Um acht, es kommt mir vor wie mitten in der Nacht, taste ich mich zum Fenster, um nach draussen zu sehen. Es dauert eine Weile, bis die Dämmerung den Morgen grau färbt und ich das wahre Ausmass des Wetters erkenne. Es regnet in Strömen. In meinem Kopf herrscht eine komische Leere.

So ist es nun also, anstatt den Weg nach Lubian gemächlich unter die Füsse zu nehmen, sitze ich am Morgen auf meinem Bett und betrachte mit Sorgen mein rechtes Schienbein. 

Man kann es drehen und wenden, wie man will, Tatsache ist – ich stecke fest.

Eine schwarze Stadt

Seltsam, wie sich eine bei Sonnenlicht hübsche Stadt wie Puebla de Sanabria verwandeln kann. Alles, was es dazu braucht, ist Regen, Dunkelheit und Kälte. Ein perfektes Gemisch, um eine Stadt in ein eiskaltes, schwarzes Monster zu verwandeln.

So kommt es mir heute vor. Der Blick aus dem Fenster zeigt graue, nasse Mauern, gezackte Wolken, die tief über den Dächern hängen, vom Wind zerzauster Rauch aus Kaminen. Gelegentlich ein Schirm oder eine hochgezogene Mütze, durch die Düsternis eilend.

Eines ist sicher – innerhalb kürzester Zeit hat sich alles verändert. Die Hitze ist eine ferne Erinnerung, kurze Hosen, Sonnencreme, schwitzen – alles Vergangenheit.

Puebla de Sanabria – kalt und nass und unfreundlich

Pläne B und C

Heute stehe ich also einem erzwungenen Ruhetag gegenüber. Ich verlängere im Hotel um einen Tag und will etwas genauer wissen, wie’s denn wirklich um mein Bein steht. Es gibt glücklicherweise ganz in der Nähe ein Health Center.

Nach endlos langen administrativen Abklärungen (wer bezahlt die Rechnung?), werde auch an eine junge, sympathische Ärztin gewiesen, die mich beruhigt und versichert, dass ich in 2-3 Tagen alles wieder okay ist und ich den Camino fortsetzen kann. Na ja, so ganz überzeugt bin ich nicht, aber mal sehen.

Der Nachmittag dient dazu, die nächsten Tage zu planen. Die erste Erschütterung: es gibt weder einen Bus noch eine andere Möglichkeit, nach Lubian zu fahren. Diese Etappe fällt also schon mal weg. Immerhin scheint es einen Bus nach A Gudiña zu geben. Die weiteren Etappen sind von da an flexibel zu gestalten, allerdings befürchte ich, dass mein Scheinbein von jetzt an das Zepter sprich den Reiseführer spielen wird.

Distanz 30 km, Zeit ?

Das wäre meine Etappe nach Lubian gewesen. Ich hasse den Konjunktiv.

Puebla de Sanabria – eigentlich

Eigentlich bin ich sicher, dass das hübsche Städtchen auf dem Hügel bei Sonnenschein einen ganz anderen Eindruck macht und garantiert interessante Geschichten zu bieten hat. Mal sehen.

Die klimatischen Verhältnisse werden in Wikipedia besonders angesprochen. Ich zitiere:

Die winterlichen Temperaturen können durchaus kühl sein, im Sommer dagegen ist es warm bis heiß; Regen (ca. 760 mm/Jahr) fällt mit Ausnahme der Sommermonate übers ganze Jahr verteilt.

Übers ganze Jahr verteilt? Tatsächlich? Wenn ich nach draussen sehe, scheint mir diese Aussage eher noch untertrieben zu sein. Natürlich gibt es eine romanische Kirche (wer hätte das gedacht?), eine Burg, ein Rathaus und ein Museum. An sich viele Sehenswürdigkeiten, die einen Besuch lohnen würden, aber eben. Heute ist mein Level an andersweitigen Interessen als meinen Beschwerden äusserst begrenzt.


Von Puebla de Sanabria nach A Gudiña

Ich erwache spät, Frühstück wie gestern in der zugehörigen Bar. Man kennt mich in der Zwischenzeit und wirft mir gelegentlich freundliche Blicke zu. Oder sind es mitleidige? Der Wirt hat sicher gequatscht.

Es beginnt wieder zu regnen, und wie. Um zwölf Checkout, der Bus fährt erst nach zwei, also warte ich in der Bar und genehmige mir ein zweites Frühstück. Der Weg zum Abfahrtsort dauert etwa eine halbe Stunde, also mache ich mich auf den Weg.

Der Schirm wird mir fast aus den Händen gerissen, der Regen peitscht herunter. Ich erreiche das Hotel, wo sich die Haltestelle befindet, ich bin natürlich viel zu früh und setze mich erst mal ins Restaurant. Dreissig Minuten später sehe ich den Bus ankommen.

Blick aus verregnetem Fenster

Im Leben lässt sich nie voraussagen, bei welchem Anblick man realisiert, dass sich alles verändert hat. Ich muss zugeben, dass ich bis zu diesem Augenblick im Bus, während vor den Fenstern der Regen peitscht, nie daran gezweifelt habe, dass in ein paar Tagen alles wieder so sein wird wie vorher.

Aber jetzt hat sich ein Unbehagen eingenistet, es ist nicht nur das schmerzende Bein, das entgegen der frohen Botschaft der Ärztin eben doch nicht besser geworden ist, es ist der Regen, die Kälte, die Dunkelheit. Wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann dieser unselige Mix aus allen Ingredienzien, die das Leben schwierig machen.

Das ist der Moment, in dem eine Reise sich gegen einen kehrt, wo man erkennt, dass alles Vorherige nur eine Präambel zu diesem Zustand gewesen ist.

Die Fahrt ist wunderbar, sieht man davon ab, dass ich lieber zu Fuss unterwegs wäre. Die Scheibenwischer vor der Frontscheibe geben sich alle Mühe, dem Wasser Herr zu werden. Beim Überholen peitscht der Bus ganze Lawinen gegen die wehrlosen Vehikel. Einen Augenblick lang erkennt man durch Regen und beschlagene Scheiben hindurch Gesichter, dann sind sie weg.

Das Sturmwetter erinnert mich an Cordula und Henning, die sich tollkühn in das Abenteuer gestürzt haben. Sie sind nicht sehr weit entfernt, aber bezüglich angenehmen Stunden doch ziemlich im Nachteil.

Und noch etwas – ich habe nun tatsächlich, zwar etwas anders als vorgestellt, Galizien erreicht. Was soll ich sagen, man hat es ja gewusst. Der Regen, das manchmal unwirtliche Klima, aber erst, wenn man persönlich davon betroffen wird, erkennt man, was es bedeutet. Man könnte auch sagen, dass die Region zwar grün und bewaldet ist, dafür aber bezüglich Wetter definitiv die Arschkarte gezogen hat.

A Gudiña

Anyway, der Bus hält mitten im erstaunlich grossen A Gudiña, es dauert etwas, bis ich merke, dass es sich um ein Strassendorf handelt und mein Hotel am anderen Ende liegt. Ich bin kaum einen Schritt aus dem Bus gestiegen, da erwischt mich der Sturm mit voller Breitseite. Ich bin knapp imstande, mich auf den Beinen zu halten, da fliegt mein Hut in hohem Bogen weg und verschwindet hinter einer Mauer. Mein lauthalses Fluchen wird vom dröhnenden Sturm übertönt. Mit etwas Mühe, der Hut hat sich vorteilhafterweise in einem Strauch verfangen, kann ich ihn ein paar Schritte den Abhang hinunter retten. Meinen Hut verlieren? Nie im Leben.

Der Weg zum Hotel ist sehr lang, ich flüchte mich in einen Hauseingang und ziehe den Poncho über. So gehe ich im strömenden, tosenden Regen der Strasse entlang. Trottoirs muss man meiden, da ganze Sturzbäche vom Dach fallen.

Ich erreiche endlich das Hotel – geschlossen, Wirtesonntag, niemand da. Ich setze mich in die gedeckte Gartenwirtschaft, fluche lauthals die Wände empor. Schliesslich taucht ein junges Mädchen auf, erklärt mir, dass sie mir ein Mail geschrieben hat. Tja, dumm gelaufen, nicht gesehen.

Die paar Kilometer von der Bushaltestelle bis zum Hotel haben doch tatsächlich genügt, um mich vollkommen zu durchnässen. Meine Hosenbeine kleben an den Beinen, das Wasser hat trotz Gamaschen den Weg in meine Schuhe gefunden, immerhin ist der Rest einigermassen trocken geblieben.

Endlich an der Trockenheit, das Zimmer ist etwas kühl, aber okay. Cordula und Henning, die den Weg zu Fuss absolviert haben, erzählen beim Nachtessen vom schlechten Weg, vom Regen und Wind und allerlei Unangenehmem. Ich beneide sie nicht, manchmal denke ich, dass mein Bein genau den richtigen Moment erwischt hat, um in den Streik zu treten.

Tja, meine Welt ist nun etwas anders als noch vor zwei Tagen. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Anstelle Sonnencrème 50 haben nun Voltaren, Ibuprofen, ein Schirm und ein Regenponcho das Zepter übernommen.


Von A Gudiña nach Laza

Am Morgen scheint der Regen nachgelassen zu haben, doch ich traue der Geschichte nicht. Der Kleinbus nach Verin verpasst mich beinahe, doch dann geht’s rassig die doch ziemlich lange Strecke nach Verin. Die Gegend wäre schön zum Wandern, doch aus dem Fenster sehen ist keine schlechte Alternative.

Verin entpuppt sich als überraschend gross, ich finde schnell zu meinem Hotel. Es ist perfekt, kaum zu glauben für den Preis. Ich richte mich für einen gemütlichen Tag ein.

Eigentlich liegt Verin gar nicht am Camino Sanabria, aber es könnte sich um eine nicht sehr bekannte Variante handeln, die hier durchführt. Die Stadt macht aber einen guten Eindruck, ein, zwei Spaziergänge zeigen neben stark befahrenen Hauptachsen stille Gassen und verwunschene Winkel. Das Wetter allerdings macht diese Ausflüge zu einer kurzen Geschichte.

Laza

Ich bin natürlich wieder mal viel zu früh an der Bushaltestelle. Allerdings ergeben sich dadurch Gelegenheiten, das lokale Daily Life zu beobachten. Da das Auto immer noch das Hauptverkehrsmittel darstellt, sind es vor allem alte Leute und offenbar auch die ärmere Gesellschaft, die sich nur den Bus leisten kann. Tja, das kennen wir doch.

Die Fahrt dauert eine knappe halbe Stunde, etwa gleich lang wie der Weg von der Bushaltestelle in Laza zum Hotel. Dieses entpuppt sich wieder mal als genauso leer wie vorherige, aber was soll’s. Eine junge Dame ist temporär da und erklärt mir die Gegebenheiten des Etablissements. Immerhin kann man am Morgen Kaffee aufbrühen, es ist alles da, was der Frühstücksmagen verlangt.

Am Nachmittag mache ich ein paar zaghafte Versuche, das Dorf zu erforschen. Viel gibt es nicht zu sehen, wieder mal keine Menschen, nicht mal die obligaten Katzen, die normalerweise das Dorf bevölkern. Am Abend gibt es aber eine Art Pilgerrestaurant, wo man verköstigt werden kann. Der lange Weg vom Hotel zum Restaurant im immer noch strömenden Regen ist mühsam, das Essen aber köstlich und vor allem sehr reichhaltig.


Von Laza nach Xunqueira de Ambia

Eigentlich – die Betonung liegt auf eigentlich – müsste gemäss Fahrplan ein Bus um halb sieben ab Laza nach Xunqueira abfahren. Cordula hat mir gemeldet, dass sie am Vortag auf eben diesen Bus gewartet haben, ohne Erfolg.

Vielleicht haben sie den falschen Tag erwischt, so zumindest hoffe ich, als ich mich um halb sechs müde aus den Federn erhebe, in der Küche Kaffee aufbrühe und etwas esse.

Denn heute, mit Ausrufezeichen, will ich endlich den Weg zu Fuss weitergehen. Die Strecke von Laza bis Villar de Barrio entlang der unübersichtlichen Landstrasse will ich mir nicht antun und hoffe deswegen auf den Bus.

Ein Phantombus

Und so stehe ich kurz nach sechs an der Bushaltestelle am zentralen Platz, es regnet immer noch, und warte gespannt auf den Bus, der da kommen soll. Das Lustige ist, man kann die Fahrt des Busses auf dem Handy sehen kann. Er bewegt sich auf dem fiktiven Weg, und es sieht so aus, als würde er in den nächsten Minuten ankommen.

Weit und breit ist keine menschliche Seele zu sehen, es ist so still wie in einem Grab. Das Dorf liegt in seeligem Schlaf, ich kann es ihm bei diesem garstigen Wetter nicht verübeln.

Es ist 6 Uhr 25, gemäss Handy ist der Bus kurz vor der Dorfgrenze angekommen, er müsste also in ein paar Minuten hier sein. Halleluah! Und dann ist er da … zumindest auf der Handyanzeige. Man schaut sich um, ob man vor lauter Müdigkeit und Dunkelheit etwas verpasst hat, und vergleicht verständnislos Handy und Haltestelle, aber Herrgott, da ist nichts. Ein Phantombus? Ein Bus aus der Harry-Potter-Welt?

Wenn es nicht so kalt und dunkel und so verdammt früh wäre, wäre ein homerisches Gelächter angebracht, aber es würde im Hals stecken bleiben. Ich muss also zähneknirschend auf die geiche Lösung zurückgreifen wie Henning und Cordula und ein Taxi rufen.

Es dauert seine Zeit, bis sich eine verschlafene Stimme meldet. Aber es macht den Anschein, als hätte er nur darauf gewartet, dass sich wieder mal ein Wanderer meldet, der vergeblich auf den Bus gewartet hat. Und so werde ich nach ein paar Minuten durch einen sehr freundlichen, wenn auch noch etwas verschlafenen Chauffeur der nassen, kurvigen Strasse entlang gefahren. Sie führt durch Wälder, rechts und links vom Regen trieffende Bäume, und da ist auch der Camino, direkt am Strassenrand entlang. Wer will sich sowas antun?

Back on Track

Damit es klar ist, mein Bein fühlt sich genauso schlecht an wie gestern, aber mein Sturkopf lässt es nicht länger zu, auf der faulen Haut zu liegen, also vorwärts! Es wird schon noch nicht so schlimm werden. Die ewigen Ausreden der hoffnungslosen Optimisten!

Der Taxichauffeur lädt mich vor einem Restaurant ab. Ein paar Frühaufsteher sind um die Bar versammelt, man wirft mir mitleidige Blicke zu. Ich bin wohl von weitem als einer dieser Irren zu erkennen, die sich bei diesem Scheisswetter auf den Weg wagen. Das Mitgefühl geht soweit, dass mir der Wirt kostenlos ein Brötchen anbietet.

Aber dann, Leute, ich kann es kaum erwarten, schlinge Brötchen und Kaffee herunter und … bin unterqwegs. Ach Gott, wie habe ich es vermisst.

Der Regen, der für kurze Zeit eine Pause eingelegt  hat, wartet genau so lange, bis ich zwischen den Häusern der Weg suche, dann prescht er los, als müsste er mir wieder mal zeigen, dass ich ganz und gar in seiner Hand bin.

Distanz 13 km, Zeit 5 Std. (ab Vilar de Barrio)

Die Gronze-Plattform meint zur Etappe:

Eine lange Etappe mit schönen Landschaften und beträchtlichen Steigungen. Wie gestern führt der Tag durch ländliche Gebiete und Berge nach Vilar de Barrio, mit einem steilen Anstieg (425 m) von Tamicelas zum Cruz do Alto do Talariño (965 m), vorbei an Alberguería; weiter geht es von Vilar de Barrio nach Bobadela durch eine landwirtschaftliche Ebene, und von Bobadela bis zum Ende der Etappe geht es durch Buschland.

Na ja, so könnte es gewesen sein, wenn es denn nicht anders wäre. Wieder so ein philosophischer Spruch, der meinem langsam etwas müden Gehirn entsprungen sein muss. Es wird langsam Zeit, dass ich in ruhigere Gewässer zurückkehre.

Horréos

Ich bin nun wirklich mitten in Galizien. Aber es ist nicht nur der Dauerregen, der das auf jeden Schritt beweist, wo wir uns befinden, sondern die typisch galizischen Dörfer. Mit beispielsweise den Hórreos, die bei nahezu jedem Haus stehen. Es handelt sich dabei um traditionelle Speicher für Feldfrüchte (z. B. Mais).

Sie sind meist aus Stein konstruiert und dienen zur Abwehr gegen die gefrässigen Mäuse, die so die ersehnte Nahrung nicht erreichen können.

Die kleineren Hórreos wurden meist von nur einer oder zwei Familien genutzt; die grösseren Exemplare waren in der Regel dörfliche Gemeinschaftsspeicher. 

Wohlgefühl

Nur andere Wanderer auf dem Camino können nachvollziehen, wie wohl ich mich wieder fühle. Natürlich regnet es nach wie vor, aber das stört nicht, es gehört hier ganz einfach dazu. In einer der regenreichsten Regionen Europas kann es gar nicht anders sein. Also sind die Wege nass und manchmal sumpfig, man macht Sprünge über Wassergräben, man macht Umwege um tiefe Pfützen, wo sich das Wasser sammelt und leise vor sich hin gurgelt.

Alle paar Augenblicke hellt sich der Himmel auf, ein kurzer Gruss der sich rar machenden Sonne, dann platzt es wieder fröhlich herunter. Es lohnt sich schon gar nicht, den Regenponcho auszuziehen, er gehört heute zum guten Ton.

Aber eins ist klar, diese Region weiss, was der Camino bedeutet und wie man ihn ehren soll. Es sind nicht mehr einfach nur profane Pfeile, die in die richtige Richtung zeigen, nein, es sind Kunstwerke, wie dieser mit Muscheln verkleidete Stein.

Und da sind natürlich die Santiago-Kreuze, die jetzt dem Camino Sanabrés folgen. Man wird darauf aufmerksam gemacht, dass wir im Land des heiligen Jakobus sind, dass Santiago näherkommt.

Bom Caminho

Es ist nicht nur eine andere Region, es wird auch eine andere Sprache gesprochen – Gallego. Sie ist verwandt mit Portugiesisch, nicht überraschend bei der geographischen Nähe. Der „Buen Camino“ ist nun zum „Bom Caminho“ geworden. In den Gaststätten hört man rechts und links nur noch dieses warm klingende Idiom, nicht mehr das harte, schnelle, aggressive Spanisch.

Und es haben sich neue Anblicke ergeben, solche von grüner Pracht, von Bäumen und Unterholz, wo sich farbiges Laub sammelt. Die Luft riecht nicht mehr nach Staub und Hitze, sondern nach Feuchtigkeit und verrottendem Holz.

Die Strassen und Gassen entlang den grauen und nassen Häusern sind trist und verlassen, man möchte Stimmen hören, Lachen, Kindergeschrei, doch da ist nichts. Und so bleibt man manchmal stehen, sucht vergeblich nach einer trockenen Sitzgelegenheit, bis sich doch tatsächlich ein menschliches Wesen hinter einem Vorhang zeigt, doch nur kurz, dann ist man wieder allein mit dem Regen.

Ich habe die langen Etappen mehr vermisst als alles andere. Jetzt sind sie zurück, wenigstens für eine Weile. Und so folge ich mit Ehrfurcht (es könnte die letzte sein) der schnurgeraden Strasse, entlang Feldern, auf denen Kartoffeln angepflanzt werden.

Doch es geht nach einer Weile tatsächlich auf einen windumtosten Hügel namens Cima da Villa hinauf, wenigstens hat der Regen für einen Augenblick eingehalten. Der Weg hinauf ähnelt einem Slalom zwischen den noch einigermassen trockenen und den versumpften Abschnitten hindurch. Doch die Aussicht über die im Dunst liegende Landschaft ist grossartig, man könnte beinahe die Nebengeräusche des Tages in Form von Nässe und Kälte vergessen.

Ich versuche mehr oder weniger verzweifelt, nicht an mein Bein zu denken, in der Hoffnung, dass es dann auch nicht mehr schmerzt. Wie sagt man so schön, die Hoffnung stirbt zuletzt. Denn Himmelherrgott, ohne Schmerzmittel wäre es eine wahre Tortur. Irgendwann muss die Intelligenz über den Ehrgeiz siegen. In meinem Fall ein eher unwahrscheinlicher Fall.

Auf der Cima da Villa

Der Abstieg führt dann durch einen dichten Eichenwald in die Ebene hinunter. Ein alter Freund, ursprünglich aus Galizien stammend, lässt mich wissen, dass diese Landschaft für ihn das wahre Galizien ausmachen. Die farbigen Teppische auf dem Waldboden. Die knorrigen Bäume dem Weg entlang. Die Ruinen der alten Häuser, grau wie alte Leute sich im Regen duckend.

Tja, Heimatgefühle sind mit unterschiedlichen Vorstellungen verbunden.

Xunqueira de Ambia

Nach dieser kurzen Etappe – ganz gut, um wieder auf Touren zu kommen – empfängt mich das Dorf mit dem seltsamen Namen Xunqueira de Ambia, knapp über tausend Einwohner, natürlich ein paar romanische Kirchen, ein zentraler Platz, wo sich am Abend dröhnende Mopeds mit zugehörigen Jugendlichen versammeln.

Die Gassen sind dunkel, obwohl es erst drei Uhr nachmittags ist. Ein Hund liegt an einer Kette vor einem Haus, er ist tropfnass. Meine Sympathie für das Dorf verringert sich in Sekundenschnelle.

Ich bin hochherrschaftlich untergebracht. Man durchschreitet, anfänglich etwas irritiert, ein Portal und findet sich in einem langen Korridor, der über eine Treppe zur Tür zum Hotel führt. Sie ist offen, niemand zu sehen. Doch auf einem Tisch wird dem Gast mitgeteilt, wo sich Schlüssel und Zimmer befinden und wünscht schon mal ein herzliches Willkommen.

Man traut sich ob der opulenten Ausstattung der Räume kaum zu atmen. Das Wohnzimmer wird von einem riesigen Tisch beherrscht, an dem sich garantiert 30 Personen versammeln können, ohne sich gegenseitig den Platz streitig zu machen (und tatsächlich, am Abend macht mich der sehr distinguierte Boss darauf aufmerksam, dass ein grosses Dinner stattfinden wird, und ich doch das Abendessen im Dorf einnehmen soll).

Kalt

Die Zimmer befinden sich im oberen Stock. Eigentlich fühle ich mich gut, das Bett mit der farbigen Decke macht den Eindruck von Wohlbehagen, die Temperatur im Raum kündet allerdings wenig von Wohlbehagen, sondern von frostiger Kälte.

Am Abend, es ist früh dunkel geworden, eile ich durch den Regen und suche das einzige offene Restaurant im Dorf. Dann, nach einem mehr als frugalen Mahl, eher als Magenfüller denn als kulinarische Offenbarung gedacht, zurück ins Hotel, schleiche an den hochwohlgeborenen Herrschaften am grossen Tisch vorbei.

Eines ist sicher – die Nacht ist ein einziger Block aus schwarzer Kälte. Auch die warmen Decken vermögen die im Raum grosszügig verteilte Kälte nicht zu besiegen. Am Schluss bin ich schlotternd gezwungen, meine Treckinghosen ins Bett anzuziehen, um nicht vollends in einen Schüttelfrost zu versinken. Und das erste Mal kommt das Gefühl auf, dass es gut ist, dass das Ende naht.

Passender Song: The Communards – So cold the Night (extended Version, so wie die Nacht)

Und hier geht die Wanderung weiter … dem Ende entgegen

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