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Alpenpanoramaweg

Alpenpanoramaweg – Orangegelbe Pracht am Abend

Manchmal, in letzter Zeit öfters, erwache ich am Morgen und bin einen Augenblick lang unsicher, wo ich mich befinde. Das geschieht immer dann, wenn man sich an schnell wechselnden Übernachtungsorten befindet.

Der heutige Morgen ist einer davon: es dauert aber nur einen Moment, bis ich das Dröhnen der Traktoren und Lastwagen erkenne. Klar, Luthern, die steile Strasse neben dem Hotel, wo sich der Verkehr den Anstieg hinauf quält. Diese Art Lärmattacke hat mich auch gestern Abend beim Nachtessen überfallen.

 

Der Geist, dieser störender Geselle

Der Umstand, dass ich heute Abend den halben Weg hinter mir haben werde, bringt ein merkwürdiges Gefühl hervor. Eigentlich müsste ich stolz auf das Erreichte sein, das war ja bisher eine ziemlich lockere Angelegenheit. Aber eben, der Geist ist manchmal ein ziemlich störender Geselle, indem er bereits an das Ende, den Abschied denkt. Das immer gleiche Mantra: Enjoy! Geniesse! Es ist bald fertig passt perfekt dazu.

Aber so ticken wir halt, unfähig, den Moment zu geniessen, im Moment zu verweilen. Viel lieber denken wir an das, was nach dem Genuss kommt.

Ach Gott, so früh am Morgen und schon so philosophisch.

Aber alles hat seinen Grund. Es könnte ja sein, dass ich tief im Unterbewusstsein weiss, dass sich dieses Abenteuer nicht wiederholen lässt. Der Reiz, das Vergnügen, das Glücksgefühl gehört immer zum ersten Mal. Jede Wiederholung ist immer ein Versuch, die Gefühle nochmals zu erleben, etwas Vergangenes noch einmal zum Leben zu erwecken. Das geht nicht.

Und ausserdem kommt dazu, das wissen meine Muskeln und Knochen viel besser als mein hochmütiger Geist, schliesst sich beim Älterwerden ein Fenster nach dem anderen.

So ist das eben. Traurig, aber wahr, würde Georg Danzer singen.

 

Zugegeben, es ist ein Genuss

Ein herrlicher Panoramaweg durch die typischen Hügellandschaften des urtümlichen Emmentals. In stetem Auf und Ab geht es auf einem meist breiten Höhenzug vom Napf, vorbei an kleinen Landwirtschaftsbetrieben, Alpen und durch Wälder zur Lüderenalp.

Der Weg geht stetig auf und ab. Die Begleitung an klaren Tagen: eine grandiose Aussicht auf die Alpen, das Mittelland bis hin zum Jura. Etwa in der Mitte der Strecke liegt die bekannte Oberlushütte. Sie lädt ein zu einer Rast mit Blick auf die verschneiten Wetterhörner. Gestärkt geht es weiter via Geissgratflue zur Lüderenalp, beliebtes Ausflugsziel mit schöner Rundsicht in Richtung Berner Alpen und Jura. Hier steht mit 38,03 Meter die längste, aus einem Stück gefertigte Sitzbank der Welt. Weit herum bekannt ist auch die Lüderen-Chilbi, die jeweils Anfang August stattfindet.

So steht’s im Führer, klingt gut, auch wenn für mich nur ein Teil zutrifft. Denn heute mache ich wohl oder übel den zweiten Teil des ungeplanten Ausflugs via Luthern statt via Napf.

Und so hätte der Tagesplan ausgesehen:

 

From Napf to Lüdernalp

Man erkennt den Unterschied auf unten stehender Karte, aufgezeichnet von meinem Polargerät: der Weg von Luthern via Chrutzi auf den Höhenzug hinauf, wo er wieder auf den Panoramaweg trifft, ist um einiges länger als die originale Route.

Aber ich freue mich auf einen kurzweiligen Trip das Tal hinauf bis Chrutzi, bevor der Weg abzweigt.

Länge: 16 km, Aufstieg | Abstieg: 1050 m | 640 m, Wanderzeit: 6 h 25 min

 

From Luthern to Lüdernalp

 

Ein freundlicher Biker

Bereits auf den ersten Metern der heutigen Route wird klar, dass der Tag wieder so wird wie der gestrige, heiss und anstrengend.

Die ersten Kilometer das Tal hinein führen in langen Kehren der Landstrasse entlang. Immerhin ist der Verkehr dünn, gelegentlich knattert ein Landwirtschaftsgefährt vorbei, der Blick des Bauern geradeaus, als hätte der einsame Wanderer nicht mehr verdient als ignoriert zu werden. Ist mir aber egal, ich fühle mich prächtig, die Luft ist kühl, ein leichtes Windchen weht. Perfekt!

 

Church at Luthern
Auch wenn ein Ort sonst nicht viel hergibt, eine schöne Kirche ist immer da

Ein Biker, wieder mal ein älterer Herr, glaubt mir behilflich sein zu müssen, so zumindest denkt er, und spricht mich an. Er scheint ein aufgestautes Mitteilungsbedürfnis zu haben (kenne ich), denn ich erfahre seine halbe Lebensgeschichte, und so dauert es etwas, bis ich verstehe, was er mir sagen will. Es gibt offenbar tatsächlich einen Wanderweg.

Tatsächlich, bei einem Bauernhaus oberhalb der Strasse führt so etwas wie ein Pfad durch. Nun gut, ich bin zwar nicht überzeugt, dass es viel bringen wird, aber ich mache dem Herrn die Freude, mir geholfen zu haben, und zweige ab. Immer wieder erstaunlich, wie schnell man jemandem eine Freude machen kann, er mir durch seinen Hinweis, ich ihm durch Dankbarkeit.

Was ich befürchtet habe, trifft nach wenigen hundert Metern ein – der sogenannte Wanderweg führt ziemlich genau nach einem halben Kilometer zurück auf die Landstrasse.

 

Der rechte, der mittlere oder der linke

Chrutzi (wieder so ein Name, Hübeli, Chrutzi, wer denkt sich sowas aus?) ist das letzte Dorf oder Dörfchen, bevor das Tal weiter hinten am Napfhang endet. Ob in den fünfeinhalb Häusern mehr als zwanzig Menschen wohnen, bezweifle ich, aber wer Einsamkeit und Ruhe sucht, ist hier richtig.

Man möchte meinen, dass die Abzweigung in Richtung Ober Scheidegg klar sein müsste, aber einen Wegweiser gibt es nicht, also steht man wie der sprichwörtliche Esel vor dem Berg, denn es zweigen tatsächlich drei Wege ab. Die Karte ist etwas ungenau, und so erweist sich die Entscheidung für die mittlere Strasse, die einen besseren Eindruck macht als die beiden anderen, wieder mal als ziemlich falsch.

Der linke Weg ist der richtige. Er macht keinen wirklich appetitanregenden Eindruck, steil, voller Steine und Gräben, und komplett überwachsen von allerhand Gewächs. Einmal mehr die Erkenntnis, dass dieser Weg eine ziemliche Zeit nicht mehr benützt worden ist.

 

This is really a path

Hier muss man sich tatsächlich durch hohes Gras kämpfen, fehlt nur noch eine Machete. Einen Moment lang komme ich mir vor wie Livingstone im Dschungel von Afrika, vielleicht erwartet mich weiter oben Mr. Stanley. „Mr. Landolt, I presume?“

Wie nicht anders erwartet, gibt es auf diesem gottverlassenen Weg keine Sitzbänke, wofür auch? Und so setze ich mich halt am erstbesten Ort hin, es ist nicht wirklich komfortabel, aber immerhin ist die Aussicht wie meistens grossartig. Und wer es noch nicht bemerkt hat – der Himmel ist beinahe wolkenlos, ein paar Schleierwolken in der Ferne. Wenn Engel reisen …

 

View from my picknick place

View down the valley

Irgendwann lichtet sich der Wald, die Strasse wird besser, ein Bauernhof taucht auf, es muss sich um Unterhumbel handeln. Ich lasse die Bemerkungen zu den seltsamen Namen für einmal weg, aber bei Oberhumbel kann ich nicht anders als grinsen.

„Wo wohnen Sie denn?“  „In Oberhumbel, das ist kurz nach Chrutzi und gar nicht weit weg von Hübeli.“ „Wo?“

 

Zurück auf dem Panoramaweg

Der Höhenzug von der Ober Scheidegg bis Oberänzi ist nun ein einziges Vergnügen nach dem anstrengenden Aufstieg. Soll ich nochmals den hohen blauen Himmel erwähnen, der heiter über mir hängt? Oder die leichte Brise, die in den Zweigen der Tannen flüstert? Die Hitze, die manchmal unerwartet durch einen kühlen Luftzug unter den Bäumen gedämpft wird?

Ich muss immer wieder stehen bleiben, es kann nicht sein, dass dieses Panorama nicht die verdiente Aufmerksamkeit erhält. Und so schaut man hinunter und hinauf, nach rechts und nach links, mit leerem Kopf und vollem Herzen.

 

Aber taucht doch tatsächlich ein Wegweiser auf, ich weiss schon von weitem, was es ist, und hallo alter Freund, da bist du wieder, ich habe dich sehnlichst vermisst. Von da an ist der Weg wieder klar und gut und beschildert.

Back on Track!

 

Back on track!

 

Erinnerungen an Gerüche und anderes

Während hinter und unter mir das Luzerner HInterland verschwindet, folge ich der im Führer beschriebenen phantastischen Gratwanderung. Es fühlt sich ein wenig an wie die längst vergangenen Sommerferien in Ahornen im Oberseetal.

Die Wege durch den Wald sind ähnlich, Tannen rechts und links, Gestrüpp und Sträucher, ein unverwechselbarer Duft nach Tannennadeln und Harz streichelt um die Nase. Längst vergessene Bilder tauchen auf, die Nase ist der zuverlässigste Erinnerungsdetektor. Und schon sind die Gerüche aus der Kindheit zurück, sie sind so weit von unserer Gegenwart entfernt, dass die Wahrscheinlichkeit, sie noch einmal geniessen zu können, gegen Null tendiert.

Und natürlich als erster mein Lieblingsgeruch, auch er im Nebel der Vergangenheit verloren – der Geruch in einer speziellen Kiste gelagerten Salzes. In meiner Kindheit kaufte man das Salz noch in der sogenannten Salzwaage, einem kleinen Laden, der ausschliesslich dem Verkauf von Salz diente. Und der ganze kleine Raum war erfüllt mit dem herrlichsten Geruch.

Ich werde ihn nie wieder riechen.

 

Small three-edged cloud in the sky
Eine dreieckige Wolke grüsst aus der Ferne, ein stiller kleiner Tolggen über dem perfekten Gemälde.

Path through forest

 

Dummheit und Überheblichkeit

Manchmal ist der Weg breit wie eine Waldstrasse, dann wieder als schmales Band dem steilen Hang entlang. Der Führer hat recht – man muss vorsichtig sein, einen Fuss vor den anderen setzen, auch harmlos aussehende Abhänge sind tückisch. Die vielen Wanderertoten, deren Anzahl in der Zwischenzeit diejenige der Bergsteiger übertrifft, spricht Bände.

Und ausgerechnet hier, an der dümmsten Stelle, kreuzt mich doch tatsächlich ein Biker. Ich weiss kaum, wohin ausweichen, nicke ihm zu, keine Lust auf eine Unterhaltung, das ist einfach nur ein kopflos dummes Abenteuer.

 

Sometimes a wide and pleasant path ...

... sometimes a steep dangerous path

 

Vielleicht der schönste Abschnitt überhaupt

Morgen werde ich diesen Abschnitt über die Voralpen verlassen und das Emmental erreichen. Wie die nächsten Etappen aussehen, weiss ich noch nicht, aber die Karte zeigt eine andere Topologie. Eines weiss ich aber ganz genau, dieser Tag bereitet mir unerschöpfliche Freude. Ich kann mich nicht erinnern, je soviele wunderbare Stunden durch so grossartige Gebiete gewandert zu sein wie heute.

Die folgenden Bilder zeigen, was ich meine.

 

Just fun along the path In between across a bridge ... .... beneath trees ... ... and other hills ... ... across small houses ...... and across strange round hills

 

Die Oberlushütte

Schönheit kann ermüdend sein, und so kann ich dem Angebot der Oberlushütte nicht widerstehen. Ausser ein paar debilen Bikern bin ich heute sehr wenigen Leuten begegnet. Hier allerdings scheint sich das halbe Emmental versammelt zu haben. Die meisten sind mit dem Bike hochgefahren, andere mit ihrem hochgetunten SUV. Die wohlgenährten Bäuche verlangen nach PS, nicht nach Wanderschuhen.

Ein junger Herr gesellt sich zu mir an den Tisch, ein Biker natürlich, er erzählt aus seiner Sicht von der Schönheit der Gegend und den wunderbaren Wegen. Ich verkneife mir jede Kritik, wie immer ist alles eine Sache der Optik. Es gibt, wie schon mehrmals erwähnt, keine absolute Wahrheit. Jeder hat seine eigene.

 

Die Lüdernalp, ein Feiertagsbier und zum Dessert ein wahrhaft göttlicher Sonnenuntergang

Die Lüderenalp ist ein bekanntes Ausflugsziel im Emmental mit Rundsicht in den Jura und zu den Berner Alpen. Herrlich liegt auf 1141 Metern das 1890 entstandene Kurhaus, das damals auf Molkekuren und Tuberkulose-Patienten spezialisiert war. 1961 brannte es nieder und wurde durch ein Hotel mit Restaurant ersetzt, das bei Feriengästen und Ausflüglern beliebt ist.

Nach knapp sechseinhalb Stunden taucht die Lüdernalp auf, für einmal eine vergleichsweise mondäne Unterkunft für den bescheidenen Wanderer. Es scheint sich um ein Kongresshotel zu handeln, im Gartenrestaurant haben sich junge Leute versammelt und hören ziemlich gelangweilt den ausgesprochen wichtig klingenden Worten ihres Bosses zu.

Einmal mehr bestätigt sich, dass sich bei mir der zeitliche und vor allem innere Abstand zum Businessleben in den letzten Jahren rasant vergrössert hat. Wenn ich die von Anglizismen strotzenden Ausführungen höre, kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ach Gott, wie schön ist es, diese Sprüche nicht mehr hören zu müssen …

Aber der heutige Tag ist ja ein Feiertag – die halbe Strecke ist geschafft. Jedes wohlverdiente Bier am Abend schmeckt mir, aber das heutige natürlich ganz besonders.

 

A beer for halftime celebration

Und dann, als würde auch der Himmel etwas zur Feier beitragen, zeigt der Abend, zu was er fähig ist. Eine blutrote Sonne, umgeben von einem rötlichgelben Schleier, begleitet durch das Gebimmel der Kuhherde unter dem Hotelfenster, versinkt in atemberaubender Schönheit. Es erinnert mich an viele andere Sonnenuntergänge, in Vietnam, in Laos, in Burma.

 

Cows beneath the fading evening

Jeder schöner und kitschiger als der andere, und trotzdem jeder ein Moment für die Ewigkeit.

 

 

Song zum Thema:  Al Green – Love and Happiness

Und hier geht der Trip weiter … nach Signau

 

Alpenpanoramaweg

Alpenpanoramaweg – Lang und heiss und wunderbar

Das Leben ist wie Fahrradfahren. Um die Balance zu halten, muss man in Bewegung bleiben. (Albert Einstein)

Also an der Bewegung fehlt’s nicht, mit der Balance bin ich ganz zufrieden, also Albert wäre sehr zufrieden mit mir.

Heute muss ich zwangsläufig eine alternative Route nehmen, da das Hotel auf dem Napf gemäss Wirt wegen personeller Unterbesetzung geschlossen ist (später wird mir glaubhaft versichert, dass es sich dabei um eine Ausrede gehandelt hat; der Wirt ist offenbar nicht für besonderen Fleiss bekannt).

Aber was soll’s, gehen wir halt  nach Luthern. Das Wetter hält, ich bin schon um halb acht unterwegs.

Und so hätte die Originalroute ausgesehen:

 

From Wolhusen to Napf

Meine alternative Route sieht aber anders aus. Sie folgt der ursprünglichen Route bis Oberleh und dann der Strasse entlang bis St. Joder und später via Hübeli nach Luthern. Keine grosse Sache, so scheint’s, aber wie immer sind Träume manchmal Schäume.

 

Alternative route to Luthern

 

Keuchen und Fluchen

Der nervtötende Durchgangsverkehr macht den Abschied von Wolhusen leicht. Wahrscheinlich war es vor langer Zeit mal ein schmuckes Dorf entlang der Kleinen Emme. Aber eben, wie an vielen anderen vergleichbaren Orten, sind die Lastwagen, die im Minutentakt durch das Dorf brausen, eine Qual.

Der Weg führt der Kleinen Emme entlang gegen Süden. Wer hätte zu diesem Zeitpunkt geahnt, dass ausgerechnet Wolhusen im Juli mehrmals durch Sturm und Überschwemmungen heimgesucht würde. Wenn ich so diesem ruhigen Fluss entlang gehe, sind solche Vorstellungen surreal.

Ausgangs Dorf taucht eine steile Wand auf, kein Problem, aber kaum verschwindet der Weg im Wald, fängt das Keuchen und Fluchen an. Meine Pulsuhr zeigt es später an – es sind knapp 20% Steigung mit dem, nach dem gestrigen Grosseinkauf, schwersten Rucksack ever.

Auf der Karte sieht es ziemlich harmlos aus, aber da meine Kartenlesekünste weiss Gott nicht berühmt sind, habe ich die richtige Interpretation wieder einmal verpasst. Anyway, manchmal ist der Weg zum Glück mit Keuchen und Schimpfen geplastert, da muss man durch.

 

Dieser eine flüchtige Moment

Man sollte nie denken, dass nun alles so bleiben wird, dass nur noch Schweiss und Mühsal wartet, vor allem dann nicht, wenn die Erfahrungen eigentlich etwas anderes sagen. Denn tatsächlich, sobald sich der Wald lichtet, wird der Weg eben, und schon öffnet sich der Blick auf eine sanfte Anhöhe.

Ein einsamer Baum lockt mich unter seine dicht belaubten Äste, stellt mir eine Sitzbank hin, und zeigt mir all das Wunderbare, das ihn alltäglich, das ganze Jahr über umgibt. Ich kann der Einladung nicht widerstehen, obwohl es noch früh ist und ich kaum eine Stunde unterwegs bin.

Und so sitze ich da, lasse mich von der Aussicht verzaubern, bemerke, dass der Himmel, je näher er den Bergspitzen kommt, in ein milchiges Blau übergeht. Dass die Wiesen mal heller, mal dunkler grün sind. Dass die Tannen nicht einfach nur Tannen sind, sondern aufrechte trotzige Krieger.

Die Sinne funktionieren anders, sie sind auf das justiert, was sie umgibt. Als sähe das Auge mehr, als hörte das Ohr Geräusche, die sonst verborgen bleiben, als rieche die Nase Gerüche, die nur noch auf einer tiefen Ebene gespeichert sind, aber jetzt reaktiviert werden.

Habe ich schon mal erwähnt, dass man in diesen Momenten so nahe bei sich selbst ist, wie es nur möglich ist? Dass mit einem Mal alles in einer seltsamen, manchmal fast erschreckenden Balance ist, der man nie mehr entfliehen will, aber trotzdem um deren Flüchtigkeit weiss?

Man möchte diesen einen Augenblick ins Unendliche ausdehnen.

 

Lonely Tree at hill

Lovely Landscape surrounded by mountains
Nur ein Bild, aber perfekt in seiner Harmonie

beautiful blue and green landscape from under the tree

 

Eiger, Mönch und Jungfrau

Und da, kaum zu glauben, weit weg am Horizont, die drei berühmtesten Berge der Schweiz – Eiger, Mönch und Jungfrau (ausser dem Matterhorn natürlich, dem berühmtesten Berg der Welt). Sie werden mich eine Zeit lang begleiten, immer schön zur Linken, so wie es das Alpenpanorama vorgibt.

Die Sicht auf die Berneralpen zeigt auch, dass ich mich langsam und beharrlich der Mitte meines Trails nähere. Morgen Abend, auf der Lüdernalp, bereits im Emmental angekommen, werde ich mit einem speziell verdienten Bier Halbzeit feiern.

Wer hätte das gedacht, ich am allerwenigsten.

 

Eiger, Mönch, Jungfrau - famous Swiss Peaks

Ich bin jetzt auf dem Steinhuserberg, tiefkatholisches Land, die Kreuze am Wegrand zeugen von Vergangenheit und Gegenwart. Manchmal bleibe ich stehen, versuche herauszufinden, was der Grund für das Kreuz ist. Eine Botschaft am Wegrand an alle auf dem Weg? Eine Erinnerung an jemanden, der hier gestorben ist? Ein spezieller Kraftort mit religiösem Hintergrund?

Manchmal ist es egal, irgendwie spürt man die Bedeutung.

 

A cross in the middle of nowhere

Aber dort, wo man sie am wenigsten erwartet, tauchen seltsame Dinge auf, die so gar nicht zum trockenen, wenig skurrilen Charakter der hiesigen Mentalität passen. Man wundert sich, überlegt sich Geschichten, stellt sich die Menschen vor, die eine alte Kabine einer Luftseilbahn hierhin verpflanzt haben.

Dient sie einem bestimmten Zweck? Eine besondere Art Schutzhütte bei Regen und Sturm? Die surreale Installation eines Künstlers? Oder noch viel schräger – ist sie hier vergessen worden?

Man kommt auf allerlei komische Gedanken beim Gehen.

 

old cabin of a cable car
Da stellen sich allerhand Fragen

 

Das Schmelzen des Hirns unter dem Hut

Es ist von Vorteil, hitzeresistent zu sein. Meine diesbezüglichen Erfahrungen in Indien und Südostasien verschaffen mir einen gewissen Vorteil. ich liebe es, wenn es so richtig heiss und feucht ist, wenn der Schweiss schon verdampft, bevor er die Stirn erreicht.

Heute ist es natürlich nicht feucht, nur heiss. Es ist inzwischen kurz nach neun, der Himmel wolkenlos, die Strasse, leider mal wieder eine Asphaltstrasse, fängt bedrohlich an sich aufzuheizen. Das wird noch ein Spass werden bis heute Abend.

Aber was soll’s, die Schmetterlinge auf dem Wiesenbord, die Raubvögel, die leise rauschend über mich hinwegschweben, die riesigen, alleinstehenden Bäume, machen das Gehen einmal mehr zu einer Freude.

 

Cows looking for shade

Ich bin nicht der einzige an der Sonne, aber offenbar der einzige, der dies freiwillig tut. Sogar die Kühe, die einiges gewohnt sind in Sachen Wetter, haben sich in den Schatten der Bäume geflüchtet. Sind es mitleidige Blicke, die sie mir zuwerfen, oder gar spöttische? Ich kann es ihnen nicht verübeln, denn ich scheine tatsächlich der einzige Mensch weit und breit zu sein.

 

finally found shade

Aber immerhin taucht der Weg zwischenzeitlich in einen Wald ein, ich atme tief durch, bleibe einen Augenblick stehen, vermeine die Bäume sprechen zu hören, oder was könnte das leise Raunen sein? Es erinnert mich an Ladakh, den Baby-Trail, und die unvergessliche Stille inmitten des Nichts, wo man glaubt, das Raunen der Berge zu vernehmen.

 

Nordwärts – zur Abwechslung

Schliesslich, wen wundert’s, zweigt der Weg wie erwartet vom Alpenpanoramaweg ab, jetzt kommt die SwissTopo App zur Anwendung. Sie soll mich auf kürzestem Weg nach Luthern führen. Wie sich aber zeigt, ist das, was die App vorschlägt, zwar auch ein Weg nach Luthern, aber garantiert nicht der kürzeste. Seltsam.

Am meisten ärgert mich, dass ich ganz oben, wo sich die Wege trennen, mich eine verwirrende Richtungsangabe (oder habe ich wieder mal was verpasst?) auf den falschen Weg führt. Immerhin werde ich nach einer Viertelstunde misstrauisch, denn die Richtung führt überall hin, nur nicht Richtung Norden.

Und tatsächlich, Google Maps stellt klar, dass ich umkehren muss, was ich dann auch leise grummelnd tue.

Nun, eigentlich ist es egal, im Kopf bin ich richtig, ich weiss zumindest ungefähr, wohin der Weg führt. Allerdings muss ich zugeben, dass mir die vertrauten 3-er Schilder fehlen, diese Wegweiser zum Glück und in diesem Fall meine ich mit Glück das Endziel Genf. Ach Gott, es ist immer noch beinahe 300 Kilometer entfernt.

Meine brennenden Füsse finden diese Aussicht gelinde gesagt eine Zumutung, und in ganz schwachen Momenten muss ich ihnen zustimmen.

 

Working on the fields

Nach der Niederlage bei den Agrarabstimmungen bin ich zwar noch etwas verstimmt, aber die fleissige Arbeit der Bauern auf ihren Feldern nötigt mir doch einen gewissen Respekt ab.

 

Das Ziel rückt näher

Die Route zwischen Menzberg und Hergiswil ist anscheinend eine beliebte Strecke für Mountain Bikers. Während ich abwärts eile und so versuche, möglichst schnell den ungeliebten Teerstrassen zu entgehen, kreuzen mich zumeist ältere Herren auf e-Mountainbikes, je nach Richtung trotz e-Unterstützung schwer schnaufend, oder pfeilschnell an mir vorübersausend.

Ich bin noch nicht so weit, wie ich gerne wäre, aber immerhin taucht die Kapelle St. Joder auf. Ich setze mich auf eine schattigen Sitzbank beim Eingang, während sich auf der anderen Strassenseite einige bejahrte Herren aus einem Brunnen Wasser über die ergrauten Köpfe giessen. Man sieht mich leicht komisch an, ich muss ein ungewohntes Bild inmitten der radelnden Gesellschaft bieten.

Leider geht der Weg so weiter wie die letzten Kilometer, sprich auf asphaltierten Strassen, die sich jetzt um die Mittagszeit alle Mühe geben, mir die Schuhsohlen zu verbrennen.

Aber irgendwann erreiche ich das Dorf mit dem seltsam klingenden Namen Hübeli, tönt irgendwie ein Spielzeug aus dem Kindergarten. Eine riesige Holzverarbeitungsfirma scheint neben ein paar Häusern das ganze Dorf auszumachen. Bis Luthern muss ein weiterer Hügel bezwungen werden, immerhin der letzte heute.

Und dann, bei einer Gruppe schattiger Bäume, sehe ich das Dorf unter mir. Eine ältere Dame gesellt sich zu mir, eine Einheimische aus dem Dorf. Sie erzählt von Luthern, und einmal mehr geht es dabei wieder um Verluste, um irreversible Veränderungen, die langsame Verarmung des Dorflebens.

 

Shady trees abover Luthern

And there it is fainally - Luthern

Aber dann, nach weiteren mühsamen Kehren zum Dorf hinunter (wahrscheinlich habe ich die Abkürzung wieder mal verpasst), stehe ich aufatmend vor dem Hotel Krone und bin nach beinahe 8 Stunden tatsächlich angekommen.

Dieses Bier habe ich mehr als verdient, und so geht ein weiterer Tag ins Land, heiss und anstrengend und wunderbar …

 

Beer at the end of a very strenious day

 

Song zum Thema:  Lambchop – The Man who loves Beer

Und hier geht der Trip weiter … zur Lüdernalp