Die Strecke mit nur etwas mehr als 120 km bis zur Grenze ist ein Pappenstiel, doch dann folgt der gefürchtete Grenzübergang zwischen Afghanistan und dem Iran. Er verursacht bei vielen Travelern böse Träume, ja, es soll offenbar Leute geben, denen dieser Übergang derart viel Respekt einflösst, dass sie den beschwerlichen Weg durch den Süden von Pakistan über die Grenze zum Iran vorziehen.
Das heutige Ziel ist Maschhad, knapp 400 km, aber wenn sich die Befürchtungen bewahrheiten sollten, könnte der Grenzübergang viele Stunden dauern. Denn diese Grenzbeamten, auf der afghanischen wie auf der iranischen Seite, sind berüchtigt für ihre grausamen und nervtötenden Spiele, genannt Grenzkontrolle. Für sie in vielen Fällen die einzige Möglichkeit, das spärliche Monatsgehalt aufzubessern.
Man könnte beinahe etwas Verständnis aufbringen …
Sturm, Kälte, Pelze
Als müsste dieser Tag schon am Anfang den Tarif durchgeben, lässt er erneut einen teuflischen Orkan blasen, der uns vor vorne und von der Seite von der Strasse drücken will. Und wer es wagt, einen Schritt nach draussen zu tun, dem gefriert das Blut in den Adern.
Wir haben seit Kabul schon einiges an winterlichen Temperaturen erlebt, doch diese markdurchdringende Kälte übertrifft alles. Sie überfällt von einem Moment zum anderen, paart sich mit einem Sturm, dessen Bösartigkeit aus der tiefsten arktischen Hölle kommen muss. Er fetzt durch die Kleider, fegt die Mütze vom Kopf, kurz – man erstarrt in Sekundenschnelle. No Country for old Men!
Aber he, man erinnere sich an unseren blödsinnigen Kauf von Pelzen im Kaschmir – jetzt erleben sie ihre Feuertaufe! Nicht, dass der Kauf damit etwas weniger blödsinnig war, aber immerhin verschaffen sie uns nun etwas Schutz vor der beissenden Kälte.
Des Schreckens erster Teil
Aber dann erreichen wir die Grenze, es gilt als erstes den afghanischen Zoll zu überwinden. Ein pockennarbiger, schwarzbärtiger Beamte im Mantel, der auf den ersten Blick einen recht freundlichen Eindruck macht, nimmt uns in die Zange.
Das bedeutet erst mal, dass alles ausgepackt werden muss, ich meine wirklich alles, das nicht niet- oder nagelfest ist. In der Zwischenzeit hat sich einiges angesammelt, von neuen Stühlen und Tisch anstelle der gestohlenen bis zu Souvenirs in allen Farben und Formen. Langsam wird uns klar, dass uns noch diverse unangenehme Grenzübergänge bevorstehen.
Und dann muss der Wagen über eine Grube gefahren werden, um auch die Unterseite unter die Lupe zu nehmen. Anschliessend beginnt erst die richtige Untersuchung des Meisters: abklopfen, abtasten, nachfragen, wieder auspacken und wieder einpacken.
Zu unserer Überraschung scheint der ganze Zauber nach einer guten Stunde tatsächlich bereits überstanden zu sein. Der Pulsschlag beruhigt sich, der Atem wird flacher, bis uns ein Beamter im Zollgebäude nach den Papieren für unsere Pelze fragt. Autsch! Doch alles andere als erwartet, hat er sich anscheinend einen Scherz mit uns erlaubt und winkt uns durch.
Bye-bye Afghanistan! Wie sich später herausstellen wird, ist es ein Abschied für immer …
Arm vs. Reich
Die Unterschiede zwischen den beiden Welten könnten nicht grösser sein. [Viele Jahre später stehe ich an der Grenze zwischen Laos und China, und voilà, das gleiche Phänomen]. Obwohl wir auf dem Hinweg hier durchgekommen sind, verblüfft uns der Kontrast, der am Beispiel der Zollstationen erkennbar ist: hier verlotterte, dunkle Gebäude, wellige, löchrige Naturstrassen dazwischen und Beamte, die nicht als solche zu erkennen sind.
Und da moderne Bauten, geteerte Strassen, geschniegelte Uniformen, und dort wo die Unterschiede am meisten ins Auge fallen bzw. bzw, in die Nase stechen – saubere, gepflegte Toiletten!
Man braucht nicht lange nachzudenken, woher diese Abweichungen stammen – es ist einzig und allein das Geld!
Des Schreckens zweiter Teil
Der zweite Schrecken beginnt am iranischen Zoll mit dem Ausfüllen von zahlreichen Formularen, die mit Garantie irgendwo in einer dunklen Ecke verschwinden werden (genauso wie die unzähligen Formulare, die wir in Indien und Nepal ausfüllen mussten). Während wir also den bürokratischen Mist hinter uns bringen, verschwinden die Beamten ins Restaurant, um sich einem ausgiebigen Lunch zu widmen. Erst dann sind sie bereit, sich uns anzunehmen.
Der geschniegelte Herr in Anzug und Kravatte nähert sich also mit einigermassen stolzer Brust unserem in der Zwischenzeit ziemlich heruntergekommenen Vehikel. Man kann sich schlichtweg nicht vorstellen, dass er seine manikürten Hände an unserem verdreckten Auto schmutzig machen will.
Doch der Schein trügt, denn der freundliche Herr entpuppt sich als Meister seines Fachs. Es gibt offenbar Hohlräume, von deren Existenz nicht mal wir etwas gewusst haben, sie stehen im Zentrum seines Interesses. Unser Blutdruck hat wieder einmal ungesunde Höhen erreicht, doch der Puls, den er bei mir zu seinem persönlichen Gaudi abtastet, überzeugt ihn schlussendlich von unserer Unschuld, und wir sind entlassen.
Alles in allem – lange, mühsam, nervenaufreibend, aber auch spannend!
Nächtliche Phantome
Es ist noch erstaunlich früh, das Wiedereinräumen unserer Habseligkeiten geschieht im Überschalltempo, und so fassen wir den tollkühnen Entschluss, die 240 km bis Maschhad doch noch unter die Räder zu nehmen.
Und wer hätte es gedacht, unser alter Freund Gegenwind begleitet uns auf dem Weg durch den düsteren nächtlichen Iran. Es ist eine der Fahrten, die uns an ähnliche Abenteuer in der Türkei erinnern, nichts, was man sich antun sollte, nichts, was man wiederholen sollte.
Der Blick bleibt stets geradeaus gerichtet, auf die kaum sichtbare Fahrbahn, auf der alle paar Minuten ein geisterhafter Schatten auftaucht und gleich wieder verschwindet. Doch es ist lediglich das übermüdete Gehirn, das sich immer wieder dabei ertappt, Phantome zu erkennen, wo nur Schatten herrschen. Es gibt nichts, wovor man sich fürchten müsste, keine Tiere, keine Menschen, keine Fahrzeuge, nur wir und die Nacht und die Müdigkeit.
Es herrscht zappendustere Dunkelheit, als wir endlich in Maschhad eintreffen, wenigstens kennen wir den Weg zum Campingplatz. Wir steigen mit verkrampften Gliedern aus und werden einmal mehr von einem bösartigen Angriff der Kälte überrascht.Tja, es wird wohl nicht mehr besser …
Maschhad revisited
Nach den Strapazen der vergangenen Tage verbringen wir einen Rasttag in Maschhad. Die Stadt hat ja zahlreiche Basare, in denen man traditionelle iranische Handwerkskunst, Gewürze, Teppiche und andere lokale Waren kaufen kann. Der Basar von Reza ist einer der bekanntesten und größten in Maschhad.
Maschhad ist eine Stadt, die Tradition und Moderne auf faszinierende Weise verbindet. Sie ist nicht nur ein wichtiges religiöses Zentrum, sondern auch ein kultureller und wirtschaftlicher Knotenpunkt im Iran.
Nicht zu vergessen die vielfältige und köstliche Küche der Stadt. Typische Gerichte sind Kebab, Dizi (ein traditionelles persisches Eintopfgericht), allerdings ist das Restaurant, wo wir bei der Hinreise ein unschlagbares Chelo-Kebab geniessen durften, geschlossen.
Es passt zu unserem Gemütszustand,
Ist es die Kälte, die Erschöpfung, ist es eine Art Überdruss an Erlebnissen und Ereignissen, die uns im Moment in eine seltsame Apathie gezogen hat? Wir wissen es nicht, aber Donnerwetter, möchte man den Travelern zurufen, seid doch glücklich mit all den wunderbaren Erlebnissen, die euer Leben prägen werden.
Aber es ist halt so furchtbar menschlich! Jeder Überfluss führt früher oder später zu Überdruss!
Wie auch immer, nach einem doch noch gefundenen Restaurant, wo wir tatsächlich mit einem wunderbaren Essen überrascht werden, machen wir uns auf nach Hause und bereiten uns auf die nächste arktische Nacht vor.
Passender Song von 1975: Bob Dylan – Simple Twist of Fate
Und hier geht der Trip weiter … westwärts