Manche Ortsnamen haben etwas an sich, einen eigenen Klang, etwas, was die Reiselust entfacht. So wie Mandalay oder Madurai oder Luang Prabang oder Jaipur. Dschallalabad löst zwar keine unmittelbaren Reisegelüste hervor, dafür ist der Name aber auf jeden Fall erinnerungswürdig.

Allerdings, wir werden die freundliche Stadt, die uns für eine Nacht beherrbergt hat, mit guten Gefühlen verlassen, denn es geht weiter, der Grenze Pakistan zu.

Und heute wartet ein besonderer Leckerbissen (sofern es denn einer wird) – der Khyber  Pass. Und jetzt sind wir wirklich bei den magischen Namen, die etwas auslösen. Alte Geschichten von Kriegen mit Vorderladern, Gefechte zwischen Männern mit Turbanen und Maschinengewehr tragenden weissen Soldaten. Denn ein Jahrhundert lang lieferten sich dort paschtunische Stämme und britische Regimenter tödliche Duelle.

Diese Scharmützel sind Teil der Vergangenheit, doch auch im Jahr 1974 stellt der Pass eine besondere Herausforderung dar. Er ist, so erzählen die Heimkehrer, mühsam und staubig, doch ein echtes Highlight, was auf keinen Fall verpasst werden sollte. Überfälle sind eher nicht zu erwarten, was in unserem Fall auf das heruntergekommene Aussehen unseres Vehikels zu tun haben dürfte.

Die Strasse zur Grenze ist nach den gestrigen Strapazen eher leichtere Kost. Gelegentlich passieren wir, einigermassen erstaunt, fruchtbare Gegenden, die so gar nicht zur Umgebung passen. Erstaunlicherweise wird nicht nur die Umgebung, sondern auch die Bevölkerung freundlicher. Einmal mehr gilt die alte Weisheit, dass der Mensch ein Produkt seiner Umgebung ist.

Unser Wagen schnurrt wie ein junges Kätzchen, seit den dunklen Zeiten in Täbris hat sich unser Freund zu einem liebgewonnenen zuverlässigen Begleiter entwickelt, und wir klopfen ihm immer mal wieder auf die Schulter bzw. das etwas verbeulte Blechdach. Hoffen wir, dass er seine positive Seite auch auf dem Khyber-Pass beibehält.

Es ist nun Mitte November, Zeit für Veränderungen, Zeit um an die Wärme zu kommen. Wir sind – soviel ist jetzt wohl klar – trotz einigen Schwierigkeiten sehr weit gekommen, viel weiter, als wir uns mit grösstem Optimismus vorgestellt hatten. Wieviel dabei Glück gespielt hat oder Zufall oder unser entspannter Umgang mit allerlei Problemen – wir wissen es nicht, und es spielt auch keine Rolle. Die erfreuliche Tatsache ist, dass wir uns bereits wieder an einer Grenze befinden – Pakistan.

Zum Glück weiss man vorher nie, was geschehen wird, ob es enden wird und wo es enden wird. Aus solcher Unwissenheit besteht unser Leben.

Die Grenze – und ein neues Land

Und so stehen wir an der Grenze bei Torkham, dem letzten Ort auf afghanischem Boden. Anders als im untenstehenden Bild gibt es keinen Verkehrsstau, es ist ruhig, und es dauert erstaunlich schnell, die Grenze zu überqueren.

Also Abschied.

Dann bye-bye Afghanistan, es war schön mit dir (und in ein paar Monaten werden wir uns wiedersehen). Jetzt wird es interessant, denn Afghanistan ist das eine, Pakistan das andere, eine ganz andere Kategorie, eine andere Welt.

Es sind nur ein paar Kilometer ins Land hinein bis Landi Kotal, dem Grenzort auf pakistanischer Seite, teuflischerweise aber auf der falschen Fahrbahn, denn ab jetzt gilt Linksverkehr. Was zum Henker haben uns die Engländer da eingebrockt?

Ich atme kurz durch, denn bis zur Rückreise irgendwann im Frühling müssen wir uns nun daran gewöhnen, dass die rechte Spur zum Überholen da ist und nichts anderes. Die beiden orangen VW-Busse, deren Fernziel in Australien liegt, haben in weiser Voraussicht ihre Wagen von Anfang an rechtsgesteuert gekauft.

Auf den ersten Blick hat sich nicht viel verändert, auf den zweiten hingegen schon. Die für uns unleserliche Schrift ist geblieben, die Kleider mehr oder weniger die gleichen, die Läden mit dem bekannten Ramsch im Angebot – und trotzdem hat sich etwas verändert. Wie immer, wenn man eine Grenze überquert. Wir wissen nicht, was es ist, wir wissen überhaupt nicht viel, ausser dass wir uns in einer fremden Welt aufhalten, die von Tag zu Tag fremder wird.

Irgendein weiser Mensch behauptete: Das Paradox jedes Wissens ist, dass je mehr wir über einen kleinen Teil der Welt erfahren, desto eher erkennen wir, wie unermesslich das Unbekannte und unsere Unwissenheit sind.

Ich muss ihm zustimmen.

Der Khyber-Pass

Tja, der Khyber-Pass, der berühmte, berüchtigte, lässt nicht lange auf sich warten. Er ist knapp 60 Kilometer lang, die Passhöhe etwas über 1000 Meter im Safed-Koh-Gebirge („weisse Berge“) gelegen. Die Anzahl Kurven kennt offenbar niemand. Wir werden sie fürchten lernen, doch kurz nach Landi Kotal verabschiedet uns zunächst mal ein Tor oder eher eine Art Triumphbogen. Fehlt eigentlich nur noch ein Hinweis auf das, was uns erwartet (Ave Cäsar, die Todgeweihten grüssen dich oder so ähnlich).

Aber eben, eigentlich sind wir wie immer ahnungslos und fahren einfach mal drauflos.

Der Kyber-Pass stellt eine geographisch, historisch und wirtschaftlich wichtige Verbindung zwischen Zentralasien und dem indischen Subkontinent dar. Die politische und wirtschaftliche Bedeutung des Passes ebenso wie seine strategische Lage haben dazu geführt, dass die Kontrolle seit vielen Jahrhunderten in den Händen von paschtunischen Stämmen liegt.

Der Pass war allerdings schon im Altertum die wichtigste Verbindung in die indische Tiefebene. Alexander der Grosse benutzte ihn ebenso wie später die Moguln oder Marco Polo auf dem Weg nach Indien. Auch der südliche Arm der Seidenstrasse benutzte diese Strecke. Im 19. Jahrhundert geriet der Pass unter britische Kontrolle. Allerdings wurde im Januar 1842 das von Kabul nach Indien abziehende britische Heer vollständig vernichtet. Wer hätte das gedacht.

Wir befinden uns also auf historischem, einmal mehr blutgetränktem Boden. Heute, 1974, hat sich die Lage zwar beruhigt, wie wir wissen, werden die nachfolgenden Jahre jedoch wieder von Gewalt und Unterdrückung geprägt sein.

Staub und Felsen und Einöde

Nun, wie erwartet und befürchtet, beginnt die Fahrt staubig. Nicht so schlimm wie auf dem Tahir (der ist bereits aus dem Kurzzeitgedächtnis verschwunden), aber annähernd. Wir sind froh, dass der Verkehr mässig ist, entgegen kommende Fahrzeuge kreuzen uns langsam, die Insassen werfen uns neugierige Blicke zu. Für sie ist es Mühsal, für uns ebenso, allerdings freiwillig.

Die vor uns liegende Strasse ist gut erkennbar, sie windet sich bergauf und bergab, und verschwindet irgendwo im HIntergrund, wo die Berge hinter Dunst verschwinden.

Aus der Vogelperspektive erkennt man die Strasse, die sich wie eine Schlange durch das Gebirge windet. Aber im Hintergrund, im abendlichen Dunst zu erkennen, lockt die weite Ebene. Dort werden wir durchatmen und schwören, in den nächsten Wochen nur noch flaches Gebiet zu durchfahren (wie man sich doch täuschen kann, denn ein paar Tage später machen wir uns auf in den Kashmir).

Anyway, nach dem Tahir kann uns eigentlich wenig erschüttern, deswegen sind die knapp 60 Kilometer zwar mühsam und staubig, aber insgesamt eine Erlebnis der besonderen Art.

Kann es sein, dass wir auch harte Herausforderungen zu geniessen beginnen?

Peshawar

Wir lassen die Berge hinter uns, vor uns liegt nun die indische Tiefebene. Der Motor scheint hörbar aufzuatmen, was jetzt folgt, sind endlos lange Strecken über topfebenes Gebiet, quer durch Pakistan, südwärts nach Lahore nahe der indischen Grenze. Und dann das gelobte Land – Indien. Das heilige Ziel aller Hippies.

Und tatsächlich, es verändert sich sehr viel.

Das werden wir bereits in der ersten grösseren Stadt bewusst – Peshawar, der Hauptstadt der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa. Sie hat heute eine Bevölkerung von über 2,3 Millionen Menschen, damals noch sehr viel weniger, aber wie man weiss, sind Pakistan und Indien Länder mit einem grossen Bevölkerungswachstum.

Und zum ersten Mal werden wir nun konfrontiert mit dem Chaos, dem Lärm, dem endlosen Gehupe, dem Gestank der Metropolen auf dem indischen Subkontinent, es wird unser ständiger Begleiter in den kommenden Wochen und Monaten sein. Sind wir schockiert? Eigentlich nicht, denn das, was uns in Indien erwartet, abseits der ausgebauten Strassen, wo die durchschnittliche Geschwindigkeit ungefähr 10 Kilometer pro Stunde misst, liegt noch in weiter Ferne und jenseits unserer Vorstellung.

Wir finden einen geeigneten Zeltplatz, sitzen am Abend seit langem wieder einmal ohne an den Arsch zu frieren vor den Wagen und lassen es uns an der warmen Sonne gut gehen.

Unter den neugierigen Augen einiger Einheimischer gilt es erst mal die Wäsche zu waschen, nicht mit 30 oder 60 oder gar 90 Grad, nein, mit ziemlich kaltem Wasser am öffentlichen Brunnen. Egal, Hauptsache das Zeug wird sauber.

Passender Song zum Jahr: James Brown – Please please please

Und hier der Trail weiter … nach Lahore im Süden

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