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Ladakh/Rajasthan

Leh – Der Khardung La Ultra-Marathon

Any Idiot can run, but it takes a special kind of Idiot to run a Marathon.

Heute findet der Leh Ultra-Marathon statt, etwas vom schlimmsten, was man sich vorstellen kann (doch alles ist relativ, siehe übernächsten Abschnitt).

 

Der Leh Ultra-Marathon

Der Start ist im Nubra-Valley auf der anderen Seite des Khardung-Passes auf gut 4500 Meter, dann geht’s hinauf zur Passhöhe auf genau 5370 Meter und von da an ins Tal hinunter auf einer mehrheitlich unbefestigten Strasse hinunter nach Leh, alles in allem gerade mal 72 schlappe Kilometer.

 

Khardung-La Marathon
Der Khardung-La Marathon – Auch mit dem Auto eine anspruchsvolle Geschichte

 

Die Ultra-Marathons

Allerdings wird mir berichtet, dass noch andere, viel krassere Ultra-Marathons gibt. Es bestätigt die alte Regel, dass etwas Schlimmes immer durch etwas noch Schlimmeres übertroffen werden kann.

Der längste davon misst 333 Kilometer. Das bedeutet, dass die Standardstrecke von 111 Kilometern dreimal gelaufen wird.

Der Startort ist mir nicht bekannt, wahrscheinlich irgendwo am Arsch der Welt hinter den sieben Bergen. Keine Ahnung, wer die Teilnehmer sind; ich stelle mir hagere, kleine, zähe Burschen vor, aus Haut und Knochen bestehend, mit einem ungeheuer grossen Herz und einer Lunge wie ein Elefant. Auf jeden Fall geht’s nach dem Start über sage und schreibe 333 Kilometern durch halb Ladakh, durch Täler und Höhen, über hohe und höchste Pässe dem Ziel entgegen.

Der Beste braucht dazu etwa 65 Stunden, unterbrochen von gerade mal 2 Stunden Schlaf, so erzählt man mir einigermassen glaubhaft.

[Die folgenden Videos sind dem Blog La-Ultra – The High entnommen. Besten Dank!]

 

 

Marathon in Leh – Tag 1

Nun, so schlimm wird’s heute nicht werden, aber immerhin.

Das Ziel ist irgendwo in der Pampa, auf jeden Fall ausserhalb des Zentrums von Leh. Bis ich mich dahin durchgefragt habe, vergeht Zeit, zuviel Zeit, denn als ich endlich das Ziel erreiche, sind die ersten beiden Läufer bereits im Ziel.

 

Marathon in Leh
Marathon in Leh – jedes Jahr eine grosse Sache

Der Lautsprecher verkündet, dass der Sieger 6 Stunden 53 Minuten gebraucht hat, der Runner-up ein paar Minuten mehr. Beides sind Soldaten der indischen Armee, wahrscheinlich mit besten Trainingsbedingungen und vielleicht noch unterstützt durch das eine oder andere Mittelchen aus der Drogenküche des Armeearztes.

Trotzdem eine geradezu unmenschliche Leistung, die nicht hoch genug bewertet werden kann. Es ist ja nicht nur die Distanz, die für uns Normalverbraucher ein Ding der Unmöglichkeit beziehungsweise eine Strafe Gottes wäre. Es ist die Höhe, die normales Gehen und Atmen zur Schwerstarbeit macht. Der untenstehende Spruch dazu sagt alles …

 

Oh yes
Oh yes – Da kann man wirklich zustimmen

 

Platz 3 bis 5

Das empfangende Publikum besteht hauptsächlich aus Schulkindern,die offenbar gerade Mittagspause haben.

Wo ist der nächste Läufer? Doch da, das muss er sein, lautes Hallo-Geschrei, Händeklatschen, Lachen und tatsächlich, da kommen drei Läufer gemeinsam dem Ziel entgegen, nicht besonders pressiert, wie es scheint, sie schauen gelassen und würdevoll mal nach links, dann nach rechts. Und dann sind sie im Ziel, frenetischer Applaus. Platz drei, vier und fünf geht unter grossem Jubel an drei Kühe.

Da man für sie keine Medaille bereithält, machen sie sich stattdessen über das Material her, mit dem die Ziellinie gezogen wurde. Offenbar besteht das weisse Pulver aus etwas Organischem, das den drei Helden zu munden scheint.

 

Runnerups
Drei besondere Teilnehmer

Die echten Runnerups

Und dann doch noch, wenn auch mit gebührendem Abstand, die echten Nummer drei und vier, auch sie Soldaten und in jeder Hinsicht der obigen Beschreibung entsprechend.

 

 

Runner up Number three
Diese Burschen sind wirklich zäh

Leider stelle ich zusammen mit einem Ehepaar aus Alaska und zwei Inder-Burschen das einzige noch vorbliebene Publikum dar, denn der Rest der Zuschauer hat sich verzogen (Mittagspause vorbei). Finde ich doch etwas ärmlich, schliesslich haben alle, die das Ziel erreichen, eine unglaubliche Leistung vollbracht. Wenigstens wir klatschen, was die Hände hergeben. Nach einer weiteren halben Stunde verziehe auch ich mich, in der Hoffnung, auf der halbwegs abgesperrten Strasse auf die nächsten Läufer zu stossen. Es bleibt aber bei der Hoffnung, Vielleicht habe ich ja die falsche Strasse erwischt (denn nach knapp 500 Metern gibt es keine Absperrung mehr und die Läufer müssen sich durch den Verkehr kämpfen), auf jeden Fall treffe ich niemanden mehr. Wo sind die verbleibenden 58 Läufer geblieben?

Verloren, verirrt? Niemand weiss es.

Vielleicht findet man in ein paar Jahren ein paar abgenagte, von der Sonne gebleichte Knochen, an den Füssen die Überreste von teuren Markenlaufschuhen …

 

PS Song zum Thema:   Bruce Springsteen – Born to run

Und hier geht die Reise weiter – über den Khardung La Pass ins Nubratal …

 

Ladakh/Rajasthan

Baby Trek 3 – Stein und Fels und Stille

Es ist früh in Hemis Shukpachen. Ich bilde mir ein, frisch gebackenes Brot zu riechen, obwohl ich weiss, dass es zum Frühstück allerhand Köstlichkeiten zu essen werden gibt, aber ganz sicher kein frisch gebackenes Brot.

Der Morgen ist schön. Die Blumen auf dem Dach riechen frisch und grün. Irgendwo pfeift ein Vogel. Piep piep piep. Gibt es da oben in dieser Einöde überhaupt Vögel? Ich kann mich nicht erinnern.

Man wartet auf die Gäste. Es sind nicht viele heute morgen. Man setzt sich auf die niedrigen Matten auf dem Boden, stöhnt ein bisschen dabei, streckt die Beine, sippt am süssen Kaffee, isst entspannt die versprochenen Köstlichkeiten, will sich nie mehr erheben, nur noch verweilen auf den unbequemen Kissen.

So ist das Leben, wenn es schön ist.

 

Ein weisser Punkt in der Ferne

Der Wirt meint, als er mich verabschiedet: „Es ist nicht weit. Und der Weg ist gut.“

Das ist vertrauenerweckend. Obwohl es gar nicht weit genug sein kann. Es sollte so weitergehen, immer weiter. Umgeben von Steinen und Felsen, einem Himmel in allen Schattierungen von Blau, einigen Wolken, die aussehen, als wären sie die Wächter der Berge.

Von weit her grüsst ein weisser Punkt. Er weist mir die Richtung. Ich bleibe immer wieder stehen, atme die trockene Luft ein, sie riecht nach Staub und toten Pflanzen. ich mag es, wenn der Horizont näher zu kommen scheint, obwohl er immer weit weg ist.

 

White tower in distance
Der weisse Turm rückt näher

 

Überreste von Irgendwas und Toiletten im Nirgendwo

Und da taucht unvermittelt eine Ruine auf. Es scheint sich um die Überreste einer Mauer zu handeln. Oder ist es ein ehemaliger Chörten? Die Phantasie macht Luftsprünge und wird trotzdem nicht fündig. Man fragt sich, welchen Zweck sie erfüllte. Eine Mauer in dieser gottverlassenen Gegend? Wofür? Dass es Chörten an allen möglichen und unmöglichen Orten gibt, ist bekannt, aber hier?

 

A Wall? A Chörten?
Eine Mauer? Ein Chörten?

Aber der heutige Weg hält weitere Überraschungen bereit. Man erinnere sich an die Abfall-Trennanlage etwas weiter unten. Hier ist es eine Toilette im Niemandsland. Inmitten des Nichts stehen zwei viereckige Blechkästen, von weitem schwierig zu identifizieren, ausser Nähe ganz klar – zwei Toiletten.Natürlich streng getrennt nach Gents und Ladies. Und dem Hinweis: Keep clean!

Man kann sich vorstellen, dass einmal wöchentlich eine Putzequippe hier herauskommt und für Ordnung sorgt und die Anlage sauber hält. Oder ist die Vorstellung zu absurd, um wahr zu sein?

 

Toilette in No Man's land
Toilette im Niemandsland

 

Gebetsfahnen

Man fühlt sich begrüsst, wenn die Gebetsfahnen flattern. Sie sind auch eine Art Wächter an diesem einsamen Ort. Der Draht zum Himmel. Wo der Wind die Gebete zum Himmel trägt. All diese Wünsche, diese Klagen. Als gäbe es irgendwo eine Instanz, die sich dafür interessiert. Und trotzdem geht eine seltsame Beruhigung von ihnen aus. Wie schon William Shakespeare seinen Hamlet  im 1. Akt, 5.Szene zu Horatio sagen lässt: “There are more things in heaven and earth, Horatio, Than are dreamt of in your philosophy.” 

Who knows …

Prayer flags as guardians and guardian angels
Gebetsfahnen als Wächter und Schutzengel

 

Nur noch Stein und Fels und Stille

Aber dann kommt eine ganze Weile nichts mehr. Nur noch Stein und Fels und Stille …

Gibt es irgendwo auf der Welt eine Gegend, die noch abweisender, noch lebensfeindlicher zu sein scheint?

Vielleicht die Sahara. Oder die Gobi. Die Taklamakan in China. Der Nordpol. Oder die Antarktis.

Es ist ein Ort, der einfach nur leer ist. Eine braune, graue, manchmal gelbrote Wüste. Es könnte auf dem Mars sein. Oder auf einem anderen leblosen Himmelskörper, der irgendwo in den Tiefen des Alls schwebt.

Und trotzdem fühlt man sich auf sonderbare Weise wohl.

Sehr seltsam.

 

the path is recognizable from afar
Von weitem ist der Pfad erkennbar

Der letzte La – gar nicht Baby-like

Auch wenn Puls und Lungen und Beine es zulassen würden, möchte man nicht schneller gehen. Auf keinen Fall. Zu unterschiedlich zu allem, was man kennt, ist diese Gegend. Man bleibt immer wieder stehen, um Luft zu holen oder die Phantasie der Natur zu bewundern, aus langweilen Grundtönen Farben in allen Nuancen zu kreieren. Eine Palette, die ein sehr begabter Maler geschaffen hat.

Der Weg ist von weitem zu erkennen. Er führt gemächlich den Neigungen des Hanges entlang, eine scheinbar endlose Diagonale, in den Berghang geschnitten, wo sie ganz oben am Horizont verschwindet. Es ist so still geworden, dass man das eilige Schlagen des Pulses zu vernehmen glaubt.

Es ist der letzte Pass, der letzte La …

 

the painter has found a new shade of color
Hier hat der Maler eine neue Farbtönung gefunden

You look back ...
Man schaut zurück …

... or up to what is coming
… oder hinauf auf das, was kommt

 

Die Passhöhe

Und dann erreicht man den obersten Punkt, irgendwo auf über 4000 Metern. Die Luft ist dünn geworden, dafür riecht sie anders als jede andere Luft. Irgendwie voll von etwas, was schwierig zu beschreiben ist.

 

Ich stehe über einer schimmernden Welt und fühle mich – wie soll ich es ausdrücken? – einfach nur glücklich. Man steht sozusagen mitten in einer von der Natur geschaffenen Leinwand. Man ist Teil eines Kunstwerks, ein völlig unwichtiger Teil natürlich.

 

On top of the last la
Zuoberst auf dem letzten La

 

Der Hügel

Ein Hügel unweit der Passhöhe. Yoko, die zierliche Japanerin, begleitet mich. Gegenseitige Fotos oder Selfies. Eine Notwendigkeit. Denn die Aussicht von hier oben ist schlicht atemberaubend. Ringsherum glänzen hohe und höchste Berge in der Sonne, umschleiert von zartem Gewölk, dazwischen wie scharfe schwarze Einschnitte abgelegene Täler.

Zurück auf der Passhöhe, wo man sich ein bisschen stolz über die Leistung verpflegt und zur Feier des Tages einen tiefen Schluck sandiges Wasser trinkt.

 

The prayer flags are our constant companions
Die Gebetsfahnen sind unsere ständigen Begleiter

An endless expanse and beauty
Eine unendliche Weite und Schönheit

Far away and yet so close
Ein sehr besonderes Panorama

Und hoppla, nach zwei Tagen taucht unerwartet meine chinesische Freundin Chin auf; sie erzählt von anspruchsvollen Zusatzschleifen zu Klöstern und alternativen hohen Pässen. Tja, etwas jünger müsste man sein …

 

Die letzten Meter

Der Abstieg zu letzten Dorf auf dem Plan, Tingmogang, ist einfach und eigentlich viel zu schnell, denn es sind meine letzten Meter. Weit unten sind Häuser zu erkennen, doch auf dem Weg taucht unerwartet ein Rastplatz auf, ein winziges Restaurant mit Plastikstühlen um kleine niedrige Tische. Aber der Kaffee ist grossartig, ebenso alles andere, was die schüchterne Wirtin anzubieten hat.

 

The last meters
Die letzten Meter

An unexpected opportunity to refresh ourselves
Eine unerwartete Möglichkeit, sich zu erfrischen

Tingmogang

Wir nähern uns dem Dorf, doch immer wieder bleibt man stehen und wundert sich über weit abseits stehende Kunstwerke, deren Sinn und Zweck unklar bleibt. Ist es eine Grabstätte? Ein Tempel? Ein Chörten?

Eigentlich ist es egal. Doch man glaubt zu spüren, dass es etwas Besonderes sein muss …

What is it? A tomb?
Was könnte es sein? Ein Grabmal?

Typical houses with red windows and straw roofs
Die typischen Häuser mit den roten Fenstern und dem Stroh auf dem Dach

Und dann tauchen die ersten Häuser auf. Unsere Gruppe ist auf eine stattliche Grösse angewachsen, es ist nicht ganz einfach, eine Unterkunft zu finden. Doch mit Hilfe einiger Dorfbewohner landen wir schliesslich in einem geradezu mondänen Guesthouse. Jedes Zimmer besitzt sogar ein eigenes Badezimmer. Was für ein Luxus! Man ist beinahe etwas beschämt.

 

Fruits laid out to dry (?)
Zum Trocknen ausgelegte Früchte (?)

 

Das Guesthouse

Für einmal schwelgt man sozusagen im Luxus. Der zum Guesthouse gehörige Garten ist riesig. Stühle und Tische unter Schatten spendenden Bäumen und Sträuchern laden zum Verweilen ein,  beobachtet durch einige ältere Leute, die uns misstrauisch beäugen. Ihrem Gesichtsausdruck könnte man entnehmen, dass wir im Grunde genommen Störenfriede sind. Aber wenn man sie anspricht, erhellt ein Lächeln ihre Gesichter, und alles ist gut.

 

Old people in the inner courtyard of the guesthouse
Alte Leute in Innenhof des Guesthouses

Beim Nachtessen begegnen sich eine Menge alter Bekannter, darunter auch Yoko und Chin. Und drei lustige junge Schwestern aus Deutschland, Judith, Sarah und Hannah.Ein Paar aus Östereich. Zwei Bayern, mit denen ich einen grossen Teil der heutigen Etappe gegangen bin.

Und einmal mehr ist das Essen grossartig, auch wenn einige Gäste gar nicht dieser Meinung sind.

 

Dining-Room
Der Dining-Room – wie immer wunderbar

Auf jeden Fall wird es ein langer Abend, will heissen dass wir nach neun (!!) immer noch hellwach sind, bis wir endlich merken, dass Wirt und Wirtin längst kleine Augen haben und gerne ins Bett gehen würden. Na dann halt …

 

And a last look at today's stage, as usual a trip through a single wasteland
Und ein letzter Blick auf die heutige Etappe, wie gewohnt ein Trip durch eine einzige Einöde

 

PS Song zum Thema: Ray Charles – Hit the Road, Jack

Und hier geht die Reise weiter … Zurück nach Leh

 

Ladakh/Rajasthan

Baby Trek 1 – Tote stumme Welt

An diesem Morgen ist der Himmel ein Meer aus blauestem Blau.

Ein sehr willkommener Gruss an diesem besonderen Morgen (der eigentlich gar nicht so besonders ist, schliesslich geht es lediglich um die erste Etappe des Baby-Treks). Trotzdem bin ich sofort hellwach, denn trotz Baby liegt eine anstrengende Sache vor mir. Immerhin sind wir hoch genug, um den Puls zu beschleunigen. Die untenstehende Karte (während des Tages mit meiner Polaruhr aufgezeichnet) zeigt die Route.

Es sieht definitiv nach lebloser Wüste und sonst nichts aus.

 

Baby Trek Stage1
Baby Trek Etappe1

 

Der letzte am Start

Wie könnte es anders sein – ich bin mal wieder der letzte am Start. Dieses Schicksal verfolgt mich schon seit Jahren. Die anderen Trekker, mit denen ich mich gestern Abend bekannt gemacht habe– ein amerikanisches Ehepaar, eine ziemlich heilig aussehende, wahrscheinlich bereits erleuchtete Inderin – sind schon früh verschwunden.

Der Blick von der Terrasse zeigt ein grossartiges Panorama. Der Himmel hat sich zur Erde geneigt.

 

Likir Valley
Das Tal von Likir – in seiner ganzen Pracht

Beim Frühstück sind nur noch Lily, eine Belgierin, die vor einem Jahr ihren Mann verloren hat, sowie Chin und ich übrig geblieben.

Chin wird sich aber zuerst das Kloster ansehen (das ich beim Klostertrip bereits bewundert habe), also werde ich schon mal mit Lily losziehen. Sie wird zwar nicht den Treck mitmachen, mich aber ein Stück Weges begleiten. Währenddessen erzählt sie mir ihre wahrhaft tragische Geschichte. Sie verbrachten vor einiger Zeit einen gemeinsamen Trek in eben dieser Gegend, doch in der Zwischenzeit ist ihr Mann unerwartet gestorben. Sie möchte nun an gleicher Stelle Abschied nehmen.

Ich kann Ihr zwar nicht helfen, aber wie man weiss, ist Zuhören ein ziemlich wirksames Mittel.

 

Das Kloster bleibt hinter uns zurück

Ein wehmütiges Gefühl bleibt zurück, als ich mich vom Guesthouse verabschiede. Die warme Freundlichkeit der Familie, die uns in ihren Kreis aufgenommen hat, wird mir fehlen. Aber so ist es eben beim Reisen – immer nimmt man wieder Abschied. Traurig, wehmütig, beschenkt …

 

 Buddha on the roof
Der Buddha auf seinem Dachsitz bleibt hinter uns zurück
Valley near Likir
Am Talboden ist die Gegend noch einigermassen fruchtbar
Likir Gompa
Das Kloster grüsst ein letztes Mal
My friend Lily
Lily auf der Abschiedstour

 

So far – so good

Ja, und dann geht’s erst richtig los. Anfänglich ist der Anstieg zwar noch leicht verdaulich, sogar für ältere Herren, allerdings merkt man doch die Höhe von knapp 3800 Metern. Den ersten La (gleich Pass auf Ladakhisch) nimmt man sozusagen im Vorbeigehen und fühlt sich schon ein bisschen als Herr der Lage.

 

ascent to the first pass - not very exciting
Der Aufstieg zum ersten Pass – nicht sehr aufregend
Chörten at the top
Ein erster Chörten erwartet mich

So far so good. Der folgende steile Abstieg hätte allerdings nicht sein müssen. Im Bewusstsein, dass alles, was runtergeht, mit Sicherheit wieder bergauf gehen muss, macht man sich grummelnd ins tief eingeschnittene Tal hinunter.

 

Down to an unknown valley
Ein Abstieg in ein unbekanntes Tal hinunter

 

Das Raunen der Berge

Es ist nun brennend heiss geworden, die Felsen ringsherum scheinen sich mit Hitze aufzuladen, und einmal mehr bin ich froh um meinen (echten) Indiana-Jones-Hut, der mir einigermassen Schatten spendet. Und natürlich kommt der unvermeidliche Aufstieg, und diesmal wird es so richtig heftig. Ich versuche, ganz ganz ganz langsam zu gehen, aber die Pulsuhr zeigt alle paar Minuten, dass die obere gesetzte Grenze erreicht ist.

Also halte ich halt alle paar hundert Meter an, lausche, doch es ist absolut nichts zu hören (sieht man vom kaum hörbaren Raunen der Berge ab).

 

Hot and tiresome
Heiss und anstrengend – allein in der Wüste
dead mute world
Ringsherum eine tote stumme Welt

Ich bin allein, ringsherum nur tote, furchteinflössende Welt, ich bin weitherum das einzige atmende Wesen (vielleicht treibt sich irgendwo noch ein verirrter Schneeleopard herum), einerseits ein beglückendes, das Herz berührendes Phänomen. Seltsam, es ist ein Gefühl vollkommener Freiheit. Als ob ich seit langem zum ersten Mal in vollkommener Harmonie mit allem wäre.

Manchmal setze ich mich hin, trinke langsam einen Schluck Wasser, lausche, betrachte die tote Welt um mich herum. Stille. Die Welt hat aufgehört, sich zu bewegen, zu atmen, ist zu einem reglosen, in Stein und Fels verschmolzenen Kunstwerk geworden. In diesem Augenblick möchte ich nirgends sonst sein. Und die Uhr sollte angehalten werden …

Dann, von seltsamer Glücksseligkeit erfüllt, setze ich den Weg fort. Aufwärts, abwärts, es ist egal … 

 

Please help me in keeping Ladakh clean

Doch der Weg bietet mehr Abwechslung, als man erwarten könnte. Mitten im Nichts – eine Recycllng Anlage. Man (die Trekker?) werden doch höflich gebeten, Papier, Plastik und Metall säuberlich zu trennen und in den jeweiligen Behaltern zu deponieren. Wenn man an den Müll auf den Strassen Lehs denkt, ebenso absurd wie unglaublich. Aber tatsächllich ist weit und breit nicht der kleinste Abfall zu entdecken. Es scheint, als wäre die Botschaft angekommen. Meine Hochachtung für soviel Glauben an die Vernunft der Memschheit … (Man stelle sich das Everest Base Camp vor – eine einzige Müllhalde.)

 

Recycling plant in nowhere
Recycling Anlage im Nirgendwo

 

Eine grüne Oase

Und dann wie aus dem Nichts – eine grüne Oase. Das saftige Grün der Bäume und Sträucher deutet auf Wasser hin. Der Pfad ist durch Mauern gesäumt,doch Menschen sind kene zu sehen. Das einzige Geräusch ist das kaum wahrnehmbare Sprudeln von unsichtbarem Wasser.

 

green oasis
Ein willkommener Ort für eine Pause
walls and trees
Mauern, aber keine Menschen

 

Indianer-Talente

Es gibt natürlich keine Beschilderung, und so steht man gelegentlich vor einem unlösbaren Rätsel, wenn der Weg in verschiedene Richtungen abzweigt. Dann muss man alte Indianer-Erfahrungen zu Rate ziehen, indem man die Richtung herausfindet, wohin die meisten Fussspuren führen (was natürlich auch mal schief gehen kann), und klopft sich aufs Apachen-Haupt, wenn sich die Entscheidung als richtig herausstellt.

Irgendwann tauchen in der Ferne Häuser auf einer Anhöhe auf. Es muss sich um Yangthang handeln, meinen heutigen Zielort.

Allerdings führt der Weg zu meinem Ärger zuerst mal wieder in eine Schlucht hinunter, aber – die Dummen haben meistens Glück – eine zierliche Japanerin namens Yoko weist mich auf den richtigen Weg, und so erreiche ich doch noch nach sechs Stunden, heftigstens keuchend und schwitzend, das Dorf, Mann, das sind fürwahr keine Baby-Etappen!

 

Sometimes the impression arises as if the path leads into infinity
Manchmal entsteht der Eindruck, als führte der Weg in die Unendlichkeit

 

Auf der Suche nach einem Homestay

Ich muss noch nachtragen, dass ich unterwegs einer ziemlich grossen Gruppe von Israelis begegnete. Wenn die in diesem winzigen Kaff eine Bleibe suchen, bleibt wenig übrig für mich.

Also auf ins erste Guesthouse, was sich aber schnell als Fehler herausstellt. Drei düster aussehende Burschen, die den Preis auf Ladakhisch diskutieren (grosser Fehler) empfangen mich in ihrem ziemlich neu aussehenden Guesthouse und offerieren mir ein Zimmer für 1000 Rupien.

Das Zimmer scheint ok, doch es gibt kein Badezimmer und als Dusche muss man sich einen Eimer kalten Wassers übers müde Haupt schütten. Was mir aber den Rest gibt, ist die Toilette oder das, was die Herren darunter verstehen. Man geht ums Haus herum (um Mitternacht ein Erlebnis, auf das man verzichten kann) und findet sich in einem krummen kleinen Gebäude mit zwei Türen wieder, in dem es nur ein Loch am Boden gibt. An sich nichts Besonderes, doch lässt sich zu allem auch die Tür nicht verschliessen, weil es der Konstrukteur der Tür nicht geschafft hat, den Bolzen so anzubringen, dass er in die entsprechende Öffnung passt.

Man kauert sich also über das Loch im Boden, währenddessen man verzweifelt versucht, mit der Hand die Tür geschlossen zu halten. Ich bin müde und erschöpft und habe keine Lust auf Abenteuer dieser Art. Ich packe also meine Siebensachen wieder zusammen und mache mich auf die Suche nach einer Alternative. Vorher schlafe ich unter einem Baum als in diesem Etablissement!

Ein paar ehrwürdige alte Herren weisen mir den Weg zu einem Guesthouse, ähnlich wie dem gestrigen, aber sogar noch eine Spur freundlicher.

Ich fühle mich auf jeden Fall sofort wie zuhause. Diesmal ist ein kleiner Junge von anderthalb Jahren für die Abendunterhaltung besorgt. Die Grosseltern sehen aus wie hundert, allerdings sind sie wahrscheinlich gerade mal ein paar Jahre älter als ich. Der Opa murmelt fortwährend buddhistische Weisheiten aus einem Buch, in der anderen Hand eine Gebetsmühle, an der er eifrig dreht.

So viele Glücksgefühle und später ein tiefer Schlaf …

 

Son of the family
Er sorgt für Unterhaltung im Wohnzimmer

Boy of the HouseFamily eating on the floor

 

PS Song zum Thema:  Bishop Briggs – Dreams

Und hier geht die Reise weiter …

 

Ladakh/Rajasthan

Ladakh – Digitaler Blackout

Macht man sich je Gedanken über ein mögliches Szenario, das einen vollkommenen Zusammenbruch des Internets beschreibt?

Kaum.

Wie sich zeigen sollte, kann dieses Sandkastenspiel als Live-Experiment in Ladakh geprüft werden.

Und als Hinweis: Thomas Harris hat in seinem neuesten Roman „The Second Sleep“ sehr genau beschrieben, wie sich die Gefahren eines weltweiten Kollapses der Internet-.Infrastrukur auswirken könnte. Rückfall ins dunkelste Mittelalter.

 

Wenn die Welt plötzlich offline ist

Der allmorgendliche Griff zum iPhone oder iPad läuft diesmal ins Leere. Wahrscheinlich funktioniert das Hotel-eigene WLAN wieder mal nicht, aber die Nachfrage an der Rezeption entlockt dem entsprechenden Herrn lediglich ein müdes Lächeln.

Das Grinsen auf seinem Gesicht bereitet mir erstens etwas Mühe, denn da dringt viel Schadenfreude durch, und zweitens kann ich es partout nicht glauben. Das Internet einfach down? Das gibt’s doch nicht, nicht im einundzwanzigsten Jahrhundert. Doch, das gibt’s und zwar – wie sich später herausstellen wird – ziemlich heftig und über mehrere Tage.

Da sind ein paar grundsätzliche Gedanken angebracht. Der folgende Artikel gibt einen ungefähren Einblick in diese Thematik.

 

Apokalyptische Szenarien

Just a normal day in Leh
Ein normaler Tag in Leh

Habe ich etwas vergessen? Natürlich. Sehr vieles, aber das würden wir schnell merken. Grundsätzlich sind alle lebensnotwendigen Dinge (Nahrung, Wohnen/Wärme, Wasser, Transport, Gesundheit …) nicht mehr gewährleistet. Es gibt Szenarien, die analytisch hinter die Sache gegangen sind, und ein Beispiel durchgespielt haben.

Irgendwo in Europa (oder sonstwo auf der Welt) fällt das Internet im Umkreis von ein paar hundert Kilometer aus. Es wurde dabei sehr schnell und sehr erschreckend klar, wie dünn der Firnis unserer Zivilisation ist.

Nach ein paar Tagen, wenn der richtige Hunger einsetzt, die Kinder nichts mehr zu essen haben, die Kranken nicht mehr gepflegt werden können, usw., bricht die Gesellschaft zusammen. Es wird zu Plünderungen, zu Kämpfen, zum Zusammenbruch der Zivilisation kommen.

Das alles nur, weil unser geliebtes Internet, dem wir alles unter seine Kontrolle gegeben haben, nicht mehr funktioniert.

Und es gibt (wahrscheinlich) keine Notfallpläne.

Macht doch ziemlich nachdenklich.

Sind wir eigentlich komplett verrückt?

 

„Internet completely down in whole of Ladakh“

Das ist die Meldung, die man aus jeder Quelle in Leh erhält, wenn man sich nach dem Stand erkundigt.

Dass nicht nur ich und ein paar Tausend andere Touristen ihre liebe Mühe mit dem Intenet-losen Zustand haben, wird spätestens beim Frühstück – und wenig überraschend – später auch in der Stadt klar.

Wo immer man sich aufhält, das nicht mehr existente Internet ist DAS Hauptthema des Tages. Und dies nicht ohne Grund, denn es führt dazu, dass nicht nur kein Web, kein Mail, keine SMS oder Whatsapp, sondern auch verwunderlicherweise auch fast kein Telefon mehr funktioniert.

VOIP, also die digitale Telefonie, hat auch hier ihren Einzug gehalten. Jedermann regt sich fürchterlich auf, denn damit entfallen Hotelreservationen, Grüsse nach Hause, Bearbeitung von Mails und was es der schönen Dinge so alles gibt. Allerdings, und das freut die Einheimischen noch viel mehr: ihre eigenen Handys funktionieren prächtig. Man könnte sich also überlegen, ein indisches Prepaid-Natel zu kaufen, aber oha, weit gefehlt, denn da vergisst man doch glatt die indische Bürokratie.

Der Kauf eines indischen Prepaid-Handys dauert nämlich geschätzte vier bis fünf Tage.

 

Shop with analog phone
Das ist der Laden mit dem einzigen Analog-Telefon der Stadt

Aber eigentlich wäre es nicht schlecht, vor dem Treck noch ein Lebenszeichen von mir zu geben, aber eben – wie soll das gehen ohne Internet? Nach etwas Suchen finde ich doch tatsächlich das wahrscheinlich letzte Analog-Telefon in ganz Leh, ein Artefakt aus dem letzten Jahrhundert, dem ich nichts, aber rein gar nichts zutraue.

Ich dränge mich also in eine winzige Kabine, deren Tür sich nicht schliessen lässt, und überlege, wen ich anrufen könnte. Schliesslich ist es in Switzerland erst halb Acht am Morgen, meine Kids werden also eher noch nicht ansprechbar sein (oder sie nehmen Anrufe um diese Zeit schon gar nicht entgegen). Ein Kerl vor der Kabine schreit pausenlos in sein Handy, was die Erfolgsaussichten für ein halbwegs verständliches Gespräch weiter mindert. Aber schliesslich klappt es doch irgendwie, und ich kann mich beruhigt dem widmen, was jetzt ansteht, nämlich den Local Bus nach Likir zu finden.

 

Telephonieren wie vor hundert Jahren

Es kommt mir vor wie vor hundert Jahren, als man im Ausland im Büro der Telefongesellschaft ein Gespräch anmelden musste, eine endlose Zeit wartete, um schliesslich eine grottenschlechte Verbindung benutzen zu dürfen, deren Latenzzeit bis zur Antwort des Gesprächspartners eine gefühlte Ewigkeit dauerte.

Aber wir mit unseren kleinkarierten Sorgen sind kleine Fische im Vergleich zu den Hotels, die keine Buchungen mehr erhalten, keine Bestätigungen mehr versenden können, keine Informationen mehr bereitstellen können. Oder zu den Läden, die weder Bestellungen noch Nachfragen noch Auslieferungen noch alles andere durchführen können.

Aber im Gegensatz zu unseren Breitengraden sind die Ladakhis flexibel. Irgendwie funktioniert doch irgendwie alles. Vielleicht ein bisschen langsamer, aber alles in allem gar nicht schlecht … Man könnte sich von ihnen eine Scheibe abschneiden, falls wir mal in eine ähnliche Situation kommen sollten …

 

Digital Detox

Dann geniessen wir doch einfach mal die Zeit ohne das Internet, ohne das permanente Schielen auf die neuesten Nachrichten, ohne Mails und ohne Nachrichten. Man erinnere sich. Es ist ja schliesslich noch gar nicht solange her, 1988 in Hongkong um genau zu sein, als wir jemanden mit einem (riesigen) Handy am Ohr an einem Lichtsignal bemerkten. Nachdem wir herausgefunden hatten, um was es sich handelt, schien es uns damals eine vollkommen überflüssige Erfindung ohne die geringsten Erfolgschancen zu sein. So kann man sich irren.

Ein  neuerlicher Spaziergang durch Leh zeigt wunderbare Einblicke in eine uns fremde Kultur. Ladakh ist wirklich das Reich der kleinen Dinge. Aber es gilt, mit offenen Augen und Ohren durch die Strassen und Gassen zu gehen, um all die kleinen und vermeintlich unwichtigen Dinge zu entdecken.

 

Internet? What's that`?  Backyards

Everything takes its usual course  Colorful ladies strolling

PS Song zum Thema:  Annette Peacock – My Momma Never Taught Me how to Cook

Und hier geht die Reise weiter …

 

Ladakh/Rajasthan

Leh – Es war einmal ein Königspalast

Unglaubliche 150 Meter.

Das ist der Höhenunterschied, den man auf den Hügel zum Königspalast und zur alten Burgruine erklimmen muss. Also unglaubliche 150 Meter Höhenunterschied. Der dunkelhäutige Rezeptionist im Hotel, wahrscheinlich ein Südinder, macht kugelrunde Augen, als er mir die Sache erklärt.

Will man ihm glauben, entspricht dies nicht mehr und nicht weniger als einer tollkühnen alpinistischen Meisterleistung, vergleichbar mit der Ersteigung des Kilimandjaro. Ich glaube ihm natürlich kein Wort, bin aber auf jeden Fall gewarnt und fühle mich ein bisschen wie Sherpa Tensing auf dem Aufstieg zum Mount Everest.

 

Reise in die Vergangenheit

Das Abenteuer beginnt hinter der Moschee (in Ladakh leben einige Tausend Moslems in mehr oder weniger friedvollem Zusammenleben mit der mehrheitlich buddhistischen Bevölkerung) mit der Suche nach dem Weg durch die verwinkelten Gässchen, aber immerhin zeigt gelegentlich ein „Way to Palace“ die Richtung an.

Nur schon dieser Weg ist eine Reise in die Vergangenheit. Manchmal ist es angebracht, den Kopf einzuziehen. Die Ladakhis sind ein kleinwüchsiger Menschenschlag, für sie sie die niedrigen Durchgänge kein Problem, während die grossgewachsenen Westler Mühe haben.

Gelegentlich erhascht man einen Blick in die Häuser, kommt sich fast ein wenig als Eindringling vor, doch die freundlichen Blicke zeigen, dass die Fremden willkommen sind. Der Tourismus ist einer der wenigen Wirtschaftszweige in der abgelegenen Gegend, die etwas Wohlstand (zwar nur für einige wenige) bringen.

Man sollte den Weg geniessen, auch wenn von Zeit zu Zeit abschreckende Gerüche in die Nase steigen. Es gibt keine geordnete Kanalisation, das Abwasser fliesst irgendwo durch und findet den Weg bergab, dem Indus entgegen.

 

The ascent starts

Man kommt schnell voran, doch der Blick auf die Hinterhöfe, die versteckten Eingänge, die zerbrochenen Fenster, lassen mich immer wieder einhalten.

Unser rationales Denken wird herausgefordert. Warum werden die zerbrochenen Fenster nicht geflickt? Die Winter in Ladakh sind extrem kalt, und obwohl die Menschen an vieles gewöhnt sind, bleibt die Frage offen: warum werden die Fenster nicht repariert? Ist es Geldmangel? Können wir uns einfach nicht vorstellen, dass es ein Elend gibt, das über unsere Vorstellungswelt hinausgeht?

Sind wir nicht besser als Marie Antoinette mit ihrem (fälschlicherweise ) zugeschriebenen Zitat: „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“

Es ist schwierig.

 

Broken window
Es könnte im Winter kalt werden

Der Königspalast (oder das, was davon übrig geblieben ist)

Auf jeden Fall stehe ich nach einer Dreiviertelstunde bereits vor dem Eingang und bezahle beim gelangweilten Türsteher einen Obolus von 200 Rupien. Aus diesem Blickwinkel hat man nicht den Eindruck, vor einer verlassenen Ruine zu stehen. Die Holzfenster scheinen intakt zu sein, einige sind offen, als ob die Herrscherfamilie eben daran ist, das Mittagessen in frischer Luft zu geniessen. Das Mauerwerk ist zwar alt, aber in gutem Zustand, ein paar Fahnen wehen im sanften Nachmittagswind.

Nichts deutet darauf hin, dass hier nur noch längst vergessene Artefakte auf Besucher warten.

 

Entrance to the King's palace

Nach dem Durchqueren finsterer Gänge und niedriger Tore öffnet sich unerwartet der Blick auf den über der Stadt liegenden Palast.

Entlang einer den Abhang hinunter (hinauf?) führenden Röhre wird es schnell anstrengend. Die an den Potala-Palast in Lhasa erinnernden Mauern des Palastes kommen viel schneller näher als gedacht. Natürlich keucht man etwas mehr als zuhause, aber alles in allem scheint mir der Vergleich zum Kilimandjaro doch stark übertrieben zu sein.

Alles ist relativ.

 

The way up to the palace
Der Weg führt bergauf
View down to Leh - a world in the midst of desolate surroundings
Blick hinunter nach Leh – eine Welt inmitten einer trostlosen Umgebung
New hotels
Neue Hotels entstehen an allen Ecken und Enden der Stadt
The further up you climb, the more impressive the scenery becomes
Je weiter man nach oben steigt, umso eindrücklicher wird die Kulisse
stupa on the hill
Und auf der anderen Seite eine Stupa auf dem Hügel

 

Im Inneren des Palastes

Hier lebte bis zu ihrer Entmachtung im Jahr 1843 die königliche Familie, und seither steht das imposante Gebäude leer und verfällt zusehends. In den oberen Etagen sollen jetzt ganze Rabenschwärme die Hoheit übernommen haben. Von ihnen ist allerdings nichts zu sehen, dafür ganze Schwärme von Touristen, die entweder mit dem Taxi hochgefahren werden (die meisten!) oder dann tatsächlich extrem keuchend und halbtot oben ankommen; für sie ist die alpinistische Meisterleistung nicht ganz abwegig.

Man zwängt sich durch sehr niedrige Türen und fragt sich unwillkürlich, ob die damaligen Leute Zwerge gewesen waren. Alle Räume sind leer und tot, und irgendwie ist es schwer vorstellbar, wie hier ein ganzer Hofstatt gelebt haben soll.

Man tritt ein, spürt die Leere und Leblosigkeit der Räume und flüchtet erst mal auf die Terrassen, wo sich der Blick auf das ehemalige Untertanenreich öffnet. Der Anblick ist fantastisch.

Leh und das ganze fruchtbare Indus-Tal liegt unter uns ausgebreitet. Erst jetzt erkennt man, wie sich neue Quartiere wie ein Krebsgeschwür ins verbliebene fruchtbare Ackerland hineinfressen. Das wird nicht gut enden. Man steigt höher und höher, die Treppen werden steiler und enger, bis man die oberste, achte Etage erreicht. That’s it. Beim Hinuntersteigen fragt mich eine korpulente Inderin, ob ich wirklich (!) ganz oben gewesen sei. Sie ist etwas blass um die Nase; für sie scheint es tatsächlich ein Abenteuer zu sein.

 

Die alte Königsburg

Der Königspalast ist allerdings nicht der höchste Punkt, sondern die Ruinen der alten Königsburg. Auch dieser Aufstieg ist weniger anstrengend als angedroht; ein perfekt angelegter Pfad führt in Serpentinen bis zu den Ruinen, wo man – oh Wunder! – einmal mehr Eintritt bezahlen muss.

The way up to the ruins
Der Weg hinauf zu den Ruinen
The castle towers high above the city
Die Burg thront hoch oben über der Stadt

Ein Mönch in roter Robe grinst über das ganze Gesicht, als ich ihn frage, was es denn da oben zu sehen gebe. Monastery, behauptet er. Na gut. Allerdings halte ich vergeblich Ausschau nach einem Kloster, es sei denn, damit ist der knapp zwei mal zwei Meter grosse Gebetsraum gemeint.

Grosser Gott, nicht mal den Mönchen ist mehr zu trauen. Aber die wunderbar im Wind flatternden, an langen Schnüren aufgefädelten Gebetsfahnen entschädigen für alles andere. Es heisst, dass hier, an diesem höchstgelegenen Punkt die Gebete besonders schnell zu den Göttern getragen werden. Na denn, schicken wir eines hinterher (schliesslich werde ich bald Grossvater).

 

Prayer flags in the gentle wind
Gebetsfahnen im sanften Wind

Metreya

Beim Abstieg in die Stadt hinunter kreuzt man einen unscheinbaren Tempel mit einer Metreya-Statue.

Für Nicht-Buddhisten folgende Erklärung dazu: der allseits bekannte historische Buddha Gautama Siddharta ist nicht DER Buddha, vielmehr einer von vielen, die es bisher gegeben hat. Für das kommende Weltzeitalter (wann immer das sein wird) ist bereits ein zukünftiger Buddha namens Metreya bestimmt. Momentan ist er im Begriff, im Verlauf unzähliger Leben zu diesem zu werden. Grundsätzlich kann also jeder von uns der zukünftige Buddha sein. Geben wir uns also etwas Mühe, positives Karma zu erwerben, dann steht dem eigentlich nichts entgegen.

 

Remnants of former glory - a prayer room
Überbleibsel früherer Pracht – ein Gebetsraum
You can't get enough - a Metreya statue
Man kann sich nicht sattsehen – eine Metreya Statue

Cinnamon Rolls

Allmählich gewöhne ich mich an die Stadt, kenne die Hotspots, weiss, wo man das beste Essen erhält und welche German Bakery die besten Cinnamon Rolls anbietet.

Die Abende sind stockdunkel, was nicht nur mit der Nacht an sich zusammenhängt, sondern eher mit den Sromunterbrüchen, die mit boshafter Regelmässigkeit auftreten. So auch an diesem Abend. Irgendwann nach Sonnenuntergang wird es langsam zu dunkel zum Lesen und der Griff zum Lichtschalter bewirkt gar nichts. Also wieder mal ein Stromausfall.

„Mehr Licht“, waren die letzten Worte Goethes, und dem möchte ich mich gerne anschliessen. Nach einer Stunde im Volldunkel wird es mir zu bunt und beschliesse, an der Reception nachzufragen, doch wie seltsam, im Gang brennt Licht, und auch sonst scheint alles in bester heller Ordnung zu sein. Der Mann an der Reception lacht sich halbtot, als ich ihm mein Problem erkläre. Der Schalter vor dem Hotelzimmer dient nämlich nicht wie gewohnt dem Licht im Gang, sondern dem vollständigen Ausschalten des Stroms im dazugehörigen Zimmer. Damn it, ich bin ein derartiger Idiot! Damit genug für heute. Sleep well, Folks!

 

PS Song zum Thema:  Katzenjammer – Tea with Cinnamon

Und hier geht die Reise weiter …

 

Ladakh/Rajasthan

Leh – Ausser Atem

Der erste Eindruck nach einem 10-stündigen Schlaf – die Kopfschmerzen sind weg.

Am Morgen, nach einem irgendwie seltsamen Schlaf, unterbrochen durch ungewohnte Geräusche von draussen (sind es schlaflose Vögel? unbekannte Tiere?), erwache ich mit schwerem Kopf. Vom meinem Zimmerfenster aus hoffe ich vergeblich einen Blick auf  hohe Berge, auf wüstenartige Abhänge werfen zu können, doch alles, was mir geboten wird, sind tiefliegende Wolken.

Der Frühstückssaal ist brechend voll, ich suche mir einen der letzten freien Plätze und mache mich auf ans Frühstücks-Buffet. Es gibt alles, was das westliche Herz begehrt, aber auch asiatische Gaumen werden gebührend mit allerhand scharf riechenden Speisen verwöhnt.

Am Nebentisch sitzt eine amerikanische Familie, Eltern und zwei Teenager, in lebhaften Diskussionen. Natürlich dauert es nicht lange, bis ich Teil der Gespräche werde (das ist eine der amerikanischen Tugenden, die ich schon immer geliebt habe; unsere europäische Zurückhaltung scheint mir vergleichsweise schon beinahe asozial zu sein). Es stellt sich heraus, dass man nur wenig Zeit hat und diese möglichst gut nützen will.

 

Ein altersschwaches Ross

Im Gegensatz zu den Kopfschmerzen hält die Atemlosigkeit an. Es sind genau zwei Treppen mit etwa 20 Stufen zu meinem Hotelzimmer hinauf, also nichts Besonderes würde man meinen. Aber jedesmal, wenn ich oben ankomme, keuche ich wie ein altersschwaches Ross in den letzten Zügen. Manchmal begegne ich oben an der Treppe einem Inder, ungefähr in meinem Alter, wir lächeln uns wissend zu, zucken bedauernd die Schultern und keuchen wortlos weiter.

Aber die Stadt ruft. Ich habe leider feststellen müssen, dass mein Hotel ziemlich weit ausserhalb des Zentrums liegt und deswegen ein längerer Fussmarsch unumgänglich ist. Und der Weg führt offenbar aufwärts, was für den kurzen Atem eine weitere Belastungsprobe darstellen wird. Aber mal sehen …

 

„Special Price for you!“

Die erste Erkundungstour ins Stadtzentrum erweist sich als die befürchtete Anstrengung. Der Weg führt nämlich tatsächlich konstant bergaufwärts. Es erinnert mich schmerzlich an die etwas blechern klingende Lautsprecherstimme kurz nach der Landung. Sie empfahl uns wärmstens nicht nur strikte Ruhe von mindestens 24 oder noch besser 36 Stunden, sondern auch langsames Gehen.

Na gut denn, schalten wir halt einen oder zwei Gänge zurück (fehlt eigentlich nur noch der Rollator) und geniessen die Umgebung!

Die Strasse, die ich in den nächsten Tagen wohl öfters begehen werde, führt zwischen neuen Hotels und baufälligen Wohnhäusern hangaufwärts der Stadt entgegen. Schon bald tauchen die ersten Shops auf. Und damit wären wir nun bei den Worten zum heutigen Tag. Wieviele Male habe ich es gehört, dieses „Hello Sir“, meistens freundlich, gelegentlich aggressiv, aber immer mit grimmiger Entschlossenheit? Tausende, abertausende Male. Mit kleinen Nuancen immer die gleichen Sprüche in allen Ländern an allen möglichen Orten. Vielleicht noch ergänzt mit „Where you from?“ oder „Special Price for you“.

 

Shops with Souvernirs
Dieser Anblick wird mich nun einige Zeit verfolgen

 

The women are friendly and very businesslike
Die Frauen sind freundlich und sehr geschäftstüchtig

Aber die Händler sind nett, auf freundlche Weise aufdringlich. Sobald man als Opfer erkannt worden ist, werden die Netze ausgeworfen und dann geht’s los. Man muss es mit einer gewissen Gelassenheit über sich ergehen lassen. Gehört einfach dazu. Am Anfang ist man noch nett, beantwortet jeden noch so Spruch mit Freundlichkeit, doch das gibt sich schnell, und das Ohr verschliesst sich von selbst. Es ist wie beim Flugzeuglärm, der nach kurzer Zeit verstummt.

 

Das Stadtzentrum

Und dann bin ich da. Plötzlich und unerwartet stehe ich mitten auf einem langgezogenen grossen Platz. Der langsame Gang entlang der zahlreichen Verkaufsläden und Restaurants – in der Zwischenzeit brennt eine unbarmherzige Sonne herab, erstaunlich nach dem eiskalten Abend – öffnet den Blick auf das Alltagsleben.

 

Leh center
Das Zentrum von Leh

 

Relaxed strolling
Entspanntes Flanieren

 

Busy hustle and bustle
Geschäftiges Treiben

 

New shoe soles?
Neue Schuhsohlen?

 

Dann also Leh. Oder auch „Klein-Kathmandu“ genannt. 15’000 Einwohner, in der Hauptsaison auf das Mehrfache anschwellend. Auf gut 3500 Metern im Industal inmitten kahler toter Berge und Hügel gelegen (was mich anfänglich doch sehr verwirrt hat, denn kann es derselbe Indus sein, den wir vor hundert Jahren im südlichen Pakistan überquerten?

Es ist tatsächlich so, denn der Fluss entspringt irgendwo im Himalaya, fliesst anfänglich Richtung Nordwesten an Leh vorbei, bevor er sich endgültig nach Süden wendet und zum riesigen Strom wird, der nach tausenden von Kilometern ins Arabische Meer mündet).

Leh ist also eigentlich eine Kleinstadt, die aber auch jetzt, in der Nachsaison, aus allen Nähten platzt. Der dichte Verkehr führt an allen Ecken und Enden zu Staus und bringt die schmalen und schlechten Strassen und Gassen an den Rand ihrer Kapazität (es kommt mir vor, als hätte ich die gleiche Geschichte schon mehrfach erzählt, sei es von Mandalay oder Luang Prabang oder anderen von der Entwicklung überrollte Orte). Auf jeden Fall ist man als Fussgänger gut beraten, einen gut funktionierenden Fluchtreflex zu entwickeln, und auch ältere Leute besinnen sich mit Vorteil an ihre frühere Beweglichkeit.

 

Farbige Anblicke

Das Auge hat Mühe, sich sattzusehen. Irgendwann setzt man sich hin, ermüdet, erhitzt, lässt den Zufall führen.

 

And in the middle a cow
Und mitten drin eine Kuh

 

... and happy monks
… und fröhliche Mönche

 

Tibetan woman sells necklaces
Tibetische Frau verkauft Halsketten

 

... and he sells Pashmina Shawls
… und er verkauft Pashmina Shawls

 

A shy smile for the stranger
Ein scheues Lächeln für den Fremden

 

Vegetable sale on the sidewalk
Gemüseverkauf auf dem Trottoir

 

Whole generations taking a walk
Ganze Generationen auf dem Spaziergang

Die Burg

Mal abgesehen von diesen leider nur allzu bekannten Zeichen zivilisatorischer Entwicklung bietet die Stadt alles, was das unersättliche Travellerherz begehrt.

Das eigentliche Zentrum von Neu-Leh macht einen ziemlich modernen Eindruck (wobei der Ausdruck „modern“ mit Vorsicht zu geniessen ist). Es gibt eine mit zahlreichen Läden flankierte Fussgängerzone (tatsächlich!), wobei man unter Läden in erster Linie Souvenirshops, Guesthouses und Trekking-Agencies zu verstehen hat. Ein paar Meter dahinter liegt Old-Leh mit verschachtelten Gassen, ein Irrgarten, in dem der Unkundige nach kurzer Zeit jeglichen Sinn für die Orientierung verliert. Verwinkelte Gässchen führen mitten in ein undurchdringliches Labyrinth und über kurz oder lang strandet man in Hinterhöfen, Sackgassen und verwunschenen Plätzen.

 

The castle, or what is left of it
Die Burg, oder das was von ihr übrig geblieben ist

Und über allem thront auf einem Hügel majestätisch der alte Königspalast, zwar nicht mehr bewohnt und in ziemlich schlimmem Zustand. Und noch etwas weiter oben auf der Hügelkuppe starren die Überreste einer Burg auf ihre ehemaligen Untertanen herab. Die beiden fast- oder beinahe-Ruinen werde ich mir morgen zu Gemüte führen. Heute gilt es erst mal die Atmosphäre reinzuziehen, die Energie zu spüren. All das, was diesen Ort ausmacht. So speziell macht …

 

PS Song zum Thema:  Sia – Breathe me

Und hier geht die Reise weiter …

 

Ladakh/Rajasthan

Ladakh – Flug nach Leh

Wird es die Erfüllung eines Traumes werden? Oder doch eher ein Albtraum?

Eigentlich war mir ursprünglich die Unendlichkeit der Berge in Nepal noch etwas näher, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

 

From Zurich to Doha

Ich bin auf dem Weg in Richtung Osten, einmal mehr Richtung Indien, doch diesmal in den Norden. Nach Ladakh im indischen Himalaya.

Das Wetter ist sonnig und ermöglich eine gute Sicht auf die unter uns dahineilenden Länder. Ich muss eingedöst sein, denn der Übergang von den grünen Wiesen und Wäldern zur nahezu menschenleeren Wüste über dem Iran hat irgendwie ohne mich stattgefunden.

Dann ein kurzes Warten in Doha, das mir leblos und künstlich vorkommt (ein verspäteter Blick auf das Flugticket zeigt, dass ich beim Buchen offenbar im Halbschlaf gewesen sein muss. Es überläuft mich jetzt schon ein kalter Schauer, denn ich werde auf dem Heimweg knapp 22 Stunden in diesem kalten und abweisenden Ort verbringen müssen.

 

Fliegen??

Jedes Mal, wenn ich fliege, erinnere ich mich daran, dass vor kurzer Zeit – in Massstäben des Universums vor einer halben Sekunde – kein Mensch auch nur den Gedanken hatte, sich wie ein Adler in die Lüfte zu erheben und andere Länder und Kontinente in wenigen Stunden zu erreichen. Es erinnert mich auch daran, dass wir weit gekommen sind, vielleicht zu weit, wenn wir an die bedrohlichen Auswirkungen unseres Tuns auf das Klima bedenken …

Zum Zeitpunkt dieser Reise gab es noch keine Flying Shame, und Greta Thunberg war ein etwas seltsames Mädchen in Schweden, von dem die Welt noch nichts gehört hatte.

Jetzt ist alles anders. Und man beginnt sich zu überlegen, ob wir uns das, was wir tagtäglich tun – letztlich unser ganzer Lebensstil – überhaupt noch leisten können.

 

Indira Gandhi International Airport

Es ist zwar nur ein Flughafen, ein riesiger neuer für ca. 14 Millionen Einwohner (können auch ein paar Millionen mehr oder weniger sein, wer weiss das schon), auf seine besondere Weise steril, aber trotzdem anders als jeder andere Flughafen. Hat sich was verändert seit dem letzten Mal, doch immerhin ein paar Jahre her? Auf den ersten Blick nicht allzu viel.

 

From Doha to Delhi

Und trotzdem anders. Ist es die Anwesenheit der zahlreichen Geschäftsleute, in teure Armani-Anzügen gekleidet, die typische Managermiene aufgesetzt, immer in bisschen in Eile, immer der eigenen Wichtigkeit bewusst? Oder ist es die Abwesenheit der indischen Gerüche, des Durcheinanders, der Farben, der Sprachen? Es könnte irgendwo auf der Welt sein. Die Künstlichkeit dieser besonderen Flughafen-Welt hat auch hier Einzug gehalten. Technologisch hochstehend, durchorganisiert, ablaufoptimiert.

Kalt und steril. Kein Ort zum Bleiben, nur eine Durchgangsstation.

Genauso sehen die Bilder der Hotels aus, die dem wohlbetuchten Passagier die Wartezeit erleichtern sollen. Lieber schlafe ich auf dem Boden.

Anderes ist gleich geblieben. Ich bin beinahe froh darüber.

 

Ein Kultur-Clash

Der Passbeamte starrt immer noch so lange auf meinen Pass, dass mir die Füsse einschlafen. Es braucht nach wie vor tausend Formulare mit den immer gleichen Fragen, die ausgefüllt werden müssen (immerhin scheint die Frage nach Namen/Vornamen/Beruf und Geburtsort der Eltern und Grosseltern keine Bedeutung mehr zu haben – ein Fortschritt!).

Die Bürokratie treibt immer noch ihre Blüten, allerdings nicht mehr so schlimm wie früher. Niemand weiss, wo alle diese Formulare verschwinden. Werden sie irgendwo aufbewahrt? Oder gleich geschreddert? Gibt es irgendwo geheime Büros, wo sie kontrolliert, sortiert und ablegt werden?

Ein kafkaeskes System. Aber Indien war schon immer ein Land, wo man sich verlieren konnte. So wie Josef K. auf der Suche nach Antworten.

Andere Entwicklungen sind eher überraschend. Das Paar neben mir im Flugzeug nach Delhi – eine Schweizerin und ein Inder mit einem Dutt – wird von den Eltern des Jungen empfangen. Wow! Also keine seit Jahren vorgeplante, organisierte Ehe mit einer schüchternen Dame aus der gleichen Kaste?

Das muss für die indischen Eltern eine schwere Erschütterung ihrer traditionellen Vorstellungen sein. Ihre Gesichter sprechen von der Anstrengung, ein freundliches Willkommen zu bereiten, aber auch von der Enttäuschung, einen Sohn (vielleicht der einzige) an ein weisses Mädchen zu verlieren, ein Mädchen voller Selbstsicherheit, voller Offenheit. Das wird schwierig werden.

Für alle Beteiligten.

 

Schwere Rucksäcke

In der Zwischenzeit ist es spät geworden, Müdigkeit schleicht sich ein. Allerdings gilt es, nochmals gut 3 Stunden zu überstehen. In der überdimensionierten Halle des Domestic Flughafens trifft man nun langsam auf Leute mit dem offensichtlich gleichen Ziel.

Schwere Rucksäcke, Wanderschuhe an den Füssen, dicke Fleecejacken übergeschnürt. Man unterhält sich, gibt gegenseitige Ziele und Pläne bekannt, wundert sich über Vorstellungen, die sich massiv von den eigenen unterscheiden. Im Unterschied zu den geplanten Treks auf Gott weiss wie hohe Berge und Pässe sind meine Pläne bescheiden. Allerdings habe ich noch gar keine, zumindest keine konkreten. Treks sind gut und recht, aber zuerst heisst es, Leh zu erreichen, die ungewohnte Höhe auf 3500 Metern zu bewältigen. Dann sehen wir weiter. Mein bedenkliches Gesicht will nicht so recht zu den vor Vorfreude glänzenden Mienen der Bergsteiger passen.

Wenn das der erste Vorgeschmack ist, bin ich zumindest gewarnt. Ich muss mich wohl darauf einstellen, dass meine Vorstellungen dieser Reise ganz und gar nicht zu denen der übrigen Mitpassagiere passen. Wie dem auch sei, ich freue mich trotzdem auf das, was da kommen möge.

 

Dicke Wolken

Das Flugzeug, das mich nach Leh bringen soll – eigentlich habe ich ein Vorkriegsmodell mit rostigen Flügeln und ausgeleierten Propellern erwartet –, entpuppt sich als ein modernes Modell einer Boing 737. Es ist bis auf den letzten Platz besetzt. Einheimische Touristen, die beim Anblick der Berge in kleine Freudenschreie ausbrechen. Ladakhis auf dem Weg nach Hause. Westliche Touristen wie ich, leicht erkennbar in Daunen- und Fleecejacken und einem entschlossenen Ausdruck im Gesicht.

 

Delhi - Leh
Delhi – Leh

Leider ist die Sicht schlecht, dicke Wolken verbergen den Blick auf die Berge, die Ausläufer des Himalayas. Erst gegen Norden stechen ein paar bedrohlich aussehende Felsspitzen aus den Wolken, die ersten Zeichen, dass es nun langsam ernst wird.

 

Gloomy terrifying mountain ranges
Düstere furchteinflössende Bergketten
Civilization gets closer
Die Zivilisation kommt näher
In search of a landing site?
Auf der Suche nach einem Landeplatz?
It gets flatter, greener, more fertile
Es wird flacher, grüner, fruchtbarer

 

Marsoberfläche

Beim Landeanflug sticht man durch eine dicke graue Masse, das Flugzeug schüttelt sich kurz, und dann schweben wir über der Marsoberfläche. Anders kann man es nicht nennen. Es scheint keine Farben mehr zu geben, nur gelbe, braune, graue Felsen und Hügel und Berge, langgezogene Täler mit in der Morgensonne glitzernden Flüssen, und doch, manchmal ein grüner Fleck, ein paar Häuser, eine Burg, ein Kloster auf steilem Hügel. Wahnsinn!

Und dann sind wir da. Wir steigen aus, holen tief Atem nach der langen Reise und spüren sofort, dass es sich anders anfühlt als gewohnt.

Es fehlt bereits auf dieser Höhe (die ungefähr dem Jungfraujoch entspricht) rund ein Drittel Sauerstoff. Das wird lustig. Erwartungsgemäss werden sich Kopfschmerzen einstellen, ev. Übelkeit, Schlaflosigkeit. Wir werden sehen.

Die Taxis stehen in Schlange bereit, werden gefüllt, fahren weg, eine dicke braune Staubwolke hinter sich herziehend.

 

Das Hotel

Eine angenehme Überraschung: alles da, sogar heisses Wasser in der Dusche. Und jetzt heisst es erstmal ausruhen, die Beine ausstrecken, die bereits beginnenden Kopfschmerzen zu ignorieren und … ein paar Stunden zu schlafen.

Der Rest des Tages vergeht in diesem undefinierbaren Graubereich zwischen schlafen, lesen, dösen, den schmerzenden Kopf unters kalte Wasser halten, einem kurzen Spaziergang in der Nachmittagssonne …

Alles in allem – ich bin angekommen, auch wenn sich der Kopf noch nicht ganz mit der dünnen Luft abzufinden scheint. Beim Nachtessen – ganz traditionell indisch scharf – erste Kontakte. Eine US-Familie, fröhlich, aufgestellt, interessiert an allem. Und einmal mehr frage ich mich, warum man die Amerikaner, wenn man sie einzeln trifft, sofort ins Herz schliesst, während man das Volk an sich schon ziemlich grenzwertig findet.

Und dann ergiesst sich schwarze Nacht über die Welt, ich liege im Bett, lausche, höre absolut nichts, nur den eigenen Atem, spüre den pochenden Puls, und doch irgendwo in der Ferne das einsame Jaulen eines Hundes, das einzige Geräusch in der schwarzen Nacht.

 

PS Song zum Thema:  The Mission – Black Mountain Mist

Und hier geht die Reise weiter …