Das einzige, was es zu diesen Tagen zu berichten gibt, ist, dass es nicht viel zu berichten gibt. Der Wind? Die Kälte? Die Strassen? Eigentlich dreht sich doch alles nur noch darum, möglichst schnell nach Westen zu gelangen, in wärmere Regionen, wo der Arsch nicht dauernd in Gefahr gerät, irgendwo anzufrieren. Natürlich wird uns die Kälte noch eine ganze Weile ein zuverlässiger Begleiter sein, aber wer weiss, ob der Wettergott uns wieder einmal Gnade erweisen möchte.

Wie auch immer, es sind lediglich 280km nach Bodschnurd, bei unserem momentanen Vorwärtsdrang ein Piece of Cake. Wir starten später als in den letzten Tagen, vielleicht auch noch euphorisiert nach der beinahe schon warmen Nacht. Wie gesagt, der Wettergott, unser Freund, und wenn nicht, dann kann er  uns mal kreuzweise.

Hochmut und dergleichen

Allerdings merken wir schnell, dass man nicht allzu schnell Lobeshymnen singen sollte, vor allem dann nicht, wenn der Wettergott gemeint ist. Denn der heutige Tag zeigt, dass man seinen Launen nicht trauen darf. Denn anstatt auf Schwingen des Vogels gen Westen zu gondeln, bringt uns der verfluchte Gegenwind schon wieder an die Grenzen der Leistungsfähigkeit unseres armen Ottomotors (wenn er bis zuhause durchhält, werde ich eine Dankesbotschaft nach Wolfsburg schicken).

Was natürlich eine Schande ist bei diesen wunderbaren Strassen, die auch Überschalltempi vertragen würden, aber eben, unsere Geschwindigkeit ist alles andere als Überschall, schon eher Zeitlupe.

Aber hallo, Gegenwind hin oder her, um die Mittagszeit sind wir bereits in Shirvan, knapp 10km vor Bodschnurd, und klopfen uns auf die Schultern. Um den Anlass gebührend zu feiern, holen wir das entgangene Chelo-Kebab nach, das zwar schmeckt, aber ziemlich ins Portemonnaie geht.

Kurven und Steigungen

Die eben erfahrene Lektion bezüglich Hochmut (Hybris = eine extreme Form der Selbstüberschätzung oder auch des Hochmuts: man verbindet mit Hybris häufig den Realitätsverlust einer Person und die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, Leistungen oder Kompetenzen), hat offenbar wenig Eindruck gemacht.

Denn es ist tatsächlich erst kurz vor drei Uhr, also erkundigen wir uns nach der nächstgelegenen Station der Highway-Police. 220km, ein Pappenstiel für uns Welteroberer!

Wir machen uns immerhin schleunigst auf den Weg, denn wer weiss, was uns dieser seltsame Tag noch zu bieten hat. Und nun beginnt wieder mal eine der berüchtigten Berg- und Talfahrten, die unser Bus hasst wie die Pest. Kurve folgt auf Kurve, Steigung auf Steigung, und ja, es geht ziemlich hoch hinauf.

Das einzige, was uns gelegentlich in einen positiven Schwung versetzt, sind die Kinder am Strassenrand, die uns freundlich zuwinken. Sie sind die farbigen Tupfen auf der grauen Palette.

Immerhin erweist sich die Befürchtung, dass wir bis zum Ziel ein weiteres Mal in stockdunkler Nacht fahren müssen, als unbegründet, denn kurz vor Einbruch der Nacht künden Lichter am Horizont den Bestimmungsort an.

Zwei Welten

Die sonnigen Tage am Kaspischen Meer sind in bester Erinnerung. Es würde uns nach all den frostigen Tagen gut tun, etwas Sonne und Wärme zu geniessen. Babolsar, unser heutiges Ziel, liegt 300km im Westen, wir kommen erstaunlich gut vorwärts, der blaue 2CV unserer Freunde meistens voraus, wir bilden wie immer den Besenwagen.

Entlang der Strasse leben Menschen, die uns sehen, während sie für uns meistens unsichtbar bleiben. Doch gelegentlich stehen sie am Strassenrand und winken uns zu, während wir vorüberbrausen. Manchmal ein Dach zwischen den Bäumen, schwarzer Rauch schwebt über dem Haus. Kinder sitzen auf der blossen Erde und spielen mit leeren Konservenbüchsen.

Die Menschen sind da und gleichzeitig weit weg, denn wir wissen nichts voneinander. Ein wiederkehrender Gedanke – im Grunde sind wir Voyeure, wir werfen kurze, schnelle Blicke auf eine andere Welt, die uns ebenso verschlossen ist wie die unsere in den Augen der Einheimischen. Was denken sie über uns, wenn wir da in unseren Vehikeln vorbeibrausen? Sind wir gleichsam Wesen vom Mars, unbekannt, unwillkommen?

Doch manchmal denken sie sehr wohl etwas über uns. Das sind die Tage – so wie heute, offenbar ein Feiertag, denn alles ist geschlossen – wo sich das in anderer Form äussert. Die Gesichter der Menschen am Strassenrand sind alles andere als freundlich. Sie rufen uns etwas zu, mit Grimassen, mit obszönen Handbewegungen, die alles sagen, nur nichts Gutes.

Seltsam, es ist wieder dieselbe Gegend wie auf der Hinfahrt, ein eigenartiger Menschenschlag, wie es scheint.

Erinnerungen an schöne Tage

Ja, die Erinnerungen! Immer trügerisch, manchmal rosarot, manchmal das Gegenteil. Man erwartet Sonne und Wärme, so wie vor vielen Monaten, doch die Sonne zeigt uns den Finger. Sie hat sich bei unserer Ankunft hinter düstere Wolken verzogen, auch sie scheint keine Freude an unserer Ankunft zu haben. Ein starker Wind vom Meer her bläst uns Staub und Sand in die Augen. Der Strand mit so vielen schönen Erinnerungen hat sich ein anderes Kleid übergelegt, ein hässliches, abweisendes.

Man fühlt sich abgelehnt und flieht von dannen, nach Awol zur nächsten Station der Highway-Police.

Das Kaspische Meer, so wie es sein müsste (Von Asadi – Eigenes Werk)

Nieselregen und Skifahrer

Es gibt weiss Gott Angenehmeres, als beim leisen Trommeln eines Nieselregens auf dem Autodach zu erwachen. Der Blick durchs Fenster zeigt weiteres Ungemach – Nebel, der wie ein durchsichtiges Hemd über der Landschaft liegt. Die Konturen sind diffus, man sieht kaum zehn Meter weit.

Die Kalamitäten haben bereits während der Nacht begonnen. Offenbar haben sich meine Reparaturkünste am Dach als wenig zuverlässig erwiesen, also tropf, tropf, tropf, und der Schlaf verzieht sich.

Nach dem Frühstück entwickelt sich der Nieselregen schon bald in einen ausgewachsenen Landregen, der uns die unangenehme Gegend fluchtartig verlassen lässt. Das nächste Kapitel heisst allerdings Passfahrt, wir erinnern uns nur allzu gut an die Hinfahrt.

Aber es gibt doch noch Zeichen und Wunder – die Fahrt den Pass hinaus bildet gleichzeitig den Übergang zu sonnigem Wetter. Man muss sich das bildlich vorstellen: die Strasse ist schneefrei, der Himmel blau und lediglich von feinsten Schlieren durchzogen, auf beiden Seiten der Strasse hohe Schneefelder.

Aber es sind nicht einfach nur schneebedeckte Abhänge, es gibt Skilifte und Skifahrer, deren Talent allerdings begrenzt erscheint. Die Nicht-Skifahrer benutzen aufgepumpte Reifen als Ersatzschlitten. Eine gute Idee, wie uns scheint, man spürt das Kribbeln, es ebenfalls zu versuchen.

Aber wir müssen weiter, Teheran ruft.

Back in Hell

Und so sind wir zurück in dieser Stadt, die wir wie keine andere hassen. Das alltägliche Verkehrschaos nimmt uns auf, die einsamen Strassen der vergangenen Tage sind bereits eine ferne Erinnerung.

Alles scheint sich gegen verschworen zu haben. Ist es der 13. des Monats, dieser vermeintliche Unglückstag? Man könnte beinahe dran glauben.

Denn zu guter Letzt – durchaus passend – meldet sich am Abend eine Magenverstimmung. Nach all diesen Monaten mit weiss Gott nicht immer magenverträglicher Nahrung erwischt es auch mich. Also Lexotanil Input. Tee. Ruhe. Alles, um mir den Tag endgültig zu versauen.

Manche Orte …

… wecken Erinnerungen an Schönes, Interessantes, Überwältigendes, Herzerwärmendes. So viele wunderbare Städte, wo man für immer bleiben möchte.

Nicht so Teheran.

Ich bin sicher, dass auch Teheran für viele Menschen Heimat bedeutet, das Zuhause, wo man sich trotz allem wohlfühlt, der Platz im Universum, wo man sein will. Sie kennen nichts anderes, und so ist das, was da ist, alles, was man hat.

Schon der gute alte Buddha behauptete: What you think you become! In abgeänderter Form – was man erwartet, das kriegt man auch. Und so scheinen sich diese negativen Gefühle in vielfältiger Weise zu manifestieren. Ein veritabler eiskalter Sturm zieht über das Camp her, kein Haarewaschen, keine Wäsche, wenn man nach ein paar Stunden nicht mit steif gefrorenen Kleidern beglückt werden will.

Und dann wird auch Monika krank.

Am Nachmittag fühlt sie sich schlecht, gegen Abend hat sie über 39 Grad Fieber. Man könnte meinen, dass uns die Götter (die Stadt?) momentan nicht sehr wohlgesinnt sind. In Indien oder Nepal hätten wir ihnen ein Opfer bringen können, mit Gebeten und allem Drumherum, doch hier?

Bye-bye Isfahan

Ist es das Ungemach der vergangenen Tage oder sind wir schlicht etwas reisemüde? Während Monika im Bett liegt, versuche ich den Tag so gut wie möglich draussen zu verbringen. Denn die Innenausstattung des Busses ist für normale Tage, d.h. ohne bettlägerige Patienten, gedacht.

Falls also das Bettgestell den ganzen Tag heruntergeklappt bleibt, ist Phantasie gefordert, um sich im Rest des Wageninneren zu bewegen. Im Klartext – man muss kriechen, sich verrenken, bücken, fluchen, wenn der Rücken schmerzt und der Zugriff auf Kochutensilien versperrt ist.

Und während Monika langsam der Genesung entgegendämmert, begraben wir mit Wehmut die geplante Reise in den Süden nach Isfahan.

So hätte sich die berühmte alte Stadt präsentiert …

Passender Song von 1975: Bob Marley – Get up stand up

Und hier geht der Trail weiter … oder auch nicht

 

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