Vom Kaspischen Meer nach Maschad
Es geht also weiter, Ade Chalous, wir werden dich nicht vermissen, den Nachthimmel allerdings schon. Und Otto natürlich, wir wünschen dem armen Kerl alles Gute und vielleicht doch noch ein langes Leben.
Der Weg führt anfangs eine ganze Weile dem Kaspischen Meer entlang. Eine farbige fruchtbare Gegend, ganz anders als das, was wir bisher vom Iran gesehen haben. Sie erinnert uns in verschiedener Hinsicht an Griechenland, an Methoni, das kleine Städtchen im Süden des Peloponnes.
Methoni auf dem Peloponnes
Warum erinnern wir uns an Orte, an Menschen, an andere nicht?
Methoni ist ein gutes Beispiel. Ein abgelegener kleiner Ort, als Tourist ist man das Ereignis des Tages. Es gibt genau eine einzige Taverne, wo sich die alten Männer treffen, ihre seltsamen Spiele spielen. Aber es gibt eine Musikbox. Angesichts der musikalischen Dürre während unserer Reise drücke ich ein paar Lieder, griechische natürlich, um den Gästen eine Freude zu machen.
Und es wird mit wohlwollendem Nicken zur Kenntnis genommen. Einer der bärtigen Männer mit dunkelgebranntem, zerfurchtem Gesicht steht auf und geht ebenfalls zur Musikbox. Und gleich darauf erklingt das einzige englischsprachige Lied.
Gibt es bessere Beispiele für die Möglichkeiten gegenseitiger Verständigung?
Der Grund, warum manche Orte, manche Menschen, manche Erlebnisse nicht vergessen werden, während andere sofort verschwinden, sind die damit verbundenen Gefühle.
Seltsame Leute
Die Bewohner dieser Gegend sind aber im Unterschied zu den Griechen, die wir als freundlich und zurückhaltend in Erinnerung haben, laut und aufdringlich. Wir machen gute Miene zum bösen Spiel, sogar wenn sie auf die Stossstange springen oder, noch viel schlimmer, uns in protzigen Autos verfolgen.
Wahrscheinlich ist es besser, dass wir das, was sie uns hinterher rufen, nicht verstehen, denn es scheint sich nicht um freundliche Grussworte zu handeln. Seltsam. Man fragt sich, ob der sonst überall sichtbare Fortschritt diesen Leuten vorenthalten worden ist. Oder ob Fremde grundsätzlich als solche wahrgenommen werden. Das kennen wir doch irgendwie auch.
Na ja, auf jeden Falle wächst unsere Sympathie zu ihnen mit dem Quadrat der Entfernung.

Zurück in der Wüste
Sobald man den Einflussbereich des Meeres verlässt und sich gegen Osten richtet, findet man sich wieder in der gewohnten wüstenähnlichen Einöde. Und es geht wieder aufwärts und abwärts, die Berge, die Hügel, die Täler und Schluchten haben uns wieder.
Und damit unsere alltägliche Mühsal. Der kleine herzige 1200cc Motor schnurrt zwar zuverlässig, doch wenn die Steigungen allzu steil werden, kann er schon mal ein protestierendes Geräusch von sich geben, was wie das verzweifelte Keuchen eines Asthmatikers klingt. Aber wir reden ihm gut zu, loben ihn über den Klee, und so führt er uns gehorsam durch das unwegsame Gebiet.
Am Abend treffen wir uns wie gewohnt in einer Highway Police Station, wir sind mit unserem langsamen Vehikel nicht erstaunlich wieder die letzten, was uns aber nicht aus der Ruhe bringt (solange man sich jeweils am Abend wieder findet).
Die Abendunterhaltung wird durch einen der Polizisten bestritten, der unter dem Gelächter seiner Kollegen versucht, auf Englisch eine Diskussion in Gang zu bringen. Sein Wortschatz von geschätzten sieben Wörtern dient allerdings kaum zuz einem sinnvollen Gespräch, seine Bemühungen werden aber auf jeden Fall sehr wohlwollend aufgenommen.
Das neue Leben
Der erste Monat auf dem Trail liegt hinter uns, in der Rückschau scheint der Abschied von zuhause viel länger zurückzuliegen. Das Leben auf der Strasse gefällt uns, das Wohnen im Auto ist alltäglich geworden. Wir sind nicht nur distanzmässig sondern auch gefühlsmässig Lichtjahre entfernt von unserem alten Leben.
Ausnahmsweise sind wir am folgenden Morgen früh unterwegs, damit wir wenigstens ein einziges Mal nicht die letzten sind. Es liegen wieder viele hundert Kilometer vor uns, die Strecke ist wie gestern sehr mühsam zu befahren.
Die Gegend scheint ausgestorben zu sein, selten ein Dorf, ein paar Hütten, manchmal ein paar lebende Seelen an einer Bushaltestelle.
Und so fahren wir dahin, den Blick geradeaus gerichtet, nach Osten, dorthin, wo wir hinwollen. Und wo es doch immer noch so weit zu sein scheint.


Mörderische Unfälle
Es überrascht nicht, dass auch auf dieser abgelegenen Gegend der Lastwagenverkehr ebenso dicht ist wie überall in diesem aufstrebenden Land. Und es ist nicht erstaunlich, dass auch hier mörderische Unfälle passieren.
Und tatsächlich, an der nächsten Station der Highway Police, hoffentlich die letzte Übernachtung vor Maschad, sind gut sichtbar für alle Vorbeifahrenden die zerknautschten Überreste einer Frontalkollision ausgestellt.
Es scheint eine Mahnung an alle jene Temposünder zu sein, die ohne Rücksicht auf Verluste durch die Gegend brausen.
Der Nutzen kann bezweifelt werden.

Maschad – die heilige Stadt der Schiiten
Maschad, einer dieser exotischen Städtenamen, die unverzüglich Bilder vor dem geistigen Auge entstehen lassen. Wie Mandalay. Rangun. Jaipur. Man stellt sich wundersame Tempel und Moscheen vor, mit goldenen Türmen und blauen Kuppeln.
Doch Maschad ist mehr als nur ein schöner Name, es ist die heilige Stadt der Schiiten. Hier starb Ali, der Schwiegersohn Mohammeds, den Märtyrertod, und nicht erstaunlich, dass Maschad nun den Mittelpunkt des schiitischen Islam darstellt.
Wir erreichen die Stadt kurz vor Mittag, die letzten Kilometer von der Highway Police haben den vorherigen Kilometern entsprochen. Viel Einöde, viel verbrannte Erde, viel Nichts.
Das Interesse an Ali und all der Pracht der Stadt ist vorderhand gering, alles, was uns interessiert, ist eine heisse Dusche und warmes Wasser, um endlich wieder einmal waschen zu können.
Und by the way, der Campingplatz – relativ neu und gut angelegt – ist gerammelt voll. Die halbe Welt scheint Richtung Osten zu reisen.
Passender Song von 1974: Manfred Mann’s Earthband – Blinded by the Light
Und hier geht der Trip weiter … wir erkunden die heilige Stadt