Unglaubliche 150 Meter.

Das ist der Höhenunterschied, den man auf den Hügel zum Königspalast und zur alten Burgruine erklimmen muss. Also unglaubliche 150 Meter Höhenunterschied. Der dunkelhäutige Rezeptionist im Hotel, wahrscheinlich ein Südinder, macht kugelrunde Augen, als er mir die Sache erklärt.

Will man ihm glauben, entspricht dies nicht mehr und nicht weniger als einer tollkühnen alpinistischen Meisterleistung, vergleichbar mit der Ersteigung des Kilimandjaro. Ich glaube ihm natürlich kein Wort, bin aber auf jeden Fall gewarnt und fühle mich ein bisschen wie Sherpa Tensing auf dem Aufstieg zum Mount Everest.

 

Reise in die Vergangenheit

Das Abenteuer beginnt hinter der Moschee (in Ladakh leben einige Tausend Moslems in mehr oder weniger friedvollem Zusammenleben mit der mehrheitlich buddhistischen Bevölkerung) mit der Suche nach dem Weg durch die verwinkelten Gässchen, aber immerhin zeigt gelegentlich ein „Way to Palace“ die Richtung an.

Nur schon dieser Weg ist eine Reise in die Vergangenheit. Manchmal ist es angebracht, den Kopf einzuziehen. Die Ladakhis sind ein kleinwüchsiger Menschenschlag, für sie sie die niedrigen Durchgänge kein Problem, während die grossgewachsenen Westler Mühe haben.

Gelegentlich erhascht man einen Blick in die Häuser, kommt sich fast ein wenig als Eindringling vor, doch die freundlichen Blicke zeigen, dass die Fremden willkommen sind. Der Tourismus ist einer der wenigen Wirtschaftszweige in der abgelegenen Gegend, die etwas Wohlstand (zwar nur für einige wenige) bringen.

Man sollte den Weg geniessen, auch wenn von Zeit zu Zeit abschreckende Gerüche in die Nase steigen. Es gibt keine geordnete Kanalisation, das Abwasser fliesst irgendwo durch und findet den Weg bergab, dem Indus entgegen.

 

The ascent starts

Man kommt schnell voran, doch der Blick auf die Hinterhöfe, die versteckten Eingänge, die zerbrochenen Fenster, lassen mich immer wieder einhalten.

Unser rationales Denken wird herausgefordert. Warum werden die zerbrochenen Fenster nicht geflickt? Die Winter in Ladakh sind extrem kalt, und obwohl die Menschen an vieles gewöhnt sind, bleibt die Frage offen: warum werden die Fenster nicht repariert? Ist es Geldmangel? Können wir uns einfach nicht vorstellen, dass es ein Elend gibt, das über unsere Vorstellungswelt hinausgeht?

Sind wir nicht besser als Marie Antoinette mit ihrem (fälschlicherweise ) zugeschriebenen Zitat: „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“

Es ist schwierig.

 

Broken window
Es könnte im Winter kalt werden

Der Königspalast (oder das, was davon übrig geblieben ist)

Auf jeden Fall stehe ich nach einer Dreiviertelstunde bereits vor dem Eingang und bezahle beim gelangweilten Türsteher einen Obolus von 200 Rupien. Aus diesem Blickwinkel hat man nicht den Eindruck, vor einer verlassenen Ruine zu stehen. Die Holzfenster scheinen intakt zu sein, einige sind offen, als ob die Herrscherfamilie eben daran ist, das Mittagessen in frischer Luft zu geniessen. Das Mauerwerk ist zwar alt, aber in gutem Zustand, ein paar Fahnen wehen im sanften Nachmittagswind.

Nichts deutet darauf hin, dass hier nur noch längst vergessene Artefakte auf Besucher warten.

 

Entrance to the King's palace

Nach dem Durchqueren finsterer Gänge und niedriger Tore öffnet sich unerwartet der Blick auf den über der Stadt liegenden Palast.

Entlang einer den Abhang hinunter (hinauf?) führenden Röhre wird es schnell anstrengend. Die an den Potala-Palast in Lhasa erinnernden Mauern des Palastes kommen viel schneller näher als gedacht. Natürlich keucht man etwas mehr als zuhause, aber alles in allem scheint mir der Vergleich zum Kilimandjaro doch stark übertrieben zu sein.

Alles ist relativ.

 

The way up to the palace
Der Weg führt bergauf
View down to Leh - a world in the midst of desolate surroundings
Blick hinunter nach Leh – eine Welt inmitten einer trostlosen Umgebung
New hotels
Neue Hotels entstehen an allen Ecken und Enden der Stadt
The further up you climb, the more impressive the scenery becomes
Je weiter man nach oben steigt, umso eindrücklicher wird die Kulisse
stupa on the hill
Und auf der anderen Seite eine Stupa auf dem Hügel

 

Im Inneren des Palastes

Hier lebte bis zu ihrer Entmachtung im Jahr 1843 die königliche Familie, und seither steht das imposante Gebäude leer und verfällt zusehends. In den oberen Etagen sollen jetzt ganze Rabenschwärme die Hoheit übernommen haben. Von ihnen ist allerdings nichts zu sehen, dafür ganze Schwärme von Touristen, die entweder mit dem Taxi hochgefahren werden (die meisten!) oder dann tatsächlich extrem keuchend und halbtot oben ankommen; für sie ist die alpinistische Meisterleistung nicht ganz abwegig.

Man zwängt sich durch sehr niedrige Türen und fragt sich unwillkürlich, ob die damaligen Leute Zwerge gewesen waren. Alle Räume sind leer und tot, und irgendwie ist es schwer vorstellbar, wie hier ein ganzer Hofstatt gelebt haben soll.

Man tritt ein, spürt die Leere und Leblosigkeit der Räume und flüchtet erst mal auf die Terrassen, wo sich der Blick auf das ehemalige Untertanenreich öffnet. Der Anblick ist fantastisch.

Leh und das ganze fruchtbare Indus-Tal liegt unter uns ausgebreitet. Erst jetzt erkennt man, wie sich neue Quartiere wie ein Krebsgeschwür ins verbliebene fruchtbare Ackerland hineinfressen. Das wird nicht gut enden. Man steigt höher und höher, die Treppen werden steiler und enger, bis man die oberste, achte Etage erreicht. That’s it. Beim Hinuntersteigen fragt mich eine korpulente Inderin, ob ich wirklich (!) ganz oben gewesen sei. Sie ist etwas blass um die Nase; für sie scheint es tatsächlich ein Abenteuer zu sein.

 

Die alte Königsburg

Der Königspalast ist allerdings nicht der höchste Punkt, sondern die Ruinen der alten Königsburg. Auch dieser Aufstieg ist weniger anstrengend als angedroht; ein perfekt angelegter Pfad führt in Serpentinen bis zu den Ruinen, wo man – oh Wunder! – einmal mehr Eintritt bezahlen muss.

The way up to the ruins
Der Weg hinauf zu den Ruinen
The castle towers high above the city
Die Burg thront hoch oben über der Stadt

Ein Mönch in roter Robe grinst über das ganze Gesicht, als ich ihn frage, was es denn da oben zu sehen gebe. Monastery, behauptet er. Na gut. Allerdings halte ich vergeblich Ausschau nach einem Kloster, es sei denn, damit ist der knapp zwei mal zwei Meter grosse Gebetsraum gemeint.

Grosser Gott, nicht mal den Mönchen ist mehr zu trauen. Aber die wunderbar im Wind flatternden, an langen Schnüren aufgefädelten Gebetsfahnen entschädigen für alles andere. Es heisst, dass hier, an diesem höchstgelegenen Punkt die Gebete besonders schnell zu den Göttern getragen werden. Na denn, schicken wir eines hinterher (schliesslich werde ich bald Grossvater).

 

Prayer flags in the gentle wind
Gebetsfahnen im sanften Wind

Metreya

Beim Abstieg in die Stadt hinunter kreuzt man einen unscheinbaren Tempel mit einer Metreya-Statue.

Für Nicht-Buddhisten folgende Erklärung dazu: der allseits bekannte historische Buddha Gautama Siddharta ist nicht DER Buddha, vielmehr einer von vielen, die es bisher gegeben hat. Für das kommende Weltzeitalter (wann immer das sein wird) ist bereits ein zukünftiger Buddha namens Metreya bestimmt. Momentan ist er im Begriff, im Verlauf unzähliger Leben zu diesem zu werden. Grundsätzlich kann also jeder von uns der zukünftige Buddha sein. Geben wir uns also etwas Mühe, positives Karma zu erwerben, dann steht dem eigentlich nichts entgegen.

 

Remnants of former glory - a prayer room
Überbleibsel früherer Pracht – ein Gebetsraum
You can't get enough - a Metreya statue
Man kann sich nicht sattsehen – eine Metreya Statue

Cinnamon Rolls

Allmählich gewöhne ich mich an die Stadt, kenne die Hotspots, weiss, wo man das beste Essen erhält und welche German Bakery die besten Cinnamon Rolls anbietet.

Die Abende sind stockdunkel, was nicht nur mit der Nacht an sich zusammenhängt, sondern eher mit den Sromunterbrüchen, die mit boshafter Regelmässigkeit auftreten. So auch an diesem Abend. Irgendwann nach Sonnenuntergang wird es langsam zu dunkel zum Lesen und der Griff zum Lichtschalter bewirkt gar nichts. Also wieder mal ein Stromausfall.

„Mehr Licht“, waren die letzten Worte Goethes, und dem möchte ich mich gerne anschliessen. Nach einer Stunde im Volldunkel wird es mir zu bunt und beschliesse, an der Reception nachzufragen, doch wie seltsam, im Gang brennt Licht, und auch sonst scheint alles in bester heller Ordnung zu sein. Der Mann an der Reception lacht sich halbtot, als ich ihm mein Problem erkläre. Der Schalter vor dem Hotelzimmer dient nämlich nicht wie gewohnt dem Licht im Gang, sondern dem vollständigen Ausschalten des Stroms im dazugehörigen Zimmer. Damn it, ich bin ein derartiger Idiot! Damit genug für heute. Sleep well, Folks!

 

PS Song zum Thema:  Katzenjammer – Tea with Cinnamon

Und hier geht die Reise weiter …

 

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