Bevor wir in Richtung indische Grenze aufbrechen, steht noch der wichtige Besuch zu einer der grössten Moscheen der Welt an. Wir dürfen nicht alles auf den Heimweg verschieben, es gibt Dinge, die keinen Aufschub ertragen.

Die Badshahi-Moschee

Es ist ja nicht so, dass wir an einer Unterversorgung an Moscheen leiden, im Gegenteil. Während man durch die islamische Welt fährt, wird man permanent Zeuge unerhörter architektonischer Meisterleistungen. Man denke nur an Teheran und Herat, Kandahar, Kabul.

Aber in den Folgejahren werden andere, ebenso grossartige Meisterwerke ihre Magie entfalten, sei es in Madurai oder Kathmandu oder Angkor Wat.

Aber es gibt Ausnahmen, die den bisherigen Rahmen sprengen. Beispielsweise die Badshahi-Moschee in Lahore, eine der grössten und eindrücklichsten Bauwerke der Welt.

Sie weist eine Kapzität von 100’000 Besuchern auf, sie wurde in den Jahren 1671 bis 1674 auf Anordnung von Großmogul Aurangzeb im Mogul-Architekturstil erbaut und gilt als eines der bedeutendsten Werke der indo-islamischen Sakralarchitektur der Mogulzeit. 

Man fühlt sich auf dem riesigen Platz vor der Moschee verloren. So dürfte es von den Erbauern beabsichtigt worden sein. Der Mensch soll sich im Vergleich zu Allah winzig klein fühlen.

Natürlich ist der Zutritt ins Innere der Moschee für uns Ungläubige verboten, also lassen wir’s bei der Bewunderung von aussen. Je näher man tritt, umso grossartiger erscheinen die achteckigen Minarette mit den aufgesetzten Pavillons, die drei weissen Marmorkuppeln, die Lotosblüten und vergoldeten Kugelstäbe.

Heute ist der Platz, eigentlich der Innenhof, beinahe leer, was ihn noch grösser erscheinen lässt. Man stelle sich vor, wenn er an wichtigen Tagen mit 100’000 hingebungsvollen Gläubigen gefüllt ist.

Auch bei uns Ungläubigen stellt sich ein seltsames Gefühl ein. Es ist wie wenn man vor dem Petersdom in Rom steht oder vor der Shwedagon Pagode in Yangon. Es hat etwas mit der spirituellen Ausstrahlung dieser Orte zu tun, und auch wenn man nichts mit der jeweiligen Religion zu tun hat, ist etwas spürbar, was man nicht verstehen kann.

Die indische Grenze

Dann aber sagen wir Lahore Good-bye und verabschieden uns bis nächstes Jahr.

Die Strecke von Lahore bis Amritsar ist kurz, aber da sie über die Grenze der zwei verfeindeten Länder führt, einigermassen besonders. Will man heute auf Google Maps die Strecke einblenden, wird eine merkwürdige Meldung angezeigt:

Die Route von „Lahore, Punjab, Pakistan“ nach „Amritsar, Punjab, Indien“ mit dem Auto konnte nicht berechnet werden.

Es bedeutet im Klartext, dass es aktuell keine Strassenverbindung zwischen den beiden Staaten gibt. Im Kontext der geopolitischen Zusammenhänge begreifbar, aber nichts desto trotz eine Dummheit.

Anyway, 1974 gibt es diese verworrene Situation noch nicht, wir erreichen nach kurzer Fahrt den Grenzort Wagah, und mit einem Gefühl des Stolzes und einem High-Five (was es zu dieser Zeit noch gar nicht gab) überqueren wir die Grenze.

Wir stellen fest, dass wir am 15. November 1974, nach knapp zwei Monaten, das erste Ziel der Reise – Indien – erreicht haben. 

Eigentlich wäre nun Champagner angesagt, mindestens ein Moët & Chandon Dom Pérignon zur Feier des Tages. Wir haben es, entgegen aller Propheten, trotz aller Hindernisse, geschafft.

Amritsar – die heilige Stadt der Sikhs

Ein paar Kilometer nach der Grenze erreichen wir Amritsar, die heilige Stadt der Sikhs. Und einmal mehr werden wir in eine Welt gekippt, die uns so fremd vorkommt wie der Mars.

Turbanbewehrte Männer mit harten entschlossenen Gesichtern dominieren das Stadtbild. Ihre Kopfbedeckungen sind farbig, orange, gelb, rot, alle Schattierungen davon. Und ihre Haare und Bärte sind lang, dazu unten mehr.

Irgendwie fühlen wir uns wohl, obwohl so ziemlich alles fremd und ungewohnt scheint. Das emsige Treiben auf den Strassen und Plätzen zeigt den ausgeprägten Sinn der Sikhs fürs Geschäft. Kein Wunder, dass ein grosser Teil der indischen Geschäftswelt von ihnen dominiert wird. Dieser Umstand führt immer wieder zu Konflikten mit den Hindus, der anzahlmässig grössten Volksgruppe des riesigen Landes.

Amritsar spielte auch im Befreiungskrieg gegen die britische Besatzung eine entscheidende Rolle. 1919 ging das Massaker von Amritsar in die unheilvolle Geschichte ein.

Aus heutiger Sicht ist es unvorstellbar und unverständlich, mit welcher Brutalität die britischen Besatzer gegen die friedlich demonstrierenden Menschen vorgingen. Nicht überraschend, dass Gandhi, der zu dieser Zeit bereits aktiv im Befreiungskampf war, das Ereignis zu seinen Gunsten dankbar annahm.

Der Goldene Tempel

So wie die Moschee in Lahore stellt der Goldene Tempel von Amritsar (auch Harmandir Sahib genannt) etwas dar, was die innige Beziehung der Gläubigen in wunderbarer Weise zu demonstrieren vermag.

Der Tempel wurde im 16. Jahrhundert erbaut und erfuhr im 19. Jahrhundert einen weiteren Ausbau in Form der goldenen Kuppel.

Wikipedia meint dazu:

Der Tempel ist mit Blattgold belegt und liegt auf einer Insel in einem künstlich angelegten See, dem Amrit Sarovar. Umgeben ist der Tempel von einer Palastanlage. Diese hat je ein Tor auf allen vier Seiten, was die Offenheit der Sikhs gegenüber allen Menschen und Religionen symbolisieren soll. Im Tempel selbst werden während der Tageszeit Verse aus dem heiligen Buch Guru Granth Sahib rezitiert. Diese Gesänge werden musikalisch untermalt und sind über Lautsprecher in der ganzen Tempelanlage zu hören. Der Tempel ist immer geöffnet und wird täglich von tausenden Pilgern, darunter nicht nur Sikhs, besucht.

Wir sind wie immer in solchen Fällen sehr zurückhaltend beim Besuch. Wie gehören nicht zum Leben dieser Menschen, nicht zu ihrer Kultur oder ihrer Religion, wir sind Fremde in einer fremden Welt, und so wird es auch bleiben.

Wir bewegen uns langsam um den See herum (der mit Vorteil etwas sauberer sein könnte, aber wir sind ja in Indien, also müssen diesbezügliche Anforderungen etwas zurückgeschraubt werden), der Blick bleibt, wie magnetisch angezogen, auf den Tempel gerichtet. Er strahlt in der Abendsonne, einen überirdischen Glanz auf das Wasser werfend.

Man kann sich dem Gefühl nicht erwehren, dass hier tatsächlich etwas geschaffen wurde, das der Ehre Gottes gewidmet ist.

Aber kann man als Besucher mehr empfinden als Hochachtung vor solchen Werken? Ich denke nicht. Es ist ihre Welt, ihr Verdienst, ihr Werk.

Einfach atemberaubend. Und genau so verlassen wir das Zentrum der Sikh-Welt und wünschen ihr Beständigkeit in alle Ewigkeit. (Das dem nicht so ist, zeigen die folgenden Jahre, siehe Wikipedia).

Die Sikhs

Zurück in der Normalität.

Und damit inmitten der Sikh Wirklichkeit. Natürlich sieht man sie überall in Indien (viele Jahre später auf einer Wanderung, vollkommen unerwartet, an einem ebenso unerwarteten Ort – eine Sikh-Familie).

Die Religion der Sikhs ist eine im 15. Jahrhundert n. Chr. entstandene monotheistische Religion, im Punjab (wo wir uns momentan befinden) gegründet und hat heute rund 25 bis 27 Millionen Anhänger, wovon die Mehrheit in Indien lebt.

Die Sikh-Religion betont die Einheit der Schöpfung und verehrt einen gestaltlosen Schöpfergott, der geschlechtsneutral ist. In der religiösen Praxis gibt es verschiedene formale Vorgaben zum Beispiel bezüglich Kleidung, Namensgebung und Auftreten.

Praktizierende Sikhs, vor allem männliche Religionsanhänger, erkennt man an einem kunstvoll gebundenen Turban. Die Kopfbedeckung samt ungeschnittenem Haar – eine Tradition, die zu Zeiten der Gurus fortschreitend an Bedeutung gewann – drückt entsprechend dem Selbstverständnis der Sikhs Weltzugewandtheit, Nobilität und Respekt vor der Schöpfung aus. Der Turban soll zu jeder Zeit und an jedem Ort getragen werden.

Eine denkwürdige Rikscha-Fahrt

Gegen Abend fahren wir ins Zentrum der Stadt, ich teile mit Roli eine Fahrrad-Rikscha. Der Fahrer, dessen schmächtige Gestalt uns von Anfang hätte eine Warnung sein müssen, tritt in die Pedalen, seine Wadenmuskel zeigen die Anstrengung, aber wir kommen ganz gut vorwärts. Bei einer Brücke über die Bahngeleise wird es zu steil, wir steigen ab, der Fahrer nickt uns dankbar zu.

Oben angekommen setzen uns frohgemut wieder hin, schliesslich geht es nun bergab. Wir haben allerdings ein paar physikalische Gesetze vergessen, nämlich die Kombination von Gewicht (alle Personen zusammen grob geschätzt über 200 Kilogramm) und Neigungswinkel der Abfahrt (plus begrenztes Leistungsvermögen des Rikschafahrers), also eine ziemlich schlechte Ausgangslage.

Und so sausen wir in halsbrecherischem Tempo die Brücke hinunter, der Fahrer versucht die übrigen Verkehrsteilnehmer mit schrillen Rufen zu warnen, was allerdings nicht viel nützt. Die Leute bringen sich in letzter Sekunde mit einem Sprung in Sicherheit, während wir einander festhalten und der festen Meinung sind, dass unser letztes Stündlein geschlagen hat.

Doch irgendwie – wie so vieles in Indien – geht es mit viel Glück und der Gunst sämtlicher indischen Götter gut, und wir steigen kurze Zeit später mit etwas weichen Knien aus der Rikscha. Das generöse Bakschisch hat sich der Fahrer redlich verdient.

Passender Song zum Jahr: 10cc – The Wall Street Shuffle

Und hier geht der Trail weiter … Kaschmir wartet

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