neu und trotzdem, im Fall von Buenos Aires, bekannt. Die Hauptstadt von Argentinien unterscheidet sich kaum von den europäischen Kapitalen, man fühlt sich fast ein wenig wie zuhause. Breite Strassen, Alleen, grossartige Paläste, Monumente und Millionen von Vehikeln und Menschen.

Andererseits werden sich die Unterschiede in den nächsten Tagen zeigen. Die Armut, die Schwermut, die überall in der Luft liegt. Argentinien war vor hundert Jahren ein reiches Land, ein sehr reiches Land. In der Zwischenzeit hat es zahlreiche finanzielle und wirtschaftliche Krisen durchgemacht, Staatspleiten, Inflation, politisches Durcheinander und Chaos. Ein eigenartiges Land, irgendwas zwischen Reichtum und Armut. Ein durchaus plausibles Beispiel für alles, was auf diesem Kontinent schiefläuft.

Aber gemach – ich bin erst angekommen, müde vom langen Flug. Antoine versorgt mich mit Informationen, und so lande ich gegen Abend mit erschöpften kleinen Augen in einer Pizzeria in einem der angesagten Quartiere unweit meines Hotels und fühle mich sofort wohl. Doch, Buenos Aires kann noch was werden.

 

Kilometerstand:  null

Song zum Thema: Thalia – Desde esa Noche

Und hier geht die Reise weiter … endlich in Buenos Aires