Obwohl mir der Chef vom Hotel versprochen hat, eine halbe Stunde früher als normal für ein ordentliches Frühstück zu sorgen, ist um Punkt sieben kein Mensch zu sehen, oder doch?

Ist die Gestalt, die sich ächzend aus einem Stuhl erhebt, der Chef? Auf jeden Fall sieht er aus, als hätte er dort die Nacht verbracht.

Desayuno? Claro, antwortet er mit brüchiger Stimme und wankt in die Küche. Er hat gestern schon etwas mitgenommen ausgesehen, mit langsamen Bewegungen, als würde ihn jeder Knochen schmerzen, und auf meine Frage nach seinem Zustand murmelte er was von Alkohol. Es muss aber ein extremer Abend gewesen sein, wenn er die Folgen auch zwei Tage später noch spürt.

 

Ein sehr spezielles Frühstück

Anyway, er schaut sich erst mal etwas um, streckt mir einen Strunk Bananen entgegen.

Bananas? Porque no, antworte ich etwas geknickt. Dann aber macht er sich zumindest an der Kaffeemaschine zu schaffen, alles andere ist mir egal.

Ein wirklich besonderes Exemplar, dieser Kerl. Es ist der gleiche, der mich bei der Ankunft nach meiner Rolex fragte. Rolex? Welche Rolex? Alle Schweizer besitzen doch eine Rolex, antwortet er völlig überzeugt. Während ich also nach einiger Zeit an meiner Tasse Nestle Kaffee nippe, schaut er sich um. Wahrscheinlich ist er sich bewusst, dass das bisher Gebotene doch nicht ganz dem Standard-Frühstück entspricht. Auf dem Küchentisch entdeckt er eine Crepe von gestern Abend und streckt mir diese hin. Wie wär’s damit? Ich bin nicht ganz überzeugt, also holt er eine Tube mit einer Art Schokoladenaufstrich.

Das ist also mein Morgenessen an diesem Tag: ein Kaffee (ok), ein Strunk Bananen (etwas speziell) und eine alte, kalte Crepe von gestern Abend mit Schokoladenaufstrich aus der Tube (etwas gewöhnungsbedürftig).

Grossartig, einfach grossartig. Für solche Dinge reise ich. Wieder eine der Geschichten, die man nicht vergisst …

 

Eine Horde schreiender Gestalten

Im Normalfall muss man ein Busticket vorher besorgen, um sicher einen Platz zu haben.

Nicht an diesem Morgen, nicht in Santa Cruz mit Destination Cochabamba. Kaum aus dem Taxi gestiegen, werde ich von einer Horde schreiender Gestalten überfallen, und alle rufen wie aus einer Kehle Cochabamba.

Beim ersten kostet es 40 Bolivianos (knapp sechs Franken), allerdings macht der Bus nicht gerade einen vertrauenswürdigen Eindruck, also zum nächsten. Diesmal kostet es bereits 100 Bolivianos, allerdings mit Cama (Sitz zum Schlafen) auf dem oberen Stock und erst noch ganz vorne.

Auf dem Weg zum Schalter – de prisa de prisa, der Bus fährt nämlich gleich los – reduziert er den Preis noch auf 80 Bolivianos, und dann spurten wir los, ich haue meinen Rucksack in den Gepäckraum, keuche die Treppe hinauf und setze mich hin.

Drei Sekunden später fährt der Bus ab …

 

Ein einziges Vergnügen, hoch über der Welt

Wieder mal dauert es endlos, bis wir das offene Land erreichen. Es regnet in Strömen, doch auf meinem Hochsitz ist es ein einziges Vergnügen. Man sitzt sehr bequem hoch über der Welt, rundherum nasses Chaos, dichter Verkehr, Leute mit Schirmen und hochgezogenen Kapuzen.

Die Lowland Route ist knapp 500 Kilometer lang, führt anfänglich durch ein fruchtbares Tal, bevor sie dann langsam in die Höhe steigt und Cochabamba auf gut 2500 Meter erreicht. Wir haben also gut 10 Stunden äusserst vergnüglicher Fahrt vor uns, genau das, was ich mir wünsche.

 

From Santa Cruz to Cochabamba

Und während das nasse Bolivien zu meinen Füssen vorbeigleitet, sorgt der Chauffeur für die Unterhaltung der Passagiere. Und so verbringe ich die nächsten Stunden in Gesellschaft von Silvester Stallone und Co. und der lautstarken Präsentation von Expendables 1 bis 3.

 

River Valley

Huts

poor life

 

Das wahre Bolivien

Der Blick aus dem Fenster enthüllt nun aber das wahre Bolivien.

Erinnerungen an meine letzte Reise vor bald 36 Jahren tauchen aus dem Gedächtnis auf. Hat sich etwas verändert? Sind die Lebensumstände der Menschen besser geworden? Es macht leider nicht den Anschein. Die Hütten sind immer noch gleich heruntergekommen, die Leute schlecht gekleidet, die Kinder mit triefender Nase.

Die Strassen abseits der Hauptstrasse sind voller Löcher und jetzt, beim Regen, stehen sie unter Wasser. Der Film läuft weiter, zeigt gnadenlos, dass Bolivien eines der ärmsten Länder der Welt ist. Beim Bruttoinlandprodukt pro Einwohner steht es mit 2700 Dollars an 122. Stelle, und obwohl das Land über eine Million Quadratkilometer gross ist und grosse Bodenschätze besitzt, hat es gerade mal 10 Millionen Einwohner.

Die durchschnittliche Lebenserwartung der Männer liegt bei 65, bei den Frauen bei 70 Jahren. Noch 2010 hatte der Grossteil der Bevölkerung keinen Zugang zum Gesundheitswesen. Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Allerdings setzt ein Grossteil der indigenen Bevölkerung, die nirgends so hoch ist wie hier, auf den Staatschef Evo Morales. Ob seine Versprechen eingehalten werden, ist äusserst umstritten.

Über die Gründe lässt sich gut spekulieren, wie immer in solchen Fällen eine giftige Mixtur aus Geschichte, Unterdrückung, Religion, Ethnie, Korruption, Abhängigkeit. Ein etwas längerer Blick in die Informationen in Wikipedia erklärt einiges, wenn auch nicht alles …

 

Bergaufwärts

Nach einigen Stunden wird die Fahrt entlang dem Tal etwas eintönig, lediglich die teilweise blödsinnigen Überholmanöver der Verkehrsteilnehmer wie auch unseres eigenen Busses sorgen für etwas unwillkommene Abwechslung. Der Lastwagen mit der Aufschrift „Peligro“ sorgt für einige Runzeln auf der Stirn. Als hätte er Milch oder andere harmlose Last geladen, prescht er mit voller Geschwindigkeit vor, überholt an den unmöglichsten Stellen, ungeachtet seiner gefährlichen Ladung.

Es wird nicht das letzte Mal sein, dass man sich einige Fragen stellt. Auf jeden Fall atmet man erst durch, wenn der Lastwagen irgendwo weit vorne verschwindet. Ich warte auf einen Blitz und eine dunkle Rauchwolke am Himmel. Was mich natürlich an den unvergesslichen Film mit Yves Montant erinnert – Le Salaire de la Peur, Lohn der Angst. Hier einige Ausschnitte.

 

Peligro - Danger
Peligro – Gefahr!

Dense Traffic

Dann aber bleibt die Ebene hinter uns zurück, der Aufstieg von einer Meereshöhe von 200 Metern bis auf 2600 Meter beginnt. Kurve folgt nun auf Kurve, die Strasse wird enger, steiler, an einigen Stellen durch den Regen aufgeweicht, sie hat Wellen geworfen wie nach einem Erdbeben.

Die vielen Trucks sind elend langsam, man könnte sie auch zu Fuss mit Leichtigkeit überholen. Also bleibt in vielen Fällen nur das Warten auf einen Streckenabschnitt, wo überholen überhaupt möglich ist.

Die Umgebung wird grüner, dichter Wald säumt die Strasse. Manchmal, weit weg, ein paar Hütten, etwas Glänzendes, Blaues. Ein See? Ein Tümpel?

 

Passhöhe

Der Blick auf die Höhenanzeige meiner iPhone App zeigt den langsamen Fortschritt, aber schliesslich erreichen wir 2000 Meter, dann 2500 und schliesslich überqueren wir sogar die 3000-Grenze.

Erinnerungen an Ladakh werden wach, allerdings bleiben hier die Hügel und Berge auch auf dieser Höhe grün überwachsen. Ein riesiger See gleitet vorbei, dann die Passhöhe, genau 3449 Meter. He, das ist gleich hoch wie Leh. Wunderbar.

Es geht bereits gegen sechs Uhr abends, Müdigkeit kriecht langsam heran wie ein schleichender Schatten. Ich bin nicht der einzige, Restaurants laden zur Einkehr, zum Durchatmen.

 

Top of the pass

Crowd on the top of the pass

All kinds of vehicles

and numerous people

Der Bus scheint spürbar aufzuschnaufen, es geht nun in langen Kehren hinunter, von weitem ist eine Dunstglocke erkennbar.

Cochabamba.

 

Kilometerstand: 2930

Song zum Thema: Billy Talent – Rusted from the Rain

Und hier geht die Reise weiter …

 

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