Bei einer Expedition auf dem Mars gerät der Astronaut Mark Watney in einen Sandsturm und wird bewusstlos. Als er aus seiner Ohnmacht erwacht, ist er allein. Auf dem Mars. Ohne Nahrung. Ohne Ausrüstung. Und ohne Crew, denn die ist bereits auf dem Weg zurück zur Erde. Für Mark Watney beginnt ein spektakulärer Überlebenskampf …
Ein grossartiges, unglaublich witziges Buch. Ich habe selten so viel gelacht, obwohl die Ausgangslage nicht gerade als lachsalvenfördernd daherkommt. Und die Verfilmung von Ridley Scott überzeugt ebenso. Soviele Magic Moments! Vor allem kurz vor Schluss. Nicht verpassen!
Philip Roth – The Human Stain (Der menschliche Makel)
Im Jahr 1998, als Amerika sich angesichts der drohenden Amtsenthebung seines Präsidenten einer Ekstase der Scheinheiligkeit hingibt, wird in einem neuenglischen Städtchen Coleman Silk, ein in Ehren ergrauter Professor für klassische Literatur, zum Rücktritt gezwungen. Der gegen ihn erhobene Vorwurf lautet, er sei ein Rassist. Dieser Vorwurf ist falsch, doch die Wahrheit über Silk würde selbst seine unerbittlichsten Feinde überraschen.
Ich bin eigentlich kein grosser Fan von Philip Roth. Seine penetrante Konzentration auf die sexuellen Flic-Flacs alternder Männer ist nervend und überflüssig, aber was er mit diesem Roman zeigt, ist Nobelpreis-würdig. Aber wir alle wissen, dass das Komitee eher Walt Disney auszeichnen würde als Philip Roth. Ein Schicksal, das er mit vielen berühmten Literaten teilt (Graham Greene etc.).
John Williams – Stoner
›Stoner‹ ist einer der großen vergessenen Romane der amerikanischen Literatur. John Williams erzählt das Leben eines Mannes, der, als Sohn armer Farmer geboren, schließlich seine Leidenschaft für Literatur entdeckt und Professor wird – es ist die Geschichte eines genügsamen Lebens, das wenig Spuren hinterließ.
Ein Roman über die Freundschaft, die Ehe, ein Campus-Roman, ein Gesellschaftsroman, schließlich ein Roman über die Arbeit. Über die harte, erbarmungslose Arbeit auf den Farmen; über die Arbeit, die einem eine zerstörerische Ehe aufbürdet, über die Mühe, in einem vergifteten Haushalt mit geduldiger Einfühlung eine Tochter großzuziehen und an der Universität oft teilnahmslosen Studenten die Literatur nahebringen zu wollen.
›Stoner‹ ist kein Liebesroman, aber doch und vor allem ein Roman über die Liebe: über die Liebe zur Poesie, zur Literatur, und auch über die romantische Liebe. Es ist ein Roman darüber, was es heißt, ein Mensch zu sein.
Ein Buch von einem Autor, von dem ich nichts wusste. Umso grösser die Überraschung. Und umso grösser das Vergnügen einer Entdeckung.
Ted Simon – Dreaming of Jupiter (Jupiters Träume)
Der legendäre Motorradfahrer Ted Simon lebt noch einmal seinen Traum: Mit 70 Jahren umrundet er auf seiner BMW den Globus, durchquert Europa, reist von Tunis bis ans Kap der guten Hoffnung, setzt nach Brasilien über und fährt durch Amerika. Er erkundet Neuseeland und Australien und kehrt nach zweieinhalb Jahren on the road über den asiatischen Kontinent nach Europa zurück.
Sein erstes Buch Jupiters Travels steht auf meinem ganz persönlichen Kanon weit oben (und hat wahrscheinlich viel dazu beigetragen, selbst loszuziehen).
Jupiters Träume hingegen hat mir Albträume und depressive Verstimmungen schlimmster Art eingetragen. Wenn er beschreibt, wie die einstmals von wilden Tieren bevölkerten Ebenen in Afrika leer und leblos sind, wird das Herz schwer …
Und hier weitere Bücher, die mich auf meinen Reisen begleitet haben:
So bin ich nun in Rayong gelandet, ein paar Stunden südlich von Bangkok. Hier werde ich die letzten Tage verbringen und zwar in einem mondänen Hotel namens Kanthary Bay. Mal sehen, ob mir Rayong’s lazy Life gefällt.
Man kann es drehen und wenden, wie man will, aber sich zwangsweise ruhig zu stellen, ist schwieriger als gedacht. Spätestens nach einem Tag fängt es an zu zwicken. Nervosität stellt sich ein, Unruhe, das dringende Bedürfnis, etwas zu tun.
Dabei war es eben genau die Absicht, die letzten Tage lesend und schlafend am Pool zu verbringen und auf der faulen Haut zu liegen.
Grässlich. Grauenhaft. Unerträglich
Aber mangels Alternativen lege ich mich also – anfänglich missmutig und mit wenig Euphorie – an den Pool.
Ich bin in einem riesigen mondänen Hotel namens Kanthary Bay gelandet, schon der Anblick von weitem ist furchteinflössend. Und erst die Eingangshalle: Ungefähr gleich gross wie zwei der letzten paar Hotels zusammengenommen.
Nicht, dass ich mich unwohl fühle, ich kenne diese Hotels im Zusammenhang mit geschäftlichen Trips zur Genüge. Hier bin ich allerdings nicht sicher, ob ich in meinem jetzigen Aufzug (Hipsterbart, verstaubter und verdreckter Rucksack wie alles andere an mir auch) hier hineinpasse.
Kanthary Bay
Das Hotel
Die jungen Männer an der Rezeption, Karrierebewusstsein ins glatte Gesicht geschrieben, werfen mir auf jeden Fall einen äusserst kritischen Blick zu. Doch was soll man machen, ein Gast ist ein Gast, auch wenn er nicht so aussieht.
Nun gut, ein paar der Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen. Es gibt allerhand Dinge (Fitnessraum, irgendwelche Räume, wo man (gratis!) Kaffee und Süssigkeiten bekommt, ein Jacuzzibad und andere Dinge). Ein paar davon sind mehr als willkommen (z.B. die Lounge mit englischsprachigen Zeitungen).
Was ich allerdings äusserst bedenklich finde und dies auch verärgert kundtue, ist die Tatsache, dass nur in den öffentlichen Bereichen, sprich Eingangshalle, Lounge etc., ein Gratis Wifi zur Verfügung steht.
Will man es im eigenen Zimmer benutzen, kostet es täglich ein kleineres Vermögen. Noch das unansehnlichste, billigste Etablissement in Burma stellten immer, IMMER, ein kostenloses Wifi zur Verfügung, nur hier, in dieser nicht gerade günstigen Klitsche, kostet es extra.
Auf der faulen Haut
Wie gesagt, es ist ein seltsamer Ort. Zwar direkt am Meer gelegen, an einem langezogenen Strand, der sich bis zum Horizont hinzieht, aber sonst gibt es hier absolut nichts. Am Abend werden zwar direkt am Meer eine Art fliegende Restaurants installiert, in denen man hervorragenden Seafood erhält. Tagsüber sind sie weg und bleiben tut eine einzige Oednis.
Rayong’s lazy Life – ein Mythos?
Nicht ein einziges Restaurant, wo man etwas Kleines essen kann, nicht ein vernünftiger Laden, wo man einkaufen könnte. Es gibt zwar zwei Läden, die in einer garagenartigen Halle untergebracht sind und die allerhand Krimskrams, auch essbaren, anbieten, aber das Zeug schmeckt so grauenhaft, dass ich lieber hungere.
Ene-Mene-Muh
Immerhin habe ich nach langem Suchen ein, zwei geeignete Etablissements gefunden, wo es sich möglicherweise essen lässt (natürlich gibt es ein Hotelrestaurant, sogar mehrere, aber irgendwie passen Alt-Hippies we ich nicht hinein).
Ich werde also mit Freuden und hundert Verbeugungen in einem Restaurant, knapp einen halben Kilometer vom Hotel entfernt, begrüsst und mit noch mehr tiefen Bücklingen an einen Tisch geführt. Der Chef de Service, offenbar auch der Inhaber, spricht ein paar Worte Englisch, grad mal soviel, um mir mitzuteilen, dass die Kneipe erst seit 5 Tagen geöffnet hat. Ist das gut oder schlecht? Ich weiss es nicht.
Das wahre Problem stellt sich erst, als er mir die Menükarte auf den Tisch legt. Sie ist ausschliesslich auf Thai geschrieben. Die lustigen schnörkelhaften Buchstaben haben zwar ihre eigene Schönheit, doch leider kann ich damit etwa gleich viel anfangen wie eine Kuh mit der Bibel.
Normalerweise wird das Problem auf einfache Art gelöst, indem man die Menüs mit Bildern ausstaffiert. Diesmal nicht. Ich stehe also bezüglich Auswahl eines geeigneten Mahls mit verbundenen Augen im dunklen Keller. Es bleibt also nur Ene-Mene-Muh oder so ähnlich. Ich schliesse die Augen, blättere durch und zeige mit dem Finger auf … ja, auf was?
Ich weiss es nicht, doch der Boss scheint begeistert. Ich selbst bin weniger euphorisiert und hoffe, dass ich zumindest von irgendwelchen Innereien, gekochten Affenaugen oder Elefantenhoden verschont bleibe. Und da wir uns am Meer befinden, könnten durchaus auch Haifischflossen oder gekochte Tintenfischeier auf dem Menüplan stehen.
Ich bin also gespannt, welche Delikatesse mir da blüht, doch das, was schlussendlich serviert wird, macht einen ganz ordentlichen Eindruck. Es hat irgendwie Reis dabei, undefinierbares Gemüse und etwas Fleisch- oder Fischähnliches. Es schmeckt zwar gut, ich habe aber keine Ahnung, was es sein könnte. Auf jeden Fall bin ich froh, den Elefantenhoden und Affenaugen entronnen zu sein und lehne mich beruhigt zurück, trinke mein Bier und klopfe mir im Geist auf die Schultern …
Ich weiss nicht, was ich esse, aber es schmeckt wunderbar
Das hingegen hätte mir weniger geschmeckt
Hasta la Vista, Baby
And so, the Story ends …
Dazu lässt sich nicht viel anfügen, Rayong’s lazy life geht dem Ende entgegen. Ich sitze zwar noch am Pool in Rayong, noch in den kurzen Hosen, noch im verschwitzten T-Shirt, doch das alles wird in den nächsten Stunden spätestens in Bangkok am Flughafen Suvarnabhumi zu Ende sein.
Dann sind lange Hosen angesagt, ein warmes Odlo-T-Shirt, meine Fleecejacke, die bis anhin fast ausschliesslich in den grässlich herruntergekühlten Bussen zum Einsatz gekommen ist. Ich gehe dem Winter entgegen, den ich mir ehrlich gesagt noch nicht richtig vorstellen kann, aber er wird seine Visitenkarte sehr schnell und sehr intensiv hinterlassen, sobald wir in Kloten landen. Jä nu …
Zeit für eine Zusammenfassung? Nein, das lassen wir. Es ist alles gesagt. Darum gehören die letzten Worte wie üblich dem Terminator, doch diesmal nicht „I’ll be back“, sondern
Gibt es sowas wie eine universelle Sprache, die uns alle verbindet?
Etwas vom Einprägsamsten, aber gleichzeitig etwas, was kaum nacherzählt werden kann, sind die Gespräche mit den Einheimischen, die in den seltensten Fällen ein einigermassen gutes und verständliches Englisch sprechen.
Die Unterhaltung mit der Inhaberin eines Restaurants in Chiang Khong namens Jam („Jams Restaurant“, ungefähr so schräg wie „Alice’s Restaurant“ von Arlo Guthrie) sind ein leuchtendes Beispiel für die wunderbare Vertracktheit der Sprache und die Schwierigkeiten menschlicher Kommunikation und wie es trotzdem gelingt, gegenseitiges Verständnis zu schaffen.
Jam’s Restaurant
Madame Jam, wie sie leibt und lebt
Jam ist eine rundliche, unendlich liebenswürdige Frau mit einem ewigen Lächeln im Gesicht. Wir verstehen uns auf Anhieb. Während ich auf den Bus nach Chiang Mai warte, spüre ich etwas Hunger, denn das Frühstück im Hotel war alles andere als geniessbar.
Jam will mir Fried Rice („Fried Ri“, bedeutet Rice, die Asiaten können das s am Ende nicht aussprechen) aufschwatzen, aber das ist definitiv nicht mein Cup of Tea am Morgen. Wir einigen uns schliesslich auf einen Banana Pancake, der von Jam mit Würde und Stolz serviert wird.
Im Hintergrund werkelt ein junger Mann in der Küche. Alle paar Augenblicke wirft ihm Jam ein paar Worte in hartem Befehlston zu, die dieser mit einem apathischen Schulterzucken beantwortet. Er stammt aus Laos, Jam ist aber offensichtlich nicht besonders begeistert von ihm („very slow“).
Ebenso wenig hält sie vom Manager meines Hotels, der gemäss Jam früher bei der Polizei war, aber auch dort nicht zu gebrauchen war („he no good“). Ich muss ihr zustimmen, denn gestern Abend, nach meinem Speedboat Abenteuer, versprach er, mich im Dorf nach dem Abendessen abzuholen, was er aber vergass und ich auf die gütige Hilfe zweier junger Damen angewiesen war, die mich spätabends ins Hotel zurück brachten.
Aber wir unterhalten uns prächtig, unser Lachen lässt sogar die Leute auf der Strasse einhalten und uns einen fragenden Blick zuwerfen.
Der Bus allerdings ist längst überfällig, was mich aber nicht stört, die wunderbaren Gespräche mit Jam machen das Warten nicht nur erträglich, sondern zu einem echten Erlebnis.
Aber irgendwann taucht dann doch der Bus auf, und wir verabschieden uns mit ganz viel Wehmut …
Wie schnell sich doch zwei wildfremde Menschen verstehen lernen.
Zurück in Chiang Mai
Die Busfahrt nach Chiang Mai ist nachdenklich, beinahe wehmütig, denn eines ist schmerzlich klar: meine unvergleichliche Reise nähert sich ihrem Ende. Der Bus hält an den üblichen Orten, die mir langsam bekannt vorkommen, man steigt aus, verköstigt sich mit mehr oder weniger Lust und Hunger, dann geht es weiter, der brummende Motor als begleitendes Orchester.
Es ist erst Nachmittag, als wir Chiang Mai erreichen, ich suche mein Hotel, lasse mein Gepäck im für einmal riesigen Zimmer und mache mich auf den Weg in die Altstadt, wo mich eine alte Freundin erwartet. Vorbei an Tempeln, die mir neu sind, und an solchen, die ich in der Zwischenzeit kenne, gehe ich langsamen Schrittes durch die engen Gassen, der Lärm der breiten Strassen hinter mir lassend.
Und während ich so dahinschreite, formieren sich in meinem Kopf die letzten Wochen zu einer unentwirrbaren Reihe von Erlebnissen und Erkenntnissen, und ich bin mir bewusst, dass sie widerstandslos in der Dunkelheit des Vergessens verschwinden werden. So wie so vieles andere.
Einiges wird bleiben – die Zugfahrt nach Norden, der Ghostrider-Ritt in der Nacht, der Trek zum Inle See, das Ballonfestival in Taunggyi. Anderes wird, so funktioniert unser Gehirn, unser Gedächnis, wie der Regen auf der Windschutzscheibe weggewischt werden, um Platz für Neues zu schaffen.
Glück gehabt
Die drei jungen Herren, allesamt um die zwanzig, krachen samt ihrem Motorrad nur Millimeter entfernt an uns vorbei und prallen mit dreifachem Aufschrei auf dem harten Asphalt auf.
Manchmal entscheiden eben nur ein paar lausige Millimeter über die Fortsetzung des Spaziergangs oder einen längeren Aufenthalt im Spital. Die drei Burschen (der eine stöhnt zwar entsetzlich und bleibt am Boden liegen, aber wir vergewissern uns, dass nicht allzu viel passiert ist) haben mit viel Glück Schlimmeres vermieden. Ob verdient oder nicht, sei dahingestellt.
Wir stehen eben im Begriff, einen Fussgängerstreifen bei Grün zu überqueren. Die drei Verunfallten, Idioten wie viele und überall in diesem Alter, waren wohl zu schnell unterwegs.
Reisevirus
Wir haben also wieder mal Glück gehabt, wie schon oft in unserem Leben.
Wenn es um Glück geht, um überstandene Risiken und Gefahren, tauchen zwangsläufig Erinnerungen auf, vor allem an unsere gemeinsame Reisevergangenheit, vielleicht an den Anfang aller Reisen, den Urknall.
Damals, als der Geist war aus der Flasche entkam, die Krankheit, die man Reisefieber nennt und durch einen Virus ausgelöst wird, den man nie wieder los wird.
Der Hippie-Trail
Es geht um jene unvergessliche Reise nach Indien und Nepal.
Entlang des legendären Hippie-Trails.
Durch den Balkan, Griechenland, Türkei, Iran, Afghanistan, Pakistan, Indien, Nepal.
Unvergesslich die unzähligen Pannen mit unserem alten, abgewrackten VW-Bus.
Die schon damals nicht ungefährliche Durchquerung der afghanischen Wüste.
Der nervtötende Strassenverkehr in Indien.
Die Überquerung gefährlicher Pässe in Nepal.
Das Staunen vor dem Taj Mahal.
Oder vor den riesigen Buddhastatuen in Bamiyan.
Und, und, und …
Irgendwo inmitten der afghanischen Wüste
Das alles ist irgendwo noch da, vergraben im Langzeitgedächtnis, aber wenn der richtige Trigger gedrückt wird, startet der Film. Und alles ist wieder da.
Dann kommt alles wieder an die Oberfläche, samt Geräuschen, Farben, Gerüchen, Stimmen, Lärm und dem Dröhnen des 1200 Kubik VW-Boxermotors, der uns trotz allen Widerständen und über 2 Tonnen Gewicht über höchste Pässe, durch heisseste Wüsten bis nach Nepal und wieder zurück nach Hause brachte.
Dieses kleine Wunder der Technik, dem ich heute noch grössten Respekt entgegen bringe.
Taj Mahal – damals noch nicht mit Millionen von Touristen
Die legendären Buddha-Statuen in Bamiyan – damals noch existierend, in der Zwischenzeit durch die Taliban zerstört
Denn es ist klar: mit dem heutigen hochkomplizierten elektronischen Schnickschnack, der in jedem Auto eingebaut ist, wäre jede Panne irgendwo am Arsch der Welt in Indien ein fatales Disaster.
Konnte vor vierzig Jahren jeder einigermassen talentierte Inder mit Hammer und Säge und Schweissbrenner jeden noch so schlimmen Schaden beheben, so wäre dies heute ein Ding der Unmöglichkeit …
Die Unbedarftheit ist verloren gegangen
Aber wir sind uns bewusst, auch ein paar andere Dinge wären heute unmöglich. Es würde uns an allem fehlen, was zu dieser Zeit noch vorhanden war.
An Mut, an Entschlossenheit, vor allem aber an einer riesigen Portion Unbedarftheit.
Denn das waren wir, vollkommen unbedarft, keine Gefahren sehend, nur das Ziel vor Augen, irgendwie, irgendwann nach Indien zu kommen.
Dass wir es schafften, Schritt für Schritt, von einem Problem zum nächsten, ist aus heutiger Sicht ein Wunder, ein Wunder, das ohne Übertreibung als ganz besonderer Höhepunkt unseres Lebens betrachtet werden kann und niemals wiederholt werden könnte.
Aber jetzt sind wir hier, in der Gegenwart, alt geworden, vielleicht, wenn wir Glück haben, jung geblieben …
Aber irgendwann wird auch diese Reise Gegenstand eines eigenen Berichts werden.
Manchmal – nicht zu häufig, denn das Leben ist kurz – wird man vom Gefühl gepackt, etwas Verrücktes tun zu müssen.
Etwas Gefährliches. Etwas fürs Alter, wenn nur die Vergangenheit und ein paar verrückte Erlebnisse geblieben sind.
Und manchmal weiss man vorher gar nicht, dass es gefährlich werden könnte.
Es geschieht hin und wieder und passt wunderbar ins Kapitel Reisen und Geschichten. Und es erinnert an andere Flussabenteuer, nicht weniger aufregend. Beispielsweise die Fahrt auf dem Nam Ou in Laos.
So geschehen auf dem Mekong. An einem wundervollen Morgen, eine leichte Brise weht, die Luft riecht erstaunlicherweise nach Frühling. Nichts deutet darauf hin, dass in einer halben Stunde alles anders sein wird.
Wer denkt an einem solchen Morgen schon an Nebel? An DICHTEN Nebel.
Mit dem Speedboat von Chiang Saen nach Chiang Khong
Der Passagier
Ich bin also zur verabredeten Zeit an der Anlegestelle, geht eben die Sonne auf. Ein wunderbarer Gruss zur richtigen Zeit.
Wie erwartet bin ich der einzige Passagier, offenbar gibt es sonst niemanden, der dieses kleine Abenteuer in Angriff nehmen möchte. Macht aber nichts, ich finde, ein bisschen gehört mir die heutige Fahrt ganz allein. Am Anfang kommt es zwar noch zu einer Diskussion, denn die Gasflaschen, die der Driver mitnehmen will, sind nicht unbedingt die Begleiter, die ich mir wünsche. Erst, als er sein Portemonnaie zückt, um mir mein Geld zurückzugeben, gebe ich nach.
Aber, dass sie leer sein sollen, wie er mir mit überzeugender Miene verspricht, daran glaube ich keine Sekunde. Jä nu, wird schon gut gehen.
Ein Wort zum Boot. Es ist klein, sehr klein. Wie sich hier bei Vollbesetzung vier Passagiere hineinzwängen sollen, ist mir schleierhaft. Eigentlich gibt es nur einen einigermassen anständigen Sitzplatz, die anderen sind knapp einen halben Meter lang und man sitzt am Boden. Der Driver sitzt zuhinterst am Steuer und Motor, sein Grinsen bereitet mich bereits darauf vor, was ich in den nächsten zwei Stunden zu erwarten habe.
Mit Schwimmweste wird langsam klar, was mich erwartetMein Speedboot – mit Gasflaschen
Das Speedboot
Es handelt sich wie gesagt um ein Speedboat. Das bedeutet nichts anderes, als dass es mit Höchstgeschwindigkeit (so 50 bis 60 km/Std) den Fluss hinunter brausen wird, begleitet vom ohrenbetäubenden Gedröhn des Motors und dem Geräusch des aufgepeitschten Wassers.
Es geht los, alles ruhig, aber bereits mörderisch schnell
Und der Driver gibt Gas, als müsste er dem Passagier zuallererst mal zeigen, wer der Boss ist.
Was er nicht weiss, ist, dass ich mich genau darauf gefreut habe. Wir zischen also los, zielen in die Mitte des Flusses und haben nun allen Platz der Welt. Vielleicht ist noch beizufügen, dass es kurz nach acht ist und tatsächlich nicht ein einziges anderes Boot zu sehen ist (ein äusserst seltenes Ereignis, was aber kurze Zeit später etwas zu meiner Beruhigung beitragen wird).
Die Nebelwand
Denn nach ein paar Kilometern taucht in der Ferne etwas auf, was man anfänglich nicht genau erkennen, geschweige denn identifizieren kann (wer den Highway 1 zwischen Los Angeles und San Francisco schon befahren hat, weiss wovon ich spreche: vom heissen Süden her kommend, sieht man etwa in der Mitte der Strecke von weitem eine Nebelwand, die sozusagen die Wärme von der Kälte trennt und man innert Minuten eine wärmende Jacke überziehen muss).
Der Mekong im Nebel
Genauso ist es hier: wir tauchen in eine neblige Welt ein, in Sekundenschnelle verschwinden Ufer und alle anderen Orientierungspunkte in einer undurchdringlichen Suppe.
Wer nun denkt, dass dies eventuell gefährlich werden könnte und man besser etwas langsamer fährt, täuscht sich. Während ich Mühe habe, die eigene Hand vor den Augen zu sehen, gibt der Driver Gas, als wäre es ein wunderschöner sonniger Nachmittag. Ob er sich an den Leitspruch hält, dass am Vortag um diese Zeit auch kein Boot entgegengekommen ist, weiss ich nicht.
Dem Schicksal ergeben
Da man nichts machen kann, muss man sich dem Schicksal ergeben. Ich lehne mich also zurück, knöpfe meine Jacke bis zum Hals zu, denn es ist empfindlich kalt geworden. Der neblige Tau legt sich auf Brille und Kleider, es kommt mir vor, als würden wir durch eine riesige eiskalte Sauna fahren.
Nur ganz selten, wenn auch das angepeilte laotische Ufer im Weiss verschwindet, fahren wir ein bisschen langsamer, aber wirklich nur ein bisschen. So geht der Blindflug weiter, während ich hoffe, dass weder ein Fischerboot noch einer der riesigen Dampfer noch irgendein anderes potentielles Crashobjekt entgegenkommt.
Aber wie immer (wie meistens?) meint es Buddha oder wer auch immer gut mit uns, irgendwann löst sich die Suppe auf, und die Sonne bricht durch. Jetzt endlich erkennt man die Ufer, rechts die thailändische, links die laotische Seite.
Ein Katzensprung, und ich wäre in Laos (als Schweizer kein Problem, denn als einziges mir bekanntes Land braucht man kein Visum; niemand weiss den Grund dafür). Etwas weiter unten, wo sich der Fluss verengt, wird es etwas ruppiger. Wir werden ordentlich herumgeworfen, doch das Boot gleitet über die schlimmsten Stromschnellen wie ein schwereloser Pfeil.
Und dann, die Rauchsäulen zeigen es von weitem an, Chiang Khong, mein Tagesziel. Der Driver lacht immer noch, ich denke, dass er findet, einen sehr lukrativen Tagesbeginn erlebt zu haben. Er ist nicht der einzige, der grinst, denn auch für mich ist ein kleines Träumchen in Erfüllung gegangen …
Wie kann man bloss an einem uralten, abgewrackten Bus soviel Freude haben?
Das junge Mädchen aus Südkorea möchte unbedingt ein Selfie mit dem alten Schweizer, wozu ist mir schleierhaft, wir sitzen im gleichen Songthaw (einem hier üblichen Sammeltaxi, bestehend aus einer überdachten Ladebrücke und zwei längs angebrachten Bänken; man sitzt zusammen mit anderen Passagieren einigermassen bequem, ausser wenn noch zwanzig Säcke Reis dazugeladen werden) und fragen uns, wo wir hinfahren, denn die Richtung scheint uns falsch.
Mit einem uralten Bus nach Chiang Saen
Aber wie so oft stellt sich unsere Annahme als falsch heraus, denn irgendwie kommen wir irgendwann irgendwo an. Nach einer guten Stunde erreichen wir Mae Chan, bezahlen 50 Baht und winken uns gegenseitig zu, denn hier trennen sich die Wege der unterschiedlichen Generationen aus unterschiedlichen Ländern, die sich in kürzester Zeit so gut verstanden haben. Der Fahrer zeigt mir einen bereit stehenden Bus, der mich an das heutige Tagesziel Chiang Saen bringen soll.
Es ist nicht so, wie’s aussieht, sondern viel schlimmerEin tapferer Ritter auf hektischen Strassen
Darauf gibt es keine rationale Antwort (wie auf alle anderen nach dem Warum und Wieso und überhaupt auch nicht), ich weiss nur, dass sobald ich mich in einem der zerschlissenen Sitze niedergelassen habe, rings um mich herum technische Komponenten im allerletzten Stadium der Zerstörung, es mir wunderbar geht und ich mir wünsche, dass die Fahrt nie enden möge. Verrückt, ich weiss, aber es ist so.
Unser altes Gefährt schnaubt und kracht und donnert aus allen Rohren. Alle paar Kilometer ein Halt, um irgendwelche Sachen (vom Postpaket bis zu einem neuen Kotflügel) aus- bzw. einzuladen.
Das Glitzern von weitem
Ja, und dann, ich sehe das Glitzern schon von weitem, mein alter Freund, der Mekong. Ich muss zugeben, dass mir das alte Monstrum ans Herz gewachsen ist. Denn ursprünglich war ja Pai geplant, das Kiffer- und Hippieparadies im Nordwesten, aber das habe ich zugunsten des Mekongs sausen lassen.
Hier in Chiang Saen werde ich eine Nacht verbringen, um Morgen, wenn es denn eine Möglichkeit gibt, den Mekong hinunter bis nach Chiang Khong zu fahren.
Und da ist er wieder – der FlussFrachtschiffe auf dem Mekong
Chiang Saen
Bevor ich mich auf die Suche nach einem Bootsvermieter mache, der mich den Fluss hinunter fahren soll, erkundige ich das Städtchen. Es strahlt wieder einmal diese typisch asiatische Mischung zwischen höchster Dynamik und entspannter Ruhe aus, die mir so sehr gefällt.
Der Grund, warum man durch diese verschiedenen Welten wandert, ist nicht einfach zu erklären. Wir sind – wie es andernorts gesagt wurde – im Dunkel der Unwissenheit gefangen.
Die schönsten TukTuks seit langemUnd ein wunderschöner MarktUnd ein ebenso schöner Tempel
Wo gibt es ein Boot, das mich nach Chiang Khong bringt?
Das stellt sich allerdings als schwieriger heraus als gedacht. Schon beim ersten Gebäude (Port, Immigration) stelle ich meine Frage, die ich die nächsten 2 Stunden x-mal stellen werde. Wo gibt es ein Boot, das mich nach Chiang Khong bringt? Es gibt zwei zentrale Probleme.
Erstens: auch hier versteht mich kein Mensch (im Nachhinein muss ich die Burmesen loben: sie sind des Englischen tatsächlich mächtiger als die Thais), also trifft meine Frage nicht nur inhaltlich sondern auch sprachlich auf absolutes Unverständnis. Zweitens: falls mich überhaupt jemand versteht, dann scheint klar zu sein, dass es ein solches Boot nicht gibt.
Aufgeben? Niemals. Ich quatsche jeden an, auch jeden der seltenen Touristen, die mich anfänglich etwas abwehrend taxieren, wahrscheinlich denken sie angesichts meines inzwischen etwas verwilderten Aussehens an einen um ein Almosen bettelnden Ausländer, der hier gestrandet ist. Niemand, wirklich niemand hat etwas von einem Boot gehört, man spricht von Polizei, Verboten, von weiss-ich-was.
BOAT TO CHIANG KHONG
Aber dem Tüchtigen gehört bekanntlich die Welt. Kurz bevor ich das Ende des Piers erreiche, taucht ein kleiner heruntergekommener Stand auf, mit grossen Buchstaben steht auf seiner kaum mehr lesbaren Front: Boat to Golden Triangle und – mein Herz verpasst ein paar Schläge – BOAT TO CHIANG KHONG.
Und hier habe ich tatsächlich ein Boot gefunden, das mich morgen nach Chiang Khong bringen soll
Na, wer sagt’s denn. Der gelangweilte Typ hinter dem Tresen scheint genauso verblüfft, einen potentiellen Kunden gefunden zu haben, wie ich einen potentiellen Dienstleister. Allerdings, das wollen wir mal nicht vergessen, der Preis von 2500 Bahts (unabhängig von der Anzahl Personen) hat’s schon in sich. Ich bin zuerst etwas nachdenklich, dann aber, nach kurzer Überlegung, treffe ich eine Entscheidung (schliesslich kostet ein blödes halbes Nachtessen in einem der überteuerten Restaurants in Zürich mindestens soviel).
Tomorrow will be the day of all days! Das wird stark!
Ein TukTuk bringt mich zu meinem Hotel (ziemlich weit draussen), es ist ausnahmsweise tatsächlich ein gutes, sogar sehr gutes. Ich fühle mich verwöhnt, geniesse die heisse Dusche, die sauberen Laken, einfach alles.
Wenn man bei Tachileik die Grenze zu Thailand überquert, erreicht man nicht nur ein neues Land, sondern ein anderes Ziviliationslevel. Ungefähr wie letztes Jahr der Übertritt von Laos nach China – hier Armut, Hütten, Löcher, dort protzige Gebäude, breite Strassen, moderne Autos. Der Unterschied hier ist nicht ganz so krass, aber trotzdem spürbar.
Also zunächst mal grosse Verwunderung, dann Staunen, Kopfschütteln – und schon hat man sich daran gewöhnt.
Thailand ist anders
Gibt es tatsächlich solche Strassen, ohne Löcher, Gräben und Rinnen? Richtige Trottoirs, die nicht durch allerlei Vehikel vollgestellt sind? Kein Abfall (oder fast keinen) am Strassenrand? Gestern noch in einem armen, unterentwickelten Land, heute, durch ein paar Meter Grenze getrennt, in einem sozusagen aufgeräumten Land. Teure Autos, Läden, die vor Angeboten nur so strotzen, selbstbewusste Menschen.
Es wird auch hier viel gelächelt, aber es ist bereits etwas anderes geworden, es hat etwas Businesshaftes, vielleicht sogar Aufgesetztes. Hier ist Burmas Zukunft zu sehen, in vielleicht zwanzig Jahren, aber jetzt ist es noch nicht so weit, jetzt, nach nur einer einzigen Nacht, fehlt es mir bereits, fehlen mir die Menschen, so wie sie heute sind und nicht in zwanzig Jahren. Denn dann wird die Magie verschwunden sein, ersetzt durch das, was nun in Thailand zu sehen ist. Wie sagt man so schön – there’s no such thing as a free Lunch.
Gilt auch für die Entwicklung von Zivilisationen.
Aber wie auch immer, auf jeden Fall ist hier eine Autobahn eine Autobahn, und nicht nur ein richtungsgetrennter Feldweg.
Auf dem Weg in die Berge
Dieser Ansicht ist auch mein Fahrer und gibt Gas, denn heute gönne ich mir zur Abwechslung einen eigenen Chauffeur, um in die Berge nach Mae Salong zu fahren. Die ersten knapp 30 Kilometer sausen wir durch die Gegend, dass es eine Freude ist, bis wir in eine anfangs noch breite, gute Strasse einbiegen, die dann, sobald man Höhe gewinnt, enger, kurviger wird.
Vom Chauffeur, offenbar nicht wirklich an Bergstrassen gewöhnt, ist gelegentlich ein entrüstetes Schnauben zu hören, vor allem dann, wenn er um die 180 Grad Kurven an sein Limit kommt. Er atmet erleichtert auf, als wir Mae Salong und mein Hotel My Place Mae Salong erreichen. Ich wünsche ihm für die Heimfahrt Hals- und Beinbruch.
Little Yunnan
Zu diesem Kaff gibt einiges zu sagen (obwohl ich zugegebenermassen bis vor kurzem keine Ahnung von seiner Existenz hatte). Das ist Little Yunnan, sozusagen eine Exklave der angrenzenden chinesischen Provinz Yunnan. Eine kurze historische Erklärung ist angebracht.
Mae Salong (oder Santikhiri) ist zwar eng mit dem berüchtigten Opiumhandel im Goldenen Dreieck verknüpft, seine historische Bedeutung erlangte es aber durch die Chinese National Army (zur Kuomintang Regierung gehörend), die sich nach der Niederlage gegen die Kommunisten 1949 gegen die Kapitulation wehrte. 12’000 Soldaten flüchteten von Yünnan zuerst nach Burma und landeten schliesslich, nachdem Taiwan und die USA ihre anfängliche Unterstützung aufgegeben hatten, im Norden von Thailand, wo sie sich in einem abgelegenen Bergtal niederliessen. Et voilà – Mae Salong.
Chinesische Hinterlassenschaften
Die ethnische Abstammung ist an jeder Ecke zu spüren. Überall chinesische Schriftzeichen, die Menükarten, Gott sei’s gedankt, mit Bildern ausgestattet, denn der Rest sieht zwar schön aus, sagt mir aber gar nichts, denn mein Mandarin ist etwas eingerostet.
Es schmeckt genauso gut wie es aussieht (keine Ahnung, was es ist)
Junge Gäste im Restaurant
Dass die Gegend berühmt für ihren Tee ist, sieht man überall: Teesträucher auf allen Berghängen in unterschiedlichen Stadien des Wachstums, gehegt und gepflegt durch, wen wundert’s, Frauen in ihren wunderschönen Trachten (die wie üblich die schwere Arbeit erledigen, während die Herren der Schöpfung anderes zu tun haben) oder nach dem Pflücken zum Trocknen ausgelegt (kann auch schon mal das Trottoir sein).
Tee zum Trocknen ausgelegt
Unterschiedliche Reifestadien
Englisch? No Way!
Und ja, noch eine vergleichbare, wenn auch nicht unbedingt vorteilhafte Eigenschaft, erinnert an Yunnan: kein Schwein spricht Englisch. Auch das junge Mädchen in meinem Hotel, immerhin zur Begrüssung der Gäste vorgesehen, versteht absolut kein Englisch. Jä nu, was soll’s …
Ich bin wie gesagt im My Place untergekommen, in der Agoda-Hotelplattform mit einer hohen Bewertung ausgezeichnet. Nun, das mir zugewiesene Zimmer entspricht, gelinde gesagt, nicht ganz der angegebenen Bewertung, und so wechsle ich in ein anderes, besseres, helleres, natürlich gegen entsprechenden Aufpreis. Die berühmte Geschäftstüchtigkeit der Chinesen – auch hier spürbar.
Aber das Zimmer ist absolute Klasse. Die Wände sind bemalt, allerdings bleiben die Sujets unklar. Die Aussicht direkt auf die umgebenden Hügel und Täler ist umwerfend. Endlich einmal ein Zimmer, das seinen Namen verdient.
Das ist mal ein Zimmer!
I’m too old for that Shit!
Die Vorstellung von Schnee, Adventskranz und Weihnachtsguetslis vermag mich noch nicht wirklich zu begeistern, aber vorläufig ist es ja noch nicht soweit.
Vielleicht ein Ausflug in die Umgebung, langsam und gemütlich wie immer. Es gibt offenbar ein Grabmal des kommandierenden Generals Yuan, der als erster Warlord des Opiumhandels in die Geschichte eingegangen ist. Für ein paar Minuten der Gedanke, ein Motorrad zu mieten, doch in den verschiedenen Foren im Internet wird ernsthaft davon abgeraten. Bei einem Unfall, ob schuldig oder nicht, bezahlt immer, IMMER, der Ausländer. Na ja, wie soll ich sagen, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste und ausserdem – I’m too old for that Shit.
Ein erstklassiges Schauspiel
Mein Zimmer bietet von der Terrasse aus einen erstklassigen Rundblick über die angrenzenden Hügel und Berge. Und genau dieses Schauspiel wird mir am Morgen beim Öffnen der Augen geboten, ohne dass ich auch nur einen Muskel bewegen muss. Ein wahrlich königlicher Morgen.
Ausblick auf die umgebenden Hügel
Aussicht vom Hotelzimmer
Ein paar Wolken hängen seit geraumer Zeit bewegungslos am blauen Himmel, als hätten sie auf mich gewartet. Sie bilden den willkommenen Kontrast zu den in unterschiedlichen Grüntönen in der Morgensonne liegenden Hügeln mit den vertreuten Häusern und Höfen. Man könnte ewig zusehen, wie sich die Farben langsam verändern, den milchigen Ton des Morgens verlieren.
Krähende Gockel
Wenn das Mädchen an der Rezeption etwas besser Englisch spräche, hätte ich eine schon beinahe existentielle Frage an sie: Warum krähen die Gockel in diesem Kaff die ganze Nacht hindurch? Am Anfang denke ich an Hunde, die sich gegenseitig zu immer neueren und lauteren Wettbewerben anstacheln, aber nein, es sind die Gockel. Nicht im Morgengrauen, wie es üblich ist, nein, bis lange nach Mitternacht. Aber die Frage wird wohl offen bleiben, und ich werde nie erfahren, was die Viecher sich gegenseitig zu erzählen haben …
Yunnan Churros
Im Gegensatz zur Aussicht ist das Frühstück weniger königlich. Es besteht aus heissem Wasser aus einem Automaten, in das der – man ahnt es – Kaffee-Mix eingerührt wird. Ehrlich, ich kann das Zeug nicht mehr riechen. Es ist so süss, dass die Plomben im Mund Walzer tanzen.
Ein grässlicher Kaffee und Yunnan Churros
Zum Kaffee gibt es ein ölig aussehendes, undefinierbares Gebäck, offenbar frittiert, es erinnert entfernt an die spanischen Churros (die ich allerdings in bester Erinnerung habe). Das, verehrte Leser, ist alles, es ist das Frühstück. Mehr gibt es nicht. Na ja, dann halt Yunnan-Churros. Man kann durchaus auch damit satt werden.
Betonmischmaschinen
Bei einer Baustelle wird emsig gearbeitet. Ein neues Restaurant wird erstellt (na klar, denn das Dorf will sich ja als zukünftiger Touristen-Hotspot etablieren), vor dem Lokal soll der Parkplatz betoniert werden.
Eine Menge Arbeiterinnen wuselt geschäftig zwischen dem in Entstehung begriffenen Parkplatz und der Betonmischmaschine hin und her. Schwer aussehende Kübel mit Sand und Kies werden herangeschafft, je nachdem auf dem Kopf oder an der Hand, während sich der Boss um die Maschine kümmert.
Es wird gebaut
Betonmischmaschinen wie vor hundert Jahren
No money, no fotos!
Kann sich jemand an die Betonmischmaschinen erinnern? An das wunderbare knarzende, schleifende, knackende Geräusch, das sie machen? Es ist dieses runde Ding mit jeweils einer Öffnung auf beiden Seiten, das sich dreht und den Inhalt durcheinander mischt. Jemand (der Boss!) schüttet zuerst Sand oder wahlweise Kies hinein, dann Zement, dann Wasser, alles in der richtigen Kombination und Zusammensetzung.
Als Kinder haben wir diese Dinger bewundert, heute sind sie bei uns vollkommen verschwunden, irgendwo im Abgrund der Vergangenheit, und wenn wir Pech haben, werden wir sie nie wieder sehen oder hören. So geht es mit vielem, und irgendwann, vielleicht lange nach dem Verschwinden, merkt man erst, dass sie nicht mehr da sind.
Etwas weiter oben im Dorf ist schon früh am Morgen einiges los. Und angesichts der zahlreichen Touristen, die sich durch die Stände bewegen und in den Souvenirs wühlen, muss ich meine anfänglichen Zweifel bezüglich der Bedeutung von Mae Salong revidieren. Eine Mutter, die ihre Kinder in bester Pose präsentiert und für’s Fotoschiessen Geld verlangt, passt da nicht schlecht ins Bild. No money, no fotos! Dann halt nicht, Lady …
Marktfrau mit frischem Gemüse
Monströsitäten
Beim Grabmal des Generals haben die Erbauer mal wieder in die ganz tiefe Schublade stilloser Monströsitäten gegriffen. Man hat den Eindruck, dass bei der Planung die Adjektive hässlich, protzig und banal eine zentrale Richtlinie gewesen sein müssen. Wie herrlich bizarr war da doch das Mausoleum Ho-Chi-Mins im vorletzten Februar, unübertrefflich in seiner Schrägheit. Im Geist sehe ich immer noch die weisse spitze Nase im grellen Licht …
Der Eingang zum Museum
Das hat er nicht verdient
Wenn morgen alles klappt, dann werde ich spätestens am Abend den Mekong wiedersehen. Ich freue mich schon jetzt …
Heute also wird es sich zeigen, ob das Spiel mit dem Grenzübergang klappt oder ob ich doch Plan B aus der Schublade ziehen muss.
Burmesische Verwirrungen
Aber fangen wir ganz von vorne an. Das Taxi. Dies ist nun wieder mal eine der typisch burmesischen Geschichten, die so unlogisch sind, dass man nur lachen kann. Also – Frage kurz nach der Ankunft in Nyaungshwe: Gibt es ein Sammeltaxi zum Flugplatz in Heho? Gibt es, aber nicht heute. Kosten wären 18’000 Kyats.
Folgefrage zwei Tage später: Wie steht’s nun mit Sammeltaxi für Samstag? Keine Interessenten. Kurz bevor ich den Laden verlasse, frage ich doch noch nach dem Preis für ein Taxi für mich allein. 15’000 Kyats.
Moment, für ein Sammeltaxi bezahle ich also mehr, als wenn ich allein reise? Ich mache sie aus verständlichen Gründen nicht auf ihren mathematischen Fehler aufmerksam, vielleicht ist es auch gar keiner, sondern folgt lediglich der manchmal etwas verqueren Logik dieses Landes.
Dann also die letzten Kilometer durch die in der Zwischenzeit lieb gewordene Landschaft und nehme im Geist Abschied. Es wird hart werden.
Flugplatz in den Pampas
Der Flugplatz erinnert an zahlreiche andere, irgendwo in den Pampas, ein kleines Hauptgebäude, sehr lockere Sicherheitskontrollen, abgewetzte, verdreckte Stühle in den Wartehallen, eine Art Kiosk (wo wahrscheinlich selten bis nie etwas verkauft wird), gelangweilte Angestellte, die nichts zu tun haben. Und natürlich eine Piste, dieselbe für Starts und Landungen, allerdings geht die Gefahr, dass man sich in die Quere kommt, gegen Null.
Viel Platz, wenig Passagiere
Aber es ist trotzdem einiges los. Im Durchschnitt landet jede halbe Stunde eine Maschine, spuckt Passagiere und Gepäck aus, packt neue hinein, und schon geht die Post wieder ab. Lustigerweise bekommt jeder Passagier beim Einchecken einen Kleber auf die Brust gedrückt, damit man ihn eindeutig identifizieren und dem rchtigen Flug zuweisen kann.
Vielleicht sollte man das auch in Zürich Kloten einführen. Ich sehe schon die verschnupften Blicke der Business-Leute in ihren teuren Armanianzügen, wenn ihnen das Personal einen Kleber auf die Brust klebt.
Alte Propellermaschinen
Es sind alles alte bis ganz alte Propellermaschinen, die diese winzigen Flugplätze anfliegen. Das Alter sieht man ihnen auch tatsächlich an. Ich erinnere mich an den letztjährigen Flug von Luang Prabang nach Hanoi, an das Flugzeug, das aussah, als käme es direkt vom Vietnamkrieg (und auch die Passagiere erinnerten stark an alte US-Marines, die nach dem Krieg in Südostasien gestrandet sind). Aber die alten Kisten sind meistens (!) recht zuverlässig, allerdings, für Leute mit Flugangst nicht unbedingt geeignet.
Erinnerungen an Nazca (Peru)
Aber immer, wenn ich vor einem der Überbleibsel lang zurück liegender Flugepochen stehe, taucht so sicher wie das Amen in der Kirche eine andere Erinnerung auf.
Es ist wieder November im Jahr 1981 (die gleiche Reise wie mit dem Zug von Chile nach La Paz), diesmal stehe ich in Peru, genauer gesagt in Nazca, dem Ort, der Erich von Däniken zu Ruhm und Ehre und unglaublich viel Geld verholfen hat.
Man erinnere sich: in Nazca gibt es diese berühmten Scharrbilder oder Nazca-Linien, die in der Wüste um das Dorf Nazca auf einer Fläche von 500 km2 zu finden sind. Es sind teilweise bis zu 20 km lange schurgerade Linien, aber auch Dreiecke oder Trapeze oder eben auch Bilder von Menschen und Tierfiguren (Vögel, Affen, Wale), die aber, und das ist das Entscheidende, nur aus grosser Höhe als solche zu erkennen sind.
Was unseren Erich von Däniken zu seiner berühmt gewordenen Hypothese veranlasste, dass ausserirdische Wesen eine Rolle gespielt haben müssen (was heute wissenschaftlich weitgehend widerlegt ist, aber Erich herzlich wenig kümmern wird).
Die berühmten Nazca-Linien von weit oben
Man muss sie von oben sehen
Eine alte Cessna
Anyway, ich stehe also am Eingang zur Wüste in der Gewissheit, dass es vom Boden aus nichts zu sehen gibt. Jemand zupft mich am Ärmel und zeigt auf ein ziemlich heruntergekommens Flugzeug, eine Cessna, wenn ich mich recht erinnere, und macht mir ein Angebot, das ich nicht zurückweisen kann. Eine satte Stunde Fliegen über den Zeichnungen für 25$?
Wer kann da widerstehen, also steige ich mit einem etwas mulmigen Gefühl ein. Es gibt vorne zwei Sitze, einen für den Piloten, einen für mich, und einen Rücksitz, auf dem ein kleiner Junge kauert.
Löcher im Boden
Schon der Start geht in die Annalen ein: das Ding ist leicht und wendig und hebt schon nach ein paar Metern ab, und wir sind in der Luft. Ich kann es gut erkennen, denn unter meinen Füssen gibt es Löcher, oder sagen wir’s mal so: der Boden ist ziemlich transparent. Die Bemerkung des Piloten, meine Füsse etwas nach hinten zu bewegen, da ich auf dem Höhenruder (oder irgendwas Ähnlichem) stehe, kann meine Ruhe vorderhand nicht gross stören, denn ansonsten macht der Flug einen recht ordentlichen Eindruck.
Der Motor setzt aus
Zumindest bis der Motor aussetzt. Wir befinden uns nun genau über den nun leicht erkennbaren Figuren, sie sind wie ein irrealer Traum in ihrer Grösse und Vollkommenheit, doch was ist mit dem Motor? Leicht und lautlos wie ein Vogel ziehen wir nun unsere Kreise, das wäre ja an sich sehr schön, nur, was ist mit dem Motor?
Kein Problem, meint der Pilot und findet mein belämmertes Gesicht zum Schiessen, das ist besser, um gute Fotos zu schiessen. Meine Hände zittern sich also um den Fotoapparat, und zugegeben, ich habe schon bessere Bilder geschossen.
Sturzflug
Nach einer Stunde also der Flug zurück, da mir der Pilot aber als perfekter Passagier noch ein Goodie schenken will, kreist er über das Dorf, fragt mich nach meinem Hotel und zielt im Sturzflug darauf zu, um die Maschine im letzten Augenblick hochzuziehen. Sein Gelächter verfolgt mich bis in die Träume, und ja, meine Beine fühlen sich etwas gummig an beim Aussteigen …
Grenze Myanmar Thailand
So schlimm wid es heute nicht werden, die Maschine ist wie jedes Mal pumpenvoll, und wieder bin ich der einzige Ausländer. Die Maschine braust mit dem irren Sound der Propeller los, hebt ab und macht eine weite Kehre Richtung Norden. Doch es geht natürlich nicht auf direktem Weg nach Tachileik, sondern zuerst nach Lashio im Norden, wo ein Zwischenhalt geplant ist.
Und dann, nach gut zweieinhalb Stunden Landung in Tachileik, nicht weit vom Goldenen Dreieck, einstmals ein zentraler Umschlagplatz für den Mohnhandel, aber auch der letzten Station in Burma. Der Flugplatz (ein Abbild von Heho) liegt etwas ausserhalb der Stadt, also ein letztes Tuk-Tuk zur Grenze. Nun wird’s spannend, aber was soll ich sagen, alle Aufregung umsonst.
Thailand, gelobtes Land
Als gäbe es nichts Normaleres (denn das ist es tatsächlich!), prüft der Beamte meinen Pass, haut einen Stempel hinein und verabschiedet mich aus Myanmar. Das war’s. Alles, was in den Guides steht, ist Abwaschwasser von gestern, Leute, aber ich kann es den Autoren nachfühlen: in diesem Land verändert sich alles in einem derart horrenden Tempo, dass kein Führer auch nur den Hauch einer Chance hat, aktuell zu sein …
Was macht seine Faszination aus? Ist es ein in die Irre führendes Mona Lisa-Lächeln? Ist es überhaupt ein Lächeln oder ein nach innen gerichteter Blick, der etwas sieht, was wir nicht zu beurteilen wissen?
Es ist ein Geheimnis, dieses Lächeln des Buddhas.
Ein Buddha für mich allein
Heute habe ich einen ganz für mich allein. Ich habe ihn inmitten der Sümpfe gefunden, die den Inle-Lake umgeben, über ein schmales Zufahrtssträsschen, auf der Suche nach … nichts.
Was mich an diesen sogenannt freien Tagen fasziniert, ist der Gegensatz zu unserem normalen Leben im Alltag. Man hat plötzlich – welcher Schreck! – jede Menge Stunden zur Verfügung, die gefüllt werden können (oder auch nicht, denn auch absichtsloses Nichtstun ist eine Option).
So steht man denn nach dem Morgenessen vor einem leeren Tag (na ja, nicht ganz; ich muss einen Taxi zum Flugplatz finden, aber irgendwie doch leer, weit und breit keine To-do-Liste, keine dringenden Telefonate oder Mails, niemand will etwas von mir, wie hab ich das bloss verdient?)
Treiben lassen
Ich beschliesse also, ein weiteres Mal, mich treiben zu lassen, irgendwohin, wo nicht jeder Saftsack hingeht. Ich liebe diese Wanderungen oder wie in diesem Fall die Fahrten auf dem Fahrrad durch einsame Strässchen, entlang namenlosen Bächen, zu Häusern, wo man verwundert angesehen wird.
Ein leises Konzert für niemanden
Und so habe ich meinen ganz persönlichen Buddha gefunden. Er ist Teil einer ganzen Anlage, bestehend aus unzählichen kleinen und grossen Stupas, goldverziert, mit weisser Farbe getüncht, da und dort ein kleines Kinkerlitzchen, verspielt, wie es die Asiaten lieben.
Und da das Motorengeräusch vom Kanal an dieser Stelle kaum zu hören ist, kann man das unendlich zarte Klingeln unzähliger winziger Glöckchen vernehmen, die an den Spitzen der Stupas befestigt sind.
Ein leises Konzert für niemanden.
Oder vielleicht doch für mich allein?
Gautama und ich
Denn es ist wirklich niemand da, und es macht auch nicht den Anschein, als hätte in den letzten hundert Jahren irgendein menschliches Wesen die erhabene Majestät des Buddha bewundert. Ich nehme mir Zeit, denn in diesem Augenblick bin ich überzeugt, dass diese Begegnung – so wie der nächtliche Traum – etwas zu bedeuten hat, allerdings habe ich nicht den Hauch einer Ahnung, was es sein könnte.
Wir stehen uns lange gegenüber, Gautama und ich, er mit seinem Blick in der Ewigkeit, ich mit der Trinkflasche in der Hand. Es ist eine der Darstellungen des normalgewichtigen Erhabenen, nicht die fette Version, auch nicht die magere. Seine rechte Hand berührt den Boden, die andere liegt, Handfläche nach oben, auf seinem Schoss. Es hat eine besondere Bedeutung, ich weiss sie aber nicht mehr.
Vielleicht sollte ich doch Buddhist werden.
Morgen mein letzter Tag in Myanmar. Es wird mir schwer fallen. Verdammt, wie kann man sich in einem Land so wohlfühlen?
Irritiert und verärgert und wehmütig über die Veränderungen der Stadt, beschliesse ich, mit dem Fahrrad die Umgebung zu erkunden, dorthin, wo sich garantiert kein Massentourist verirrt.
Auf unbekannten Pfaden
Ich überquere die Brücke, die zu den äusseren Quartieren führt. Boote fahren den braungelben Kanal entlang.
Es dauert nicht lange, und der Lärm und die Abgase bleiben zurück, eine schmale Strasse führt durch schattige Alleen, entlang sumpfiger Kanäle zu den Hügeln der Shan-Berge. Manchmal überholt mich in schnellem Tempo ein Ausländer, im Stress wie’s scheint, während ich das Schritttempo geniesse.
Und während die friedvolle Landschaft gemächlich an mir vorüber huscht, ist mein Kopf so leer wie bei einer Vipassana Meditation. Wer nicht weiss, was das Hype Wort „Achtsamkeit“ bedeutet – dies ist es! Die Gedanken fliessen vorbei, man beobachtet sie, sieht ihnen nach, spürt, wie sich Ruhe und Frieden einstellen. Doch der Friede wird gestört durch Kinder am Strassenrand, doch anstelle eines scheuen Mingalaba (Guten Tag) rufen sie nun Money. Damn it!
Doch die Umgebung, die stillen Kanäle, auf denen Fischer ihre Boote treiben lassen, die kleinen armseltigen Hütten, scheinbar mitten im Sumpf liegend, sie bringt den Seelenfrieden schnell wieder zurück.
Es braucht einiges Geschick, um auf den engen Kanälen zu manövrieren
Und immer wieder Hütten im Sumpf
Der Ausflug einer Entenfamilie
Und noch ein Fischer
Irgendwas scheint er zu suchen
Money!
Die Zerstörungskraft des Massentourismus am lebenden Beispiel. Kein Lächeln mehr im Gesicht, die angeborene Freundlichkeit verschwunden, ersetzt durch MONEY, MONEY. Irgendwo bei einem Kloster steige ich vom Rad, sofort tauchen ein paar Buben auf, Money klar, und einer greift mir doch tatsächlich an die Brieftasche.
Tja, was soll man dazu sagen? Nichts. Es ist der Lauf der Welt.
Knaben und Wasserbüffel – eine harmonische Beziehung
Auf nach Taunggyi
Um halb fünf werde ich abgeholt, Sammeltaxi zum Ballonfestival in Taunggyi, ein Event, der jährlich zu dieser Zeit ausgetragen wird und tausende von Zuschauern aus der ganzen Gegend (und mittlerweile der ganzen Welt) anzieht.
Und heute ist der Höhepunkt und – es ist Vollmond, für alle Buddhisten ein wichtiges monatliches Ereignis. Es scheint sich halb Burma auf den Weg zum Ballonfestival zu machen. Die Fahrt dauert, hervorgerufen durch den dichten Verkehr, der in den Bergen um Taunggyi immer schlimmer wird, ziemlich lang, doch genau zur richtigen Zeit erreichen wir den riesigen Platz, wo die berühmten Ballone aufsteigen werden.
Bei der Ankunft ist es bereits dunkel, die bunten Silhouetten der Karussels zeigen den Weg. Es erinnert an die Chilbi (Jahrmarkt) in der Schweiz, an den Rummelplatz, den Lärm, die Musig aus allen Richtungen.
JahrmarktstimmungWunderbare Farben gegen den dunklen HimmelTausende von Menschen, alle gespannt auf das kommende Spektakel
Wie ein Stones-Konzert
Es sind bereits tausende Zuschauer versammelt, zum Teil noch Kilometer entfernt, sind hunderte noch zu Fuss auf dem Weg.
Die Atmosphäre erinnert mich an Stones-Konzerte, an das Durcheinander vor dem Konzertbeginn, die erwartungsvolle Stimmung. Überall dröhnen riesige Lautsprechertürme, Beats wie an der Streetparade, Jahrmarktstimmung, Essstände (mit allerhand undefinierbarem Zeugs; einiges sieht verdächtig nach Innereien aus), Stände mit Geschicklichkeitsspielen, an denen sich die Jugend trotz wenig Erfolg vergnügt. Man lässt sich durch die Menge treiben, wartet auf den Beginn des Spektakels, das dann einigermassen pünktlich startet.
Karussell für die KleinstenGeschicklichkeitsspiele
Und dann geht’s los – endlich
Der Tross von Fahrzeugen, die sich mitten durch die dichteste Menge mühen, erinnert ebenfalls an die Streetparade. In der Platzmitte beginnt dann die Vorbereitung.
Erwartungsvolle Stimmung
Irgendwoher taucht dann etwas auf, das die Hülle sein könnte, irgendwo brennt plötzlich Feuer, die Erregung der Menge steigt, man hört Gesänge, erkennt tausende von Armen, ekstatisch in die Höhe gereckt, dazu das rhythmische Schlagen von irgendwelchen Schlaginstrumenten.
Die Hülle wird aufgeblasenDann kippt sie kurzzeitig zur Seite Oh AhEin unglaubliches SpektakelUnd noch einer – noch schöner
Flug in die Unendlichkeit
Und dann ist es endlich soweit. Die Hülle wird durch die heisse Luft langsam aufgebläht, jetzt erkennt man die wunderbaren Farben, die Zeichnungen und Schriftzeichen darauf, sie werden grösser und grösser, bis der Ballon in seiner ganzen Pracht über der Menge hängt.
Eine Minute lang kippt er auf die Seite, ein Stöhnen geht durch die Menge, aber wundersamerweise gelingt es der Crew, ihn wieder in die Senkrechte zu bringen.
Und dann endlich, in der ganzen Pracht
Schliesslich rennen Leute heran, sie tragen ein viereckiges Gestell, das unten angehängt wird, und jetzt, zum Entzücken der tausenden von Zuschauern – Ah! Oh! – erhebt sich der Ballon in den Nachthimmel, und kaum hat er eine gewisse Höhe erreicht, spuckt er Feuerwerk aus dem angehängten Gestell. Ein Funkenregen senkt sich herab, rote, grüne, gelbe Explosionen, Sterne, alles da, alles, was wir auch kennen, aber nie wie in diesem Wahnsinnsspektakel.
Er spuckt Feuer und SterneEin unglaublicher Anblick
Es ist irgendwie unglaublich schön und irgendwie auch sehr traurig, wie der Ballon immer kleiner wird, eine Minute hinter Wolken verschwindet, während die Funken und Explosionen daraus hervorschiessen, und wieder auftaucht, schon ganz klein, und während die Zuschauer ihre Aufmerksamkeit längst wieder ihren Smartphones zuwenden, verschwindet er im Dunkel der Nacht. Ein winziger kleiner Funke, ein letztes Glühen, und weg ist er, irgendwo auf dem Flug nach Nirgendwo …
Der Morgen fängt gut an, wir sind, trotz Kälte und nächtlichen Störgeräuschen guter Stimmung, geniessen das Frühstück, lachen, schwatzen.
Ganz und gar überraschend hängt am frühen Morgen ein dünner Nebel in der Luft. Die Bäume im Hintergrund verschwinden in der milchigen Suppe.
Eine wunderbar friedliche Stimmung. Auch bei den Kühen.
Nebel
Die Phase des gegenseitigen Austausches von mehrheitlich banalen Reiseerlebnissen ist längst vorbei, jetzt sind beim Frühstück andere Themen angesagt. Von Game of Thrones bis Königin Beatrix, von Hauspreisen und Heiratsplänen, von dem, was in der Zukunft Angst macht, und dem, was nicht früh genug geschehen kann. Und über den Terrorismus, die Paris-Anschläge und all das, was sich daraus ergeben könnte.
Doch immer wieder schweifen unsere Blicke über die angrenzenden Wiesen, den Hof mit den Kühen, die gemütlich an ihrem Fressen kauen. Es ist der Nebel, der fasziniert. Er liegt wie ein schwebender Hauch schwerelos über der Welt, ein flirrender, sich bewegender Dunst, der alles mit einer milden Patina überzieht.
Einfach schön.
Es scheint zu munden
Andere müssen noch auf den ersten Kaffee warten
Eine milchige Suppe über den Wiesen
Dann wandern wir los. Zuerst in eine Art Apotheke, wo Sanny jemanden kennt, der ein todsicheres Mittel gegen Durchfall und Bauchschmerzen verkauft. Ich bin etwas misstrauisch, als er mir einen Becher mit einer seltsam aussehenden Flüssigkeit entgegenstreckt. Das Zeug sieht aus, als könnte man damit jemanden vergiften, aber was soll’s – viel schlimmer kann’s nicht werden. Und tatsächlich – im Verlauf des Tages erholt sich mein Magen-Darm-Trakt. Wahrscheinlich vor lauter Schrecken über die ungewohnte Medizin.
Frodo-Country
Heute sind noch einmal knapp 20 Kilometer angesagt, deswegen geht’s früh los, damit wir der sengenden Sonne entgehen können. Wir sind nun ein eingeübter Trupp, fast schon Profis, obwohl die zierliche Stefanie immer noch behauptet, alles, aber sicher keine Wandererin zu sein.
Die ersten paar Kilometer sind eine Reise durch Lord-of-the-Rings Territorium. Fast wie Frodo und seine Begleiter folgen wir dem schmalen Fusspfad, umgeben von mit Spinnweben behangenen Gebüschen, die sich leise im Morgenwind wiegen. Allerdings erinnern die Spinnweben auch an den Düsterwald, wo die 13 Zwerge mit Bilbo auf die mörderischen Riesenspinnen trafen. Das hingegen muss nicht sein. Oder hat sich da was bewegt im dichten Gebüsch?
Die ersten Kilometer entlang nebelverhangener Felder ist für mich der bisherige Höhepunkt dieses Treks, der weiss Gott viele wundersame Eindrücke gebracht hat. Man fühlt sich in einer eigenen Welt, bezaubernd und unheilvoll zugleich. Ein erinnerungswürdiger Tag.
Wo sind die Spinnen?
Düsterwald
Und weiter geht die Reise …
Unwirkliche Landschaft
Schön und irgendwie beunruhigend
Auf dem Weg – der Nebel verzieht sich langsam
Der Aussichtsturm
Irgendwann am Nachmittag fällt uns schon von weitem eine seltsame Konstruktion ins Auge. Ist es ein Aussichtsturm? Und falls ja, wofür? Es gibt weit und breit nichts zu sehen. Natürlich können wir der Versuchung nicht widerstehen, bis ganz nach oben zu klettern. Allerdings schwankt die Konstruktion unter dem Gewicht, und es ist empfehlenswert, die Tragfähigkeit nicht weiter zu testen.
Ein Aussichtsturm wofür? Eine ziemlich schwankenden Angelegenheit
Manchmal werden wir beobachtet, misstrauische Kinderaugen folgen unseren Bewegungen. Wenn wir in ihre Richtung sehen, wenden sie sich erschreckt ab und verziehen sich hinter ein Gebüsch. Aber sie sind einfach nur herzige Kinder. Man wünschte, ihnen allen etwas schenken zu können, aber dann bräuchten wir Lastwagen.
Wir werden wieder mal misstrauisch beäugt
Geborstene Bäume und andere Überraschungen
Manchmal ist Sanny der einzige, der redet. Wir anderen sind gefangen in der Schönheit der Gegend und nehmen sie nur noch schweigend wahr. Jedes Wort ist überflüssig und würde den Frieden stören. Und gelegentlich tauchen Gedanken auf, die sich mit der Dezember-Kälte zuhause beschäftigen und der Tatsache, dass wir hier mitten im Sommer durch blühende Gegenden marschieren, schwitzend und manchmal fluchend, wenn sich die Sonne über Mittag mit gnadenloser Macht über uns hermacht.
Auch der stärkste Baum ist manchmal machtlos gegen die Schwerkraft
Man kommt sich sehr klein vor im Schatten dieser riesigen Bäume
Manchmal ein Stopp
Wie aus dem Nichts taucht immer mal wieder ein Dorf auf, oder zumindest so etwas wie ein Restaurant, wo sich die durstigen und müden Trekker verpflegen können. Wie immer fragt man sich, was die Leute machen, die hier ziemlich gelangweilt herumsitzen und offenbar in irgendeiner Weise zum Inventar gehören.
Stopp und tatsächlich ein Restaurant
Mit zugehöriger Toilette
Die Erde wird rot
Je näher wir uns dem Tal nähern, in dem der Inle-Lake liegt, desto röter wird die Erde. Es geht abwärts, die Ebene öffnet sich.
Rote Erde
Es geht langsam abwärts
Gelbe Blumen – rote Erde
Dem Ziel entgegen
Zum letzten Mal Kung-Fu und Abschied von Sanny
Weiter also durch die wechselnd farbige Landschaft, doch nun geht’s mehrheitlich bergab, der Ebene entgegen, wo der Inle Lake liegt. Wir erreichen ihn sozusagen pünktlich, ein weiteres lukullisches Mittagsmahl erwartet uns, und Sanny gibt zum Abschluss eine weitere Kostprobe seiner KungFu Nummern zum Besten, diesmal mit Stöcken.
Wie immer ein Schmaus
Also eines ist klar, mit ihm möchte ich auf keinen Fall in Streit geraten. Er würde mich – und auch die um einen Kopf grösseren Chris und Sebastian – schlicht und einfach zerschmettern. Der Abschied von ihm, denn ab hier übernimmt uns der Bootsfahrer, ist wehmütig, denn wir wissen, dass wir ihn nie mehr wiedersehen werden.
Der Inle-See
Die ersten Kanäle tauchen auf, braunrotes Wasser führend. Boote knattern vorbei, manche mit Lebensmittel gefüllt, die zu den Dörfern auf dem See gebracht werden. Spätestens jetzt kommen die Erinnerungen hoch. Der Ausflug zum Inlé-Lake war in jeder Beziehung ein Höhepunkt einer von Höhepunkten vollen Reise. Die Sehnsucht, dieses noch erhaltene Kleinod nochmals zu sehen, erfüllt sich heute.
Aber es ist auch ein Ort, in den ich mich rettungslos verliebt hatte. Allerdings befürchte ich das Schlimmste. Seit meinem letzten Besuch hat sich die Anzahl der Touristen vervielfacht, und jeder weiss, was dies für fragile Orte wie den Inlé-See bedeutet.
Zerstörung.
Aber wir werden sehen …
Man erwartet uns bereits
Eine geruhsame Fahrt duch die Kanäle
Er weiss hoffentlich, wo’s durchgeht
Seerosen im brackigen Wasser
Ein zwiespältiges Erlebnis
Die Fahrt über den Inle See ist für mich ein zwiespältiges Erlebnis. Die Unterschiede zur Fahrt vor 11 Jahren sind krass: Nun brausen beinahe im Sekundentakt Speedboote vorbei, vollbeladen mit Touristen,, man hat den Eindruck, als wäre eine allgemeine Zerstörung in Gang gesetzt worden. Was unendlich schade wäre, denn dieses Kleinod sollte dringend geschützt werden.
Doch es macht den Anschein, als würden sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten. Das Wasser ist nicht mehr klar, es ist ganz offensichtlich verschmutzt, und nicht ganz unerwartet kann man Oelflecken auf dem Wasser erkennen. Die fragile Infrastruktur der schwimmenden Inseln ist gefährdet. Man muss sich vorstellen, dass diese schwimmenden Gärten von Menschenhand angelegt wurden. Sie dienen der Anpflanzung von Gemüse und Früchten. Werden sie zerstört, ist die Lebensgrundlage der Seebewohner akut gefährdet. Und das alles nur zum Wohl der in der Zwischenzeit zu Tausenden zählenden Touristen.
Ich nehme mich nicht davon aus, ich gehöre ebenfalls zur Zerstörungs-Brigade (was nicht nur für den Inlé-Lake, sondern für zahlreiche andere Schmuckstücke auf der ganzen Welt gilt). Wir sind auf der Suche nach Schönheit, vielleicht Abenteuer oder Abwechslung und merken nicht, was unser Tun für die Umwelt bedeutet.
Ich muss über die Bücher. Was allerdings sehr schwierig werden wird …
Hütten auf Stelzen mitten im Inlesee
Fischerboote …
Speedboote mit Touristen…
Und Nyaungshwe kommt näher
Weitere Abschiede
Und dann erreichen wir Nyaung Shwe, und ich sage Goodbye zu Chris und Stefanie, mach’s gut, Sebastian. Wir werden uns nicht wiedersehen.
Das Herz wird ein bisschen schwer.
Nyaung Shwe
Es scheint, dass nicht nur der Inle See sich gewandelt hat, sondern auch das früher so friedliche und gemütliche Nyaung Shwe. Ich kann mich an geruhsame Fahrradtouren erinnern, an Strassen ohne Verkehr, an eine entspannte Atmosphäre.
Das ist vorbei. Der Massentourismus hat Einzug gehalten. Die Hauptstrasse ist permanent verstopft, die Luft eignet sich kaum noch zu atmen. Waren vor 11 Jahren ein paar wenige Fahrzeuge auf der Strasse anzutreffen, so sind es heute hunderte, tausende. Überall Staus, Abgase, Hektik, und mitten drin – als Auslöser der ganzen Misere – die Touristen. In Scharen, nicht nur Backpacker, sondern jetzt auch die Vertreter des Massentourismus, riesige Cars, die ganze Wagenladungen ausspucken und auf die Stadt und den See loslassen.
Ein paar Impressionen von früher
Tja, es hat sich tatsächlich einiges verändert. Um einen Eindruck zu verschaffen, wie es vor einigen Jahren, d.h. vor dem Ansturm des Massentourismus, aussah, hier ein paar Impressionen. Sie machen mein Herz schwer …
Die Einbein-Ruderer – weltweit einzigartig
Sie sind Artisten – meine Versuche mit einem Besen haben alle auf dem Boden geendet
Friedlich und wunderschön
Blühende Seerosen
Wie ein Bild eines Künstlers – alle Farben sind perfekt
Ganze Dörfer auf dem See
… und auch riesige Paläste
… und zahlreiche Stupas und andere Heiligtümer
Das Emerald Moon Hotel
Der Weg zu meinem Hotel ist wesentlich länger als in Booking.com beschrieben, und so bin ich ziemlich erschöpft, als das Emerald Moon Hotel endlich auftaucht. Ein Bungalow mit allen Wunderbarkeiten moderner Hotellerie wartet auf mich. Nicht ganz überraschend, dass ich um acht bereits in tiefem Schlummer liege …
„Old Age is not for Sissies.“ (Quote Bette Davies * 1908 + 1989 US Amerikanische Schauspielerin)
Ich muss ihr zustimmen.
Es ist immer ernüchternd und etwas schmerzhaft, wenn man an das eigene Alter erinnert wird.
„You walk? .. Yes. Why? .. You old!!“
Heute Morgen werde ich einmal mehr daran erinnert. Das Mädchen an der Rezeption des Railroad Hotels namens Sima scheint die westliche Zurückhaltung bezüglich unpassender Bemerkungen zum fortgeschrittenen Alter ihrer Kunden noch nicht verinnerlicht zu haben (obwohl ich mir diese Direktheit manchmal wünschen würde).
Auf jeden Fall beginnt mein 2-tägiger Treck Richtung Inle-Lake mit genau diesen Worten. Wir lachen beide herzlich (ich ein wenig verkrampft) und verabschieden uns. Es war – trotz Badezimmer – ein wunderbarer Aufenthalt.
4 Personen plus Sanny
Bei der organisierenden Agentur findet sich nach und nach die Truppe von insgesamt 4 Personen plus Guide zusammen (genau die richtige Grösse, denn immerhin ist man für 2 Tage eng zusammen und erleidet sozusagen das gleiche Schicksal).
Sebastian, ein junger Deutscher aus Rosenheim, Chris und seine Freundin Stefanie aus Amsterdam und Sanny, unser Guide. Zu ihm wird es noch einiges zu sagen geben, denn er wird sich als die grosse Attraktion unseres Ausflugs erweisen. Alles in allem eine gute Zusammensetzung, eine sehr gute.
Wir werden, da nur 2 Tage unterwegs, den ersten Teil mit dem Sammeltaxi in die Hügel hinausgefahren, wo wir schliesslich irgendwo im Nirgendwo ausgeladen und uns selbst überlassen werden.
Na ja, immerhin haben wir ja Sanny. Er ist ein 55-jähriger, kleiner, drahtiger Mann mit einem feinen Geflecht von Falten in seinem sonst glatten Gesicht, immer mit einem Lächeln, auf dem Kopf eine Wollmütze, um die Beine schlottern sehr weite helle Hosen, die ihn von Weitem erkennen lassen. Dass er ein äusserst eloquenter Gesprächspartner und ein Geschichtenerzähler wie aus Tausend und einer Nacht ist, wird sich schon bald erweisen.
Sanny, unser Guide, mit interessierten Zuhörern
Ein gelbes Meer
Nun denn, auf geht’s! Wir folgen dem Weg anfänglich gegen Osten, über gut ausgebaute Wege, dann wieder ausgewaschene Fusspfade, vorbei an gelben Feldern mit blühenden Sonnenblumen, an Feldern mit Sticky Rice (allerdings soll es gemäss Sanny auch Sticky Sticky Rice geben, der muss dann ziemlich sticky sein). Für die Nichtexperten: Sticky Rice ist anders als der Wet Rice etwas anders im Geschmack und gehört je nach Stamm, Volk oder Land mehr oder weniger zum täglichen Menü.
Es ist wie in einem Traum. Einem wunderschönen Traum.
Ein gelbes Meer von SonnenblumenEin einziges Vergnügen fürs Auge
Banyan Bäume
Manchmal kreuzen wir die riesigen Banyan-Bäume, stehen einen Moment still und bewundern die uralten, heiligen Monstren. Dann wieder vorbei an einem gelben Meer von Blumen. Das Auge wird müde ob der schieren Pracht.
Wenn ich unserem gut informierten Führer glauben kann (Einschränkung: ich glaube ihm nicht alles, obwohl ich überzeugt bin, dass ER alles glaubt, was er uns erzählt. Die Geschichte mit seinen Heilerqualitäten (was ein eigenes Kapitel füllen würde) ist so abstrus und gleichzeitig komisch, dass, falls nicht wahr, doch wenigstens gut erfunden ist).
Wenn ich ihm also glauben kann, gibt es unterschiedliche Banyan-Bäume, nämlich die heiligen und die anderen. Wie sie sich unterscheiden, ist allerdings unklar. Die einen sind einfach heilig und werden mit ebenso heiligen Utensilien bekränzt, während die anderen, obwohl vollkommen gleich aussehend, eben nicht heilig sind.
Aber sei’s drum, Banyan-Trees haben eine wichtige Rolle in Buddhas Geschichte gespielt. Soweit ich weiss, meditierte er in Bodh Gaya, einem Kaff in Indien, ein paar hundert Kilometer von Varanasi (Benares) entfernt, unter einem Banyan-Tree und wurde eben dort erleuchtet (ein Ur-Ur-… Enkel des damaligen Baumes wächst immer noch an der gleichen Stelle, selbst gesehen und kein Wort geglaubt) …
Ein riesiger Banyan Baum
Durch Felder und Wälder
Es ist einer der schönsten Wanderungen ever. Ein gemütlicher Spaziergang entlang Wiesen und Felder und Wälder, an lieblichen Flüssen und Bächen vorbei, beobachtet von Wasserbüffeln und Kühen und Kindern … Man müsste einfach weitergehen können. Endlos. Mit offenen Augen und Ohren und Nase. Es riecht nach Parfums, nach teuren Ingredienzen, nach Natur und schönen Frauen …
Auge und Herz erschöpfen sich im Angesicht der Schönheiten. Der endlosen gelben Felder, die sich bis zum Horizont ziehen, scheinbar ohne Grenzen. Das Grün der Wiesen, das Braun der verbrannten Erde. In im Ohr das sanfte Geräusch des Windes in den Ästen der Bäume.
Es sollte nie zu Ende gehen …
Bienenkästen?Entlang stillgelegten GeleisenEinsame Bäume mitten in der Landschaft mit ein paar WasserbüffelnEr schaut ziemlich grimmig („Haut ab!“)Angeregte DiskussionenKönnte von Van Gogh gemalt sein
Mönchsordination
Manchmal muss man etwas Glück haben. Auf dem Weg nach Osten treffen wir auf einen buddhistischen Tempel, wo eben eine seltsame Zeremonie im Gange ist. Unweit eines Tempels warten unter den ausladenden Ästen eines Banyanbaumes (siehe unten) eine Menge Leute, alte, junge, Babies, Kinder,die Blicke auf den Eingang des Tempels gerichtet, wo man das monotone Gemurmel buddhistischer Rezitationen hört.
Wir stellen uns dazu, und Sanny, unser Führer, erklärt uns, dass eine Ordination im Gang ist. Offenbar werden an diesem Tag zahlreiche neue Mönche (Bhikkus) ordiniert, d.h. sie erhalten ihren Status als Mönch und müssen ab diesem Tag die über zweihundert Gebote (die meisten davon betreffen lustigerweise die Vorgaben, wie man richtig am Tisch sitzt, isst und trinkt) einhalten.
Erstaunlicherweise ist der Buddhismus in dieser Beziehung sehr locker und offen: eine Ordination wie im katholischen Glauben beispielsweise, die für die Ewigkeit gilt, kann hier problemlos wieder aufgelöst werden, man wird also nach mehr oder weniger Tagen oder Wochen oder Jahren auf eigenen Wunsch von seinen Gelübten gelöst und kann sein normales Leben weiterführen.
Es dauert nicht lange, und die gut zwanzig frischgebackenen Mönche verlassen mit ernsten Gesichtern den Tempel, sie werden durch die Zuschauer mit Musik begrüsst, und die ganze Prozession geht würdevoll von dannen, ohne uns auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen …
Wir verlassen die Feier mit einem zwiespältigen Gefühl. Einmal mehr möchte man gern Teil der Kultur sein, ist sich aber bewusst, dass wir nicht dazugehören.
Ein kleiner Tempel im NirgendwoDie Gläubigen versammeln sich im Schatten der BäumeDie Zeremonie beginntSonnenschirme? Oder doch nicht?Musikanten mit seltsamen Instrumenten
Kinder …
Manchmal laufen Kinder über den Weg, scheu, zurückhaltend, rennen weg, sobald eine Kamera gezückt wird. In einem Dorf dann eine ganze Meute, die nach Pencils schreien. Pencils?
Jetzt habe ich endlich die Gelegenheit, die restlichen Farbstifte loszuwerden. Der Verteilprozess ist allerdings etwas mühsam, denn zehn Kinder springen an mir hoch, versuchen mit ausgestreckten Händen an die begehrten Stifte zu kommen. Also muss das organisiert werden, alles in eine Reihe, dann faire Verteilung, damit auch die jüngeren nicht zu kurz kommen.
Ist das bereits eine bittende Geste?Noch mehr KinderGenussvoll kauendEbenso …
… und Wasserbüffel
Wasserbüffel, das schönste Bild ein Wasserpfuhl, wo sich zehn Stück aufs Mal wohlig suhlen, während im Hintergrund eine Mutterkuh ihr Junges bewacht und uns misstrauische Blicke zuwirft. Ein ernst dreinblickender Mann, offenbar der Hirt, wirft uns misstrauische Blicke zu. Heute haben wir aber keine Absicht, seinen wunderbaren Tieren ein Leid anzutun oder sie mitzunehmen. Er scheint erleichtert, als wir unserer Wege ziehen …
Es gibt nichts Schöneres …Ein junges Kalb, noch etwas unsicher auf den BeinenDer zugehörige Hirte im Schatten
Peperoncini
Was den Fotographen unter uns, Chris, besonders erfreut, sind die zum Trocknen ausgelegten Peperoncini, man hat den Eindruck, dass ganze Fussballfelder in dunklem Rot schimmern. Darauf kauern sich Frauen und Kinder, zum Teil in ihren wunderbar farbigen Trachten des Pa-O Stammes, und wenden die Dinger oder sammeln sie ein.
Den genauen Ablauf habe ich nicht ganz verstanden, allerdings erscheinen mir gewisse Details der Anpflanzung von Gemüse, das ich nicht besonders mag, auch nicht besonders erinnerungswürdig (ausser den wunderbaren Farben natürlich).
Die mühselige Arbeit ist das tägliche BrotIn der brütenden Sonne …
Mein Magen/Darm rebelliert
Etwas müsste ich vielleicht noch erwähnen: gestern Nachmittag, müde und heisshungrig auf etwas Süsses, habe ich den einen Fehler gemacht, den man tunlichst vermeiden sollte, nämlich in einem indischen Restaurant einen lauwarmen Kaffee zu trinken. Natürlich hätte ich das Gebräu zurückzuweisen müssen, aber manchmal ist man einfach zu dumm oder zu höflich.
In der Konsequenz: Punkt fünf Uhr morgens die unangenehme Überraschung, die man sich vorstellen kann. Nun bin ich also auf einem 2-tägigen Treck, der mich irgendwohin führt, auf jeden Fall nicht in Gegenden, die für anständige WCs bekannt sind. Aber wie gesagt, mein Fehler, aber das gehört halt irgendwie dazu. Ein gehöriger Input von Loperamid-Mepha wird hoffentlich dafür sorgen, dass ich mich nicht allzu sehr als Störenfried entpuppen werde.
Die Pa-O Dame
Alle paar Stunden ein Halt, wie es sich gehört, einmal ein Teestopp bei einer Pa-O Dame, die emsig am Weben von wunderbaren Tüchern und Taschen ist. Ein endloser, mühsamer Prozess, der für ein einziges Tuch mehrere Tage dauern kann, und – nach unseren finanziellen Gegebenheiten – für ein Trinkgeld verkauft wird.
Langsam, gemächlich entstehen KunstwerkeDie Ergebnisse ihrer Arbeit sind atemberaubend
Mittagessen im Homestay
Mittagessen dann in einem Haus, das für andere Trekkinggruppen als Homestay dient.
Ein runder Tisch ist bereitgestellt, man setzt sich auf den Boden (ah, wie ich das hasse, wie mein blöder Rücken protestiert) und erhält ein mehrgängiges Menü aus Noodles, Gemüse, unedefinierbaren Beilagen, die aber, so höre ich, sehr gut schmecken (ich begnüge mich aus verständlichen Gründen mit einem Teller Suppe). Es wird gequatscht und gelacht, langsam findet sich die Gruppe zusammen. Einmal mehr ist Englisch die Lingua Franca.
Die Dame des Hauses schenkt uns einen vorsichtigen BlickEs sieht nicht nur gut ausIm Nebenraum sind andere hungrige Mäuler am Essen
Heimwärts
Der volle Bauch verlangt zwar nach Ruhe und einem Mittagsschläfchen, aber dafür ist der vor uns liegende Weg zu lang. Es gilt, noch einige Kilometer abzulaufen, allerdings durch weiterhin grossartige Gegenden, entlang sanften Hügeln, an deren Abhänge Kühe zusammengetrieben werden. Es ist ein friedlicher Anblick, und wie immer wird man daran erinnert, wie weit weg wir uns von solchen Idyllen bewegt haben. Wir können diese vergangene Welt nicht mehr zurückholen und hoffen für die Einheimischen, dass sie der Verführungskunst westlichen Lebensstils nicht so schnell erliegen …
Kühe in der Sonne
Auf dem Heimweg …Heimwärts In der Abendsonne
Auf den Feldern wird angesichts des nahenden Abends zusammengepackt. Das Abendlicht verleiht den Bildern eine unirdische Schönheit …
Es naht der Feierabend – das Tagewerk ist getan
Ankunft beim Sonnenuntergang
Gegen Abend dann, nach einem Zwischenspurt, denn wir haben viel Zeit verloren, erreichen wir eben vor Sonnenuntergang das Dorf, wo wir übernachten werden. Von weitem sieht es ziemlich seltsam aus, aber offenbar ist das nicht unser Domiziel. Unser Rasthaus (oder wie immer diese Etablissements genannt werden) entpuppt sich als mehrstöckiges Gebäude, wo wir eine hoffentlich angenehme Nacht verbringen werden.
Im nahen Hof tummeln sich Kühe (Gnus?) und ein paar Leute, deren Rolle ziemlich unklar bleibt. Aber sie nicken uns höflich zu, was wir selbstverständlich erwidern. Der Schlafsaal ist riesig und hätte Platz für eine halbe Kompanie Soldaten.
Irgendwie eine seltsame ArchitekturEine Idylle gegen Abend
Der Homestay
Der Homestay macht einen recht ordentlichen Eindruck (von den Toilette im Hof möchte ich lieber nicht sprechen), es gibt einen grossen Raum, in dem wir schlafen werden, die Schlafplätze mit Decken und Matratzen sind bereits vorbereitet. Auf die Dusche allerdings (ein Kübel eiskaltes Wasser über den Kopf) verzichte ich gerne (nur Sebastian ist genügend Masochist, um sich das anzutun).
Nach dem Abendessen im Freien – es wird sehr schnell ziemlich kalt – und einem längeren Vortrag von Sanny über seine Fähigkeiten als Heiler (!), über Buddhismus und einer Präsentation seiner KungFu Künste ist es Zeit, sich unter die Decken zu verkriechen. Allerdings, die vom Organisator versprochenen 5 Zentimeter dicken Matratzen erweisen sich eher als 5 Millimeter dick (wahrscheinlich hat er die Masse verwechselt), aber die Decken scheinen ziemlich warm zu sein (wenn vermutlich auch schon tausend Mal in Gebrauch gewesen).
Unser Homestay
Ich bin froh um meinen Baumwollschlafsack, der zwar wärmemässig nicht allzu viel hergibt, aber zumindest vor der direkten Berührung mit den Decken schützt. Ich werfe noch eine Tablette ein, in der Hoffnung, jeglichen nächtlichen Gang auf die besagte Toilette vermeiden zu können, und drehe mich auf die Seite. Es ist kalt, und es ist hart, aber irgendwie … wunderbar.
Zumindest im ersten Moment …
Wie gesagt, irgendwie wunderbar, langsam stellt sich Wärme ein, die Matratze ist besser als gedacht, der Magen im Moment ruhig gestellt – da beginnt das, was in jeder Beziehung, im Militär oder bei den Pfadfindern, unweigerlich zu Problemen führt: Schnarchen!
Eine Symphonie des Grauens
Das, was neben mir aus der Kehle Sebastians dringt, ist aber nicht einfach Schnarchen, es ist viel mehr als das, es ist ein Angriff auf Ruhe und Frieden an sich, eine Kakophonie von schaurigen Tönen, mit denen man kleine Kinder zu Tode erschrecken könnte, eine Symphonie des Grauens. Manchmal klingt es, als würde er in den letzten Zügen liegen, manchmal holt er lautlos Atem, um diesen dann in furchterregenden Schüben hinauszupressen. Gott im Himmel!
An Schlaf ist nicht zu denken, denn nun beginnt das, was man dann in solchen Fällen tut, man wartet auf den nächsten Angriff auf die Ohren und kann nicht schlafen. Und die blöden Ohropax habe ich zurückgelassen!
Nun, irgendwie vergeht die Nacht trotzdem, ich falle zwischendurch sogar in einen mehrstündigen Schlummer, der Punkt sechs durch die Geräusche des Morgens unterbrochen wird.
Keine Nostalgie, keine Verklärung, eher Staunen über die Tatsache, dass ich mich nach all den Jahren erneut in diesem wunderbaren Städtchen in der Bergen befinde.
Hier werde ich mich – genauso wie das letzte Mal – sehr wohlfühlen.
Ich frage mich, ob Mister Singh, unser Trekkingführer, noch hier lebt und ob er seine wunderbar anachronistische Art der Trekkingführung beibehalten hat.
Ich werde ihn suchen gehen …
Das Railroad Hotel
Das Railroad Hotel ist zwar recht neu, hat sich aber bereits einen Namen gemacht. Hier trifft sich alles, was ein echter Backpacker ist, das Durchschnittsalter dürfte unter dreissig liegen.
Ich kriege ein nettes Zimmerchen, in dem man sich durchaus ein paar Tage wohlfühlen kann. Das Bett ist weich, die Laken duften wunderbar sauber, es gibt einen Tisch mit Stuhl und ein Badezimmer.
Hier kann man sich wohlfühlen
Ein sehr besonderes Badezimmer
Hier muss ich doch etwas ausholen, denn dieses Badezimmer schreit danach, näher beschrieben zu werden. Ich bin überzeugt, dass bei der Planung (falls es denn eine gab) und Ausführung massiver Genuss von Betelnuss oder anderen Drogen eine Rolle gespielt haben muss.
Ganz von vorne: man muss zuerst eine ziemlich gefährliche Stufe hinab steigen, um den Boden zu erreichen, der permanent überflutet ist. Grund: der Konstrukteur hat vergessen, einen Ablauf für das Duschwasser einzubauen. So muss man der trockenen Höhenluft und anderen physikalischen Einflüssen Zeit lassen, das Ding auszutrocknen. Das ist aber noch nicht alles an Verrücktheiten.
Da der Boden wie erwähnt etwas gar weit unten ist, steht man vor einem Lavabo, das dafür viel zu weit oben ist, im Kurztext: man muss sich auf die Zehen stellen, um sein Gesicht sehen zu können. Haken sind nirgends zu sehen, also sind Ideen gefragt, wo man die Frottetücher und das Necessaire hinhängt.
Zum Schluss die Toilette: sie wurde wahrscheinlich wie das Lavabo auf der richtigen Höhe geplant, was – wen überrascht’s – dazu führt, dass man sich tatsächlich auf dem Thron fühlt und von weit oben auf die irdische Welt hinunterblickt. Burmesische Baukunst ist generell nicht sehr berühmt, aber dieses Badezimmer erhält tatsächlich die goldene Himbeere für das schlechtest geplante und noch schlechter ausgeführte Bauwerk westlich des Irrawaddy …
Das Leben ist gut
Aber sonst lässt sich absolut nichts Nachteiliges über das Etablissement sagen: das Personal ist freundlich und hilfsbereit, das Frühstück eines der sieben Weltwunder. Im Sekundentakt werden Früchte, Pancakes, Brot, Konfi, Butter, Kaffee gereicht, dass man kaum zum Atmen kommt. Mein Gott, das Leben kann so gut sein …
Essen wie der König in Frankreich
Noch zu erwähnen: der 3-Tage-Treck fällt ins Wasser und wird durch einen zweitägigen ersetzt. Grund: alle Agenturen sind restlos ausgebucht. Es muss auf diesen Touren zu- und hergehen wie am Carneval in Rio, also nein, nicht unbedingt etwas, was ich in voller Länge mitmachen möchte. Also steht mir ein zusätzlicher Tag in Kalaw zur Verfügung.
Wiedersehen
Schon beim ersten Besuch 2004 stellte Kalaw einer der Höhepunkte der Reise dar. Nicht nur wegen den angenehm kühlen Temperaturen (im Vergleich zum restlichen Burma), sondern weil die Stadt eine eigene Grazie ausströmt. Es herrscht eine entspannte Atmosphäre, die Leute sind freundlich und zuvorkommend.
Also freue ich mich auf ein Wiedersehen.
Auf den ersten Blick hat sich nicht viel verändert, auf den zweiten jedoch erkennt man den Einfluss des rasant wachsenden Tourismus. Es gibt nun an jeder Ecke Läden und Stände, wo es alles zu kaufen gibt, was das Backpackerherz erfreut. Dazu die üblichen Restaurants, die auf ausländischen Geschmack ausgerichtet sind.
Die burmesischen Eigenheiten sind dabei etwas untergegangen. Aber immerhin ist der gedeckte Markt im Zentrum noch da, immer noch voller Kleider und Hüte und Früchte und Gemüse und Dinge, die ich nicht identifizieren kann (siehe unten).
Was könnte das sein?Wer kauft all dieses Zeug?Alles auf Touristen ausgerichtet… und der obligate Früchte- und GemüsemarktKeine Ahnung, was es ist, aber es riecht
Ein kühler Abend
Ein paar ergänzende Worte zu Kalaw: es gibt an die 80’000 Einwohner, verteilt über die Stadt und die vielen Hügel der Umgebung. Zu Zeiten der Engländer war Kalaw eines der beliebten Bergdörfer, wohin man sich in den heissen Sommermonaten zurückzog.
Die Lage auf gut 1400 Metern ermöglicht ein angenehm kühles Klima, was ich bereits am gestrigen Abend und vor allem in der Nacht am eigenen Leib erfahren musste. Es wird nämlich saukalt. Sobald die Sonne verschwindet, sinkt die Temperatur schnell und macht das Sitzen in kurzen Hosen schnell einmal etwas unangenehm, so dass man sich in die vermeintliche Sicherheit des Hotels flüchtet. Nur ist es dort auch nicht wesentlich wärmer, verflixt!
Als leidenschaftlicher Frischluft-Fanatiker kann es natürlich nicht sein, dass ich nicht mindestens ein Fenster sperrangelweit offen lasse, was ich als böser Fehler erweist. Irgendwann so um zwei Uhr morgens pfeift mir eine Bise um die Ohren, dass es nur so kracht. Aufstehen und das Fenster schliessen? Viel zu kalt, also ziehe ich die Decke über den Kopf und gelobe Besserung.
Die Bahnstation in Kalaw
Heute aber ist die frostige Nacht vergessen, die Sonne brennt vom Himmel, und ich mache mich auf zu einem Waisenhaus, um endlich meine Farbstifte und Zeichenhefte loszuwerden.
Der kleine niedliche Bahnhof (für einen Zug, der nicht mehr fährt)Immerhin über 1300 Meter über Meer
Der Weg führt bei der Bahnstation vorbei, dort, wo wir 2004 sehr sehr lange auf den Zug warten mussten, der uns im Schritttempo zum Inlé-See führte. Alles ist noch so wie damals, doch hat man den Eindruck, dass sich bezüglich Technik im Bahnhofsbüro doch einiges verändert hat.
Die damaligen technischen Geräte, mit viel Stolz präsentiert
Das Waisenhaus
Und wen wundert’s – niemand scheint etwas von einem Waisenhaus gehört zu haben, nicht der Uniformierte, der etwas Undefinierbares bewacht, nicht der Portier beim Luxushotel, niemand auf der Strasse.
Muss ich das Zeug tatsächlich wieder nach Hause nehmen? Doch der Himmel hat ein Einsehen mit mir, denn der gepflegten Dame an der Reception ist doch noch in den Sinn gekommen, was ich gemeint haben könnte und weist mir den Weg zu einem grossen, etwas baufälligen Haus, das sich tatsächlich als das gesuchte Waisenhaus entpuppt.
Es handelt sich dabei um ein Kinderheim, das von einer Deutschen und ihrem Verein gegründet und unterstützt wird. 58 Kinder aus den besonders armen Regionen der Shan-Berge leben hier. Nur, wo sind sie? Ein junges Mädchen macht mir klar, dass sie alle an der Sonntagsandacht sind und erst am Nachmittag zurückkehren.
Solange möchte ich nicht hierbleiben und drücke die Spielsachen mit einem Gruss dem Mädchen in die Hand und verabschiede mich schnell, bevor die Überzeugung, ein besonders guter Mensch zu sein, allzu übermächtig wird (hier fehlt mir ein schief grinsendes Emoji) …
Die falsche Kirche
Eine Ergänzung: zwei Stunden später stehe ich vor einer Kirche, höre einen Chor Kinderstimmen und frage mich, ob das die Andacht sein könnte, wo meine in Zukunft malenden und zeichnenden Schützlinge beten, doch weit gefehlt. Eine resolute Dame macht mich auf den Fehler aufmerksam. Ich habe schlicht die falsche Kirche, die falsche Religion erwischt. Hier sind es Baptisten, die anderen sind Katholiken. Ach so.
Auf der Suche nach Mr. Singh
Dann weiter auf meinem Erkundungsmarsch. Ich hoffe immer noch, irgendwo den Führer, der uns bei der letzten Reise auf einem erinnerungswürdigen ganztägigen Trek als Führer begleitete, d.h. einen Tag lang durch die angrenzenden Hügel und Dörfer.
Man muss sich einen sanften Menschen vorstellen mit weicher Stimme und Manieren wie aus dem alten England, grossgewachsen, hager, mit dicken schwarzen Haaren, eine Erinnerung an seine indische Abstammung.
Und er wusste schlicht alles, was es zu wissen gab. Seine Augen blieben warm und freundlich, auch dann noch, als er uns erzählte, dass er früher Lehrer war und nun als Guide der einzige in einer Grossfamilie war, der gelegentlich etwas Geld verdiene. Zur Grossfamilie gehörten auch seine Söhne, beide studiert, mit ihren Familien, die keine Chance hatten, einen angemessenen Job zu finden.
Eine Oase des Friedens
Und dann – ganz unerwartet – stosse ich bei meinem Spaziergang auf einen buddhistischen Tempel. Die Mönche sind eben beim Essen (sorry für die schlechte Bildqualität, es musste schnell und unbemerkt gehen).
Mönche mit Hunger
Der Tempel (den wir beim letzten Trip verpassten) ist wie immer grossartig und strömt das aus, was immer da ist: eine ganz eigene innere Ruhe. Als wäre es eine Insel inmitten der Hektik des täglichen Lebens. Eine Oase des Friedens.
kunstvolle Gegenstände… an der zugehörigen GlockeEinfach nur schön ..Und noch ein Buddha …
Heimweg
Der Weg zu meinem Hotel führt über schmale Strassen mitten durch das Städtchen. Ein ziemlich fettes Schwein wird zum Abendspaziergang ausgeführt. Der Schweinehirt versteht kein Wort, dabei hätte ich ihn gern nach dem Schicksal der stattlichen Sau gefragt (was eigentlich klar ist).
Die Sau beim AbendspaziergangSkynet – da erinnert man sich doch gleich an den Terminator
Reisepläne
Das Lustige ist, dass ich zwar plane, Ende der Woche die Grenze nach Thailand auf dem Landweg zu überqueren, aber eigentlich niemand mit Sicherheit sagen kann, ob dies überhaupt möglich ist. Und da mein Burma-Visum am 1. Dezember abläuft, mir also höchstens noch zwei Tage bleiben, um ein Flugzeug zu erwischen, spiele ich momentan etwas Vabanque. Macht aber nichts.
Seit einiger Zeit hat Burma nämlich die Grenzen etwas offener gemacht, will heissen, dass man nun an vier Orten die Grenze nach Thailand überqueren kann. Gemäss Führer braucht es dazu aber ein Special Permit, das nur in Yangon mindestens 2 Wochen vorher beantragt werden muss und 85$ kostet. Einige Fellow-Travellers haben mir aber glaubhaft versichert, dass dies Unsinn ist. No problem, man, absolutely no problem! Wir werden sehen.
Merkwürdigerweise kann man den burmesischen Grenzort Tachileik nur via Flugzeug erreichen, da die Strasse entweder a) unpassierbar ist b) durch ein Gebiet der Aufständischen führt oder c) eine Verschwörung zwischen den Fluggesellschaften und der Regierung ist. Anyway, ich poste mir schon mal ein Ticket für den 28. November. Dann heisst es bye bye Myanmar. Bin jetzt schon irgendwie traurig.
Der Name Mandalay klingt so wunderschön, so alles umfassend, was die Idee des Orients ausmacht. Er zerfliesst auf der Zunge, schafft im Geist Bilder und Vorstellungen, von breitkrempigen runden geflochtenen Hüten über schlitzäugigen, lächelnden, ewig mysteriösen Gesichtern. Dahinter Sonnenuntergänge in den lieblichsten Farben, Rikschas, Früchte, Stände am Strassenrand, zarte Klänge von Melodien, der Geruch von Blumen, Mangos, Papyas in der Luft …
Das alles ist irgendwie da und doch nicht. Die Stadt selbst ist – auch bereits angesprochen – laut, stinkig, hässlich. Eine der vielen Metropolen in Asien, die vor lauter Wachstum aus allen Fugen geraten, ersticken im Verkehr, im Lärm, im Dieseldunst.
Kinder, Katzen, Hunde
Wie immer in armen Ländern sind Kinder die einzige funktionierende Sozialversicherung, sie sind der Garant, dass es auch im Alter jemanden gibt, der für einen sorgt. Also gibt es (muss es!) sehr viele davon. Und ehrlich – es kann gar nicht zu viele geben.
Sie sitzen, ohne einen Ton von sich zu geben, während Stunden im knatternden Zug, im zugigen Bus, vor oder hinter dem Fahrer auf dem Moped, eingehüllt in die Tragtücher auf dem Rücken oder auf der Brust der Mutter, und wenn man sie ansieht, zieht nach einer kurzen oder längeren Pause ein Lächeln über ihr Gesicht, das jedes Herz zum Schmelzen bringt.
Man könnte tausend Fotos machen, jedes anders, jedes gleich, jedes eine Geschichte.
Ein Kind spielt gedankenverloren mit einer Schachtel
Was wollte ich noch sagen? Ach ja, Hunde, Katzen und Kinder. Fangen wir mit den Hunden an. Kurz gesagt – sie sind einfach überall. Sie gehören ganz offensichtlich alle dem gleichen Modell an, der Urvater muss ein mittelgrosser, brauner, kurzfelliger Opa gewesen sein, der es schaffte, ein ganzes Land mit der gleichen genetischen Sorte auszustatten.
Dabei überrascht angenehm, dass es ihnen – obwohl in den meisten Fällen herrenlos – ziemlich gut zu gehen scheint. Selten ein abgemagertes oder krankes Tier, die meisten sind gut genährt, nicht gerade übergewichtig, aber in relativ gutem Zustand. Wenn ich an Indien denke … Sie sind – was man als Tourist dankbar erkennt – wenig aggressiv, ausser wenn es darum geht, den Kampf um eine läufige Hündin auszufechten. Dann geht es zur Sache, und das Heulen und Kreischen kann mitunter ganze Nächte dauern.
Katzen? Weniger häufig als Hunde, immer sehr scheu, von drahtigem, wehrhaftem Äusseren, immer gewappnet auf einen Angriff, wie es scheint, immer die Krallen gewetzt und bereit anzuwenden. Keine Schmusekätzchen, keine verwöhnten, wohlstandsverwahrlosten Tiere, sondern echte Raubtiere.
Cheeroots
Abseits der Hauptverkehrsachsen findet man kleine unerwartete Schönheiten, die alles andere, das Hässliche, mühelos wettmachen.
Dazu gehören die alten Leute, in einer der vielen versteckten Nebenstrassen, kleinen engen Gässchen, wo kaum zwei Fahrzeuge kreuzen können, sie sitzen auf ihren winzigen Hockern, und während sie gedankenverloren eine Zigarette oder einen Cheeroot, wie die burmesischen Zigarren genannt werden (nichts für westliche Lungen, das haben wir bereits ausprobiert) rauchen, schwatzen sie und lachen sie und haben eine gute Zeit.
Cheeroot – für Männer und Frauen
Oder das kleine Mädchen, das mich mit einem herzlichen Hello begrüsst und spontan zu sich nach Hause einlädt, die kleinen Jungs, die mangels Spielzeug ihre Schuhe für ein Wurfspiel missbrauchen. Wunderbar und genial zugleich.
Auch dort, wo der Verkehr braust, an den Kreuzungen, wo aus allen Ecken und Enden Vehikel aufeinandertreffen, bleibt die grundsätzliche Freundlichkeit und Gelassenheit bestehen. Die gleiche Situation in Zürich – Mord und Totschlag. Hier kein Problem. Man hupt und hupt nochmal … und fährt aneinander vorbei. Ohne Probleme, ohne Fluchen, ohne Kampf.
Wenn es etwas gibt, was man immer und jedes Mal aus Burma mit nach Hause nimmt (und vergeblich versucht, zuhause einen Teil davon im Alltag anzuwenden), so ist es diese umwerfende, immer wieder berührende Freundlichkeit der Leute. Ich kenne kein anderes Land, wo trotz unsäglicher Armut soviel gelacht und gescherzt wird.
Fabelhaftes Essen
Und das Essen ist fabelhaft. Manchmal weiss ich beim besten Willen nicht, was mir aufgetischt wird, aber es schmeckt schlicht köstlich.
Da meldet sich ein Pawlow’scher Impuls
Es sind Süssigkeiten, sie schmecken grandios
U Bein Brücke – nicht gefunden
Ich wollte noch etwas über eine sehr lange Velofahrt erzählen, mit dem Ziel, die U Bein Brücke ein letztes Mal zu sehen, und wie ich, fast erstickt im dichten Verkehr, nach mehr als einer Stunde das Handtuch warf und mich entkräftet in die nächste Beiz flüchtete. Aber das kennen wir in der Zwischenzeit, also lassen wir’s …
Das wäre die Brücke gewesen – sogar mit Sonnenuntergang
Wo ist der Bus?
Kurz vor neun am Busbahnhof in Mandalay stellen sich Fragen.
Ringsherum ein unbeschreibliches Gewirr von Leuten und irgendwelchen Vehikeln, von riesigen Überlandbussen mit getönten Scheiben über abgewrackte Ruinen von Kleinbussen bis hin zu all den Zubringern, den Trishaws und Tricycles, den Pickups und Traktoren und Fahrräder und weiss der Henker was sonst noch alles.
Die Frage ist nur – was machen wir hier? Wir stehen seit einer guten Dreiviertelstunde am gleichen Ort, der Chauffeur hat sich verdrückt, die anderen Passagiere – Burmesen – sitzen mucksmäuschenstill auf ihren zugewiesenen Plätzen.
Eigentlich wurde mir ein grosser Bus nach Kalaw versprochen, einer mit allem sozusagen, und ein Pickupdienst, der mich um halb acht abholt, zum Busbahnhof bringt und anschliessend im Bus verfrachtet.
Nur – da ist kein Bus, zumindest keiner, der so aussieht, wie ich mir das vorstelle, und die Leute hinter und neben mir machen nicht den Eindruck, als würden sie etwas anderes erwarten als eben diesen Minibus. Und da einmal mehr kein Mensch auch nur ein einziges Wort ausser Burmesisch spricht, laufen meine diesbezüglichen Fragen ins Nirvana.
Ich bereite mich innerlich auf die Tatsache vor, dass es einmal mehr heisst, in Optionen zu denken.
Oder anders ausgedrückt – Flexibilität ist gefragt. In einem Land, wo nichts, aber auch gar nichts sicher ist, eine unumgängliche Fähigkeit. Keine Tickets mehr für morgen? Dann halt übermorgen. Bus ausgebucht? Dann halt der Zug. Auch ausgebucht? Dann halt das Flugzeug. 1. Klasse voll? Dann die Holzklasse (falls nicht zu weit).
Dieses permanente Anpassen an sich ständig verändernde Bedingungen gehört bei Reisen dieser Art dazu und ist in vielen Fällen eben gerade das, was es ausmacht. Nichts für organisations- und sicherheitswütige Massentouristen, wo jeder Gang zur Toilette Monate vorher festgelegt wird.
Und da – plötzlich und unerwartet – taucht der Driver auf, packt eine Ladung Betelnuss in den Mund und prescht los, erstaunlicherweise in einem Pulk von 4 Fahrzeugen, allesamt vom gleichen Transportunternehmen (“since 2009”), nun denn also, auf in die Berge.
Wer ist der Schnellste?
Der Fahrer nimmt das sehr wörtlich, so wörtlich, dass manchmal der Atem still steht.
Zeigt der Tacho tatsächlich 120 an? Kann es sein, dass man bei diesen Strassenverhältnissen tatsächlich so schnell fahren kann? Man kann. Irgendwann erkenne ich den Grund. Die vier Fahrer, allesamt jung, allesamt gute Fahrer, allesamt Betelnusskauer, haben nur eines im Sinn, nämlich sich gegenseitig zu zeigen, wer auf der kurvenreichen Strecke nach Kalaw der Schnellste ist (ohne dass es Tote und Verletzte gibt).
Mein Bus mit Spiegelbild
Zunächst aber geht es die Ebene entlang nach Süden, die Strasse ist recht ordentlich (“Asian Highway”), also eine Art Autobahn, und tatsächlich, alle paar Kilometer taucht eine Mautstelle auf, und hinter schmutzigen Scheiben sitzen ernsthafte Damen oder Herren und verlangen den entsprechenden Obolus.
Von Mandalay nach Kalaw
Nicht, dass sich nun jemand eine Autobahn nach unserem Level vorstellt, oh nein, es ist wahrlich nur eine schlechte Landstrasse mit zwei getrennten Fahrstreifen. Auch hier gibt es Löcher und Gräben und Kühe und Fuhrwerke und Fahrradfahrer …
Wieder mal eine kurze PisspauseLady und Gent
Verkehrsregeln? Wofür?
Nach Thazi und einem kurzen Stopp geht’s langsam in die Berge. Ich kann mich beim besten Willen nicht an die Fahrt vor 11 Jahren erinnern (es war früher Morgen nach einer ebenso legendären Zugfahrt von Yangon). Und die Rückfahrt mitten in der Nacht – schemenhafte Erinnerungen an die Kurven blockierende Lastwagen, ein Halt im Nirgendwo, viel Staub und Lärm …
Zumindest die Strasse scheint in einem besseren Zustand zu sein (ansonsten der Fahrstil unserer Möchtegern-Formel 1 Fahrern in höchstem Masse suizidal gewesen wäre). Es geht in gigantischen Kehren aufwärts, während schwer beladene Lastwagen den Verkehr zum Beinahe-Stillstand bringen.
Allerdings ist zum besseren Verständnis zwingend zu ergänzen, dass in Burma niemand, wirklich NIEMAND sich an irgendwelche Verkehrsregeln hält.
Ich bin sicher, in irgendwelchen verstaubten Schubladen existiert ein burmesisches Verkehrsreglement, nur hat es den Weg in die Öffentlichkeit nie gefunden. Sicherheitslinien? Nie gehört. Überholen vor Kurven? Interessiert kein Schwein. Lichter im Dunkeln? Eine Lachnummer. Man hupt und hupt und hofft, dass der Entgegenkommende dann schon wissen wird, was zu tun ist.
Manchmal ist es besser, die Landschaft zu betrachten und sich nicht um den Verkehr zu kümmern. Denn die Aussicht ist phänomenal. Tief unten schlängelt sich die Strasse durch dichten Dschungel, gerade noch sichtbar als staubiges Band im grünen Drumherum.
Mit wenigen Ausnahmen ist der Urwald noch intakt, die Holzmafia hat hier also noch nicht zugeschlagen (wird aber früher oder später geschehen, darauf verwette ich mein letztes Hemd).
Erst kurz bevor wir die Hochebene erreichen, auf der Kalaw liegt, erkenne ich nun doch die eine oder andere Einzelheit, und kaum ist der Gedanke da, sind auch wir da, an der Hauptstrasse, und ich werde höflich hinauskomplimentiert. Mehrere Jungs mit Mopeds streiten sich darum, wer mich für 1000 Kyats zum Railroad Hotel bringen darf …
Ein furchtbar langer Weg zurück – mit vielen Umwegen.
Bhamo ist mit allen möglichen Transportmitteln zu erreichen, ein einziges erfüllt einigermassen die Bedürfnisse. Natürlich könnte man erneut das Boot nehmen, entweder den ganzen Weg nach Mandalay oder zumindest nach Katha und von da an wieder den Zug.
Keine gute Idee. Mit dem Flugzeug? Fliegt erst am Freitag..
Dann also auf der Strasse mit dem Bus
Allerdings gilt es zu beachten, dass der direkte, d.h. kürzere Weg durch aufständisches Gebiet führt, was im Moment ebenfalls nicht sehr intelligent wäre.
Der Bus muss in der Konsequenz einen massiven Umweg in Kauf nehmen und nicht nur das: die einzige verfügbare Strasse ist mehrheitlich unbefestigt, staubig, ein Flussbett. Kennen wir doch irgendwie. Sahara light sozusagen, aber was soll’s, packen wir’s. 15 Stunden sind angesagt, plus/minus ein paar zerquetschte.
Von Bhamo nach Mandalay
Ein letzter Gang durchs irgendwie ans Herz gewachsene Städtchen, einen letzten Kaffee Mixed, ein paar Esswaren für den langen Weg (es gibt tatsächlich eine Bäckerei, die allerhand Verführerisches anbietet). Der Busfahrer gibt schon ein paar Minuten vor vier ein paar Mal Gas, Fast and Furious in Bhamo, dann, als hätte er den Startschuss nicht abwarten können, prescht er zwei Minuten vor vier los.
Von aussen sieht er ganz in Ordnung aus …
Wir fressen Staub
Es wird eine denkwürdige, wenn auch viel angenehmere Fahrt als erwartet. Natürlich fressen wir Staub, dass es zwischen den Zähnen nur so knistert, natürlich hat man zuwenig Platz, und die Füsse schlafen ein, natürlich wird man hin und her geworfen, aber das ist kalter Kaffee im Vergleich zum Zug. Und der Driver kennt sein Metier. Er fährt die Strecke ab, als gälte es die Paris-Dakar-Ralley zu gewinnen.
Und so geht der Tag dahin. Man sieht aus dem Fenster, solange es was zu sehen gibt, armselige Hütten am Fluss, ein paar Kühe und Wasserbüffel, dann wieder der Fluss. Wer lebt hier? Manchmal taucht eine Gestalt – ein Mann, ein Kind? – ein paar Sekunden auf, kaum sichtbar, schnell verschwunden, als wollte sie sich nicht zeigen.
Das hier ist Armut, die wir uns nicht vorstellen können. Wir sind Voyeure, wir beobachten, ohne Teil der Welt zu sein, wir sind Spitzel aus der Fremde. Wir sehen zu, frösteln innerlich ein wenig über das Gesehene … und gehen weiter.
So ist unsere Welt.
Wir folgen lange Zeit dem Irrawaddy, erkennen die Schluchten und Abhänge und Hügel und fragen uns einmal mehr, warum dieser Fluss so grauenhaft verschmutzt ist.
Ich meine, der Mekong ist auch nicht die Limmat, niemand badet darin aus Freude am sauberen Wasser, aber das hier? Was zum Henker schwimmt da auf der Oberfläche? Ist es das, was ich denke, das es ist? Fäkalien? Ist der Fluss die Klärgrube für den ganzen Norden Burmas? Lieber Himmel …
Ein paar armselige Hütten am FlussWasserbüffel, ein paar Kühe im tristen Grau des frühen Abends
Und so geht die Fahrt weiter, döst ein bisschen, steigt bei jedem Halt aus, um sich die Füsse zu vertreten, macht es sich wieder bequem. Wir bewegen uns lange in westlicher Richtung, bis der Bus dann nach ein paar Stunden gegen Süden abzweigt.
Irgendwann fällt die Nacht über die Welt
Leute kommen, Leute gehen, man lädt zwanzig Säcke mit Knoblauch aus, ersetzt sie durch unzählige 50-kg Säcke mit weiss der Teufel was drin. Meine Sitznachbarin verschwindet irgendwann, ich werde sie nicht vermissen, hatte sie doch eine ziemlich eigenwillige Vorstellung von fairer Platzverteilung.
Der Kopf fällt vornüber, doch der Schlaf will nicht kommen, also sucht man in der Dunkelheit nach etwas Essbarem, kaut, schaut in die Nacht hinaus, zu den wenigen Lichtern. Wer lebt dort? Eine Bauernfamilie, versammelt um eine Oelpfunzel (elektrisch ist hier draussen Mangelware)? Ich weiss es nicht.
Oder das riesige verlassene Gebäude – eine ehemalige Fabrik? – wo genau ein Licht brennt? Wer könnte das sein? Fragen über Fragen, jede für sich unwichtig, aber das Denken darüber vertreibt die Zeit. Und macht schläfrig, und so gleite ich ganz und gar unerwartet hinüber, erwache zwar gelegentlich mit verquollenen Augen, aber wir sind noch nicht da, noch lange nicht.
Ein Zwischenhalt
Irgendwann ein längerer Halt, Mitternacht ist längst vorbei. Ich beisse in etwas Sandwichartiges aus der Bäckerei, doch der Blick auf einen kleinen weissen Hund, der apathisch am Boden liegt, vertreibt meinen Hunger. Ich weiss nicht, ob es am Sandwich liegt oder ob es ihm wirklich so schlecht geht, auf jeden Fall verschmäht er mein Angebot. Ich streichle ihn ein bisschen, vielleicht das erste, vielleicht das letzte Mal …
Ein Halt in dunkler müder Nacht
Angekommen
Und dann, an einem undefinierbaren Ort ohne Namen oder Bezeichnung erreichen wir Mandalay. Ich verabschiede mich von Ivo, der direkt weiter fährt und nehme ein Mopedtaxi zum Hotel. Es ist halb sechs, die Fahrt hat etwas mehr als 13.5 Stunden gedauert.
Man muss sich einen Ort vorstellen, der zwar über Land und Wasser und Luft erreichbar ist, aber durch seine besondere Lage eine gefangene kleine Insel inmitten von Dschungel und Niemandsland darstellt. Die Unruhegebiete der Aufständischen sind zwar nah, aber davon merkt man nicht viel.
Doch schon die Ankunft bei der Anlegestelle deutet darauf hin, an einem sehr besonderen Ort angekommen zu sein. Es herrscht eine andere Stimmung, seltsamerweise viel entspannter und gelassener als beispielsweise in Mandalay. Vielleicht hat es mit seinem besonderen Charakter als abgelegenes Eiland zu tun. Alles ausserhalb ist ausgesperrt, all die Verrücktheiten des modernen Lebens scheinen hier noch nicht angekommen zu sein.
Das ist schon mal ein guter Anfang.
Ein seltsames Hotel
Das Hotel liegt im Stadtzentrum (falls man dies als solches bezeichnen kann), es ist ganz ok, obwohl ich nicht meine ganzen Ferien hier verbringen möchte.
Das Zimmer müffelt etwas, und irgendwas an der Dusche ist seltsam. Einige TV Kanäle sind sogar als solche erkennbar (allerdings stört mich schon ein bisschen, dass mitten in Alien 3 der Strom ausfällt und der entsprechende TV Kanal anschliessend verschwunden ist; da ich den Ausgang der Geschichte aber kenne, kein wirkliches Problem).
Die Rezepte des Doktor Tayzar Soe Myint
Die verflixte Erkältung, die mich seit dem Ghostrider-Trip verfolgt, hat erneut zugeschlagen (die eiskalte Nacht im Zug hat das ihrige dazu beigetragen). No Problemo würde Arnold Schwarzenegger sagen, aber der zunehmend heftige Husten macht mir etwas Sorgen, also beschliesse ich, die Segnungen des burmesischen Gesundheitssystems auf Herz und Nieren zu prüfen. Ein paar Schritte vom Hotel befindet sich ein Private Health Center.
Private Health Center? Klingt doch ganz annehmbar.
Angesichts der vielen Wartenden bereite ich mich auf eine längere Geschichte vor, aber nein, Ausländer erhalten wieder mal eine gesonderte Behandlung. Nach der initialen Identifikation werde ich in ein Zimmer geführt, wo ich von einem jungen Arzt und einer Entourage von knapp 10 Personen erwartet werde.
Ich fühle mich wie eine seltene, längst ausgestorbene Spezies, die nun wissenschaftlich untersucht werden soll. Dann also hinlegen, Blutdruck wird – anfänglich über den Ärmel meiner Jacke – von einer jungen, hübschen und ein bisschen schüchternen Dame genommen.
Das Nicken des Dottore kann alles bedeuten, aber weiter geht’s in ein anderes Zimmer, wieder hinlegen, eine neue Dame erscheint, sie misst eventuelles Fieber, was aber nicht da ist. Dann der Auftritt des Arztes: sein Englisch ist recht ordentlich, er fragt nach der Krankengeschichte, nach möglichen Allergien, nach anderen Krankheiten oder notwendigen Medikamenten.
Und so schreibt er mir ein Rezept aus, selbstverständlich auf Burmesisch, es ist lang und mit Zeichnungen, offenbar meiner Lungenflügel, ergänzt. Meiner Lungenflügel? Das macht mir nun doch etwas Sorgen, und ich frage nach.
Doch Zeichnungen gehören offenbar zwingend dazu, auch wenn nichts Ernsthaftes zu befürchten ist. Rest and drink a lot, sagt er mit ernster Miene. Werde ich machen, verspreche ich, und nehme bei der Apothekenabteilung mehrere Medikamente (die sehr farbig und sehr wirksam aussehen) und einen orangefarbenen Hustensirup entgegen. Die Rechnung werde ich zuhause wohl eher nicht über die Krankenkasse abrechnen. Behandlung = 4000 Kyats (4 Fr.), Medikamente = 5000 Kyats.
Was mir tatsächlich verschrieben worden ist, weiss ich nicht. Jonathan, der UNHCR Schweizer, glaubt, dass zumindest eines der Medikamente ein Antibiotikum sein muss. In diesen Landen wird zuerst und immer Antibiotika verschrieben. Na ja, Hauptsache, es nützt.
Der ehrwürdige Mr Sein Win
Immer wieder – auf diesen Reisen ganz besonders – lernt man Menschen kennen, die vieles auf den Kopf stellen, was man bisher gewusst zu haben glaubt. Sie gehören einem ganz besondere Typ Mensch an. Jenem mit Träumen.
Einer davon ist der ehrwürdige Mr. Sein Win. Wir finden ihn in einem weissgestrichenen Häuschen, das mehr Werkstatt als Wohnhaus zu sein scheint.
Wir möchten eigentlich einen halbtägigen Veloausflug mit ihm unternehmen, bleiben jedoch bereits in seinem Haus stecken, denn das, was er uns voller Stolz präsentiert, verdient tatsächlich besondere Beachtung.
Mr. Sein Wins Haus und WerkstattMr Sein Win und seine Flugmaschine
Ein flugfähiger Helikopter
Dieser steht nichts etwa in der Werkstatt, oh nein, er steht mitten im Wohnzimmer (falls es das ist), ein auf den ersten Blick nicht unbedingt als Helikopter erkennbares Ding aus Metall.
Aus seinen Erklärungen entnehmen wir, dass er ihn aus alten Wasserröhren zusammengeschweisst hat (so sieht er auch aus), er besitzt einen Propeller, einen abgewetzten Sitz (offenbar haben Hundertschaften seiner Kunden sich darauf gesetzt), Steuerungskomponenten, eigentlich alles, was zu einem ordentlichen Helikopter gehört. Für die Steuerung hat er sich mangels Alternativen etwas Spezielles ausgedacht, was unserer bescheidenen Meinung nach auch tatsächlich funktionieren könnte.
Nur eines fehlt – der Motor! Leider besitzt Herr Win die notwendigen 2500 $ nicht, um sich den 45 PS Motor kaufen zu können. Die Geschichte der Entwicklung ist lang und voller technischer Einzelheiten, die durchaus Sinn machen. Allerdings macht mich die Vorstellung, dass er tatsächlich eines Tages mit diesem Ding in die Lüfte abheben will, doch etwas Bange. Für sein Seelen- und alles andere Heil hoffe ich für ihn, dass sein Traum immer ein Traum bleiben wird.
Ich glaube nicht, dass ich damit fliegen möchte
Tempel und Handwerker
Nach der Verabschiedung von Mr. Sein Win (es bleibt Wehmut und ein bisschen Trauer über den Erfolg/Misserfolg des ehrwürdigen alten Ingenieurs), setzen wir uns auf die etwas herunterkommen aussehenden Fahrräder und besuchen die Umgebung Bhamos.
Irgendwo stossen wir auf den/die unvermeidlichen Tempel und Stupas, aber viel interessanter sind – wie immer – die Menschen.
Pläne und DiskussionenAltertümliche WerkstattSchaufel und Pickel – wie vor hundert Jahren
Trotz der sichtbaren Armut legen die Menschen eine gelassene und optimistische Energie an den Tag (es bleibt ihnen auch nichts anderes übrig). Es wird mit den Mitteln, die vorhanden sind (vergleichbar mit den 50-er Jahren in Europa), gearbeitet, also mit altmodischen Maschinen zum Sägen, mit Pickel und Schaufel beim Strassenbau.
Es ist seltsam, aber auf irgendeine unverständliche Weise beneidet man sie.
Drei Schritte vor, zweieinhalb zurück
Am Abend stellt uns Jonathan, der für das UNHCR arbeitet, sein Haus vor. Man tritt durch eine Art Tor direkt ins Wohnzimmer, was sich letztlich als grosser geräumiger Raum entpuppt, mit einem schönen Riemenboden, mit Wänden aus Holz.
Das ist mehr oder weniger aber auch schon alles. Zwei Sessel sind vor einem grossen TV Apparat angeordnet, beleuchtet von einer schrecklichen grellen Glühbirne, die allem einen kränklichen Eindruck verleiht.
Es gibt eine Art Küche, eine Art Badezimmer und Dusche, ein ganz ordentliches Schlafzimmer. That’s it. Man stelle sich ein Bauernhaus Anfang 20. Jahrhundert vor, dunkel, rauchgeschwärzte Wände und Decken, irgendwo ein Ofen oder eine Feuerstelle, alles sehr einfach und ärmlich.
Ich bin sicher, dass ich in diesem Haus nach dreissig Minuten die erste depressive Verstimmung hätte.
Aber ihm gefällt’s, und das ist die Hauptsache. Man muss offenbar zu einer Species gehören, die alles ein bisschen weniger eng sieht. Seine Arbeit bestätigt diese Annahme. Er ist im Auftrag des UNHCR als Koordinator für die Flüchtlingscamps verantwortlich, d.h. für die tausenden von Kachin Refugees, die aus ihren Dörfern vertrieben wurden und nun seit Jahren in Camps darauf warten, in ihre zerstörten Dörfer zurückkehren zu können.
Drei Schrittchen vorwärts, zweieinhalb grosse Schritte zurück, das ist für ihn Daily Business. Mühselige, endlose Verhandlungen mit der Regierung, mit den Aufständischen, mit den vielen christlichen Kirchen, die als einzige etwas für die Flüchtlinge tun, aber seit langem an ihre Grenzen kommen.
Das ist definitiv eine andere Welt, die uns durch die rosarot gefärbte Touristenbrille meistens vorenthalten bleibt …
Morgensonne, es ist noch früh, ein laues Lüftchen weht um die Nase.
Ein perfekter Beginn eines perfekten Tages. So hoffe ich. Denn heute gilt es, auf dem Irrawaddy nach Bhamo zu fahren.
Der Irrawaddy
Es könnte ein Meer sein, das vor mir liegt, doch es ist nur ein Fluss, mächtig, breit, das andere Ufer kaum zu erkennen. Wenn ich nicht den Mekong längst zu meinem Lieblingsfluss ernennt hätte, würde es definitiv dieses braun-dreckige Gewässer sein, auf dem ich die nächsten Stunden verbringen werde.
Einzelne Boote kreuzen einsam auf dem Wasser, vielleicht Fischerboote, vielleicht Transportboote. Wer weiss das schon. Es ist beinahe still, ein paar Stimmen übertönen das leise Rauschen des Wassers.
Eigentlich bin ich viel zu spät auf diesem Riesenfluss.
Der ursprüngliche Plan sah vor, das Boot in Richtung Norden bereits in Mandalay zu nehmen. Es hätte länger gedauert, wäre vielleicht auch mühseliger gewesen, doch das Erlebnis hätte ein grandioses sein können. Die Versuchung, den verrückten Zug nach Norden zu nehmen (siehe vorherige Kapitel), und erst in Katha auf das Schiff umzusteigen, hat letztendlich den Ausschlag gegeben.
Speedboat
Und so sitze ich also eine Stunde vor Abfahrt vor Ort, das heisst beim kleinen Holzhäuschen, in dem ein freundlicher junger, englisch sprechender Mann (eine Seltenheit in Katha) Tickets für das sogenannte Speedboat verkauft. Das Wetter ist freundlich, nicht allzu heiss, nichts steht einer wunderbaren achtstündigen Fahrt auf dem Irrawaddy entgegen.
Wie zu erwarten ist das Boot voll (ich habe in diesem Land noch nie erlebt, dass ein Vehikel nicht vollständig ausverkauft war). Man sitzt in Zweierkolonnen nebeneinander, ich auf Sitz 54, den mir ein guter Freund ans Herz gelegt hat.
Den Grund für diesen Vorzug erschliesst sich mit allerdings nicht, er ist genauso durchgesessen und unbequem wie alle anderen auch, aber sei’s drum.
Hier bin ich nun also, seltsamerweise die Füsse in der Luft, denn zwischen ihnen und dem Schiffsboden gibt’s in Gottes Namen nur Luft. Dies wird sich in ein paar Stunden als äusserst mühsam erweisen, denn der Mensch braucht Halt, und sei es bloss der Kontakt mit einem festen Untergrund.
In 2er-Reihen nebeneinander (das Bild täuscht eine Unterbesetzung vor, kurz vor Abfahrt füllt sich das Boot bis auf den letzten Platz)
Vollbesetzt
Auch eine Möglichkeit, die langen Stunden zu verbringen
Das Schiff selbst ist vielleicht zwanzig Meter lang, hat Platz für ca. 100 Passagiere (ein dichter Menschenknäuel von Eingeborenen macht sich auf einer Art Plattform bequem) und beherbergt die Mannschaft (die ich allerdings nie als solche erkennen kann) in einem abgeschlossenen Häuschen.
Ein besonderes Erlebnis sind die Toiletten, die am Heck angebracht sind. Durch das offene Dach schaut man den Wellen zu, die vom Schiff aufgewirbelt werden, während man der Natur ihren Lauf lässt.
Landsleute
Es gibt tatsächlich noch einen Ausländer auf dem Boot, ein anderer Schweizer. Wir klettern aufs Dach und während das Ufer an uns vorbeizieht, tauschen wir unsere Reiseerlebnisse aus, ein immer wieder spannender Mix aus Bekanntem und Unbekanntem.
So funktioniert der Informationsbazar, die Drehscheibe, auf der neue Ideen geboren und Pläne kurzfristig geändert werden.
Es gibt nichts Schöneres als eine Reise auf dem Dach
Wir verstehen uns auf Anhieb gut, sicher auch gefördert durch die Tatsache, dass sich unsere Reisestrategien sehr ähnlich sind. Auch er kann aus einem unerschöpflichen Fundus von Erlebnissen erzählen, manchmal kommt man sich vor, als gäbe es einen Wettbewerb, wer nun wirklich der grösste Spinner ist (Einwand: die wirklichen Spinner sind viel, viel verrückter als wir; das sind Leute, die beispielsweise mit dem Fahrrad von Moskau zum Polarkreis fahren – im Winter!).
Kleine Ansammlungen von Hütten gleiten geisterhaft still vorbei
Wäsche am grossen Fluss; immer wieder wunderbar die vielen bunten Farben
Fliegende (schwimmende) Händler
Die Stunden gleiten vorbei, wie im Traum, nur das ratternde Geräusch des Motors, die leisen Stimmen der dösenden Passagiere dringen durch das leise Raunen des Flusses.
Alle paar Stunden taucht ein Boot auf, nimmt Fahrt auf, gesellt sich längseits zu unserem Schiff. Es sind fliegende Händler, die ihre Waren auf dem Schiff verkaufen wollen. Eine willkommene Abwechslung für das müde Auge.
Andocken …
Getränke …
Süsses …
Undefinierbares …
Manchmal ein anderes Schiff
Manchmal kreuzt ein Schiff, meistens bunt bemalt und mit anderen Passagieren voll beladen. Man winkt sich zu, wünscht sich eine gute Fahrt.
Reise in die andere Richtung
Manchmal gegen Osten, dann wieder Norden
Die Ufer des Irrawaddy ziehen vorbei, manchmal ein Dorf, ein paar Hütten, ein Tempel oder eine Stupa, dichter oder gerodeter Dschungel, weite Kehren nach Norden, dann wieder Osten.
Gegen Abend kündet Rauch in der Ferne das Nahen der Zivilisation an, und tasächlich, wir werden erwartet. Es erinnert mich an die Ankunft in Siem Reap, das Boot legt unter Ächzen und Zittern an, und wir sind da.
Wir werden erwartet …
Gegen Abend dann der unvermeidliche Sonnenuntergang, diesmal über dem Irrawaddy, immer betörend, immer berührend, auch wenn schon tausend Mal erlebt.
Jonathan
Abendessen in einem Restaurant, ein einziger Weisser sitzt da und isst – ein Schweizer, Jonathan, der seit einem Jahr hier lebt und für das UNHCR arbeitet. Seine Geschichte lohnt sich, ausführlicher zu beschreiben, aber dazu später …
Mitternacht vorbei, es ist beinahe still geworden.
Mit Ausnahme des Mark durchdringenden Geräusches von Metall, das auf Metall trifft. Seien es Räder, die auf Schienen schlagen, Stossdämpfer auf was auch immer die aufstossen, Wagenwände gegen Wagenwände, alles, was irgendwie zusammenhält und auseinander gerissen zu drohen scheint.
Der buddhistische Mönch schaut immer noch stoisch auf sein Mobile, ich habe einen Blick riskiert und gesehen, dass er einen ziemlich brutalen Action-Film am Laufen hat. Manchmal scheinen auch dem Jenseits zugewandte Seelen ein Bedürfnis nach weltlichen Dingen zu haben. Ich gönne es ihm.
Was kann man in dieser Vorhölle auch anderes tun …
Physikalische Grenzfälle
Manchmal kommt der Moment, wo man denkt, das ist es, jetzt entgleist der Zug.
Es kann einfach nicht sein, dass er noch auf den Schienen bleiben kann. Irgendjemand hat einige Tage später eine plausible Erklärung dafür, dass es eben doch nicht geschieht: da der eine Wagen immer in die Gegenrichtung des dahinter oder davor fahrenden kippt, heben sie sich physikalisch sozusagen auf. Sie halten sich gegenseitig im Gleichgewicht.
Es klingt zwar absonderlich, und jeder Physikstudent würde vermutlich einen Schreikrampf kriegen, aber irgendwie funktioniert’s. Erst wenn alle Wagen gleichzeitig in die gleiche Richtung kippen, wird’s gefährlich.
Menschenknäuel am Boden
Das Klappern bleibt die immerwährende Begleiterscheinung im Hintergrund, während wir, müde und erschöpft, in unseren Sitzen hängen. Der nächste Wagen ist eine sogenannte Ordinary Class, Holzsitze, kaum Platz, vollgestopft mit Frauen, Männern, Kindern, Babies, Reissäcken, Gepäckstücken, Tuchballen …
Niemand scheint es zu stören. Nach Mitternacht wird das Gepäck auf die Sitze verstaut, während man es sich am Boden gemütlich macht. Na ja, gemütlich nicht gerade. Man muss sich einfach einen in sich verwobenen Menschenknäuel vorstellen, der sich den ganzen Gang entlang zieht, sich auf den Zwischengang fortsetzt, die Tür zur Toilette blockiert, die Ausgänge besetzt.
Hat man also irgendwann die wirklich schlechte Idee, das WC aufsuchen zu müssen, muss man über Arme und Beine und schlafende Kinder hinwegsteigen und mit viel Kraft versuchen, die Tür zur Toilette zu öffnen. Was dem Schläfer davor ein grimmiges Knurren entlockt …
Ein Menschenknäuel am Boden
Aber irgendwann wird es hell, eine geisterhafte Welt steigt empor, der Wind treibt Nebelschwaden wie weisse Schafe vor sich her. Wir sind kurze Zeit später da, in Naba, allerdings hätte ich ohne des Hilfe eines englisch sprechenden Jungen kaum erkannt, wann ich aussteigen muss. Es ist sieben, die Sonne geht auf.
Burmesische Anmache
Ich werde wie alle anderen Reisenden auf ein sogenanntes Tricycle verladen und nach Katha gefahren.
Mir gegenüber sitzt eine sehr gepflegte ältere Dame, sie trägt eine silberne Strickmütze auf dem Kopf. Nach eingehender Musterung meiner Person beginnt sie, auf mich einzureden, und während ich keine Ahnung habe, was sie will oder wovon sie spricht, lachen sich die übrigen halbtot. Auf jeden Fall verstehe ich irgendwann ihre Zeichensprache. Sie hält zuerst sechs Finger auf, dann fünf und zeigt auf sich. Soll das heissen, dass sie fünfundsechszig ist?
Macht mich die Dame an?
Ayaurveddy Guesthouse
Auf jeden Fall bin ich in Katha, das Hotel Ayaurveddy Guesthouse ist reserviert, entpuppt sich allerdings als eine nicht mal für mich annehmbare Unterkunft.
No Sir! Warum ein Grossteil der jungen Travellers ausgerechnet dieses Etablissement als Unterkunft wählt, ist mir schleierhaft. Ich hatte eigentlich ein Zimmer mit Bad reserviert, aber dieses scheint nun geisterhafterweise bereits vergeben zu sein. Und die dazugehörige Dusche entpuppt sich als schmutziges Loch mit einem Kübel Wasser am Boden. Es scheint, dass der Hotelwirt ganz froh ist, den missmutigen Gast vom Leib zu haben.
Nun gut, das alternative Hotel ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss, aber für eine Nacht, warum nicht? Das Zimmer ist unglaublich klein, ich komme mir vor wie in einem Kleiderkasten, aber wie gesagt, was soll’s, das ist Burma.
Aber erst mal etwas essen. Der Magen verlangt nach den anstrengenden Stunden im Zug Nachschub, also setze ich mich in das erstbeste Restaurant und bestelle einen Kaffee plus Frühstück.
Das sind genau die Restaurants, die ich liebe; etwas schwummrig, lärmig, unendlich viel zu sehen und zu hörenEndlich Frühstück – Kaffee mit Milchpulver (sieht schlimmer aus als es schmeckt)
Der grosse Fluss
Nun wie gesagt Katha ist ein kleines Dorf im Norden, direkt am Irrawaddy gelegen. Boote bringen allerhand Krimskrams und Menschen von einem Ufer zum anderen, es herrscht sozusagen eine gelassene Hektik.
Transportboote auf dem IrrawaddyEin emsiges Treiben …
Burmese Days
Die Strassen sind mehrheitlich unbefestigt, gesäumt von Teestuben und kleinen Läden. Es herrscht eine geruhsame Stimmung, man ist hier nicht der Mittelpunkt der Welt, die Uhren ticken anders.
Bekannt ist das Dorf eigentlich nur durch George Orwell geworden. Hier verbrachte er 1926 seinen Dienst in der Armee und benutzte seinen Aufenthalt im Krankenhaus (Denguefieber), um seinen berühmten Roman „Burmese Days“ auf der Basis seiner eigenen Erfahrungen zu skizzieren. Ich habe ihn vor Jahrzehnten gelesen, viel ist mir nicht geblieben, nur der unendlich traurige Schluss, wo sich der Protagonist, angeekelt durch die Dummheit und Arroganz seiner Landsleute, umbringt. Zuvor gibt er seinem über alles geliebten Hund Flo den Gnadenschuss.
Aber lesen, unbedingt lesen!
Karneval?
Ich weiss nicht, was der Umzug am Nachmittag bedeutet. Ist es eine Art Karnevalsumzug? Oder eine politische Manifestation? Auf jeden Fall ist es sehr laut und lärmig, die Lautsprecher klingen blechern, übertönen die lauten Rufe der auf den Wagen sitzenden Leute. Sehr seltsam …
Eine Feier?Politik?Eine Hochzeit?
Zeit und Neugier
Wie meistens ein wunderbares Erlebnis. Alles, was es braucht, ist Zeit und Neugier. Das sind die beiden unabdingbaren Eigenschaften im Gepäck jedes Reisenden. Denn dann öffnet sich eine wunderbare Welt der Gerüche, der Klänge, der Eindrücke. Es erinnert mich an einen Ausschnitt aus Eine Schlange in der Dunkelheit:
Der Duft von gebratenem Fleisch und frischem Fisch mischte sich mit dem fremdartigen Aroma von Pfefferschoten, die auf Tüchern ausgebreitet waren, von Muskatnuss und anderen Gewürzen, gelben, roten, braunen, schwarzen. Es roch nach ausgestopften Vögeln und nach solchen, die noch lebten und in ihren viel zu kleinen Käfigen kreischten und fiepten und einen Höllenlärm veranstalteten, nach geröstetem Brot und Süßigkeiten, frischen Kuchen und Nüssen, nach kandierten Früchten, Marzipan, Konfekt und Pralinen und Tafeln aus gebranntem Zucker.
Die Verkäuferin bietet sehr appetitliche Dinge anEine Einladung zum Mitfahren?HauptstrasseSeltsames Gebäude 1Seltsames Gebäude 2Garküche am StrassenrandEs hat seinen Dienst getan, die Zukunft sieht eher schlecht aus
Rei oder Rice?
Etwas später am Abend Sweet and Sour Chicken auf einer Terrasse über dem Fluss. Ich möchte Reis dazu, doch der mich bedienende Junge behauptet standhaft, dass es solchen nicht gibt. Keinen Reis in Myanmar? Also gehen wir zusammen in die Küche, und ich zeige ihm, was Reis oder Rei, wie es hier ausgesprochen wird. Ach so, sagt sein Gesicht, DAS ist Reis?
Blick auf den riesigen Fluss beim NachtessenChicken mit Rei oder Rice?
Ich dachte immer, dass die Zugfahrt durch die Atacama Wüste in Chile das mit Abstand verrückteste Bahnabenteuer war.
Ist es aber nicht. Immerhin ist heute der 13. November. Ein schlechtes Omen?
Es gibt tatsächlich einen Zug von Mandalay nach Norden bis nach Myitkyina. Dass es ein Höhepunkt meiner Bahnfahrten werden wird, dämmert mir erst nach der Abfahrt. Aber alles schön der Reihe nach.
Ich werde bereits in Naba aussteigen und dann nach Katha fahren, der Stadt, die durch George Orwells Burmese Days weltberühmt geworden ist. Und ja, dann beginnt der Abschnitt, auf den ich mich am meisten freue – die Fahrt auf dem Irrawaddy bis nach Bhamo.
Das Land ist gross und weit und grün …
Auf jeden Fall bin ich stolzer Besitzer eines Tickets nach Amba im Norden, Abfahrt nachmittags um vier, Ankunft morgens um sieben. Und ich verabschiede mich von den zwei wunderbaren Ladies an der Reception des Hotels.
Good Bye lovely Ladies!
Finsternis in der Armut
Es ist jetzt 2 Uhr mittags, ich habe eben Vegetable Springrolls gegessen und sitze nun vor dem letzten Kaffee vor der Abfahrt des Zuges. Ich bin Gottlob nicht abergläubisch, sonst müsste ich dem heutigen Zugsabenteuer skeptisch entgegenblicken. Natürlich gibt es keinen Sleeper, nur eine sogenannte Upper Class. Das werden harte Stunden, lieber Himmel, und ich weiss tatsächlich nicht, wie lange ich mir das noch antun will.
Aber fangen wir ganz am Anfang an, am Bahnhof in Mandalay, oder genauer gesagt, dort, wo die Finsternis der Armut am tiefsten ist, dort, wo kleine Kinder sich neben Müllhalden im Dreck wälzen, während ihre apathischen Eltern auf eine Matte sitzen … und in ihr Handy starren.
Auch wenn man’s kaum glauben kann, diese Leute wohnen hier …
Oh ja, Armut ist das eine, aber Verzicht auf das Handy? Niemals. Die Armut ist in den Aussenbezirken der Grossstädte oder eben bei den Bahnhöfen am schlimmsten. Hier steigt man buchstäblich über Menschen hinweg, die am untersten Rand der Gesellschaft leben …
Warten auf die AbfahrtLetzte Verpflegungsmöglichkeit
Upper Class nach Naba
Der Zug nach Naba steht bereit, mein Sitz in der Upper Class wird mir zugewiesen, auf den ersten Blick keine schlechte Wahl.
Zwei ältere Damen sitzen auf der anderen Seite, der knapp bemessene Raum vor ihren Füssen vollgestopft mit etwas Undefinierbarem. Meinen fragenden Blick beantworten sie mit einem lauten Lachen und packen einen der mit Papier umwickelten Gegenstände aus. Er entpuppt sich als wunderschöne weisse Blume, etwas Magnolien-Ähnliches. Ich verstehe natürlich nicht, was sie mir mit ihrem Redeschwall mitteilen wollen, aber ich gehe mal davon aus, dass sie in Mandalay eingekauft haben und die Blumen nun im Norden verkaufen wollen. Ich wünsche den zarten Blumen alles Gute auf dem langen Weg …
Der Zug ist sehr lang und sehr voll. Allerdings – wer hätte das gedacht? – scheine ich mal wieder der einzige Ausländer zu sein. Diese Tatsache wird von Anfang an gebührend zur Kenntnis genommen, und die neugierigen Blicke werden mich die nächsten Stunden auf dem Weg begleiten.
Riding the Iron Rooster
Nun denn, satteln wir das eiserne Pferd. Riding the Iron Rooster. Wer Paul Theroux, den berühmten kanadischen Reiseschriftsteller kennt, weiss, wovon ich spreche. Seine Reisen mit dem Zug durch Amerika (The old Patagonien Express) oder durch Asien (The great Railway Bazaar) sind legendär. Und eben, Riding the Iron Rooster, seine Reise durch Sibirien und China. Wunderbar!
Paul Theroux, der Autor der Zugreiseklassiker The Great Railway Bazaar und The Old Patagonian Express, geht mit diesem Bericht seiner epischen Reise durch China erneut auf die Schiene. Er springt als Teil einer Reisegruppe in London an Bord und macht sich auf den Weg zur Grenze nach China. Dann verbringt er ein Jahr damit, das Land zu bereisen, wo er eine faszinierende Momentaufnahme eines einzigartigen Moments in der Geschichte zusammenstellt. Von den kargen Wüsten Xinjiangs bis zu den Eiswäldern der Mandschurei, von den dichten Metropolen Shanghai, Peking und Kanton bis zu den trockenen Hügeln Tibets bietet Theroux ein unvergessliches Porträt eines großartigen Landes und eines außergewöhnlichen Volkes.
Der Zug bockt und schlägt aus
Aber eben, das eiserne Pferd scheint sich dem Zureiten bis anhin erfolgreich verweigert zu haben. Es bockt und schlägt nach allen Seiten aus.
Natürlich kommt das bekannt vor, nur erweist sich einmal mehr, dass etwas Schlimmes immer getoppt werden kann. Der besagte Trip nach Hsipaw ist im Vergleich zum Zug nach Naba ein laues Lüftchen. Nun geht es wirklich zur Sache. Die Gepäckstücke über den Köpfen der Reisenden müssen zur Sicherheit angebunden werden, denn sonst werden sie gnadenlos durch das Abteil geschleudert. Übertreibung? Höchstens ein bisschen.
Lange 15 Stunden
Auf jeden Fall werden die Stunden von nachmittags vier bis morgens um sieben sehr lange 15 Stunden. An Schlaf ist nicht zu denken, nicht mal ein Cowboy, der sich gewohnt ist, an Rodeos wild gewordene Kühe zu reiten, würde hier ein Auge zumachen. Niemand kann das, ausser man ist tot.
Aber die Fahrt hat erwartungsgemäss ihren eigenen Reiz. Irgendwie schweisst das gemeinsame Erlebnis zusammen, man fühlt sich einander nahe im gemeinsamen Leiden. Und es wird gelacht, geschwatzt, gegessen, getrunken. Zwei kurze Stunden lang ist es hell, dann versinkt die Sonne in einem tadellosen Untergang.
Ein tadelloser Sonnenuntergang
Ich realisiere kurz, dass ich bei ihrem erneuten Erscheinen immer noch in diesem vermaledeiten Zug sitzen werde. Und dann wird es dunkel, es wird kälter, nun beginnt die lange frostige Nacht … Es erinnert mich an eine andere legendäre Eisenbahnfahrt, es ist lange her, aber eingebrannt in mein Gedächtnis. Ich versuche mich zu erinnern …
November 1981 – Chile
Die Busfahrt von Antofagasta in die Atacamawüste verschafft mir einen ziemlich guten Eindruck dessen, was mich die nächsten Stunden erwartet. Man stelle sich den Mars vor, rötlich-bräunlich-gelblich, irgendwie verrostet, kein Lebenszeichen, keine Pflanze, einfach Steine, Sand und nichts weiter.
Atacama-Wüste – Nichts ausser Sand und Steine … und Hitze
Der Bahnhof liegt irgendwo mitten in der Wüste, es ist so heiss, dass die Luft flimmmert.
Ausser zahlreichen Indios warten auch einige Travellers auf die Abfahrt des Zuges. Wie soll ich sagen, er entspricht nicht unserer Vorstellung eines Zuges, es ist mehr eine Art Güterzug für Reisende. Als Fenster dienen einfach vergitterte Öffnungen, durch die, nachdem sich der Zug endlich in Bewegung gesetzt hat, ein laues Lüftchen weht. Die Tatsache, dass sich alle Indios nach dem Einsteigen sofort sämtliche bereitgelegten Wolldecken unter die Nägel reissen, ist doch etwas irritierend. Wolldecken? Bei dieser Hitze?
Erstklass-Abteil?Ein Zug in der Wüste
Eine kalte Nacht
Ein paar Stunden später – der Zug hat nun die Atacamawüste hinter sich gelassen und strebt nun den höher gelegenen Gebieten zu, während es vor den Fenstern eindunkelt – wissen wir den Grund.
Mit jedem Meter, den wir höher fahren, scheint es ein Grad kälter zu werden, und Gott, es wird fürwahr eine der kältesten Nächte meines Lebens. Während sich die Indios grinsend in ihre Wolldecken lümmeln, versuchen die gelackmeierten Ausländer das Beste aus ihrer Situation zu machen. Man zieht sich alles über, was der Rucksack hergibt und steigt anschliessend sitzend in den Schlafsack.
Was aber nicht bedeutet, dass nicht trotzdem ein allgemeines Zittern und Zähneklappern durch den Wagen zieht. Der Anblick eines Travellers, entweder Masochist oder Dummkopf, sitzt die ganze Nacht im T-Shirt da, zur Marmorsäule erstarrt, der Blick verschleiert. Ich kann ihm nicht helfen, niemand kann es.
Dampfender Schweinekopf
Irgendwann wird es Morgen.
Ein Ami schält sich aus seinem Schlafsack. Wow, that was rough, Man. Oh ja, das war hart. Langsam – draussen taucht irgendwann ein riesiger Salzsee auf (ach ja, in der Nacht haben wir an der Grenze einen stundenlangen Halt eingelegt, wir sind also in Bolivien) – kehren die Lebensgeister zurück, der Magen meldet sich. Was gäbe es nun Schöneres als einen heissen Kaffee und ein Frühstück, irgendwas.
Und wäre unser Wunsch Befehl, taucht der Frühstückslieferant auf und trägt auf einem Tablet – einen dampfenden Schweinekopf.
Die lange erwarteten Wahlen sind für die Burmesen eine neue Erfahrung. Ein lang erwarteter Ausweg aus Isolation und Armut. Das Ende eines korrupten Regimes.
Aber stimmt das auch? Ich habe meine Zweifel. Aber alles der Reihe nach.
Gefärbte Finger
Wie erkennt man, dass ein Burmese gewählt hat?
Jeder Burmese in wahlfähigem Alter kann an den Tagen nach der Wahl an einem einzigen gemeinsamen Merkmal erkannt werden: eine gefärbte Fingerkuppe. Mal rötlich, mal blau, mal schwarz. Es bedeutet, dass der Betreffende bereits gewählt hat. Damit sollen Mehrfacheingaben verhindert werden.
Das Lustige ist, dass niemand genau sagen kann, wie lange die Farbe hält. Eine Woche? Einen Monat? Bis zu den nächsten Wahlen?
Begeisterung
Auf jeden Fall sind die Leute total begeistert von ihren neuen Rechten, vor allem natürlich von ihrer zukünftigen Präsidentin, Aung San Suu Kyi.
Jeder, wirklich jeder sitzt am Sonntagabend vor den Fernseher, verfolgt atemlos die ersten Stimmauszählungen, nimmt mit zunehmender Euphorie das Ergebnis zur Kenntnis. Auf den Gesichtern ist zum ersten Mal so etwas wie Hoffnung zu erkennen. Die Freude ist überall spürbar, als wäre ein Ruck durch das Land gegangen.
Aung San Suu Kyi
Vor allem die jungen Leute haben genug, sie wollen Freiheit.
Mitch, unser Guide, hat uns beim Trekking eine kleine Lektion in demokratischer Aufbruchstimmung gegeben. Seiner Meinung nach gibt es kein Zurück. Sie wollen Mitbestimmung, sie wollen ihren eigenen Volksstämmen wie den Shan, den Palong und wie sie alle heissen, eine Zukunft geben. Es hat sehr überzeugend geklungen.
Wenn auch – da tritt die zynische Vernunft des Westlers durch – ein wenig naiv.
Habe ich mich also getäuscht? Es sieht so aus. Wenn es nach endgültiger Auszählung beim Erfolg der eisernen Lady bleiben sollte. Aber ich kann immer noch nicht glauben, dass die Betonköpfe des Militärs sich so einfach geschlagen geben werden. Denn was ist eigentlich passiert?
Bis vor gut fünf Jahren herrschte in Burma das Militär mit eiserner Hand. Das Land stand seit 1962 unter einer Militärherrschaft, bis diese am 4. Februar 2011 einen zivilen Präsidenten als Staatsoberhaupt einsetzte. Es war ein durch und durch korruptes Regime, das sein Volk während Jahrzehnten unter der Knute hielt. Burma, obwohl potentiell eines der reichsten Länder Südostasiens (Rohstoffe, Mineralien, Edelsteine, Holz, etc.) wurde zum Armenhaus der Region.
Der Einfluss des Nordens
Und nicht zu vergessen: der grosse Bruder im Norden machte aus dem schwachen Burma in kurzer Zeit so etwas wie eine Kolonie. Was es meiner Meinung nach auch heute noch ist. Genauso wie Laos. Ein demokratisches Burma stellt per se eine Gefahr dar; es ist viel einfacher, mit einem korrupten Regime Geschäfte zu machen. Deshalb bin ich äusserst skeptisch, was die Zukunft anbetrifft.
Einfluss des Tourismus?
Bei meinem ersten Besuch 2004 musste man noch allerhand Vorwürfe bezüglich Bereisen eines diktatorischen Landes gewärtigen. Ich war damals schon – und bin es immer noch – der Meinung, dass Tourismus durchaus einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft haben kann. Das homogene Meinungsdiktat der Regierung wird sozusagen durch den Kontakt mit Fremden untergraben. Wie gross der Einfluss auf die spätere Öffnung gehabt hat, ist allerdings unklar.
Veränderungen?
Klar ist nur, dass sich vor gut fünf Jahren alles geändert hat. Oder doch nicht? Natürlich wurde der Druck von aussen – wirtschaftlich, politisch – von den USA, der EU und den anderen westlichen Staaten, immer grösser, für die Wirtschaft immer desaströser, doch war es wirklich der auslösende Faktor? Ich bin nicht sicher. Meiner Meinung nach vertauschten die Betonköpfe ihre Uniformen mit massgeschneiderten Armanianzügen, gaben sich den Anstrich von demokratischer Einsicht (ein Witz für sich) und – ein symbolischer Akt besonderer Tragweite – sie erlaubten ihrer grössten Gegnerin Aung Sau Suu Kyi sich politisch zu betätigen. Vielleicht der grösste Fehler im sonst gut durchdachten Schachspiel.
Ein schlechter Witz?
Nun haben wir eine seltsame Konstellation. Die Partei von Aung San Suu Kyi kann zwar einen Erdrutschsieg feiern, aber wie und ob sie wirklich regieren kann, wie sehr das Militär auf seinen politischen Vorteilen und Pfründen sitzen bleiben will, steht in den Sternen. Ich bleibe dabei. Solange mir nicht das Gegenteil bewiesen wird, gilt für mich immer noch (wenn auch weniger überzeugt als noch vor zehn Tagen): It’s still a joke, Man!
Und eine Ernüchterung in 2021
Wir schreiben nun nicht mehr 2015, sondern befinden uns im seltsamen Jahr 2021, das auf ein ebenfalls sehr seltsames 2020 gefolgt ist. Viele Dinge sind in Bewegung, die Welt hat Fieber. Und ausgerechnet jetzt (oder eben gerade deswegen?) haben sich meine schlimmsten Befürchtungen hinsichtlich Burma bewahrheitet.
Ich hasse es, Recht zu bekommen, und doch, das, was momentan in Burma abläuft, entspricht ziemlich genau dem, was ich 2015 befürchtet hatte. Die Betonköpfe im Militär, voller Angst, dass ihnen durch die zunehmende Demokratisierung des Landes langfristig Macht und Pfründe kosten wird, haben ihre letzte Karte gezogen und der Demokratie den Stecker gezogen. Im Moment (9.2.21) gehen die Menschen auf die Strasse, um für ihre Rechte einzustehen, aber werden sie Erfolg haben?
Ich hoffe es für sie, aber einmal mehr (sorry!) bin ich zutiefst pessimistisch …
Eine Springflut vom Himmel
Ein Geräusch weckt mich mitten in der Nacht auf. Ein Art Grollen wie aus dem Rachen eines urzeitlichen Ungeheuers, ein dumpfes Tosen, ein Dröhnen auf dem Dach. Auf jeden Fall etwas, was nicht zum üblichen Geräuschpegel Hsipaws gehört. Es ist tatsächlich – Regen. Natürlich nicht einfach Regen, so, wie wir ihn kennen, oh nein, es ist eine Springflut, eine Lawine aus Wasser, die sich aus dem schwarzen Himmel stürzt. Fast ein bisschen unheimlich. Aber Regen im November?
Hier ist alles möglich, auch Regen im November. Einerseits ersehnt, aber auch gefürchtet, denn niemand weiss, ob er ein Geschenk oder ein Unglück bedeutet. Aber ich fühle mich in Sicherheit, im trockenen Zimmer, in der wohligen Wärme des Bettes.
Erinnerungen tauchen auf im Halbschlaf. An eine Nacht in Bihar, im Norden von Indien. Der erste Regen seit Monaten. Die anfänglichen zarten Tropfen auf dem Dach des VW-Busses, überraschend und unerwartet, dann plötzlich, als würde der Himmel einstürzen, eine Flut und ein Tosen wie beim Weltuntergang. Und dann, tatsächlich, welche Überraschung – das Dach ist leck, und wir werden nass …
Spuren des nächtlichen Überfalls
Auf jeden Fall sind die Spuren des nächtlichen Überfalls auch am Morgen noch zu sehen. Überall tiefe Pfützen, in denen Kinder herumplatschen und die Motorradfahrer vorsichtig umfahren. Aber die Luft, mein Gott, sie riecht so wunderbar sauber und würzig. Fast fühlt man sich auf einer Alp in den Bergen. Auf jeden Fall eine erstmalige Erfahrung im dieselgeschwängerten Myanmar.
Abschied von Hsipaw
Anyway, es gilt Abschied zu nehmen. Vom herzlichen Personal in Lily’s Hotel, von Greg, meinem temporären Kumpel aus Wisconsin, mit dem ich während der letzten Tage viele Stunden mit Diskutieren, Lachen und Trinken verbracht habe. Das sind die eher bedrückenden Augenblicke dieser Reisen: man lernt viele interessante Menschen kennen, wird schon beinahe zu Freunden – und nimmt wieder Abschied im Bewusstsein, dass man sich mit grosser Wahrscheinlichkeit nie mehr wiedersehen wird. Daran muss man sich gewöhnen.
Oder die englische Dame an der Reception, eben am Einchecken, die sich schreckliche Sorgen um die Brexitabstimmung macht. Meine Versuche, sie zu beruhigen, bleiben ohne Erfolg (und wie man jetzt im Nachhinein weiss, waren ihre Sorgen berechtigt).
Einsilbige Unterhaltung
Dann also auf den Weg. Man zwängt uns in ein Sammeltaxi, umgeben von Burmesen aller Altersklassen bin ich mal wieder der einzige Ausländer. Die Unterhaltung wird also wieder etwas einsilbig werden. Ist mir aber egal, ich döse vor mich hin, während es draussen wieder in Strömen pisst. Immerhin benutzt der Chauffeur den Scheibenwischer, nicht wie damals in den Anden, als der Chofer aus Gründen der Batterieschonung seinen Scheibenwischer auch dann nicht einsetzen wollte, als der dichte Schneefall seine Sicht vollkommen zukleisterte.
Der übliche Stop im Niemandsland
Ich liebe diese Stops irgendwo im Niemandsland. Es gibt keine bessere Möglichkeit, die Mentalität eines Volkes aus der Nähe zu erfahren. Wie die Leute miteinander umgehen. Wie sie einkaufen, essen, trinken. Wie sie ihre Müdigkeit zeigen oder verbergen. Ob sie freundlich miteinander umgehen. Oder misstrauisch.
Es lohnt sich, genau hinzusehen.
Tausendundein Stop im Nirgendwo… und tausendundein Restaurant unterwegsAlles mögliche im Angebot – aber nichts, was mir gefällt
Die Momente gegenseitigen Verstehens
Aber manchmal ergeben sich trotz der sprachlichen Barrieren diese kleinen feinen Momente des gegenseitigen Verstehens. Neben mir sitzen zwei ältere Damen, völlig stumm (was im übrigen auf den ganzen Bus zutrifft), nur manchmal flüstern sie sich ein paar Worte zu, wühlen in den Untiefen ihrer Taschen, nehmen gelegentlich eine Kleinigkeit zum Futtern hervor.
Und einmal, nach vielleicht vier Stunden, stecken sie mir eine Handvoll Süssigkeiten zu, einfach so, mit einem dieser breiten Lächeln, wie man sie hier sehr oft sieht. Wunderbar. Ich bin gerührt und weiss plötzlich wieder, welchen Zauber diese Länder haben, und – was wir alles verloren haben.
Swiss Chocolate, oh yes!
Später setzt sich ein alter, verschrumpelter, jedoch sehr würdevoller Mann neben mich, er trägt einen Heisenberg-Hut wie Walter White in Breaking Bad. Er verhilft mir zur Gelegenheit, mich zu revanchieren, indem ich nun ihm etwas schenke, auch Süssigkeiten, das letzte Stück Schokolade aus der Schweiz. Er nimmt es genauso würdevoll entgegen, nickt mir zu, kaut, nickt erneut. Swiss Chocolate, oh yes …
Der Film Ghostrider mit Nicolas Cage ist ein ziemlich schlechter Film.
Zumindest nach Meinung der Film-Aficionados. Aber auf dem Heimweg vom Treck erinnert mich einiges daran, zwar ohne Satan, ohne Feuer und Skelett. Aber mit zahlreichen bangen Augenblicken. Aber am wunderbar riechenden Morgen, kurz vor dem Trek gibt es keine Vorahnungen. Nichts dergleichen.
Heute ist also Trekking angesagt – sechs Stunden irgendwo in den Hügeln, entlang verstreuter Shan- und Palongdörfer. Es findet sich eine stattliche Gruppe von zumeist jungen Travellers zusammen, und einmal mehr – wer hätte daran gezweifelt – bin ich mal wieder der Grandaddy der Truppe.
Holprige Strassen
Soweit, so gut. Der Pickup, auf dessen Ladefläche wir dicht gedrängt sitzen, bringt uns ein Stück weit in die Hügel hinein.
Ein freundlicher Pickup-Fahrer auf holprigen Strassen
Die Strasse, falls man sie so nennen kann, entspricht gelinde gesagt nicht gerade dem westlichen Standard. Der Monsunregen und andere klimatische Bösartigkeiten haben sie zu einer Art Flussbett geformt, durchzogen von tiefen Gräben, löchrig, steinig, mit ausgewaschenen Wurzeln und spitzen Felsen.
Mitch, unser Guide
Und so machen wir uns also auf den Weg, geführt von Mitch (der sich vermutlich so nennt, weil sein richtiger Name für unsere Zungen unaussprechlich ist), einem jungen Palong, 25 Jahre alt, der 6 Sprachen fliessend spricht.
Mal sehen: wenn ich mich recht erinnere waren das Palong, Shan, Burmese, Englisch, Chinesisch und Malaysisch. Hinter ihm hecheln (je länger der Trip dauert, desto intensiver das Keuchen, desto verschwitzter das T-Shirt, denn, liebe Leute, – es ist heiss, verdammt heiss) drei Holländer, zwei Deutsche, zwei Italiener (!) und ich.
Unsere kleine Truppe – sehr heterogen
Damit das klar ist – es handelt sich nicht um eine gemütliche Altherrenwanderung, oh nein, denn Mitch legt ein Tempo vor, dass den mehrheitlich unerfahrenen Wandervögeln schon bald einmal der Schnauf ausgeht. Es geht zwischenzeitlich steil aufwärts, mehrheitlich in der prallen Sonne, die nun wirklich ein Höllenfeuer über den armen Treckern entfacht.
Manchmal ausgewaschen, manchmal steil, aber immer angenehm
Natur pur
Hütte im gelben Feld
Ein Fluss beim Dorf
Dorf auf dem Weg
In der Folge zieht sich die Kolonne langsam in die Länge, was aber niemanden gross stört, denn spätestens beim nächsten Zwischenhalt findet sich das verlorene Trüppchen wieder zusammen. Auf dem Weg begegnen uns immer wieder Kinder, grosse, kleine, lustige, ernste, neugierige, ängstliche und schlaue, deren Wortschatz schnell klar wird.
Zwischenhalt
Nach etwas über einer keuchenden Stunde der erste Marschhalt. Wir werden in einem kleinen Gasthaus erwartet und bedient. Eigentlich ist es kein echtes Restaurant, sondern einfach das Wohnzimmer einer kleinen Familie. Spielzeug und Kinder umgeben uns, fragende Blicke. Neugier. Für sie sind wir Menschen, die ebenso gut vom Mars stammen könnten.
Rast im Kinderzimmer
Dorf im Nirgendwo
Irgendwann, nach langen und zugegebenermassen mühseligen Stunden, unterbrochen von Tee- und Kaffeepausen, ein ausgedehnter Lunch in einem kleinen Dorf mit Kindern und wundervoll gekleideten älteren Damen.
Kinder …
.. und eine wundervoll gekleidete ältere Dame
Am Ziel
Dann erreichen wir – in der Zwischenzeit ist es halb Fünf – das Ziel, wo wir von drei Motorradfahrern erwartet werden (denn der Rest der Truppe hat einen dreitägigen Treck gebucht). Wie soll ich’s sagen, sie strahlen nicht gerade das aus, was man sich von jemandem erwartet, der uns gleich auf klapprigen Mopeds ins Tal transportieren soll. Dunkle gespiegelte Sonnenbrillen, die Haare entweder unter schicken Mützen versteckt oder mit Gel nach hinten gekämmt, der Blick entschlossen und leicht aggressiv wirkend. Na ja, mal sehen …
Meine Taxifahrer
Eigentlich hätten wir es ja wissen müssen. Die Sonne geht ca. sechs Uhr unter, und ein paar Minuten später ist es so dunkel wie im Kuhmagen. Nun denn, lange wird’s ja hoffentlich nicht dauern, doch der nervöse Blick der drei Fahrer auf die Uhr hätte uns stutzig machen sollen. Doch das, was nun folgt, wird mit Sicherheit in die Annalen meiner gesammelten Travelerlebnisse eingehen.
Unbeschreiblich
Also, wie soll man es beschreiben? Man stelle sich die schlimmste Naturstrasse vor und multipliziere das Ganze mit zehn. Anschliessend addiere man eine Million tiefer Gräben und Löcher dazu, ergänze diese mit schlammigen Pfützen, deren Tiefe nicht abzuschätzen ist, mit eingegrabenen Spuren anderer Fahrzeuge, mit in den Weg hinein wachsenden Gebüschen und Ästen, mit spitzen Felsen, an denen wir haarscharf vorbeiflitzen, mit Abhängen am Wegrand, die in die Tiefe gehen, dann, ja dann hat man eine ziemlich gute Vorstellung von dem, was wir in den nächsten gut zwei Stunden über uns ergehen lassen müssen.
Wir werden geschüttelt und gerührt, herumgeworfen, nach rechts und links, rauf und runter, während man sich krampfhaft an etwas festzuhalten versucht, was sich eigentlich gar nicht dazu eignet, während der Fahrer, die Füsse zum Zweck des Gleichgewichthaltens auf beide Seiten ausgestreckt, heroisch versucht, den Sturz zu vermeiden.
Der nackte Wahnsinn
Das Verrückte ist – man gewöhnt sich daran. Mit der Zeit findet man es einfach nur noch den puren nackten Wahnsinn, auch wenn die Bandscheiben aufheulen, die Arschbacken taub werden, die Hände und Arme nur noch schmerzen. Das ist es, liebe Leute, es sind diese Erlebnisse (falls man sie denn überlebt), die den Thrill solcher Reisen ausmachen. Natürlich ist es weder Basejumping oder ähnliche Dummheiten, aber es kommt dem schon ziemlich nahe. Kurz – einfach wunderbar!
Ghostriders in der Nacht
Zumindest solange es hell ist. Denn erwartungsgemäss fällt irgendwann die Nacht über uns herein, und jetzt wird es wirklich kriminell (und ich vergesse ziemlich schnell alles, was ich eben behauptet habe). Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, wie der Kerl noch etwas sehen kann, denn Scheinwerfer an seinem Vehikel – Fehlanzeige.
Kein Licht
Nun werde ich doch etwas nervös, denn auch mit viel Phantasie kann ich mir nicht vorstellen, wie man auf derartigen Strassen ohne Licht fahren kann. Aus den drei Ghostridern auf schlechten Strassen sind nun drei blinde Ghostrider auf schlechten Strassen geworden (und man merke: kurze Zeit später wird aus den drei blinden Ghostridern auf schlechten Strassen drei extrem frierende blinde Ghostrider auf schlechten Strassen, zumindest was mich betrifft).
So geht es also den Berg runter, über tausend Höhenmeter, vorbei an langgezogenen Hügelketten, durch dichte Wälder, vorbei an vereinzelten Dörfern, deren Bewohner man nur noch schattenartig wahrnehmen kann. Und kurz bevor ich in Gedanken mein Testament aufsetze, geschieht das kleine Wunder: der Fahrer erinnert sich urplötzlich daran, dass er doch Licht an seinem Töff hat. Tiefes, tiefes Aufatmen.
Gefährlich
Aber wer hätte es nicht ahnen können – wir sind noch nicht da, oh nein. Irgendwann – Gott dem Herrn sei gedankt – verlassen wir die Berge, die Strassen werden besser, asphaltiert, breit. Was natürlich unsere drei Ghostriders dazu veranlasst, aus ihren Maschinen das Maximum herauszuholen.
Jetzt wird es wirklich gefährlich. In Burma fährt, konservativ geschätzt, maximal jedes zweite Fahrzeug mit irgendeiner Art von Beleuchtung, was bedeutet, dass man auf den Strassen in der Hälfte der Fälle weder die entgegenkommenden noch die vorausfahrenden Fahrzeuge sehen kann. Was für unsere drei Fahrer aber eher eine Herausforderung als ein Problem darstellt. Sie flitzen zwischen langsam fahrenden riesigen chinesischen Trucks durch, überholen im Höllentempo PWs, Traktoren, andere Motorräder, überholen sich gegenseitig, wahrscheinlich um zu zeigen, wer nun wirklich der King ist.
Wir stoppen vor unserem Hotel, die Inhaberin Lily begrüsst uns, lacht laut und herzlich über unsere belämmerten Gesichter, während wir einfach noch ein paar Sekunden sitzen bleiben, bevor wir die tauben Hände von den Halterungen lösen und langsam, sehr langsam von unseren Mopeds steigen …
Ein Konzert nur für mich allein. Im Gebüsch singt ein versteckter Vogel, ein anderer antwortet, ein dritter fällt ins morgentliche Konzert ein.
Der Morgen zeigt das Gesicht des Städtchens. Es ist ein ausnehmend angenehmes Gesicht. Einmal mehr fühle ich mich an einem Ort auf den ersten Augenblick völlig wohl. Ein sanftes Lüftchen weht beim Frühstück auf der Terrasse des Hotels, genau richtig für einen perfekten Start in den Tag.
Rosa Nonnen
Die ersten Schritte führen mich ins Zentrum. Er gibt nicht sehr viel her, ein paar Läden, ein Restaurant, eine Post. Einige in Rosa gekleidete Nonnen warten geduldig auf den Bus. Oder doch nicht? Ihre Absichten sind nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Mein freundliches Begrüssungsnicken erwidern sie mit einem scheuen Lächeln.
Waiting for the Bus?
Hsipaw
Hsipaw ist eine Kleinstadt mit etwas über 50’000 Einwohner, auf der Strasse von Mandalay nach Lashio gelegen. Der Ort ist Ausgangspunkt für Trekkingtouren zu Palaung und Shandörfern. Das wird das Thema des morgigen Tages sein. Heute konzentriere ich mich auf weniger anstrengende Tätigkeiten.
Heute will ich die Umgebung mit dem Fahrrad erkunden.
Es soll ausserhalb der Stadt einen Ort, Little Bagan genannt, geben, wo es zahlreiche Ruinen zu bestaunen gibt. Ausserdem gibt es ein abgelegenes Restaurant, das von einer Mrs. Popcorn geführt wird, und ein Hotspot für Travellers sein soll. Allerdings stellt sich die Frage, ob ich Little Bagan und Mrs. Popcorn auch tatsächlich finde. Die Voraussetzungen sind meiner Erfahrung nach nicht die besten.
Denn ich sollte dringend burmesisch lernen.
Burmesisch
Nicht nur, dass ich oft das Falsche erhalte, wenn ich etwas zum Essen oder Trinken bestelle, ich bin auch ausserdem permanent auf der Suche nach irgendwelchen Hotspots, die sich dann als reine Phantome erweisen. Ein Kloster? Nur etwa eine halbe Stunde von hier? Nicht auffindbar. Oder ist es das heruntergekommene Gebäude auf komischen Stelzen, vor dem ein Mönch sitzt? Wär möglich.
Man erinnere sich an das Waisenhaus in Pyin U Lwin, wo ich meine Farbstifte loswerden wollte? Systematisch von allen Seiten eingekreist, fand sich trotzdem nur eine Primarschule, und die Jugendlichen, die ich nach dem Waisenhaus fragte, verstanden zwar kein Wort, fanden es aber zum Schiessen komisch.
Wie gesagt, ich muss dringend burmesisch lernen. Oder könnte es doch daran liegen, dass ich bezüglich Lesen von Karten nach wie vor ein absoluter Vollpfosten bin? Es wäre nicht meine ersten Fehlleistung.
Little Bagan
Little Bagan (überraschenderweise eine erfolgreiche Suche) etwa eine halbe Stunde ausserhalb von Hsipaw, eine gemütliche Fahrt durch Wiesen und Bäume, entpuppt sich als ein paar kaum mehr erkennbare Steinhaufen und hat wenig mit der Pracht der ursprünglichen Pagoden zu tun. Wenn ich an das echte Bagan zurückdenke …
Aber trotz des zunehmenden Verfalls strömen die Bauwerke ihre eigene Würde aus.
Mrs. Popcorn
Nun, auf jeden Fall finde ich Mrs. Popcorn.
Ich lenke mein klappriges Fahrrad in einen wunderschönen, von alten Bäumen besetzten Garten. Aus Bambus gefertigte Sessel unter tief herunterhängenden Ästen warten auf Gäste. Eine zierliche alte Dame, nicht überraschend Mrs. Popcorn, begrüsst mich mit tiefen Verbeugungen, die ich ebenso tief zurückgebe.
Obwohl das Restaurant weit ausserhalb Hsipaws liegt, scheint sich hier die gesamte Travellerschaft zu versammeln. Auf jeden Fall umgibt mich ein mehrsprachiges Stimmengewirr.
Felipe aus Chile
Ich verkneife mir den Spass, eine Tüte Popcorn zu bestellen, denn überraschenderweise gibt es tatsächlich mal frisch gepresste Fruchtsäfte.
Während ich mit Wolllust an meinem Mangosaft nippe, setzt sich ein junger Mann neben mich, er entpuppt sich als Felipe, stammt aus Chile, hat Philosophie studiert und reist mit ein paar Freunden in Asien herum. Es entwickelt sich ein langes Gespräch, ein sehr langes. Die einzelnen Themen (es waren so viele) sind mir entfallen, aber irgendwann fragt er mich, ob ich heute noch was vorhabe. Nein, sage ich, heute ist ein Lufttag.
Der Marsianer
Ein Lufttag? THE MARTIAN? Nie davon gehört?
Vor sechs Tagen betrat der Astronaut Mark Watney als einer der ersten Menschen den Mars. Jetzt ist er sicher, dass er der erste Mensch sein wird, der dort stirbt.
Nach einem Staubsturm, der ihn fast tötet und seine Besatzung zur Evakuierung zwingt, während sie ihn für tot hält, ist Mark Watney gestrandet und völlig allein, ohne die Möglichkeit, der Erde zu signalisieren, dass er noch lebt – und selbst wenn er die Nachricht übermitteln könnte, wären seine Vorräte längst aufgebraucht, bevor eine Rettung eintreffen könnte.
Die Chancen stehen jedoch gut, dass er keine Zeit hat, zu verhungern. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die beschädigten Maschinen, die unbarmherzige Umgebung oder schlichtes menschliches Versagen“ ihn zuerst töten werden.
Aber Mark ist noch nicht bereit, aufzugeben. Mit seinem Einfallsreichtum, seinen technischen Fähigkeiten und seiner unnachgiebigen, beharrlichen Weigerung, aufzugeben, stellt er sich unbeirrt einem scheinbar unüberwindbaren Hindernis nach dem anderen. Wird sein Einfallsreichtum ausreichen, um die unüberwindbaren Hindernisse zu überwinden, die sich ihm in den Weg stellen?
Der Roman von Andy Weir wurde von Ridley Scott verfilmt und läuft eben mit grossen Erfolg im Kino.
Wo soll ich anfangen? Bei der saumässigen Kälte im Zimmer? Bei den Hunden? Ich liebe sie ja, aber in dieser Nacht hätte ich jeden einzelnen erwürgen können. Warum sie ausgerechnet vor meinem Zimmer ein mehrstündiges Rendezvous abhalten und es dabei offenbar darum geht, den lautesten Schreihals, Beller und Heuler herauszufinden, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben.
Saumässig kalt
Und es ist kalt, saumässig kalt. Die Dicke der Decke auf meinem Bett entspricht in etwa der eines Leichenhemdes (ich habe zwar noch nie eines gesehen, aber es klingt so gut), und dass es irgendwo im Raum eine zusätzliche Wolldecke geben könnte, kommt mir dummerweise erst morgens um Vier in den Sinn. Tja, man lernt viel über sich selbst.
Auch der Weckruf um Punkt Fünf darf nicht unerwähnt bleiben. Also, irgendetwas schauderhaft Klingendes, was mit etwas gutem Willen als Chor erkannt werden könnte, reisst mich wie gesagt um Punkt Fünf aus dem Schlaf. Was ist es? Ein Alienangriff? The Attack of the Clones? Sind Zombies aus ihren Gräbern gestiegen?
Ich weiss, wie ein Muezzin klingt, auf jeden Fall nicht so. Nach ein paar Minuten ist der Spuk vorbei (könnte es trotzdem die burmesische Variante eines oder mehrerer Muezzins gewesen sein?) Tatsache ist, dass ich hellwach bin und mit einiger Verbitterung dem neuen Tag entgegenblicke.
Pferdekutsche
Aber der Tag wird gut, das ist mal sicher. Eine Pferdekutsche bringt mich an den Bahnhof.
Bye-bye Pyin U Lwin
Dort hat sich bereits eine Hundertschaft von Leuten versammelt und klar – Tickets für die bevorzugte linke Seite im Zug, von wo aus man den berühmten Gokteik-Viadukt besser sehen kann, sind natürlich längst ausgebucht. Ich freunde mich mit einem älteren Herrn an, der ebenfalls allein reist. Ein Amerikaner, mit dem ich mich auf Anhieb glänzend verstehe.
Warten auf die Abfahrt
Der Zug fährt ab
Was soll’s, auf jeden Fall ruckelt das Ding, das sich Zug nennt, pünktlich los, 6 lange Stunden für grade mal knapp 100 Kilometer vor uns.
Die ganze Strecke von Mandaly nach LashioNicht gerade ein TGV
Tortur im Zug?
In jedem Führer steht, dass Zugfahren in Burma eine Tortur ist. Was könnte der Grund sein? Schlechte Sitze? Sind ganz in Ordnung. Hitze? Erträglich. Überfüllte Abteile? Überhaupt nicht. Der wahre Grund ergibt sich erst ein paar Kilometer nach Pyin U Lwin.
Die einzelnen Wagen fangen nämlich an zu schwanken, nach links, nach rechts, nach oben, nach unten, immer schön entgegen der Bewegung des Wagens vor uns. Bewegt dieser sich nach rechts, bewegt sich unserer nach links. undsoweiter Also für magenempfindliche Leute ist das nichts, denn logischerweise wird der Inhalt des Wagens – also wir – in jeder der grad angesagten Richtung mitgezogen, mitgerissen, mitgeworfen. Reine Physik natürlich, was es aber nicht angenehmer macht. Allerdings gewöhnt man sich mit der Zeit daran, ein Nickerchen, um den verpassten Schlaf nachzuholen, liegt aber definitiv nicht drin.
Ausser man ist tot.
Gemischte Geselllschaft
Schon eine halbe Stunde, bevor der berühmte Viadukt auftaucht, versammelt sich Gott und die Welt an den Fenstern, um ja nichts zu verpassen. Mein Wagen – Upper Class Donnerwetter – ist ausschliesslich mit Touristen besetzt. Franzosen, Engländer, Amis, Schweizer, Deutsche, the usual Suspects halt.
Langsam und gemütlich durch eine wunderbare Landschaft
Lebensversicherung
Das Ticket für die rund sechsstündige Fahrt kostete umgerechnet knapp 3 Franken. Das ist aber nicht das wirklich Schöne daran. Im Fahrpreis eingeschlossen (und auf dem Ticket erwähnt) ist eine Lebensversicherung. Eine LEBENSVERSICHERUNG! Und jetzt kommt’s. Sie kostet grade mal 0.87 Kyats. 1 Kyat entspricht ziemlich genau einem Tausendstel eines Frankens, also wenn ich richtig rechne 0.00087 Franken. Was zum Henker ist da versichert? Eines meiner letzten Haare? Das ist Burma, liebe Leute, Burma pur.
Lebensversicherung
Zwischenhalt in Naung Hkio
Irgendwo in den Pampas, genannt Naung Hkio, ein Halt. Zeit, um sich in der brennenden Sonne die Beine zu vertreten und die Lokomotive zu bewundern.
Naung Hkio – irgendwoBahnhof in Naung HkioEindrucksvolle Diesellokomotive
Die berühmteste Eisenbahnbrücke Burmas
Beim Gokteik-Viadukt handelt es sich um die berühmteste Eisenbahnbrücke Burmas, die im Auftrag der Briten ab 1899 von den Amerikanern gebaut wurde.
Er ist fast 800 Meter lang und 111 Meter hoch. Er wird – Gott sei’s gedankt – nur im Schritttempo befahren, was den klickenden und surrenden Foto- und Videoamateuren im Zug die Gelegenheit gibt, ihre Künste anzubringen. Ich bin ebenfalls beeindruckt, was die Schönheit der Landschaft angeht, ist der Landwasserviadukt allerdings schon noch eine Option … Aber lassen wir das.
Schon von weitem eindrucksvollZerbrechlich und gleichzeitig stabil (?)Hunderte Meter über dem Abgrund
Hsipaw
Und dann sind wir da, etwas müde von der Hitze. Hsipaw ist ein nettes kleines Städtchen, das sich zu einem Traveller-Hotspot entwickelt hat. Und nun sind sie plötzlich da, die jungen Travellers, die Backpackers, und nun klingen die Hi there, die How’re you von allen Seiten. Schön. Hier lässt es sich leben.
Am Abend ein kühles Bier am Ufer des Flusses. So lassen sich die Strapazen des Tages vergessen …
Die Fahrt von Mandalay nach Pyin U Lwin mit dem Sammeltaxi, offiziell auf anderthalb Stunden geschätzt, dauert etwas länger, genauer gesagt mehr als doppelt so lange.
Von Mandalay nach Pyin U Lwin
Fahrt nach Pyin U Lwin
Das hat seinen Grund. Erstens: der Chauffeur muss die restlichen Passagiere in der ganzen Stadt zusammensuchen.
Dann, als wir uns endlich auf der eigentlichen Strecke befinden (in der Zwischenzeit ist mehr als eine Stunde verstrichen), gibt es a) einen Pinkelstopp, bei dem der Chauffeur (was für ein Saftsack!) doch tatsächlich einen Passagier vergisst (dank meinem lautstarken Einsatz musste der arme Kerl nicht zu Fuss gehen), dann b) einen Wassernachfüllstopp, c) einen Benzinauffüllstopp und schliesslich d) einen Halt für alle, bei dem ich erstaunlicherweise einen wirklich guten Kaffee serviert bekomme.
Das Leben ist seltsam und überraschend.
Wahlen
Auf dem ganzen Weg begegnen uns wild gestikulierende Leute auf allerlei Vehikeln, die mit Lautsprechern ausgerüstet, politische Parolen in die Welt hinausposaunen. Klar, am Wochenende sind Wahlen.
Demokratische Wahlen? That’s a joke, man! Ich komme darauf zurück.
Lastwagen
Nun, auf jeden Fall geht’s bergauf, Kehren wie auf der Tremola, gelegentlich von riesigen chinesischen Lastwagen blockiert. Sie sind bis unters Dach mit Burmas Kostbarkeiten beladen, vor allem Teakholz, gewildert oder legal gekauft. Meistens wohl eher das erstere, auf jeden Fall auf dem Weg nach China, von wo sie dann mit billigstem chinesischem Plastikgerümpel zurückkehren, Ware, die sie nur noch in armen Ländern wie Burma absetzen können.
Was für ein seltsamer Name
Ich kann mir den blöden Namen dieses Ortes einfach nicht merken. Dabei bin ich jetzt hier gelandet, in Pyin U Lwyn, einem Städtchen mit 80000 Einwohnern mitten in den Bergen auf gut 1100 Metern. Es ist später Nachmittag, und durchs Fenster dringt eine angenehme Frische, Nicht erstaunlich, dass die Briten sich in den heissen Sommermonaten hierher zurückzogen, um ihre bleichen Gesichter nicht den Angriffen der Sonne auszusetzen.
Wo ist das Trottoir geblieben?
Der berühmte Kirchturm in Pyin U Lwin
Und der unverzichtbare Tempel
Hotel Bravo
Das Hotel Bravo, offenbar eine Erstklass-Adresse für Travellers, ist gelinde gesagt, nicht gerade 5-Stern-prächtig. Da es aber bei dieser einen Nacht bleiben wird, werde ich es überleben. Genau ein Licht brennt und in dessen knapp 40 Watt versuche ich, auf der Tastatur auf dem iPad die richtigen Buchstaben zu finden. Geht aber ganz leidlich. Im Hintergrund hebt Eric Clapton eben zu einem seiner himmelsstürmenden Soli an, also ist alles in bester Ordnung.
Ein Nachmittag zum Vergessen
Es fängt an mit einem nicht ganz unerwarteten Zusammenstoss zwischen einem (unschuldigen) Mopedfahrer und einem arroganten (schuldigen) Schnösel am Steuer seines teuren Autos. Versicherung? Fehlanzeige. Schuldeingeständnis? Lachhaft. Also macht sich der Schnösel zu meinem Ärger einfach aus dem Staub, während der Mopedfahrer vergeblich versucht, sein Vehikel wieder in Gang zu bringen. Immerhin hat er Glück gehabt und ist unverletzt geblieben.
Kurze Zeit später beobachte ich einen Kutschenfahrer, wie er sein mageres, kleines Rösslein schlägt. Diese bedauernswerten Kreaturen warten den ganzen Tag in sengender Sonne auf Touristen, während ihr Herr und Meister irgendwo im Schatten sitzt. Beim ersten Mal bleibt es noch bei einem unterdrückten Fluchen, beim zweiten Mal jedoch verliere ich in Sekundenschnelle die Contenance. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der arme Mann, der nicht weiss, wie ihm geschieht, schon einmal derart auf Schweizerdeutsch zusammengeschissen worden ist. Fuck you, Bastard!
Auf Kundschaft wartend
Der wahre Tiefpunkt folgt kurz darauf.
Können Tiere Selbstmord begehen? Kaum. Dazu fehlt ihnen das entsprechende Bewusstsein. Die sich im Folgenden abspielende kleine Tragödie beweist aber das Gegenteil. Aus einer Seitenstrasse tappst, Kopf geradeaus, mit zielgerichteten kleinen Schritten, ein noch junger rabenschwarzer Vogel in Richtung der Strasse, auf der der dichte Feierabendverkehr braust.
Im ersten Moment finde ich es irgendwie noch lustig, bin überzeugt, dass er gleich die Gefahr erkennen wird und wegfliegt. Eben nicht. Während ich ihm noch zurede, hält er stur die Richtung ein, tritt hinaus auf die Strasse. Die Mopedfahrer können auf mein Rufen hin noch ausweichen, der schwere PW hingegen … Ich kann mich eben noch abwenden, doch das Geräusch der krachenden Knochen verfolgt mich bis in den Schlaf. Lieber Himmel …
Gemäss Führer soll es hier ein Waisenhaus geben, und da ich mich vor dem Abflug mit allerlei Spielzeug und dergleichen eingedeckt habe, wäre dies eine Gelegenheit, es loszuwerden. Aber es passt zu diesem komischen Tag: so sehr ich mich auch bemühe, mich bei den Leuten auf der Strasse erkundige – ich finde das besagte Haus nicht. Also werde ich auf eine neue Gelegenheit warten müssen, eine gute Tat zu vollbringen.
Auf dem Markt
Die Stadt bietet einen wunderschönen Markt, versteckt zwischen Häusern und Gassen. Hier möchte ich mich mit Proviant für die morgentliche Fahrt nach Hsipaw eindecken. Das Problem ist nur, dass ich den Ausgang nicht mehr finde und tatsächlich auf die Hilfe der Besucher angewiesen bin. Sie finden das natürlich extrem lustig. Schon wieder einer dieser Westler, die keine Ahnung von gar nichts haben.
Vom Frühstückstisch im obersten Stockwerk des Hotels aus (Aussicht mehr als prächtig) ist der Mandalay-Hill gut zu erkennen, die goldenen Kuppeln der Pagoden, den bewaldeten Aufstieg mit den mehr als tausend Treppenstufen.
Was könnte man sich an einem solchen Tag Besseres antun, als mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren, um anschliessend den schweisstreibenden Aufstieg zu wagen? Einige würden meinen, es gäbe tatsächlich Angenehmeres.
Mordlustige Feinde
Mittlerweile habe ich mich zu einem Professional entwickelt, der auch dann noch mitten auf die Kreuzung fährt, wenn die mordlustigen Feinde von allen Seiten kommen.
Alle anderen tun ja das auch, wer sich nicht an diese ungeschriebenen Gesetze hält, verhungert irgendwann beim Warten. Und so folge ich also den Hauptverkehrsachsen (nicht eine meiner besseren Ideen), dann dem 4 Quadratkilometer grossen Gelände, das den Königspalast beheimatet, also 2 Kilometer in der einen, dann ebenso viele in der anderen Richtung.
Ich kann nicht sagen, dass es kühl ist, aber immerhin habe ich die Sonne im Nacken und manchmal sogar ein wenig Schatten von den in die Strasse hinein hängenden Bäumen.
Ein neues Business
Um die zahlreichen Fahrräder und Roller zu bewachen, hat sich ein neues Business entwickelt. Für 200 Kyats (20 Rappen) kann man sicher sein, dass das Vehikel auch nach mehreren Stunden in tipptoppem Zustand zurückgegeben wird.
Dann also hinauf auf den Mandalay Hill, über 1000 Stufen vorbei an goldenen Tempeln und ärmlichen Hütten, an tausend Händlern, Wahrsagern, Mönchen und ungefähr einer Million Katzen und Hunden jeden Alters. Sie leben hier, von milden Gaben der Touristen und Gläubigen verwöhnt (oder vielleicht auch nur knapp am Leben erhalten).
Ein steinerner WächterEingangsbereichEine endlos scheinende Treppe führt den Hügel hinauf
Tja, viel hat sich nicht verändert seit dem letzten Mal (2004 – I miss you, brother), der Austieg sieht immer noch schweisstreibend aus, vor allem um die Mittagszeit, aber es lohnt sich. Und so stehe ich schliesslich vor dem steinernden Wächter vor dem Eingang, entledige mich beim Eingang meiner Schuhe und mache mich an den Aufstieg.
Kinder und Katzen
Man sollte sich nicht beeilen, sondern immer wieder eine Pause machen. Die unzähligen Katzen streicheln (falls sie es denn zulassen). Den Kindern zusehen, wie sie voller Andacht fernsehen.
Eine Katzen GrossfamilieFaszinierende Welten auf dem TV
Schweissbedeckt und glücklich erreicht man schliesslich die oberen Etagen. Schon von weitem grüsst der erste Buddha.
Er ist sogar noch grösser als er hier aussieht
Atemberaubende Aussicht
Und dann endlich – die Welt von oben. Die Aussicht von der obersten Ebene ist atemberaubend. In der Ferne grüssen, leicht im Nebel verschwommen, die Shan-Berge, denen ich morgen etwas näher zu kommen hoffe.
Aussicht von oben auf die endlose EbeneKleine und grössere Türmchen
Mingun
Im Norden blinkt das schmale Band des Irrawaddy, dahinter eben noch sichtbar die Pagode des Königs Bodawpaya in Mingun.
Das nie fertig gebaute Werk aus roten Ziegelsteinen (ausgerechnet!) sollte ursprünglich über 150 Meter hoch werden, aber Grössenwahn und Finanznot (eine Kombination, die selten zum Erfolg führt) liessen letztlich das Mammutprojekt, scheitern, und das Erdbeben von 1838 tat das seine dazu. Übrig geblieben ist ein viereckige, rötliche Ruine von etwas, was mal eines der Weltwunder werden sollte.
Allerdings hat es nichts von seiner zeitlosen Magie verloren, auch wenn ihm der Tourismus arg zusetzt.
Die Reste des Bauwerks in Mingun
Prachtvoll, überwältigend
Auch beim zweiten Besuch ist der Eindruck schlicht überwältigend.
Der Gegensatz zwischen der immer noch vorherrschenden Armut eines grossen Teils der Bevölkerung und der hier präsentierten Pracht ist unübersehbar. Meine Notizen und Erinnerungen vom letzten Besuch haben mich vorbereitet, doch im Grunde ist es unmöglich, ohne grösste Bewunderung an den Kunstwerken, den verzierten Gebäuden, den Göttern und Wesen vorbeizugehen.
Furchteinflössende GötterfigurBlauer Himmel über goldenen PagodenUnvergleichliche Kunst
Wo sind die Trishaws?
In allen anderen Himmelsrichtungen breitet sich die Stadt wie ein schnell wachsendes Krebsgeschwür aus. Vor elf Jahren noch eine relativ ruhige Stadt, in der auch die Trishawfahrer ihren Platz hatten, sind diese nun weitgehend aus der Innenstadt verbannt (Trishaw: eine besondere, nur in Burma anzutreffende Art einer Rikscha, auf der zwei Passagiere Rücken an Rücken sitzen).
Mobiles und Wifi
Der Verkehr hat massiv zugenommen, als unangenehme Begleiterscheinung ist die Luftqualität nun knapp unterhalb eines Fumoirs anzusiedeln. Und eher unerwartet: konnte man 2004 das Mobile (Cellphone) während des gesamten Aufenthalts abstellen, hat nun jeder ein solches am Ohr (auch mitten im dichtesten Verkehr auf dem Roller), und WiFi ist so normal geworden wie bei uns (was natürlich nicht zutrifft, denn bei uns muss man froh sein, wenn überhaupt eines vorhanden ist!).
Mönche und Samaneras
Ein häufiger Anblick – Mönche und junge Samaneras auf allerlei Vehikeln. Aber auch an unerwarteten Orten ganze Familien in ärmlichen Unterkünften, die an Slums in anderen Städten erinnern.
Mönche auf einem AusflugBodensatz der Gesellschaft
Essen wie der König in Frankreich
Ja, so ändern sich die Zeiten. Immerhin mundet das Essen immer noch, auch wenn man in dieser Stadt nach geeigneten Kneipen schon etwas suchen muss. Heute ein Vorschlag des Burschen an der Reception: burmesische Küche pur, dazu ein Myanmar Bier.
Undefinierbar aber lecker aussehendSie machen ihre Sache gut
Unzählige junge Burschen wuseln um die zahlreichen Gäste herum, immer auf Draht, immer bereit, jeden Wunsch ihrer Kunden von den Lippen abzulesen.
Bevor man auch nur eine Bestellung aufgegeben hat, ist der Tisch vollgestellt mit Tellern, auf denen allerhand Undefinierbares bereit steht. Die Jungs, so gut sie auch als Kellner sind, so wenig verstehen sie englisch, und so bleibt meine Frage nach dem Inhalt der Teller unbeantwortet. Bleibt also nur probieren.
Na ja, ich sag’s mal so: es ist nicht alles so gut, wie es aussieht. Das Chicken Curry allerdings, nach birmanischer Art zubereitet, ist absolut State-of-the-Art. Köstlich! Ein weiterer Besuch drängt sich auf (ich werde ja noch zweimal in Mandalay vorbeikommen).
Nach gerade mal 12 Stunden Schlaf bin ich bereit, dem Schicksal ins Auge zu blicken, will heissen, heute werde ich mich mit dem Velo furchtlos in den dichten Verkehr von Mandalay stürzen. Denn Furchtlosigkeit ist angesagt. Velofahren in Burma ist gefährlich. Sehr gefährlich.
Ich miete also ein Damenfahrrad mit drei Gängen, eine Wohltat. Der Houseboy, verantwortlich für seine Vehikel, schaut mich zwar mit der grösstmöglichen Skepsis an. Offenbar traut er meinen Künsten nicht über den Weg. Ich habe fest vor, ihm das Gegenteil zu beweisen.
Fahrradfahren in Mandalay – dem Schicksal ins Auge blicken
Es hat nicht nur haufenweise Vehikel aller Art, die sich in alle Himmesrichtungen bewegen, auf den Kreuzungen aufeinander prallen, aber es irgendwie schaffen, ohne Probleme aneinander vorbeizukommen (nicht gerade so schlimm wie in Hanoi, aber es deutet in diese Richtung).
Und mitten drin bin ich auf meinem Damenvelo, natürlich viel langsamer als der Rest, also ein Hindernis per se. Erstaunlicherweise geht es gut, auch wenn ich ab und an einen mittleren Stau verursache, was ich aber würdevoll und mit einem etwas einfältigen Lächeln quittiere. Niemand ist böse. Dass die Ausländer auf Damenvelos in den meisten Fällen Idioten sind, hat sich anscheinend herumgesprochen.
Sobald man sich dem Tempelbezirk nähert, nehmen die Menschenmassen zu. Eine fröhliche Stimmung voller Lachen und Kinderstimmen erwartet mich.
Gewühl beim Tempelbezirk
Der Mahamuna Tempel
Nun denn Mahamuna. Nicht der erste Besuch, aber immer noch eindrücklich. Es handelt sich dabei um eines der grössten buddhistischen Heiligtümer in Burma, was in diesem hochreligiösen Land etwas heissen will. Schon von weitem glitzern die Türmchen, strahlen goldüberzogene Dächer, winken majestätische Eingangstore.
Selbstverständlich entledigt man sich der Schuhe und tritt ein in eine Art Karnevalsbereich. Es wimmelt von Läden und Ständen, die allerhand religiösen und sonstigen Kram anbieten. Dabei herrscht ein lautes Stimmengewirr, das so gar nicht zur sakralen Bedeutung des Heiligtums passen will. Aber das ist nicht unüblich in Asien. Man ist hier wesentlich weniger strikt in dieser Beziehung.
Der Mahamuna Tempel
Der goldüberzogene fette Buddha
Und mitten im herzen des Tempels die Statue des Buddha, ziemlich gross, ziemlich fett. Sie ist in der Zwischenzeit so sehr mit Gold bedeckt, dass die ursprünglichen Konturen nicht mehr zu erkennen sind. Der Grund dafür ist, dass die Gläubigen hauchdünne Goldblätter auf den Buddha kleben, Tag für Tag, Jahr für Jahr, zehntausende. Man schätzt, dass der Wert des Goldes in die Millionen geht.
Der fette Buddha im Mahamuna Tempel
In der Zwischenzeit rechnet man mit mehreren hundert Kilo Gold, die den armen Kerl bedecken. Bei der Armut des Landes eine doch ziemlich erstaunliche Geste der Frömmigkeit. Im Grunde ist es aber nichts anderes als eine Art Ablass-Deal: Man schmückt den Buddha mit Gold und erhält dafür ein besseres Karma, was für das nächste Leben von ausschlaggebender Bedeutung ist.
Dass allerdings nur die Männer dazu berechtigt sind, macht schon etwas nachdenklich. Die chauvinistischen Sprüche, die mir zu diesem Thema einfallen, lasse ich mal weg …
Der Irrawaddy
Gegen Abend ein Spaziergang. Und dann erkenne ich schon von weitem den hellen Dunst über dem Fluss. Abgesehen vom Mekong mein Lieblingsfluss – der Irrawaddy. Keine Ahnung, woher meine Liebe für Flüsse stammt, ich bin ja nicht gerade als Wasserliebhaber bekannt. Es ist schlicht ihre unbändige Kraft, ihre Wucht, die sich in Windeseile in zerstörerische Wut kehren kann. Aber da ist auch etwas Liebliches, etwas mütterlich Beschützendes.
Vielleicht rührt es daher, dass ich den Fluss auf einer langen Fahrt von Mandalay nach Bagan kennen- und liebengelernt habe. Soviele Eindrücke, soviele wunderbare Erinnerungen. An menschenleere Uferabschnitte, die aussehen, als hätte sie noch nie der Fuss eines Menschen betreten. Farbige, lärmende Menschen, die überraschend aus dem Dschungel treten und mitfahren wollen. Im Dreck suhlende Wasserbüffel, unbekannte Vögel, die einen Höllenlärm veranstalten.
Und dann natürlich als Höhepunkt der Reise – der Ausfall der Antriebsmotoren und unser Stranden an Robinsons Gestaden. Aber das ist eine andere Geschichte …
Das Irrawaddy Ufer im Abendlicht
Sandbänke auf dem Irrawaddy
Der Gemüse- und Obstmarkt
Es lockt der wunderbare Markt, wo Frauen Früchte und Gemüse in allen Farben und Formen anbieten. Da war doch mal was – ach ja, der Markt in Luang Namtha. Genauso farbig und lärmig geht es hier zu und her. Alles ist sorgfältig und mit grosser Liebe aufgebaut und ausgestellt worden. Man wagt beinahe nicht, etwas zu kaufen und damit das Kunstwerk zu zerstören.
Es ist zwar nicht mehr die schönste Stadt, aber der Namen, der nach Orient, nach Abenteuer, nach Gewürzen und sanften Menschen klingt, bleibt vielversprechend. Wie sich herausstellt, ist Mandalay zu einer hektischen Metropole geworden. Aber wir werden sehen …
Ich bin da, nach gut 18 Stunden von Tür zu Tür, es ist 13 Uhr Ortszeit, meine innere Uhr ist noch nicht auf die neuen Verhältnisse kalibriert, was bedeutet, dass die Augen ziemlich auf Halbmast stehen. Am Himmel steht irgendwas Gelbes, was wir in den letzten Wochen eher zufällig zu Gesicht bekommen haben, es muss sich um die Sonne handeln. Ausserdem ist es heiss, ziemlich heiss. Und die erste Station ist Mandalay, die Stadt mit dem schönsten Namen.
Mandalay mit Inwa und Sagaing
Geisterflughafen
Das Überraschende ist, dass trotz wenig Touristen lange Schlangen vor der Passkontrolle warten. Es gibt zwar haufenweise Schalter, allerdings unbesetzt. Die Uniformierten sind sich ihrer Bedeutung bewusst und mustern ihre Kunden mit grimmigem Blick. Ich bin zu müde für ein freundliches Lächeln, was erstaunlicherweise zu einer vergleichsweise schnellen Abfertigung führt. Muss ich mir merken …
Sammeltaxi
Dann also mit dem Sammeltaxi in die Stadt, ein erwartungsgemäss spezielles Erlebnis. Ein chinesisches Ehepaar setzt sich auf die hinteren Sitze, während ich das besondere Vergnügen habe, neben dem Betelnuss kauenden Chauffeur zu sitzen.
Die Autobahn ist breit, leer und weist viele Wellen auf, was bedeutet, dass wir alle paar Meter vom Sitz abgehoben werden. Der Chauffeur, der gelegentlich das Fenster öffnet, um eine Ladung durchgekauter Betelnuss loszuwerden, findet das natürlich zum Schiessen und steuert die nächste Welle mit noch mehr Genuss an.
Der Chauffeur hält sich streng an die Mittellinie, allerdings nicht als linke Begrenzung, wie es üblich ist, sondern als Richtungsweiser, also zwei Räder links, zwei Räder rechts der Mittellinie. Wie gesagt, die Strasse ist leer …
Hunde und Mönche
Hunde haben in Asien ein interessantes, wenn auch meistens kurzes Leben. Es gibt weder Leinenzwang noch Hundeschulen, weder Chappi noch Spaziergänge mit dem Herrchen, dafür spannende Ausflüge auf die Autobahn, wie es scheint.
Bello, der mit stoischer Ruhe die Strasse in dem Moment überquert, als wir uns nähern, ist einer von ihnen. Wir halten den Atem an, sehen ihn bereits als blutendes Bündel am Strassenrand liegen, da dreht er im letzten Moment ab, lässig, beinahe überheblich, also wollte er sagen: Leckt mich doch alle!
Am Strassenrand hält ein anderes Sammeltaxi an, eine Ladung Mönche entspringt ihm, sie sind offenbar in grosser Not, denn auch die heiligsten der Heiligen müssen mal.
A1 Hotel
Dass es dummerweise ein Hotel namens A1 und eines namens AD-1 gibt, führt erwartungsgemäss zu Missverständnissen und – vor allem bei den Taxichauffeuren – zu Frustrationen. Natürlich landen wir im falschen Hotel, was aber den Betelnuss-Drögeler, der mein Taxi fährt, nicht im Geringsten aus der Ruhe bringt (was einmal mehr bedeutet, dass kontrollierter Drogengenuss auch seine Vorteile haben kann).
So bin ich also im A1, einem durchaus empfehlenswerten Hotel, das – die Überraschung ist gross – ein funktionierendes Wlan zur Verfügung stellt. Es liegt strategisch günstig, nicht allzu weit vom Zentrum und auch nicht allzu laut.
Aber Mandalay – so schön der Name auch klingt – ist definitiv keine schöne Stadt, war sie vor elf Jahren bei meinem ersten Besuch nicht und ist es immer noch nicht.
Hat sich was geändert? Auf den ersten Blick nicht, auf den zweiten jedoch schon. Werbeplakate für Handys und alle anderen technologischen Errungenschaften – vor 11 Jahren noch völlig unbekannt, ebenso WiFi und funktionierende Internetverbindungen – sind allgegenwärtig. Es gibt nun jede Menge Roller, beinahe wie in Hanoi, dafür muss man die Trishaws suchen. Schade. .
Als erstes setze ich mich in ein Strassencafé und bestellt ein Myanmar Beer. Es ist das beste Bier, das ich seit Ewigkeiten getrunken habe. Die Müdigkeit dürfte dabei eine gewisse Rolle gespielt haben …
Auf der Suche nach Min-Min
Der Abend ist kurz und vor allem – zappenduster. Mandalay hat vieles, aber keine Strassenbeleuchtung.
Auf der Suche nach einem Restaurant namens Min Min stolpere ich an tiefen Pfützen (es muss massiv geregnet haben) vorbei, immer auf der Suche nach den paar Zentimetern, die es braucht, um den vielen Autos und Rollern, die im Höllentempo vorbeirauschen, auszuweichen. Und dann – nichts mehr, nur noch tiefer Schlaf, während vor dem Fenster die Geräusche der Nacht langsam verstummen.