Nicht, dass wir einen besonders attraktiven Campingplatz gesucht hätten, doch der Ort, wo wir schlussendlich landen, kann wahrlich nicht behaupten, besondere Sterne für Ausstattung und Qualität zu erhalten.

Im Grunde ist es ein Hinterhof, wahrscheinlich zum angrenzenden Gebäude gehörend, mit hohen Mauern ringsherum, einem meterhohen Haufen Backsteine in der Mitte des Platzes und einem Rohr in der Wand, das offenbar die Wasserversorgung darstellen soll.

Alles in allem – perfekt!

Immerhin haben wir uns temporär verlorenen Freunde mit den beiden orangen VW-Bussen wiedergefunden, sie haben den gleichen Campingplatz gewählt und haben viel zu erzählen.

Und so haben sich alte Freunde wiedergetroffen, und neue sind dazugekommen.

Züri Geschnetzeltes im Swiss-Restaurant

Nach unserer gestrigen Ankunft – müde, erschöpft, ausgehungert – wartete ein besonderes Vergnügen nach all diesen Kokosnuss-Tagen: Züri-Geschnetzeltes im Swiss-Restaurant. Und es fühlte sich an, als würden wir für all die Entbehrungen der letzten Woche entschädigt. Das Leben wäre doch unerträglich ohne solch positiven Überraschungen.

Wobei noch angefügt werden muss, dass ein Gast vom Servicepersonal vergessen wird. Während sich also die grosse Runde schnatzend über das Essen hermacht, stellt man aufgrund meines immer finsterer werdenden Gesichts endlich fest, dass man jemanden vergessen hat. Anyway, als es dann doch noch serviert wird, ist es das beste Geschnetzelte meines Lebens.

Leider haben wir vor lauter gutem Essen versäumt, ein paar Fotos vom Restaurant zu machen. Was umso schlimmer ist, da es offenbar nicht mehr existiert.

Dafür habe ich ein Zeitdokument der besonderen Art gefunden. Die damalige Menükarte des Hotels Eden: „Heavenly Pleasure Room“ (oder so ähnlich) dürfte einen der vielen Gründe darstellen, warum Kathmandu zu jener Zeit einen Anziehungspunkt der besonderen Art darstellte. Kaffee mit Haschisch, Tee mit Haschisch, Toast und Cake und vieles andere – alles mit Haschisch.

Welch glorreichen Zeiten das waren.

Und zu unserer Schande müssen wir gestehen, dass wir nichts davon wussten (vielleicht auch besser für die Erhaltung der klaren Sicht auf die Welt).

Gehversuche in Kathmandu

Unser Campingplatz liegt an den Aussengrenzen der Stadt, damals noch wenig überbaut, also dauert es eine Weile, bis wir das Zentrum erreichen.

Allerdings – 15 Jahre später, beim ersten Trek im Kali Gandakhi Tal, suchten wir vergebens nach dem alten Camping-Platz. Er war in der Zwischenzeit verschwunden, dem Erdboden gleichgemacht, überbaut, vergessen.

Und noch einmal viele Jahre später ist die Stadt nicht mehr zu erkennen: aus dem damals noch friedlichen Städtchen ist ein Monstrum geworden, mit Millionen von Einwohnern, einem Verkehr, der die Menschen kaum noch leben lässt, mit einer der schlimmsten Luftverpestungen Asiens, die das Atmen schwer macht und zu vielen Krebsfällen führt.

Tja, so ändert sich die Welt.

Eine Stadt zum Leben?

Die ersten Schritte durch die Haupstadt Nepals sind ein einziges andächtiges Staunen. Der erste Eindruck – hier lässt sich leben. Wir befinden uns nun im pulsierenden Herzen der Stadt. Man flaniert durch die Gassen, die Plätze, den Basar, vieles erinnert an Kabul, die zahlreichen Läden bieten alles an Kostbarkeiten an, was das Herz der Hippies erfreut: Stoffe in allen Farben des Regenbogens, Teppiche, Pullover, Gurkamesser …

Doch der erste Eindruck täuscht. Das nette Städtchen zeigt schon jetzt seine schlimmste Seite: gemäss einer UNESCO-Statistik ist Kathmandu bereits Mitte der 70-Jahre einer der dreckigsten und ungesundesten Hauptstädte der Welt. Wenn man durch die Strassen und Gassen geht, in denen sich Unrat und Schmutz häufen, versteht man den Grund dieser Beurteilung.

Ein anderer Menschenschlag

Die Einheimischen sind nett und freundlich und zurückhaltend, besonders die tibetischstämmigen Nepalesen – die meisten nach der chinesischen Okkupation nach Nepal geflohen – mit ihren typischen Schlitzaugen und den runden, gemütlichen, ausdrucksvollen Gesichtern.

Die Frauen mit ihren kunstvoll geflochtenen Zöpfen und den runzligen indianerhaften Gesichtern tragen ihre Kinder auf dem Rücken, dunkle neugierige Augen blicken hervor, man möchte sie küssen. Doch die älteren Kinder, mit wollenen Mützen auf dem Kopf, spielen barfüssig auf der Strasse, ihre fliessenden Nasen zeugen von suboptimaler Bekleidung.

Und da sind die Träger, ein fester Bestandteil auf den Strassen. Sie sind meistens klein, untersetzt und ungeheuer zäh. Die Lasten, die sie tragen, werden an einem Band um die Stirn getragen. Sie sind so schwer, dass wir Gym-trainierte Westler nicht die geringste Chance hätten.

[Und viele Jahre später, auf dem Langtang-Trek, das Erstaunen über die Lastenträger im Himalaya].

Dreck und schlechte Luft und sonst noch alles

Der Durbar Square, ein Gewirr von Tempeln und Pagoden, ist an diesem Tag nur mit Mühe und einigem Stolpern zu überqueren. Tiefe Gräben, Dreckhaufen, Ziegelsteine machen das Durchkommen schwer, dazwischen preisen Früchte- und Gemüsehändler ihre Produkte an, ebenso Brotverkäufer mit ihren Wagen, und mitten drin die obligaten heiligen Kühe, die durchs Chaos stolpern. Von den Kadavern von Hunden und den in der Nähe spielenden Kindern möchte ich lieber schweigen.

Wintersonnenwende und Dal Bhat

Es ist Winter geworden, der kürzeste Tag des Jahres, von nun an geht es wieder aufwärts. Man merkt die Temperaturunterschiede. Die Nächte sind kalt, man braucht warme Klamotten und kuschelt sich in der Nacht in die Schlafsäcke.

Der Morgen überrascht jeweils mit dichtem Nebel, bis ihm die Sonne im Verlauf des Vormittags den Garaus macht. Doch dann wird es warm, manchmal sogar richtig heiss, nicht überraschend in solchen Gegenden. Eine ähnliche Erfahrung mache ich viele Jahre später in Ladakh und dessen höllischen Temperaturen zwischen saumässig kalt und saumässig heiss.

Auch wenn wir keine besonderen Pläne für die nächsten Wochen hegen, haben wir uns entschieden, noch etwas länger in Nepal zu bleiben. Warum auch nicht, wir haben keine Eile, den Rückweg anzutreten. Der Aufenthalt in unserem Hinterhof ist dank Freunden und neuen Bekannten vergnüglich, auch wenn gelegentlich das Klappern von Schreibmaschinen die behagliche Stille stört.

[Schreibmaschinen? Man glaubt es kaum. Die beiden Damen unserer VW-Freunde schreiben ihre Tagebücher auf den mitgebrachten Schreibmaschinen. Man kommt sich manchmal vor wie in einem Grossraumbüro. Sehr seltsam!]

Und je länger wir in Kathmandu sind, entwickeln wir uns selbst zu halben Nepalesen und werden mit der Zeit auch zu einem Fan der nepalesischen Küche. Vor allem Dal Bhat hat es uns angetan. Dass die Einheimischen allerdings dreimal täglich ihr Nationalgericht essen und zwar ausnahmslos, ist doch eher überraschend.

Aber irgendwie passt es zu diesen so herzlichen Menschen, und wir können nicht anders, als eine tiefe Verbundenheit zu ihnen zu fühlen.

Mit dem Fahrrad unterwegs

Wir sind beide seit Jahren nicht mehr auf einem Velo gesessen. Die ersten Kilometer auf den unbequemen chinesischen Fahrrädern sind eine besondere Herausforderung, vor allem weil auch noch Linksverkehr herrscht.

Doch nach ein paar Kilometern hügelauf und hügelab erreichen wir unser Ziel.

Unser Ziel ist Patan (oder Lalitpur), die Schwesterstadt Kathmandus, berühmt für ihre Tempel. Man kann sich kaum vorstellen, dass die Stadt um das Jahr 1000 mit etwa 100.000 Einwohnern die zehntgrößte Stadt der Welt war.

Wikipedia meint dazu:

Die Geschichte der Stadt geht mehr als 2300 Jahre zurück. Der Überlieferung zufolge ist die Stadt die älteste im Kathmandutal und wurde im 3. Jahrhundert v. Chr. von der Kirat-Dynastie gegründet. Über viele Jahrhunderte war Lalitpur Hauptstadt eines eigenen Königreiches, das erst unter König Prithvi Narayan Shah im Jahr 1768 in das Königreich Nepal eingegliedert wurde. Ursprünglich hiessen die Stadt und das Königreich Patan.

Patan, jetzt und viele Jahre danach

Manchmal ist es besser, keine Ahnung über die Zukunft zu haben. Während wir staunend durch die überwältigende Pracht der Tempel flanieren, wissen wir Gott sei’s gedankt nicht, was im Jahre 2015 mit diesen Bauten geschehen wird. Genauso wie in Kathmandu wird das schwere Erdbeben einen Grossteil der Tempel zum Einstürzen bringen. Und ein abgeschiedenes Dorf in den Bergen für immer verschwinden lassen.

Das hier sind ein paar Bilder, die zeigen, welche Macht Mutter Erde hat, wenn ihr danach ist.

Es gibt so viel zu sehen und zu bestaunen: der Durbar Square mit den verschiedenen Tempeln und Pagoden. Der dreigeteilte ehemalige Königspalast neben vielen kleineren Tempeln. Der Goldene Tempel als Patans bedeutendstes Hauptkloster, der prachtvoll gestaltet und mit einigen vergoldeten Statuen sowie drei vergoldeten Kupferdächern ausgestattet ist.

Man könnte stundenlang staunen und dabei die eigene Müdigkeit vergessen, denn Schönheit in diesem Übermass erschöpft, und so ergreifen wir irgendwann, zwar beschenkt und begeistert, die Flucht und machen uns auf den langen Heimweg.

 

Song von 1974:  Manfred Mann’s Earth Band – Earth Hymn

Und hier geht der Trail weiter … in Kathmandu

 

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