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Ladakh/Rajasthan

Leh-Manali Highway – Zaghafte Blicke in gähnende Abgründe

Schon gehört von der berüchtigsten und gefährlichsten Strasse der Welt, dem „Camino de la Muerte“ oder übersetzt der „Strasse des Todes“?

Sie befindet sich in Bolivien, ist gut 80 Kilometer lang und wird als gefährlichste Strasse der Welt bezeichnet.

Ein Unglück vom 24. Juli 1983, bei dem ein Bus ins Schleudern geriet, in eine Schlucht stürzte und die 100 Insassen in den Tod riss, gilt als Boliviens schlimmster Verkehrsunfall. Einer Schätzung zufolge verunglückten bis 2007 pro Monat zwei Fahrzeuge und es starben jährlich 200 bis 300 Reisende auf der Strecke. Zahlreiche Kreuze am Straßenrand markieren die Unfallstellen. Im Jahr 1995 wurde die Yungas-Straße von der Interamerikanischen Entwicklungsbank zur „gefährlichsten Straße der Welt“ ernannt. Seit den 1990er Jahren ist die Yungas-Straße aber gerade deswegen ein beliebtes Touristenziel. Vor allem Mountainbiker schätzen sie als Route zum Downhill-Biking. (Copyright Wikipedia).

Die Bilder sehen wahrhaft furchterregend aus. Und trotzdem scheint er für eine gewisse Art Mensch eine unüberwindbare Anziehungskraft zu besitzen.

 

Manchmal macht man die merkwürdigsten Dinge

Alles, was man über den Camino de la Muerte sagen kann, gilt auch für den Manali-Leh Highway in Nordindien. Er hat den zweifelhaften Ruf, beinahe eben so gefährlich zu sein.

Die jährlichen Opferzahlen beweisen diese Behauptung.

Der Highway ist 485 Kilometer lang quer über die Ketten des Himalaya. Früher bewegten sich Karawanen in wochenlangen Märschen zwischen Indien und Ladakh, heute bewältigen Privatfahrzeuge, Busse und Taxis diese Strecke. Man muss dafür mindestens zwei Tage einrechnen.

 

crazy trip over multiple passes over 5000 meters
Eine wilde Fahrt über mehrere Pässe über 5000 Meter

 

Immerhin gibt es in seinem Fall eine Erklärung. Der Highway ist während der Sommermonate, d.h. zwischen April/Mai (falls der Schnee geschmolzen ist) und September (falls kein früher Wintereinbruch zu beklagen ist) die einzige Strassenverbindung zwischen Ladakh und Nordindien. In den übrigen Monaten ist Ladakh ausschliesslich über die Luft zu erreichen. Es wundert also nicht, dass sehr viele Einheimische den viel billigeren Weg über den Highway nehmen als der für die meisten unerschwingliche Flug.

Allerdings gilt dies nicht für die Touristen. Die meisten ziehen den schnelleren und sichereren Flug vor und verzichten auf das Risiko der gefährlichen Strasse.

Aber nicht alle.

Ein paar finden, dass der Highway genau das Richtige sind, um den Adrenalinspiegel wieder mal auf eine höhere Stufe zu jagen.

Zu diesen gehöre auch ich.

Eine angemessene Weise, mich von Ladakh zu verabschieden …

Koste es, was es wolle …

Warum tut man sich das an?

Keine Ahnung.

 

Eine erste Überraschung

Die Familie, in deren Hotel ich die letzten Tage verbracht habe, lädt mich zum Abschied zum gemeinsamen Frühstück ein. Wie immer ein zwiespältiges Vergnügen, weil die sprachlichen Barrieren einfach zu gross sind. Und so sitzen wir im halbdunklen Esszimmer, lächeln uns an oder nicken (in meinem Fall) anerkennend, auch wenn die angebotenen Speisen zwar gut gemeint sind, aber halt wie oft ganz und gar nicht dem Geschmack des verwöhnten Westlers entsprechen. Was aber völlig unwichtig ist, denn es zählt nur die Geste, und die ist einfach bezaubernd.

Kurze Zeit später treffe ich schwer beladen am Treffpunkt ein. Überraschung: der Fotograph, der den Trip initiiert hat (und klarmachte, dass er ausnahmslos neben dem Fahrer sitzen würde), hat abgesagt. An seiner Stelle wartet eine verwandte Seele, Anja aus der Lüneburgerheide, und ich bin also nicht der einzige Spinner an diesem erinnerungswürdigen Tag.

Wir haben also zwei Tage lang einen Fahrer mit perfekt ausgestattetem Wagen für uns allein, wir können den Platz nach Herzenslust tauschen, an allen Stellen anhalten, wo es uns beliebt.

 

Es beginnt ganz zahm

Um Punkt acht fahren wir los, anfänglich dem Industal Richtung Osten entlang, werfen einen letzten Blick auf den Wagenpark und die riesigen Zelte in Hemis (siehe Thiksey) und biegen dann endgültig in ein Seitental ein, das uns zum ersten Pass im Norden, mit 5350 Metern dem höchsten von allen, dem Taglang La, bringen wird.

Es ist sieben Uhr morgens, in der Ferne grüssen einige der höchsten Berge im sanften Morgenlicht, irgendwo dazwischen führt die Strasse durch.

 

mountains in morning light
Aus der Ferne ganz freundlich und zahm

 

Die Strasse ist geteert und in erstaunlich gutem Zustand, eine Tatsache, an die wir uns später noch viele Male schmerzlich erinnern werden. Wenn es so weiter geht, sind wir wohl einer Illusion unterlegen. Bisher eher enttäuschend, was Gefährlichkeit und Adrenalinspiegel betrifft, aber wir ahnen, dass es in Kürze ganz anders sein wird.

 

so far good road
Noch ist die Strasse in guten Zustand

 

Rote Felswände säumen unseren Weg, laut sprudelnde Bäche führen eiskaltes Wasser, gespiesen von den noch vorhandenen Gletschern. Dann wieder öffnet sich das Tal, Bäume und karge Wiesen, dann und wann weiss getünchte Stupas, die allein und verlassen am anderen Berghang stehen.

 

Red rocks along the road
Rote Felsen entlang des Tals

 

lonely Stupas
Dann und wann ein Bach, am anderen Berghang drei einsame Stupas

 

Die Strasse folgt immer weiter in zahllosen Kurven dem bläulich-kalten Fluss. Wie eine künstliche, kitschige Kulisse in einem schlechten Theaterstück wachsen um den Fluss herum die verrücktesten Felsformationen in den Himmel, meistens gelbbraun wüstenartig, dann wieder grünlich oder beinahe schwarz, wechselnde Strukturen, von schartig-scharfen Kanten durchzogen, abgerundete Hügel mit tief eingegrabenen Rissen durchzogen, die oberen glitzernd in der Sonne, die im Schatten unheilvoll dunkel.

 

Dem Himmel entgegen

Ein einziges atemberaubendes Schauspiel für die Augen. Man glaubt, man hätte nach den Trecks und Ausflügen alle Variationen von Formen und Farben gesehen, doch das, was sich im Vorbeifahren zeigt, ist immer wieder neu, immer wieder überraschend. Ausser bewundernden „Ahs“ und „Ohs“ und „Wows“ ist es still geworden im Wagen. Der Fahrer kann sich ein gelegentliches Grinsen nicht verkneifen. Nach seinen Berechnungen hat er in diesem Jahr bereits sechzehnmal Touristen über die Strecke geführt. Wir sind Nummer siebzehn.

Eine Glückszahl, so hoffen wir.

 

Colours and structures
Alle Farben und Formen

 

Der erste Höhepunkt – Der Taglang La

Nach dem Khardung La (siehe dort) erscheinen uns die 5350 Meter (oder doch eher 5260?) auf der Passhöhe des Taglang La nicht mehr besonders aufregend (man wird ja schnell überheblich), doch der Rundblick ist einmal mehr überwältigend. Es ist der höchste der vier Pässe, die es zu überqueren gilt, und wird als der dritthöchste befahrbare Pass der Welt deklariert (ob das zutrifft, ist zweifelhaft; die Inder möchten es gern so haben).

Mit der Höhe hat auch die Kälte zugenommen, eine scharfe Brise lässt die hunderten von Gebetsfahnen flattern. Die Taglang La Passhöhe ist eine ziemlich windige und kalte Gegend. Sie ist mit dem kleinen Gebäude mitten drin ein von weitem kaum wahrnehmbarer Farbtupfer inmitten gleichförmiger Einöde. Das einzige Anzeichen, dass es, wenn auch sehr begrenzt, so etwas wie Leben gibt.

Ein paar wenige Einheimische machen ein paar Selfies (welche Überraschung), werfen einen kurzen, eher gelangweilten Blick in die Umgebung und flüchten sich in das warme Auto. Es wundert mich immer wieder, und der Weg zum Kulturpessimismus ist nicht mehr weit. Aber wir reden hier von Symptomen, Krankheitssymptomen unserer Zeit. Da stellt die Selfie-Manie ein vergleichsweise kleines Problem dar.

 

Top on Tanglang La
Die Tanglang La Passhöhe – ein kalter farbiger Ort inmitten von nichts

 

high altitude
The second highest Pass of the world – so wird behauptet

 

our driver
Unser Fahrer – zum siebzehnten Mal hier
 

Der gemalte knallblaue Himmel

Die Gipfel des Karakorums und des Himalayas stechen wie bösartige kleine Zacken in den wie mit Pinsel gemalten knallblauen Himmel hinein. Der Blick nach Westen zeigt die Berge Pakistans, im Norden liegt China und der Tibet, im Süden Indien. Ein Eindruck von Einöde, Einsamkeit, Verlassenheit stellt sich ein, wären da nicht Störungen, kaum sichtbare Pfade und Strassen, die die Makellosigkeit zerschneiden.

 

road cuts through desert
Die Strasse schneidet durch die Einöde

 

mountains all around
Bösartige Zacken im wolkenbedeckten Himmel

 

Die Moore-Ebene – Ruhe vor dem Sturm

Es hat auch auf dem Aufstieg zum Taglang La einige Stellen gegeben, die – hätte es mehr Gegenverkehr gehabt – zu mehr oder weniger bösartigen Ausweichmanövern geführt hätte. Da aber der Samstagverkehr ein sehr bescheidenes Ausmass hat – kaum Lastwagen, vor allem nicht viele Militärfahrzeuge -, gelangen wir bereits zur Überzeugung, dass es mit der Gefährlichkeit dieser Strecke nicht besonders viel auf sich hat. Weit gefehlt! Denn jetzt, nachdem wir dem Pass auf der anderen Seite ins Tal hinunter gefolgt sind, wird es erst so richtig anfangen.

Aber vorerst ist noch Entwarnung angesagt. Die Strasse ist nach wie vor tipptopp, führt langen Tälern entlang, Schafherden grasen, obwohl kaum etwas Essbares zu sehen ist.

 

sheep grazing
Schafe suchen nach Essbarem

 

Doch vorerst gilt es, die Moore Ebene zu durchqueren. 35 Kilometer fährt man auf einer schnurgeraden, flachen Strecke, nicht viel anders als auf einer gewöhnlichen Autobahn irgendwo. Man vermutet, dass die Ebene ein ausgetrockneter See ist. Es ist, wie uns der Fahrer prophezeit, die letzte Ruhe vor dem Sturm. Er schlägt vor, die gemütliche Fahrt der Ebene entlang zu geniessen, denn in absehbarer Zeit werden wir uns mit Wehmut an die asphaltierte Strasse erinnern. Er lacht dazu ein ziemlich gemeines Lachen.

Dieses Lachen vergeht ihm kurz darauf, denn wir haben im Nirgendwo tatsächlich eine Panne. Die Strasse ist immer noch in guten Zustand, da fragt man sich doch, wie die Reifen die kommenden Kilometer überstehen sollen. Wir werden sehen …

 

breakdown in no man's land
Panne in No Man’s Land

 

 

perfect road - still
Aber die Strasse ist immer noch perfekt

 

35 kilometer long plain
Eine 35 Kilometer lange Ebene

 

dead landscape
Still und sehr tot

 

Und dann plötzlich Tiere, weit draussen, kaum erkennbar. Könnten es Takine sein? Obwohl sie eine rinderartige Gestalt haben, gehören sie zu den Ziegenartigen. Sehr selten, sehr bedroht. Wie viele andere Tierarten wohl kaum in der Lage, die kommenden Veränderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, zu überleben.

Wir sehen ihnen lange nach …

 

Takine?
Takine – oder vielleicht was völlig anderes

 

Die Gegend wird rauer, ein Fluss hat einen tiefen Einschnitt in die Ebene gegraben. Die Bilder werden immer surrealer, da scheint ein Maler die ganze Palette verrückter Farben auf einem einzigen Gemälde versammelt zu haben.

Unten der Fluss, dessen graublaue Oberfläche daran zweifeln lässt, ob er Wasser führt. An seinen Ufern schattige Abhänge, gespickt mit dunkelbraunen Zacken, wie Zähne in einer grimmigen Fratze. Und ganz oben, schon beinahe im Himmel, die Bergspitzen, gekrönt von Wolkenschwaden, langsam und stetig darüber gleitend.

 

crazy painting by a crazy artist
Ein Gemälde, das sich ein verrückter Maler ausgedacht haben muss

 

River valley and plain
Unten das Flusstal, wie mit einem Messer abgeschnitten von der Ebene

 

hard and soft rock layers
Alte härtere Gesteine dringen durch die weicheren Schichten

 

 

Zwischenhalt

Bevor es richtig losgeht, so der Fahrer, ein letzter Zwischenhalt. Das Gelände ist einigermassen eben, und so genau richtig für ein paar niedrige Gebäude, ein paar Zelte, Stühle und Tische an der Sonne, genau richtig für eine Stärkung. Der Fried Rice schmeckt angesichts der bescheidenen Infrastruktur richtig gut. Es könnte allerdings auch sein, dass man in der Zwischenzeit so ziemlich alles gut findet.

 

Huts and restaurants
Ein paar Hütten, ein paar Zelte und Restaurants

 

quite inviting
Sehr einladend, genau richtig für einen Zwischenhalt

 

 

Fried Rice
Fried Rice als Höhepunkt des Tages

 

relaxed mood
Wie man sieht, ist die Stimmung noch entspannt

 

Und dann sind sie da, die gähnenden Abgründe

Aber dann geht’s weiter, und bereits nach ein paar Kurven wird’s so richtig ungemütlich.

Habe ich beim Khardung La was von „nichts für schwache Nerven“ erzählt? Lachhaft!

Das war die Übertreibung des Jahrhunderts. Denn jetzt wird die Strasse wirklich schlecht, jetzt fängt plötzlich ein irrer Gegenverkehr an, jetzt wird man von breiten Lastwagen an den äussersten Rand der Strasse gedrängt, und jetzt, ja jetzt, beginnen die Blicke in den Schlund, in den Abyss, in den gähnenden Abgrund.

 

Road on opposite slope
Die Strasse – kaum erkennbar am gegenüberliegenden Hang

 

dense traffic
Die Strasse wird schlechter, der Verkehr dichter

 

is it still a road?
Ist das noch eine Strasse?

 

 

Der Lachalung Pass

Während der Fahrer mit stoischer Ruhe sein Gefährt über Stock und Stein lenkt, die Hand lässig am Steuerrad, als ob es nichts Besonderes wäre, im Millimeterbereich zu navigieren, sind wir beiden ziemlich still geworden. Was will man auch sagen, wenn ein paar Zentimeter ausserhalb des Seitenfensters ein hunderte Meter tiefer Abgrund droht, wo es zwischen uns und dem Nichts nicht eine einzige Abschrankung gibt, keine Mauer, keine Sicherheitsplanken, nur ein bisschen staubige heisse Luft?

Wir erreichen die nächste Passhöhe, den Lachalung Pass (oder heisst er Lachung La?). Wieder über 5000 Meter über Meer, aber das ist schon bald normal. Ein trauriger Anblick – die Gebetsfahnen flattern nicht wie gewohnt im Wind, sie liegen auf einem Haufen, wie Müll, entsorgt. Irgendwie unverständlich, wenn man an die tiefe Reliogiosität der Ladakhis denkt.

 

Lachung La Passhöhe
Lachung La Passhöhe

 

An den guten Stellen, d.h. dort, wo die Strasse besser, vielleicht sogar breiter ist, atmet man tief durch, im Bewusstsein, dass es nur eine kurze Verschnaufpause ist, bevor um die nächste Kurve der nächste Magendreher auftaucht.

 

Abyss
Abgründe, in die man besser nicht sieht

 

Die Beklemmung ist verständlich, denn mehrere Male entdeckt man am Grund die zerschellten Überreste von Trucks, aber auch von kleineren Fahrzeugen, so wie wir eines haben. Die Bedrohung ist permanent da, auch wenn man nach einer Weile glaubt, man habe sich daran gewöhnt. Das ist eine Illusion, denn jede noch so kleine Unaufmerksamkeit des Fahrers (oder des entgegenkommenden Chauffeurs) kann eine Katastrophe und das Ende bedeuten. Die ganze Zeit ist man sich der Gefahr bewusst, spürt das Adrenalin, das durch die Adern strömt, den Ausnahmezustand, diese Grauzone zwischen Hoffnung und Wirklichkeit.

 

nd now and then a river deep down
Und dann und wann ein Fluss in der Tiefe

 

Aber deswegen bin ich schliesslich hergekommen. Man bewegt sich in einem Grenzbereich, möglicherweise mit leicht pathologischen Zügen, aber dieses Gefühl des potentiellen Disasters zu spüren, ist purer Wahnsinn!

 

 

Dazwischen – ganz normal – Hunger, Durst, ein Lunch-Stopp im Nirgendwo, wo die Pässe zum x-ten Mal kontrolliert werden. Der Kaffee ist gelinde gesagt grauenhaft, oder nein, es dürfte sich um den schlechtesten Kaffee aller Zeiten handeln. Ist aber völlig egal. Wir sitzen an der Sonne auf wackligen Stühlen, lassen das Gehupe und Gedränge an uns vorbeiziehen, atmen tief durch und fühlen uns einfach grossartig. Wir haben etwa die Hälfte geschafft, haben überlebt, spüren den Puls nach der Nervenanstrengung, und sind der festen Überzeugung, dass das Schlimmste geschafft ist.

Denkste!

 

 

Es ist nun später Nachmittag, hunderte, tausende von Kurven,  gefährliche Ausweichmanöver, das Durchqueren von reissendem Wasser, das über die Strasse fliesst, hinter uns, ein neuer Pass, der vierte und letzte für heute, und es wird der schlimmste von allen sein.

Während unser Fahrzeug knallhart am Rand der Strasse entlang tänzelt, dass man zu atmen vergisst, hört man nur noch schnelles Atmen. Ich versuche, keinen Pieps von mir zu geben, doch auch ich merke, wie der Atem stockt, wie einen Moment lang die Frage auftaucht, was ich hier eigentlich mache. Doch dieser kurze Moment der Klarheit geht schnell vorüber, denn da nähert sich die nächste Kurve, der nächste riesenhafte Schatten eines völlig überladenen Lastwagens taucht vor uns auf, wir schätzen die verbleibende Lücke, grad mal ein paar geknickte Zentimeter mehr als unser Wagen breit ist …

 

Jispa – das Tagesziel

Und dann nähern wir  uns Jispa, es ist dunkel, wir haben für zweihundert Kilometer 11 Stunden gebraucht. Nicht schlecht, würde ich mal sagen, aber morgen geht das Unternehmen weiter, Teil 2 des Abenteuers, genannt Manali-Leh-Highway …

 

 

PS Song zum Tag: Stone the Crows – Danger Zone

Und hier geht der Trip auf dem Manali-Leh Highway weiter …

 

Ladakh/Rajasthan

Ladakh – Winter is coming

Der letzte Tag in Leh, traurig aber wahr.

Schon gestern Abend aufgefallen: immer mehr Läden machen zu, die Rollläden bleiben den ganzen Tag unten. Kann es sein, dass dies die ersten Anzeichen sind, dass sich die Saison dem Ende nähert?

Oder wie in Game of Thones – Winter is coming? Die Ankunft der White Walkers?

So schlimm wird es nicht werden, aber dass sich der Herbst langsam verabschiedet und dem eiskalten Winter Platz macht, ist spürbar …

 

Time to say Goodbye

Es scheint so, und zum ersten Mal merke ich auf einem Spazierganz den sich ankündigenden Herbst. Es ist merklich kühler geworden, die verfärbten Bäume verlieren ihre Blätter, die für die streunenden Kühe eine willkommene Zusatzverpflegung darstellen.

Die Strassen in Leh und den angrenzenden Dörfern (mit Ausnahme der Fussgängerzone) sind von zahlreichen Kühen und ein paar Eseln bevölkert. Aber es handelt sich dabei nicht um herrenlose heilige Kühe wie in Indien, sie sind Eigentum von Bauern, die ausserhalb von Leh leben.

Die Tiere machen sich am Morgen in die Stadt auf, um etwas Futter zu finden, und am Abend finden sie den Weg zu ihrem Hof zurück. Fand ich anfänglich nicht sehr glaubwürdig, doch die Tiere machen samt und sonders einen erstaunlich wohlgenährten und gepflegten Eindruck. Allerdings fressen sie auch den überall herumliegenden Plastikmüll und verenden daran …

 

Cow and her baby
Mutter und Kalb mitten in Leh

Die Tür schliesst sich

Es ist offenbar tatsächlich so: spätestens Ende Monat geht die Sommersaison zu Ende, und sobald der erste Schnee auf den hohen Pässen fällt, wird Ladakh nur noch via Flugzeug erreichbar sein. Allerdings soll es auch im Winter immer häufiger Touristen geben, die Wintertrecks, teilweise auf den zugefrorenen Flüssen unternehmen. Wenn ich an die Temperaturen von bis zu 30 Minus denke, wird mir ganz schecht.

Nichts für mich.

 

Winter in ladakh
So sieht’s aus – Winter is coming

Suche nach einer Fahrt nach Manali

Nach dem vergeblichen Versuch von gestern Abend, einen privaten Busbetreiber zu finden, der die Strecke nach Manali nicht in einem hauptsächlich in der Nacht stattfindenden Powertrip von 16 Stunden durchprescht, muss ich mir heute etwas einfallen lassen.

Ich will unbedingt während des Tages fahren. Soll die unbeschreibliche Landschaft in der Dunkelheit an unseren schlafenden Augen vorbeiziehen? No Way! Als Alternative bleibt nur der Government Bus, der morgens um vier abfährt. Allerdings fährt er nur los, wenn er voll ist, was wiederum heisst, dass man nie genau weiss, ob er nun wirklich fährt. Ausserdem soll es auch zum wenig verheissungsvollen Kampf um die besten Plätze im Bus führen. Und dies mitten in der Nacht!

Es bleibt also nur die Hoffnung, einen privaten Anbieter zu finden, der mich über die verrückte Strasse nach Manali bringt.

 

„2-Day-Trip to Manali“

Aber es stellt sich heraus, dass mir das Glück hold ist. Ich habe mich entschlossen, jede einzige Agentur abzuklappern, doch schon nach wenigen Metern, sozusagen bei der ersten Adresse, hängt ein Zettel an der Wand.

Looking for 2-3 persons for 2-Day-Trip to Manali.

Das ist genau das, was ich suche. Der Laden ist aber noch geschlossen, also mache ich mich zwischenzeitlich daran, ein Geschenk für mein noch nicht geborenes Grosskind zu suchen. Der tibetische Händler, sehr freundlich und sehr schwul, schüttelt mir geschlagene fünf Minuten lang die Hand, als ich ihm vom werdenden Grossvater erzähle.

Schliesslich finden wir was, und in der Zwischenzeit hat sich auch der Agent eingefunden. Es gibt zwar nur einen einzigen Interessenten für die Fahrt nach Manali, und da der Preis auf die Passagiere aufgeteilt wird, könnte es eine teure Angelegenheit werden.

Aber was soll’s, und so wird kurzentschlossen gebucht. Abfahrt am nächsten Morgen, Punkt acht Uhr, Übernachtung in Jispa oder Keylong, Ankunft in Manali am nächsten Tag. Perfekt! …

 

Unterwegs in Sankar

Am Nachmittag ganz allein im kaum bekannten und sehr ruhigen Ort namens Sankar etwas oberhalb von Leh unterwegs. Keine Menschenseele, kein Dauergehupe, klare Luft. Manchmal ein Mütterchen mit seinen Grosskindern. Julee hier und Julee da ein weiteres Mal. Ich werde meine letzten Malstifte los, Ergebnis: erstaunte und freudige Kinderaugen. So wenig braucht’s. Ein paar billige Malstifte …

 

Grandma and granddaughter
Grossmutter mit Enkelin
Granddaughter
Und noch eine Enkelin – mit triefender Nase

Kaltes Essen im kalten Hinterhof

Die unterschiedlichen Zonen von Hitze und Kälte haben über kurz oder lang Konsequenzen. Wenn dann noch die Auspuffgase und die aufgewirbelten Staubwolken dazukommen, steht einem tüchtigen Schnupfen und Husten nichts im Wege. Und wie schon erwähnt – es ist spürbar kälter geworden. Das Nachtessen im offenen Hinterhof wird bereits zu einer ziemlich kalten Angelegenheit.

Nun also, kurz vor Torschluss, hat es mich doch noch erwischt. Ich bin also heute Morgen etwas reduziert und somit alles andere als bereit für den letzten Tag in Leh. Aber warum auch nicht? Zeit, etwas Bilanz zu ziehen.

 

small temple
Noch ein letzter Spaziergang durch die oberen Quartiere
View from above
Ein letzter Blick von oben

Die Bilanz

Die Stadt auf 3500 Metern wird auch – verächtlich oder bewundernd – Klein-Kathmandu genannt, verächtlich wegen den Zerstörungen, die der Massentourismus hinterlässt, missbilligend wegen den jungen Ladakhis, die den westlichen Lebensstil so sehr imitieren, dass sie ihre kulturelle Identität verlieren.

Aber auch bewundernd wegen den liebenswürdigen Einheimischen, den prachtvollen Heiligtümern und Klöstern, der Stimmung und lockeren Atmosphäre. Die positiven Punkte überwiegen immer noch, doch der Fortschritt in Form von Autos,Taxis, Motorbikes und all den anderen Zeichen westlicher Zivilisation, die die Stadt mit der Wucht einer Dampfmaschine überrollen, lassen mich befürchten, dass die Bewertung in nicht allzu ferner Zukunft auf die negative Seite kippen wird.

Das Beispiel Kathmandu hat es gezeigt. Dort hat die Zerstörung (auch ohne das Erdbeben) längst stattgefunden.

Aber – ich wiederhole es tausend Mal – ich würde jedezeit wiederkommen. Trotz Umweltbelastung und allem, was damit zusammenhängt, habe ich die Stadt ins Herz geschlossen. Es hat sicher viel mit der tibetischen Mentalität zu tun, mit der Freundlichkeit und dem verschmitzten Witz der Menschen, mit ihrer Gelassenheit, Ihrer Freundlichkeit.

Alles Dinge, die uns so schmerzhaft abhanden gekommen sind …

Leh – wir werden uns wiedersehen. Vielleicht erst im nächsten Leben, aber was soll’s …

Ja, dann also auf ins Abenteuer. Morgen locken tausend Abgründe.

 

PS Film zum Thema: Game of Thrones / The Winds of Winter (Trailer)

Und hier geht der Trip weiter … Auf zu einer der verrücktesten und gefährlichsten Passüberquerungen …

 

Ladakh/Rajasthan

Leh – Der Khardung La Ultra-Marathon

Any Idiot can run, but it takes a special kind of Idiot to run a Marathon.

Heute findet der Leh Ultra-Marathon statt, etwas vom schlimmsten, was man sich vorstellen kann (doch alles ist relativ, siehe übernächsten Abschnitt).

 

Der Leh Ultra-Marathon

Der Start ist im Nubra-Valley auf der anderen Seite des Khardung-Passes auf gut 4500 Meter, dann geht’s hinauf zur Passhöhe auf genau 5370 Meter und von da an ins Tal hinunter auf einer mehrheitlich unbefestigten Strasse hinunter nach Leh, alles in allem gerade mal 72 schlappe Kilometer.

 

Khardung-La Marathon
Der Khardung-La Marathon – Auch mit dem Auto eine anspruchsvolle Geschichte

 

Die Ultra-Marathons

Allerdings wird mir berichtet, dass noch andere, viel krassere Ultra-Marathons gibt. Es bestätigt die alte Regel, dass etwas Schlimmes immer durch etwas noch Schlimmeres übertroffen werden kann.

Der längste davon misst 333 Kilometer. Das bedeutet, dass die Standardstrecke von 111 Kilometern dreimal gelaufen wird.

Der Startort ist mir nicht bekannt, wahrscheinlich irgendwo am Arsch der Welt hinter den sieben Bergen. Keine Ahnung, wer die Teilnehmer sind; ich stelle mir hagere, kleine, zähe Burschen vor, aus Haut und Knochen bestehend, mit einem ungeheuer grossen Herz und einer Lunge wie ein Elefant. Auf jeden Fall geht’s nach dem Start über sage und schreibe 333 Kilometern durch halb Ladakh, durch Täler und Höhen, über hohe und höchste Pässe dem Ziel entgegen.

Der Beste braucht dazu etwa 65 Stunden, unterbrochen von gerade mal 2 Stunden Schlaf, so erzählt man mir einigermassen glaubhaft.

[Die folgenden Videos sind dem Blog La-Ultra – The High entnommen. Besten Dank!]

 

 

Marathon in Leh – Tag 1

Nun, so schlimm wird’s heute nicht werden, aber immerhin.

Das Ziel ist irgendwo in der Pampa, auf jeden Fall ausserhalb des Zentrums von Leh. Bis ich mich dahin durchgefragt habe, vergeht Zeit, zuviel Zeit, denn als ich endlich das Ziel erreiche, sind die ersten beiden Läufer bereits im Ziel.

 

Marathon in Leh
Marathon in Leh – jedes Jahr eine grosse Sache

Der Lautsprecher verkündet, dass der Sieger 6 Stunden 53 Minuten gebraucht hat, der Runner-up ein paar Minuten mehr. Beides sind Soldaten der indischen Armee, wahrscheinlich mit besten Trainingsbedingungen und vielleicht noch unterstützt durch das eine oder andere Mittelchen aus der Drogenküche des Armeearztes.

Trotzdem eine geradezu unmenschliche Leistung, die nicht hoch genug bewertet werden kann. Es ist ja nicht nur die Distanz, die für uns Normalverbraucher ein Ding der Unmöglichkeit beziehungsweise eine Strafe Gottes wäre. Es ist die Höhe, die normales Gehen und Atmen zur Schwerstarbeit macht. Der untenstehende Spruch dazu sagt alles …

 

Oh yes
Oh yes – Da kann man wirklich zustimmen

 

Platz 3 bis 5

Das empfangende Publikum besteht hauptsächlich aus Schulkindern,die offenbar gerade Mittagspause haben.

Wo ist der nächste Läufer? Doch da, das muss er sein, lautes Hallo-Geschrei, Händeklatschen, Lachen und tatsächlich, da kommen drei Läufer gemeinsam dem Ziel entgegen, nicht besonders pressiert, wie es scheint, sie schauen gelassen und würdevoll mal nach links, dann nach rechts. Und dann sind sie im Ziel, frenetischer Applaus. Platz drei, vier und fünf geht unter grossem Jubel an drei Kühe.

Da man für sie keine Medaille bereithält, machen sie sich stattdessen über das Material her, mit dem die Ziellinie gezogen wurde. Offenbar besteht das weisse Pulver aus etwas Organischem, das den drei Helden zu munden scheint.

 

Runnerups
Drei besondere Teilnehmer

Die echten Runnerups

Und dann doch noch, wenn auch mit gebührendem Abstand, die echten Nummer drei und vier, auch sie Soldaten und in jeder Hinsicht der obigen Beschreibung entsprechend.

 

 

Runner up Number three
Diese Burschen sind wirklich zäh

Leider stelle ich zusammen mit einem Ehepaar aus Alaska und zwei Inder-Burschen das einzige noch vorbliebene Publikum dar, denn der Rest der Zuschauer hat sich verzogen (Mittagspause vorbei). Finde ich doch etwas ärmlich, schliesslich haben alle, die das Ziel erreichen, eine unglaubliche Leistung vollbracht. Wenigstens wir klatschen, was die Hände hergeben. Nach einer weiteren halben Stunde verziehe auch ich mich, in der Hoffnung, auf der halbwegs abgesperrten Strasse auf die nächsten Läufer zu stossen. Es bleibt aber bei der Hoffnung, Vielleicht habe ich ja die falsche Strasse erwischt (denn nach knapp 500 Metern gibt es keine Absperrung mehr und die Läufer müssen sich durch den Verkehr kämpfen), auf jeden Fall treffe ich niemanden mehr. Wo sind die verbleibenden 58 Läufer geblieben?

Verloren, verirrt? Niemand weiss es.

Vielleicht findet man in ein paar Jahren ein paar abgenagte, von der Sonne gebleichte Knochen, an den Füssen die Überreste von teuren Markenlaufschuhen …

 

PS Song zum Thema:   Bruce Springsteen – Born to run

Und hier geht die Reise weiter – über den Khardung La Pass ins Nubratal …

 

Ladakh/Rajasthan

Ladakh – Digitaler Blackout

Macht man sich je Gedanken über ein mögliches Szenario, das einen vollkommenen Zusammenbruch des Internets beschreibt?

Kaum.

Wie sich zeigen sollte, kann dieses Sandkastenspiel als Live-Experiment in Ladakh geprüft werden.

Und als Hinweis: Thomas Harris hat in seinem neuesten Roman „The Second Sleep“ sehr genau beschrieben, wie sich die Gefahren eines weltweiten Kollapses der Internet-.Infrastrukur auswirken könnte. Rückfall ins dunkelste Mittelalter.

 

Wenn die Welt plötzlich offline ist

Der allmorgendliche Griff zum iPhone oder iPad läuft diesmal ins Leere. Wahrscheinlich funktioniert das Hotel-eigene WLAN wieder mal nicht, aber die Nachfrage an der Rezeption entlockt dem entsprechenden Herrn lediglich ein müdes Lächeln.

Das Grinsen auf seinem Gesicht bereitet mir erstens etwas Mühe, denn da dringt viel Schadenfreude durch, und zweitens kann ich es partout nicht glauben. Das Internet einfach down? Das gibt’s doch nicht, nicht im einundzwanzigsten Jahrhundert. Doch, das gibt’s und zwar – wie sich später herausstellen wird – ziemlich heftig und über mehrere Tage.

Da sind ein paar grundsätzliche Gedanken angebracht. Der folgende Artikel gibt einen ungefähren Einblick in diese Thematik.

 

Apokalyptische Szenarien

Just a normal day in Leh
Ein normaler Tag in Leh

Habe ich etwas vergessen? Natürlich. Sehr vieles, aber das würden wir schnell merken. Grundsätzlich sind alle lebensnotwendigen Dinge (Nahrung, Wohnen/Wärme, Wasser, Transport, Gesundheit …) nicht mehr gewährleistet. Es gibt Szenarien, die analytisch hinter die Sache gegangen sind, und ein Beispiel durchgespielt haben.

Irgendwo in Europa (oder sonstwo auf der Welt) fällt das Internet im Umkreis von ein paar hundert Kilometer aus. Es wurde dabei sehr schnell und sehr erschreckend klar, wie dünn der Firnis unserer Zivilisation ist.

Nach ein paar Tagen, wenn der richtige Hunger einsetzt, die Kinder nichts mehr zu essen haben, die Kranken nicht mehr gepflegt werden können, usw., bricht die Gesellschaft zusammen. Es wird zu Plünderungen, zu Kämpfen, zum Zusammenbruch der Zivilisation kommen.

Das alles nur, weil unser geliebtes Internet, dem wir alles unter seine Kontrolle gegeben haben, nicht mehr funktioniert.

Und es gibt (wahrscheinlich) keine Notfallpläne.

Macht doch ziemlich nachdenklich.

Sind wir eigentlich komplett verrückt?

 

„Internet completely down in whole of Ladakh“

Das ist die Meldung, die man aus jeder Quelle in Leh erhält, wenn man sich nach dem Stand erkundigt.

Dass nicht nur ich und ein paar Tausend andere Touristen ihre liebe Mühe mit dem Intenet-losen Zustand haben, wird spätestens beim Frühstück – und wenig überraschend – später auch in der Stadt klar.

Wo immer man sich aufhält, das nicht mehr existente Internet ist DAS Hauptthema des Tages. Und dies nicht ohne Grund, denn es führt dazu, dass nicht nur kein Web, kein Mail, keine SMS oder Whatsapp, sondern auch verwunderlicherweise auch fast kein Telefon mehr funktioniert.

VOIP, also die digitale Telefonie, hat auch hier ihren Einzug gehalten. Jedermann regt sich fürchterlich auf, denn damit entfallen Hotelreservationen, Grüsse nach Hause, Bearbeitung von Mails und was es der schönen Dinge so alles gibt. Allerdings, und das freut die Einheimischen noch viel mehr: ihre eigenen Handys funktionieren prächtig. Man könnte sich also überlegen, ein indisches Prepaid-Natel zu kaufen, aber oha, weit gefehlt, denn da vergisst man doch glatt die indische Bürokratie.

Der Kauf eines indischen Prepaid-Handys dauert nämlich geschätzte vier bis fünf Tage.

 

Shop with analog phone
Das ist der Laden mit dem einzigen Analog-Telefon der Stadt

Aber eigentlich wäre es nicht schlecht, vor dem Treck noch ein Lebenszeichen von mir zu geben, aber eben – wie soll das gehen ohne Internet? Nach etwas Suchen finde ich doch tatsächlich das wahrscheinlich letzte Analog-Telefon in ganz Leh, ein Artefakt aus dem letzten Jahrhundert, dem ich nichts, aber rein gar nichts zutraue.

Ich dränge mich also in eine winzige Kabine, deren Tür sich nicht schliessen lässt, und überlege, wen ich anrufen könnte. Schliesslich ist es in Switzerland erst halb Acht am Morgen, meine Kids werden also eher noch nicht ansprechbar sein (oder sie nehmen Anrufe um diese Zeit schon gar nicht entgegen). Ein Kerl vor der Kabine schreit pausenlos in sein Handy, was die Erfolgsaussichten für ein halbwegs verständliches Gespräch weiter mindert. Aber schliesslich klappt es doch irgendwie, und ich kann mich beruhigt dem widmen, was jetzt ansteht, nämlich den Local Bus nach Likir zu finden.

 

Telephonieren wie vor hundert Jahren

Es kommt mir vor wie vor hundert Jahren, als man im Ausland im Büro der Telefongesellschaft ein Gespräch anmelden musste, eine endlose Zeit wartete, um schliesslich eine grottenschlechte Verbindung benutzen zu dürfen, deren Latenzzeit bis zur Antwort des Gesprächspartners eine gefühlte Ewigkeit dauerte.

Aber wir mit unseren kleinkarierten Sorgen sind kleine Fische im Vergleich zu den Hotels, die keine Buchungen mehr erhalten, keine Bestätigungen mehr versenden können, keine Informationen mehr bereitstellen können. Oder zu den Läden, die weder Bestellungen noch Nachfragen noch Auslieferungen noch alles andere durchführen können.

Aber im Gegensatz zu unseren Breitengraden sind die Ladakhis flexibel. Irgendwie funktioniert doch irgendwie alles. Vielleicht ein bisschen langsamer, aber alles in allem gar nicht schlecht … Man könnte sich von ihnen eine Scheibe abschneiden, falls wir mal in eine ähnliche Situation kommen sollten …

 

Digital Detox

Dann geniessen wir doch einfach mal die Zeit ohne das Internet, ohne das permanente Schielen auf die neuesten Nachrichten, ohne Mails und ohne Nachrichten. Man erinnere sich. Es ist ja schliesslich noch gar nicht solange her, 1988 in Hongkong um genau zu sein, als wir jemanden mit einem (riesigen) Handy am Ohr an einem Lichtsignal bemerkten. Nachdem wir herausgefunden hatten, um was es sich handelt, schien es uns damals eine vollkommen überflüssige Erfindung ohne die geringsten Erfolgschancen zu sein. So kann man sich irren.

Ein  neuerlicher Spaziergang durch Leh zeigt wunderbare Einblicke in eine uns fremde Kultur. Ladakh ist wirklich das Reich der kleinen Dinge. Aber es gilt, mit offenen Augen und Ohren durch die Strassen und Gassen zu gehen, um all die kleinen und vermeintlich unwichtigen Dinge zu entdecken.

 

Internet? What's that`?  Backyards

Everything takes its usual course  Colorful ladies strolling

PS Song zum Thema:  Annette Peacock – My Momma Never Taught Me how to Cook

Und hier geht die Reise weiter …

 

Ladakh/Rajasthan

Leh – Bob Marley auf dem Hügel

Morgen ist zunächst mal eine Klostertour angesagt. Nicht ganz günstig, aber ich werde den ganzen Tag einen Fahrer für mich ganz allein haben, und er wird mich durchs Industal von einem Kaff mit Kloster zum nächsten führen. Und dann möchte ich endlich einen Treck unternehmen, zum Anfang den sogenannten „Baby-Treck“. Er dauert drei Tage, führt nicht auf allzu hohe Pässe und ist auch sonst für einfache Gemüter.

Baby-Trek

Eigentlich ein bisschen beleidigend für berggewohnte Schweizer wie mich, aber was soll’s. Eine besonders gute Adresse einer Trecking-Agentur soll mir weiterhelfen.

Der tatsächlich äusserst seriös aussehende Manager schaut mich ungläubig an.

Baby-Treck? Why don’t you go on your own? Ja, warum auch nicht. Seiner Meinung nach kann man sich nicht verlaufen (allerdings weiss er nicht, dass ich es schaffe, mich auch auf gut beschilderten Wegen zu verirren).

Nun denn, das kann ja lustig werden.

Tausend Stufen zum Stupa hinauf

Nach dieser Abfuhr beschliesse ich, zum Stupa auf dem gegenüberliegenden Hügel hochzusteigen. Von weitem genau das Richtige zur Ankurbelung der Muskeln und Sehnen, die ich auf dem Trek brauchen werde.

Der Aufstieg
Je näher man kommt, umso steiler sieht es aus

Doch beim Näherkommen entpuppt sich der Weg nach oben nicht als gemütlicher Pfad, sondern als eine einzige bösartige Treppe mit tausend Stufen (keine einzige in der gleichen Höhe, man muss also höllisch aufpassen, dass man nicht strauchelt). Und diesmal komme ich tatsächlich massiv ins Schnaufen, aber ich bin nicht der einzige, der sich über die Knie gebeugt gelegentlich eine Pause gönnen muss.

Weg zum Tempel
Der Weg ist steil und mühsam

Der Stupa

Dann oben angekommen, erwartet einen zumindest eine wiederum gloriose Aussicht. Ganz Leh liegt im wolkigen Mittag unter uns, erstaunlicherweise sogar einige grüne Flecken aufweisend.

Doch diese sind bedroht. Das touristische Angebot wird zum Wohl der immer zahlreicheren Kunden permanent ausgebaut, was wiederum heisst, dass die kostbaren Grünflächen immer weniger werden.

Leh unter uns
Leh unter uns, ganz grün könnte man denken
Wüste und schneebedeckte Berge
Auf der anderen Seite Wüste und schneebedeckte Berge im Hintergrund

Auf der gegenüber liegenden Talseite erkennt man knapp den Hügel mit dem Königspalast. Er sieht einsam und verlassen aus, was er ja auch ist. Ein irgendwie traurig machender Anblick vergangener Grösse.

Königspalast
Der Königspalast auf der anderen Talseite

Der Stupa zeigt seine ganze Würde im grauen Licht. Ich bin beinahe allein da oben, umrunde ihn langsam, als gehörte er mir allein und geniesse die besondere Atmosphäre in vollen Zügen.

Der Stupa auf dem Hügel
Stupa auf dem Hügel
Die wunderbaren Malereien
Erst von nahe erkennt man die Kunstfertigkeit der Erbauer
Das Innere des Stupas
Und der Buddha, ganz allein und verträumt im Nirwana

Bob Marley

Und es gibt ein Restaurant, natürlich menschenleer, aber aus den Boxen dröhnt Bob Marley, was den jungen Mann hinter dem Tresen und mich in Windeseile zusammenbringt. Ich erzähle ihm vom letzten Konzert in Zürich, als Marley schon todkrank war und ein Jahr später starb. Wir hören uns durch seine Tonbandcassette und singen lauthals mit.

Dabei ist seine Geschichte alles andere als lustig, denn eigentlich stammt er, obwohl nepalesischer Abstammung, aus Dharamsala und hat hier noch bis Ende Saison einen Teilzeitjob. Anschliessend wird er zu seinem Bruder in Kalkutta reisen, um dort sein Glück zu versuchen. Wie sich die Leben doch unterscheiden. So nah und doch so fern!

Es ist heiss

Manchmal bedeckt sich der Himmel bedrohlich, sogar ein paar Tropfen benetzen den heissen Asphalt. Wenn die Sonne scheint, ist die Hitze irgendwie anders als bei uns. Sie wirkt wie radioaktive Strahlen, brennt Löcher in die Haut. Man muss sich schützen, eine die Augen schützende Sonnenbrille tragen, die Haut mit Faktor 50 oder zumindest 30 einschmieren. Andernfalls ist ein gewaltiger Sonnenbrand zu erwarten. Und man ist dauernd am Wechseln der Kleider. In der Sonne ist es 30 Grad, im Schatten daneben frostig kalt.

Ich wage einen letzten Blick zurück und mache mich an den Abstieg, der genauso steil aussieht wie von unten.

Der Weg hinunter
Der Weg hinunter

Technische Absonderlichkeiten

Es gibt hier kein Handynetz und das Hotel-eigene WLAN ist gelinde gesagt eine Beleidigung, wenn auch die einzige Möglichkeit, mich bemerkbar zu machen. Allerdings schwitze ich bei den Versuchen, einen Beitrag hochzuladen, Blut und gelegentlich ernte ich missbilligende Blicke, wenn ich einen erneuten Misserfolg beim Hochladen lautstark verfluche.

Bilder hochzuladen ist schlichtweg ein Ding der Unmöglichkeit, aber in spätestens drei Wochen wird alles besser. Aber dann werde ich dafür alles vermissen, was mir hier das Herz erfreut, und ich gäbe alle Wifis und Internets kostenlos dazu, wenn ich nochmals diese Bilder erleben dürfte …

 

PS Song zum Thema:  Halsey – I walk the Line

Und hier geht die Reise weiter …

 

Ladakh/Rajasthan

Leh – Es war einmal ein Königspalast

Unglaubliche 150 Meter.

Das ist der Höhenunterschied, den man auf den Hügel zum Königspalast und zur alten Burgruine erklimmen muss. Also unglaubliche 150 Meter Höhenunterschied. Der dunkelhäutige Rezeptionist im Hotel, wahrscheinlich ein Südinder, macht kugelrunde Augen, als er mir die Sache erklärt.

Will man ihm glauben, entspricht dies nicht mehr und nicht weniger als einer tollkühnen alpinistischen Meisterleistung, vergleichbar mit der Ersteigung des Kilimandjaro. Ich glaube ihm natürlich kein Wort, bin aber auf jeden Fall gewarnt und fühle mich ein bisschen wie Sherpa Tensing auf dem Aufstieg zum Mount Everest.

Reise in die Vergangenheit

Das Abenteuer beginnt hinter der Moschee (in Ladakh leben einige Tausend Moslems in mehr oder weniger friedvollem Zusammenleben mit der mehrheitlich buddhistischen Bevölkerung) mit der Suche nach dem Weg durch die verwinkelten Gässchen, aber immerhin zeigt gelegentlich ein „Way to Palace“ die Richtung an.

Nur schon dieser Weg ist eine Reise in die Vergangenheit. Manchmal ist es angebracht, den Kopf einzuziehen. Die Ladakhis sind ein kleinwüchsiger Menschenschlag, für sie sie die niedrigen Durchgänge kein Problem, während die grossgewachsenen Westler Mühe haben.

Gelegentlich erhascht man einen Blick in die Häuser, kommt sich fast ein wenig als Eindringling vor, doch die freundlichen Blicke zeigen, dass die Fremden willkommen sind. Der Tourismus ist einer der wenigen Wirtschaftszweige in der abgelegenen Gegend, die etwas Wohlstand (zwar nur für einige wenige) bringen.

Man sollte den Weg geniessen, auch wenn von Zeit zu Zeit abschreckende Gerüche in die Nase steigen. Es gibt keine geordnete Kanalisation, das Abwasser fliesst irgendwo durch und findet den Weg bergab, dem Indus entgegen.

The ascent starts

Man kommt schnell voran, doch der Blick auf die Hinterhöfe, die versteckten Eingänge, die zerbrochenen Fenster, lassen mich immer wieder einhalten.

Unser rationales Denken wird herausgefordert. Warum werden die zerbrochenen Fenster nicht geflickt? Die Winter in Ladakh sind extrem kalt, und obwohl die Menschen an vieles gewöhnt sind, bleibt die Frage offen: warum werden die Fenster nicht repariert? Ist es Geldmangel? Können wir uns einfach nicht vorstellen, dass es ein Elend gibt, das über unsere Vorstellungswelt hinausgeht?

Sind wir nicht besser als Marie Antoinette mit ihrem (fälschlicherweise ) zugeschriebenen Zitat: „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“

Es ist schwierig.

 

Broken window
Es könnte im Winter kalt werden

Der Königspalast (oder das, was davon übrig geblieben ist)

Auf jeden Fall stehe ich nach einer Dreiviertelstunde bereits vor dem Eingang und bezahle beim gelangweilten Türsteher einen Obolus von 200 Rupien. Aus diesem Blickwinkel hat man nicht den Eindruck, vor einer verlassenen Ruine zu stehen. Die Holzfenster scheinen intakt zu sein, einige sind offen, als ob die Herrscherfamilie eben daran ist, das Mittagessen in frischer Luft zu geniessen. Das Mauerwerk ist zwar alt, aber in gutem Zustand, ein paar Fahnen wehen im sanften Nachmittagswind.

Nichts deutet darauf hin, dass hier nur noch längst vergessene Artefakte auf Besucher warten.

 

Entrance to the King's palace

Nach dem Durchqueren finsterer Gänge und niedriger Tore öffnet sich unerwartet der Blick auf den über der Stadt liegenden Palast. Entlang einer den Abhang hinunter (hinauf?) führenden Röhre wird es schnell anstrengend. Die an den Potala-Palast in Lhasa erinnernden Mauern des Palastes kommen viel schneller näher als gedacht. Natürlich keucht man etwas mehr als zuhause, aber alles in allem scheint mir der Vergleich zum Kilimandjaro doch stark übertrieben zu sein. Alles ist relativ.

The way up to the palace
Der Weg führt bergauf
View down to Leh - a world in the midst of desolate surroundings
Blick hinunter nach Leh – eine Welt inmitten einer trostlosen Umgebung
New hotels
Neue Hotels entstehen an allen Ecken und Enden der Stadt
The further up you climb, the more impressive the scenery becomes
Je weiter man nach oben steigt, umso eindrücklicher wird die Kulisse
stupa on the hill

Der Königspalast ist allerdings nicht der höchste Punkt, sondern die Ruinen der alten Königsburg. Auch dieser Aufstieg ist weniger anstrengend als angedroht; ein perfekt angelegter Pfad führt in Serpentinen bis zu den Ruinen, wo man – oh Wunder! – einmal mehr Eintritt bezahlen muss.

The way up to the ruins
Der Weg hinauf zu den Ruinen
The castle towers high above the city
Die Burg thront hoch oben über der Stadt

Ein Mönch in roter Robe grinst über das ganze Gesicht, als ich ihn frage, was es denn da oben zu sehen gebe. Monastery, behauptet er. Na gut. Allerdings halte ich vergeblich Ausschau nach einem Kloster, es sei denn, damit ist der knapp zwei mal zwei Meter grosse Gebetsraum gemeint.

Grosser Gott, nicht mal den Mönchen ist mehr zu trauen. Aber die wunderbar im Wind flatternden, an langen Schnüren aufgefädelten Gebetsfahnen entschädigen für alles andere. Es heisst, dass hier, an diesem höchstgelegenen Punkt die Gebete besonders schnell zu den Göttern getragen werden. Na denn, schicken wir eines hinterher (schliesslich werde ich bald Grossvater).

 

Prayer flags in the gentle wind
Gebetsfahnen im sanften Wind

Remnants of former glory - a prayer room
Überbleibsel früherer Pracht – ein Gebetsraum
You can't get enough - a Metreya statue
Man kann sich nicht sattsehen – eine Metreya Statue

Cinnamon Rolls

Allmählich gewöhne ich mich an die Stadt, kenne die Hotspots, weiss, wo man das beste Essen erhält und welche German Bakery die besten Cinnamon Rolls anbietet.

Die Abende sind stockdunkel, was nicht nur mit der Nacht an sich zusammenhängt, sondern eher mit den Sromunterbrüchen, die mit boshafter Regelmässigkeit auftreten. So auch an diesem Abend. Irgendwann nach Sonnenuntergang wird es langsam zu dunkel zum Lesen und der Griff zum Lichtschalter bewirkt gar nichts. Also wieder mal ein Stromausfall.

„Mehr Licht“, waren die letzten Worte Goethes, und dem möchte ich mich gerne anschliessen. Nach einer Stunde im Volldunkel wird es mir zu bunt und beschliesse, an der Reception nachzufragen, doch wie seltsam, im Gang brennt Licht, und auch sonst scheint alles in bester heller Ordnung zu sein. Der Mann an der Reception lacht sich halbtot, als ich ihm mein Problem erkläre. Der Schalter vor dem Hotelzimmer dient nämlich nicht wie gewohnt dem Licht im Gang, sondern dem vollständigen Ausschalten des Stroms im dazugehörigen Zimmer. Damn it, ich bin ein derartiger Idiot! Damit genug für heute. Sleep well, Folks!

 

PS Song zum Thema:  Katzenjammer – Tea with Cinnamon

Und hier geht die Reise weiter …

 

Ladakh/Rajasthan

Leh – Ausser Atem

Der erste Eindruck nach einem 10-stündigen Schlaf – die Kopfschmerzen sind weg.

Am Morgen, nach einem irgendwie seltsamen Schlaf, unterbrochen durch ungewohnte Geräusche von draussen (sind es schlaflose Vögel? unbekannte Tiere?), erwache ich mit schwerem Kopf. Vom meinem Zimmerfenster aus hoffe ich vergeblich einen Blick auf  hohe Berge, auf wüstenartige Abhänge werfen zu können, doch alles, was mir geboten wird, sind tiefliegende Wolken.

Der Frühstückssaal ist brechend voll, ich suche mir einen der letzten freien Plätze und mache mich auf ans Frühstücks-Buffet. Es gibt alles, was das westliche Herz begehrt, aber auch asiatische Gaumen werden gebührend mit allerhand scharf riechenden Speisen verwöhnt.

Am Nebentisch sitzt eine amerikanische Familie, Eltern und zwei Teenager, in lebhaften Diskussionen. Natürlich dauert es nicht lange, bis ich Teil der Gespräche werde (das ist eine der amerikanischen Tugenden, die ich schon immer geliebt habe; unsere europäische Zurückhaltung scheint mir vergleichsweise schon beinahe asozial zu sein). Es stellt sich heraus, dass man nur wenig Zeit hat und diese möglichst gut nützen will.

 

Ein altersschwaches Ross

Im Gegensatz zu den Kopfschmerzen hält die Atemlosigkeit an. Es sind genau zwei Treppen mit etwa 20 Stufen zu meinem Hotelzimmer hinauf, also nichts Besonderes würde man meinen. Aber jedesmal, wenn ich oben ankomme, keuche ich wie ein altersschwaches Ross in den letzten Zügen. Manchmal begegne ich oben an der Treppe einem Inder, ungefähr in meinem Alter, wir lächeln uns wissend zu, zucken bedauernd die Schultern und keuchen wortlos weiter.

Aber die Stadt ruft. Ich habe leider feststellen müssen, dass mein Hotel ziemlich weit ausserhalb des Zentrums liegt und deswegen ein längerer Fussmarsch unumgänglich ist. Und der Weg führt offenbar aufwärts, was für den kurzen Atem eine weitere Belastungsprobe darstellen wird. Aber mal sehen …

 

„Special Price for you!“

Die erste Erkundungstour ins Stadtzentrum erweist sich als die befürchtete Anstrengung. Der Weg führt nämlich tatsächlich konstant bergaufwärts. Es erinnert mich schmerzlich an die etwas blechern klingende Lautsprecherstimme kurz nach der Landung. Sie empfahl uns wärmstens nicht nur strikte Ruhe von mindestens 24 oder noch besser 36 Stunden, sondern auch langsames Gehen.

Na gut denn, schalten wir halt einen oder zwei Gänge zurück (fehlt eigentlich nur noch der Rollator) und geniessen die Umgebung!

Die Strasse, die ich in den nächsten Tagen wohl öfters begehen werde, führt zwischen neuen Hotels und baufälligen Wohnhäusern hangaufwärts der Stadt entgegen. Schon bald tauchen die ersten Shops auf. Und damit wären wir nun bei den Worten zum heutigen Tag. Wieviele Male habe ich es gehört, dieses „Hello Sir“, meistens freundlich, gelegentlich aggressiv, aber immer mit grimmiger Entschlossenheit? Tausende, abertausende Male. Mit kleinen Nuancen immer die gleichen Sprüche in allen Ländern an allen möglichen Orten. Vielleicht noch ergänzt mit „Where you from?“ oder „Special Price for you“.

 

Shops with Souvernirs
Dieser Anblick wird mich nun einige Zeit verfolgen

 

The women are friendly and very businesslike
Die Frauen sind freundlich und sehr geschäftstüchtig

Aber die Händler sind nett, auf freundlche Weise aufdringlich. Sobald man als Opfer erkannt worden ist, werden die Netze ausgeworfen und dann geht’s los. Man muss es mit einer gewissen Gelassenheit über sich ergehen lassen. Gehört einfach dazu. Am Anfang ist man noch nett, beantwortet jeden noch so Spruch mit Freundlichkeit, doch das gibt sich schnell, und das Ohr verschliesst sich von selbst. Es ist wie beim Flugzeuglärm, der nach kurzer Zeit verstummt.

 

Das Stadtzentrum

Und dann bin ich da. Plötzlich und unerwartet stehe ich mitten auf einem langgezogenen grossen Platz. Der langsame Gang entlang der zahlreichen Verkaufsläden und Restaurants – in der Zwischenzeit brennt eine unbarmherzige Sonne herab, erstaunlich nach dem eiskalten Abend – öffnet den Blick auf das Alltagsleben.

 

Leh center
Das Zentrum von Leh

 

Relaxed strolling
Entspanntes Flanieren

 

Busy hustle and bustle
Geschäftiges Treiben

 

New shoe soles?
Neue Schuhsohlen?

 

Dann also Leh. Oder auch „Klein-Kathmandu“ genannt. 15’000 Einwohner, in der Hauptsaison auf das Mehrfache anschwellend. Auf gut 3500 Metern im Industal inmitten kahler toter Berge und Hügel gelegen (was mich anfänglich doch sehr verwirrt hat, denn kann es derselbe Indus sein, den wir vor hundert Jahren im südlichen Pakistan überquerten?

Es ist tatsächlich so, denn der Fluss entspringt irgendwo im Himalaya, fliesst anfänglich Richtung Nordwesten an Leh vorbei, bevor er sich endgültig nach Süden wendet und zum riesigen Strom wird, der nach tausenden von Kilometern ins Arabische Meer mündet).

Leh ist also eigentlich eine Kleinstadt, die aber auch jetzt, in der Nachsaison, aus allen Nähten platzt. Der dichte Verkehr führt an allen Ecken und Enden zu Staus und bringt die schmalen und schlechten Strassen und Gassen an den Rand ihrer Kapazität (es kommt mir vor, als hätte ich die gleiche Geschichte schon mehrfach erzählt, sei es von Mandalay oder Luang Prabang oder anderen von der Entwicklung überrollte Orte). Auf jeden Fall ist man als Fussgänger gut beraten, einen gut funktionierenden Fluchtreflex zu entwickeln, und auch ältere Leute besinnen sich mit Vorteil an ihre frühere Beweglichkeit.

 

Farbige Anblicke

Das Auge hat Mühe, sich sattzusehen. Irgendwann setzt man sich hin, ermüdet, erhitzt, lässt den Zufall führen.

 

And in the middle a cow
Und mitten drin eine Kuh

 

... and happy monks
… und fröhliche Mönche

 

Tibetan woman sells necklaces
Tibetische Frau verkauft Halsketten

 

... and he sells Pashmina Shawls
… und er verkauft Pashmina Shawls

 

A shy smile for the stranger
Ein scheues Lächeln für den Fremden

 

Vegetable sale on the sidewalk
Gemüseverkauf auf dem Trottoir

 

Whole generations taking a walk
Ganze Generationen auf dem Spaziergang

Die Burg

Mal abgesehen von diesen leider nur allzu bekannten Zeichen zivilisatorischer Entwicklung bietet die Stadt alles, was das unersättliche Travellerherz begehrt.

Das eigentliche Zentrum von Neu-Leh macht einen ziemlich modernen Eindruck (wobei der Ausdruck „modern“ mit Vorsicht zu geniessen ist). Es gibt eine mit zahlreichen Läden flankierte Fussgängerzone (tatsächlich!), wobei man unter Läden in erster Linie Souvenirshops, Guesthouses und Trekking-Agencies zu verstehen hat. Ein paar Meter dahinter liegt Old-Leh mit verschachtelten Gassen, ein Irrgarten, in dem der Unkundige nach kurzer Zeit jeglichen Sinn für die Orientierung verliert. Verwinkelte Gässchen führen mitten in ein undurchdringliches Labyrinth und über kurz oder lang strandet man in Hinterhöfen, Sackgassen und verwunschenen Plätzen.

 

The castle, or what is left of it
Die Burg, oder das was von ihr übrig geblieben ist

Und über allem thront auf einem Hügel majestätisch der alte Königspalast, zwar nicht mehr bewohnt und in ziemlich schlimmem Zustand. Und noch etwas weiter oben auf der Hügelkuppe starren die Überreste einer Burg auf ihre ehemaligen Untertanen herab. Die beiden fast- oder beinahe-Ruinen werde ich mir morgen zu Gemüte führen. Heute gilt es erst mal die Atmosphäre reinzuziehen, die Energie zu spüren. All das, was diesen Ort ausmacht. So speziell macht …

 

PS Song zum Thema:  Sia – Breathe me

Und hier geht die Reise weiter …

 

Ladakh/Rajasthan

Ladakh – Flug nach Leh

Wird es die Erfüllung eines Traumes werden? Oder doch eher ein Albtraum?

Eigentlich war mir ursprünglich die Unendlichkeit der Berge in Nepal noch etwas näher, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

 

From Zurich to Doha

Ich bin auf dem Weg in Richtung Osten, einmal mehr Richtung Indien, doch diesmal in den Norden. Nach Ladakh im indischen Himalaya.

Das Wetter ist sonnig und ermöglich eine gute Sicht auf die unter uns dahineilenden Länder. Ich muss eingedöst sein, denn der Übergang von den grünen Wiesen und Wäldern zur nahezu menschenleeren Wüste über dem Iran hat irgendwie ohne mich stattgefunden.

Dann ein kurzes Warten in Doha, das mir leblos und künstlich vorkommt (ein verspäteter Blick auf das Flugticket zeigt, dass ich beim Buchen offenbar im Halbschlaf gewesen sein muss. Es überläuft mich jetzt schon ein kalter Schauer, denn ich werde auf dem Heimweg knapp 22 Stunden in diesem kalten und abweisenden Ort verbringen müssen.

 

Fliegen??

Jedes Mal, wenn ich fliege, erinnere ich mich daran, dass vor kurzer Zeit – in Massstäben des Universums vor einer halben Sekunde – kein Mensch auch nur den Gedanken hatte, sich wie ein Adler in die Lüfte zu erheben und andere Länder und Kontinente in wenigen Stunden zu erreichen. Es erinnert mich auch daran, dass wir weit gekommen sind, vielleicht zu weit, wenn wir an die bedrohlichen Auswirkungen unseres Tuns auf das Klima bedenken …

Zum Zeitpunkt dieser Reise gab es noch keine Flying Shame, und Greta Thunberg war ein etwas seltsames Mädchen in Schweden, von dem die Welt noch nichts gehört hatte.

Jetzt ist alles anders. Und man beginnt sich zu überlegen, ob wir uns das, was wir tagtäglich tun – letztlich unser ganzer Lebensstil – überhaupt noch leisten können.

 

Indira Gandhi International Airport

Es ist zwar nur ein Flughafen, ein riesiger neuer für ca. 14 Millionen Einwohner (können auch ein paar Millionen mehr oder weniger sein, wer weiss das schon), auf seine besondere Weise steril, aber trotzdem anders als jeder andere Flughafen. Hat sich was verändert seit dem letzten Mal, doch immerhin ein paar Jahre her? Auf den ersten Blick nicht allzu viel.

 

From Doha to Delhi

Und trotzdem anders. Ist es die Anwesenheit der zahlreichen Geschäftsleute, in teure Armani-Anzügen gekleidet, die typische Managermiene aufgesetzt, immer in bisschen in Eile, immer der eigenen Wichtigkeit bewusst? Oder ist es die Abwesenheit der indischen Gerüche, des Durcheinanders, der Farben, der Sprachen? Es könnte irgendwo auf der Welt sein. Die Künstlichkeit dieser besonderen Flughafen-Welt hat auch hier Einzug gehalten. Technologisch hochstehend, durchorganisiert, ablaufoptimiert.

Kalt und steril. Kein Ort zum Bleiben, nur eine Durchgangsstation.

Genauso sehen die Bilder der Hotels aus, die dem wohlbetuchten Passagier die Wartezeit erleichtern sollen. Lieber schlafe ich auf dem Boden.

Anderes ist gleich geblieben. Ich bin beinahe froh darüber.

 

Ein Kultur-Clash

Der Passbeamte starrt immer noch so lange auf meinen Pass, dass mir die Füsse einschlafen. Es braucht nach wie vor tausend Formulare mit den immer gleichen Fragen, die ausgefüllt werden müssen (immerhin scheint die Frage nach Namen/Vornamen/Beruf und Geburtsort der Eltern und Grosseltern keine Bedeutung mehr zu haben – ein Fortschritt!).

Die Bürokratie treibt immer noch ihre Blüten, allerdings nicht mehr so schlimm wie früher. Niemand weiss, wo alle diese Formulare verschwinden. Werden sie irgendwo aufbewahrt? Oder gleich geschreddert? Gibt es irgendwo geheime Büros, wo sie kontrolliert, sortiert und ablegt werden?

Ein kafkaeskes System. Aber Indien war schon immer ein Land, wo man sich verlieren konnte. So wie Josef K. auf der Suche nach Antworten.

Andere Entwicklungen sind eher überraschend. Das Paar neben mir im Flugzeug nach Delhi – eine Schweizerin und ein Inder mit einem Dutt – wird von den Eltern des Jungen empfangen. Wow! Also keine seit Jahren vorgeplante, organisierte Ehe mit einer schüchternen Dame aus der gleichen Kaste?

Das muss für die indischen Eltern eine schwere Erschütterung ihrer traditionellen Vorstellungen sein. Ihre Gesichter sprechen von der Anstrengung, ein freundliches Willkommen zu bereiten, aber auch von der Enttäuschung, einen Sohn (vielleicht der einzige) an ein weisses Mädchen zu verlieren, ein Mädchen voller Selbstsicherheit, voller Offenheit. Das wird schwierig werden.

Für alle Beteiligten.

 

Schwere Rucksäcke

In der Zwischenzeit ist es spät geworden, Müdigkeit schleicht sich ein. Allerdings gilt es, nochmals gut 3 Stunden zu überstehen. In der überdimensionierten Halle des Domestic Flughafens trifft man nun langsam auf Leute mit dem offensichtlich gleichen Ziel.

Schwere Rucksäcke, Wanderschuhe an den Füssen, dicke Fleecejacken übergeschnürt. Man unterhält sich, gibt gegenseitige Ziele und Pläne bekannt, wundert sich über Vorstellungen, die sich massiv von den eigenen unterscheiden. Im Unterschied zu den geplanten Treks auf Gott weiss wie hohe Berge und Pässe sind meine Pläne bescheiden. Allerdings habe ich noch gar keine, zumindest keine konkreten. Treks sind gut und recht, aber zuerst heisst es, Leh zu erreichen, die ungewohnte Höhe auf 3500 Metern zu bewältigen. Dann sehen wir weiter. Mein bedenkliches Gesicht will nicht so recht zu den vor Vorfreude glänzenden Mienen der Bergsteiger passen.

Wenn das der erste Vorgeschmack ist, bin ich zumindest gewarnt. Ich muss mich wohl darauf einstellen, dass meine Vorstellungen dieser Reise ganz und gar nicht zu denen der übrigen Mitpassagiere passen. Wie dem auch sei, ich freue mich trotzdem auf das, was da kommen möge.

 

Dicke Wolken

Das Flugzeug, das mich nach Leh bringen soll – eigentlich habe ich ein Vorkriegsmodell mit rostigen Flügeln und ausgeleierten Propellern erwartet –, entpuppt sich als ein modernes Modell einer Boing 737. Es ist bis auf den letzten Platz besetzt. Einheimische Touristen, die beim Anblick der Berge in kleine Freudenschreie ausbrechen. Ladakhis auf dem Weg nach Hause. Westliche Touristen wie ich, leicht erkennbar in Daunen- und Fleecejacken und einem entschlossenen Ausdruck im Gesicht.

 

Delhi - Leh
Delhi – Leh

Leider ist die Sicht schlecht, dicke Wolken verbergen den Blick auf die Berge, die Ausläufer des Himalayas. Erst gegen Norden stechen ein paar bedrohlich aussehende Felsspitzen aus den Wolken, die ersten Zeichen, dass es nun langsam ernst wird.

 

Gloomy terrifying mountain ranges
Düstere furchteinflössende Bergketten
Civilization gets closer
Die Zivilisation kommt näher
In search of a landing site?
Auf der Suche nach einem Landeplatz?
It gets flatter, greener, more fertile
Es wird flacher, grüner, fruchtbarer

 

Marsoberfläche

Beim Landeanflug sticht man durch eine dicke graue Masse, das Flugzeug schüttelt sich kurz, und dann schweben wir über der Marsoberfläche. Anders kann man es nicht nennen. Es scheint keine Farben mehr zu geben, nur gelbe, braune, graue Felsen und Hügel und Berge, langgezogene Täler mit in der Morgensonne glitzernden Flüssen, und doch, manchmal ein grüner Fleck, ein paar Häuser, eine Burg, ein Kloster auf steilem Hügel. Wahnsinn!

Und dann sind wir da. Wir steigen aus, holen tief Atem nach der langen Reise und spüren sofort, dass es sich anders anfühlt als gewohnt.

Es fehlt bereits auf dieser Höhe (die ungefähr dem Jungfraujoch entspricht) rund ein Drittel Sauerstoff. Das wird lustig. Erwartungsgemäss werden sich Kopfschmerzen einstellen, ev. Übelkeit, Schlaflosigkeit. Wir werden sehen.

Die Taxis stehen in Schlange bereit, werden gefüllt, fahren weg, eine dicke braune Staubwolke hinter sich herziehend.

 

Das Hotel

Eine angenehme Überraschung: alles da, sogar heisses Wasser in der Dusche. Und jetzt heisst es erstmal ausruhen, die Beine ausstrecken, die bereits beginnenden Kopfschmerzen zu ignorieren und … ein paar Stunden zu schlafen.

Der Rest des Tages vergeht in diesem undefinierbaren Graubereich zwischen schlafen, lesen, dösen, den schmerzenden Kopf unters kalte Wasser halten, einem kurzen Spaziergang in der Nachmittagssonne …

Alles in allem – ich bin angekommen, auch wenn sich der Kopf noch nicht ganz mit der dünnen Luft abzufinden scheint. Beim Nachtessen – ganz traditionell indisch scharf – erste Kontakte. Eine US-Familie, fröhlich, aufgestellt, interessiert an allem. Und einmal mehr frage ich mich, warum man die Amerikaner, wenn man sie einzeln trifft, sofort ins Herz schliesst, während man das Volk an sich schon ziemlich grenzwertig findet.

Und dann ergiesst sich schwarze Nacht über die Welt, ich liege im Bett, lausche, höre absolut nichts, nur den eigenen Atem, spüre den pochenden Puls, und doch irgendwo in der Ferne das einsame Jaulen eines Hundes, das einzige Geräusch in der schwarzen Nacht.

 

PS Song zum Thema:  The Mission – Black Mountain Mist

Und hier geht die Reise weiter …