Man geht immer mit einem lachenden Auge und mit einem weinenden Auge.
(Sprichwort, Autor unbekannt)
Das bleiernde Ende
Wie soll manden letzten Tag verbringen?
Nochmals den irren, einem LSD-Trip ähnlichen Spaziergang durch diese verrückte Stadt machen?
Zum letzten Mal die Lungen mit Dreck und Abgasen füttern?
Im liebgewonnenen Restaurant zum letzten Mal Chicken Momos geniessen?
Im anderen den letzten wirklich guten Kaffee trinken und dabei eine Danish Roll essen?
Nochmals den Durbar Square umrunden und die wieder aufgebauten oder noch immer in Trümmer liegenden Tempel besichtigen?
Das infernalische Gewühl in Thamel beobachten, wissend, dass es das letze Mal sein wird?
Alles zusammen. Das ist der Plan.
Das alles gehört zum Abschied.
Thamel – der letzte Ritt auf dem Mustang
Dann also auf zum letzten Ritt auf dem wilden Ross, genannt Thamel. Es scheint mir, dass ich es zum ersten Mal geniesse, durch die schmalen Gassen zu gehen, alle paar Augenblicke beinahe über- oder umgefahren zu werden (was in Tat und Wahrheit nie passiert), von hundert Stimmen aufgefordert zu werden, dieses oder jenes Ding zu einem fabulösen Preis erstehen zu können. Und die sagenhaft schlechte Luft einzuatmen.
Ich habe es besiegt, dieses Monstrum.
Vielleicht hängt es damit zusammen, dass man sich langsam kennt. Die gelangweilten Verkäufer nicken mir zu, obwohl sie wissen, dass ich nichts kaufen werde. Aber ein freundliches Lächeln ist noch immer der beste Türöffner für gegenseitiges Kennenlernen.
Die Dame in meinem Lieblingsrestaurant begrüsst mich nach der langen Abwesenheit mit einem Lächeln. „Welcome back!“, murmelt sie. Ich bin ganz gerührt. Ob es was mit meinen im Allgemeinen grosszügigen Tipps zu tun hat?
Anyway, es stellt sich tatsächlich so etwas wie ein heimatliches Gefühl ein. Und das ausgerechnet an meinem letzten Tag.
Durbar Square – Tempel und Ruinen
Beim zweiten Besuch zeigen sich die wahren Schäden, die das Erdbeben zurückgelassen hat. Einzelne Tempel erstrahlen zwar wieder in altem Glanz, andere liegen immer noch in Trümmern oder müssen abgestützt werden.
Tempel beim Durbar Square – dieser ist wieder restauriert wordenAuf den ersten Blick alles okayHöchstens ein bisschen schräg …… oder immer noch in Trümmern
„There ain’t no such thing as a free lunch.“
Was mir zu denken gibt, sind die Tempel hinter riesigen Gerüsten, die offensichtlich durch chinesische Unterstützung wieder aufgebaut werden. Da kommt mir doch gleich der alte Spruch in den Sinn, der die Sache ziemlich genau beschreibt.
Aber lassen wir das.
Herzzerreissende Blicke
Die Plätze rings um den Square sind voller Touristen, und so sind da natürlich auch zahlreiche Verkaufsstände, die alles, was in Thamels Gassen angeboten wird, natürlich auch hier anbieten, allerdings zu viel höheren Preisen. Es scheint aber einige Verzweifllung zu herrschen, denn man wird als unschuldiger Fussgänger fast genötigt, zumindest einen Blick auf die Gegenstände zu werfen. Eine abschlägige Antwort verursacht einen herzzerreissenden Blick …
Auf den ersten Blick eine unendliche Anzahl wunderbarer Gegenstände, jeder ein Souvenir wertAuf den zweiten Blick immer das gleiche …
Der Weg zurück ist langsam, nachdenklich.
Das war’s also wiedermal. Morgen früh wartet ein Taxi auf mich und meine schweren Rucksäcke, und kurze Zeit später das Flugzeug Richtung Katar. Ich verabschiede mich, im Geist fühlend wie einer der bemalten Götter, deren Gesichtsausdruck irgendwas zwischen Lachen und Weinen ausdrückt.
Lacht er oder weint er?
24 Stunden später …
Ich sitze wieder mal am Flughafen in Doha, müde und gelangweilt, und muss trotzdem noch viele Stunden an diesem gottverlassenen Ort verbringen, bis endlich mein Weiterflug um 2 Uhr morgens startet. Bis dahin Netflix, Lesen, Dösen, Kaffee trinken und einen letzten Blick auf die Skyline von Doha im Abendlicht werfen.
Ein wunderbares letztes Bild dieser wunderbaren, unvergesslichen Reise …
Die Nacht fällt über Doha
Das ist nicht das Ende …
Natürlich nicht. Es ist schlimmstenfalls das Ende dieser einen Reise. Es geht weiter, immer weiter. So viele weisse Flecken auf der Landkarte. Und so viele erkundigt (Asien und Amerika). Nach all den wunderbaren Erlebnissen in Burma, in Südostasien, Südamerika, Ladakh und Rajasthan, Indien, Laos … ist der Reisevirus immer noch aktiv. Er soll so bleiben …
Neue Ideen melden sich … Die Fahrt mit der Transsibirischen Bahn nach Peking. Der alternative Jakobsweg von Sevilla nach Santiago de Compostela. Namibia. Japan …
Der Kreis hat sich geschlossen, ich bin zurück in Kathmandu. Also wieder schlechte Luft, schlimmster Verkehr, Lungen wie ein Kettenraucher.
Und trotzdem fühlt es sich an wie eine Heimkehr.
Ein paar Stunden früher
Mit Chitwan lasse ich Ruhe hinter mir. Stille. Natur. Den Platz, wo ich mich wohlgefühlt habe. Trotz einigen Erkenntnissen, die nicht zu innerem Frieden geführt haben. Aber es muss sein. Kathmandu, die letzten Tage.
Ich nehme also wieder einmal Abschied. Besteige den tausendsten Bus, schaue mir zum millionsten Mal die vorbeihuschende Welt an, bin verwundert, aufgeregt, neugierig. Aber auch etwas müde.
Die Fahrt ist lang, wir fahren den gleichen Weg zurück, wieder durch die Berge, dem Fluss entlang, erreichen am Nachmittag Kathmandu, der Lärmpegel steigt, in gleichem Mass wie die Luftqualität abnimmt. Dann bin ich im Hotel, ein neues, packe auch zum tausendsten Mal aus, strecke mich müde auf dem Bett aus, starre lange an die fleckige Decke.
Der Weg nach Bodnath
Doch ungeachtet der inneren Unruhe bleiben ein paar Sehenswürdigkeiten übrig, die ich mir nicht entgehen lassen will.
Da ist einmal Bodnath. Eigentlich ein Vorort von Kathmandu, aber vor allem bekannt und berühmt für eine der heiligsten Stätten des tibetischen Buddhismus.
Und natürlich Pashupatinath. Ebenso heilig, aber für die Hindus.
Der ältere freundliche Mann in der Hotel-Reception fragt mich nach meinen Tageszielen. Als ich ihm von Bodnath und Pashupatinath erzähle, nickt er zustimmend, doch die Absicht, zu Fuss dorthin zu gelangen, löst mitleidiges Kopfschütteln aus.
Eine Stunde später ist klar, was er gemeint hat.
Ich habe mir mal wieder etwas vorgenommen, was ich früher oder später bereuen werde.
Es beginnt ganz harmlos. Sobald man Thamel verlässt, zeigt sich ein anderes Kathmandu, städtisch, beinahe geordnet, mit breiten Strassen und Trottoirs. Man atmet unwillkürlich auf und stellt sich die nächsten Kilometer ähnlich vor.
Kathmandu – laut und dreckig und gefährlich für die Fussgänger
Das trifft auch eine gute Stunde zu. Natürlich ist der Verkehr dicht und laut und unangenehm, aber im Vergleich zum Höllenpfuhl Thamel beinahe paradiesisch. Das ändert sich aber schlagartig, sobald man in die Aussenquartiere gelangt. Die Strassen sind nun eher Gassen, eng, löchrig, staubig, ein Auto hinter dem anderen . Die Aussicht auf ruhigere Aussenbezirke mit wenig Verkehr und grünen Flächen entpuppt sich als Schimäre.
Vor mir staksen ein paar Schulmädchen in ihren properen Uniformen der Strasse entlang, und ich stelle mir vor, dass sie diesen Weg durch schlechte Luft und der permanenten Gefahr, umgefahren zu werden, jeden verdammten Tag gehen müssen. Die Statistik zeigt: es sterben sehr viele Einwohner an Lungenkrebs. Es wundert mich nicht.
Ich stelle mir vor, wie es sich für die Bronchien und Lungen anfühlen muss. Oder nein – ich stelle es mir lieber nicht vor.
Bodnath
Aber es wird nicht besser, es wird schlimmer, viel schlimmer. Die Strassen, die von ausserhalb in die Stadt führen, werden zwar wieder breiter, dafür der Verkehrsstrom dichter. Es gibt keinen Asphalt mehr, nur noch Staub und Dreck. Und Pfützen voller Wasser, die man umgehen muss, während Motorräder und Autos und Busse daneben durchrasen.
Irgendwann wird auch das Schlimmste zur GewohnheitEin Gewirr von Stromkabeln
Der Stupa
Aber da taucht endlich der riesige Stupa auf, zwischen den Hausdächern herausragend. Mit einer Höhe von 36 Metern gehört er zu den größten seiner Art.
Bekannt ist Bodnath wegen des großen Stupa, der seit Jahrhunderten eines der bedeutendsten Ziele buddhistischer Pilger aus Nepal und den umliegenden Regionen des Himalaya ist. Seit dem Jahr 1959 haben sich in der unmittelbaren Umgebung des Stupa zahlreiche geflohene Tibeter angesiedelt. Der Cini-Lama, der dritthöchste Würdenträger der Tibeter nach dem Dalai Lama und dem Panchen Lama, residiert in Bodnath.
Die Entstehung des mit ca. 36 m Höhe einer der größten Stupas seiner Art geht der Überlieferung nach zurück auf die Licchavi-Könige des 5. Jahrhunderts. Im Mittelalter hatte er so gut wie keine Bedeutung, da der Buddhismus aus dem Alltagsleben der Inder und Nepalesen verschwunden war. Erst mit der Zuwanderung zahlreicher Tibeter ins Kathmandu-Tal erlangte er wieder viel von seiner ursprünglichen Bedeutung zurück.
Beim Erdbeben in Nepal am 25. April 2015 wurde der Stupa beschädigt. Um die Reparatur durchzuführen, wurde die gesamte Spitze abgetragen und neu aufgebaut. Die Weihe des wiederhergestellten Stupas fand im November 2016 statt. Es erinnert mich an Burma: trotz empörender Armut erhalten religiöse Kultstätten jede nur mögliche finanzielle Unterstützung, während die Bevölkerung sehen kann, wo sie bleibt.
Der Blick ist ernst und durchdringend
Man muss das Bauwerk und seine sakrale Umgebung auf sich wirken lassen. Ich bewege mich langsam im Uhrzeigersinn durch die Pilger und Touristen, atme die heilige Luft ein, die allerdings auch nicht viel besser scheint als die diejenige draussen auf der Strasse.
Man umrundet die heilige Stätte im Uhrzeigersinn
Es gibt eine Menge zu sehen und zu bestaunen. Obwohl die Heiligkeit des Ortes spürbar ist, scheint er doch eine Art Disneyland nach buddhistischer Art zu sein. Es erinnert mich einmal mehr an Burma oder Laos, wo die heiligsten Orte auf seltsame Weise irdisch sind.
Wo der Buddha noch das Preisschild um den Hals trägt. Wo unter dem Heiligtum ein Abstellplatz für Autos eingerichtet ist. Wo neben dem Buddha eine Micky Mouse Figur steht.
Kriegerische Gestalten auf Kriegselefanten
Buddhisten finden sich vor allem im Morgengrauen und zur Abenddämmerung bei dem Bauwerk ein, um es im Uhrzeigersinn zu umrunden. In Vollmondnächten werden tausende Butterlämpchen auf den Terrassen, welche den Stupa im Grundriss eines Mandalas umgeben, entzündet.
Mehr zwischen Himmel und Erde …
Natürlich wird der Stupa von zahlreichen Tempeln gesäumt, jeder schöner und eindrücklicher als der andere. Ich suche mir den schönsten aus und einmal mehr erfüllt mich ein seltsames Gefühl, als würde ich daran erinnert, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gibt, als man zu wissen glaubt.
Pashupatinath
Aber ich muss mich verabschieden, ein weiteres Heiligtum wartet auf meinen Besuch.
Es führt ein direkter Weg von Bodnath zum Tempelbezirk von Pashupatinath, der an den Ufern des Bagmati-Flusses östlich von Kathmandu liegt.
Ich nähere mich über einen Hügel, der oberhalb des Tempelbezirks liegt und eine wunderbare Aussicht auf die umliegende Stadt bietet. Ich bin beinahe der einzige, sieht man von einer farbigen Frauenriege und zahlreichen Rhesusaffen ab.
Von oben scheint der Bagmati-Fluss nicht ganz so verdreckt zu sein wie befürchtet, doch je näher man kommt, desto erschreckender wird es. Der Fluss ist ine einzige stinkende Kloake; rechts der Pandra Shivalaya Komplex – 15 Schreine, die zu Ehren verstorbener Persönlichkeiten errichtet wurden.
Hier bin ich vor tausend Jahren schon mal gesessen, und schon damals war der Fluss eine einzige stinkende Kloake. Trotzdem und auch trotz der vielen Touristen strömt der heilige Ort eine eigene Würde aus.
Lange her …
Der Shiva Tempel
Hier wird Shiva als Pashupati („Gott des Lebens“ – Pashu = „Leben“) verehrt. Der eigentliche Tempel ist nur für Hindus zugänglich, der äußere Tempelbezirk darf hingegen von jedermann betreten werden. Der Tempel bildet eine Pagode mit zwei Dachebenen, die mit vergoldetem Kupfer bedeckt sind. Die vier Eingangstüren sind mit Silberplatten bekleidet. In der Cella (garbhagriha) im Inneren des Tempels befindet sich ein ca. 1,80 m hoher viergesichtiger Shiva-Lingam mit einem Durchmesser von etwa 1,10 m hat. Er darf ausschließlich von vier Priestern (bhattas) berührt werden, die immer aus dem Süden Indiens stammen müssen, daneben gibt es noch zahlreiche, mit Hilfsaufgaben betraute Priester niederen Ranges (bhandaris).(Wikipedia)
Der Ansturm der zahlreichen Touristen und Gläubigen lässt die heilige Stätte gelegentlich aussehen wie am Kirmes. Trotzdem ist es erstaunlich ruhig, als würde man merken, dass dieser Ort etwas Besonderes ist.
Blick auf den nur für Hindus zugänglichen Teil von Pashupatinath
Die Verbrennungsstätten – die Arya Ghats
Der Bagmati teilt die Anlage in zwei große Bereiche. Auf dem rechten Ufer des Bagmati liegen der Pashupatinath-Tempel und die Verbrennungsstätten, die Arya Ghats (Verbrennungsstätten der höheren Kasten) und die Surya Ghats (Verbrennungsstätten der niederen Kasten). Dieser Ort hat für viele Gläubige als Platz für die „letzten Riten“ besondere Bedeutung: es gilt als erstrebenswert, seine Leiche hier verbrennen zu lassen.
Die Verbrennungsstätten
Die meist in gelbe Tücher gehüllte Leiche wird zu den Verbrennungsstätten getragen, wo ein Scheiterhaufen errichtet wird. Vor der Verbrennung bespritzt man die Leiche mit dem Wasser des heiligen Flusses oder wäscht die Füße im Wasser. Die Leiche wird dann von oben mit feuchtem Stroh bedeckt. Wenn die Familie es sich leisten kann, verwendet man zur Verbrennung neben normalem Holz zusätzlich das kostbare, duftende Sandelholz (Wikipedia).
Beim Erwachen, es ist noch Nacht, stelle ich aus alter Gewohnheit das iPhone ein, und da, ein paar Schlagzeugtakte, und dann steigt wie aus dichtem Nebel eine Melodie auf, eine zerbrechliche Stimme.
Joy Division. Meine Lieblingsband der späten Siebzigerjahre.
Ian Curtis. Ihr fragiler Frontmann.
Während ich mit geschlossenen Augen der sonoren Stimme von Curtis lausche, spüre ich einmal mehr die dunkle Trauer und Verlorenheit darin. Hell’s darker Chambers. So gesehen war sein Selbstmord nicht überraschend gewesen.
Here are the young men, the weight on their shoulders Here are the young men, well, where have they been? We knocked on the doors of Hell’s darker chamber Pushed to the limit, we dragged ourselves in
Watched from the wings as the scenes were replaying We saw ourselves now as we never had seen Portrayal of the trauma and degeneration The sorrows we suffered and never were free
Man könnte auch mit optimistischerer Musik den Tag beginnen.
Positivere Vibes
Ich hoffe, dass die heutige Exkursion meine durch Joy Division ins Pessimistische gedrückte Stimmung aufhellt und im Vergleich zur gestrigen mehr Insight in die Besonderheiten des Nationalparks bringt. Und vor allem, dass der verantwortliche Guide mehr als nur alle dreissig Minuten den Mund öffnet.
Es ist auch eine Einsicht (die ich eigentlich schon lange habe, aber immer wieder zu vergessen scheine), dass touristische Angebote genauso zweifelhaft sein können wie die Wetterprognosen oder die Börse. Mal korrekt, mal nicht.
Aber was soll’s (oder übersetzt „what the fuck!“, passt zum wunderbaren Titel eines kürzlich gelesenen Buches):
The Subtle Art of Not Giving a F*ck: A Counterintuitive Approach to Living a Good Life
In this generation-defining self-help guide, a superstar blogger cuts through the crap to show us how to stop trying to be „positive“ all the time so that we can truly become better, happier people.
For decades, we’ve been told that positive thinking is the key to a happy, rich life. „Fk positivity,“ Mark Manson says. „Let’s be honest, shit is fked and we have to live with it.“ In his wildly popular Internet blog, Manson doesn’t sugarcoat or equivocate. He tells it like it is—a dose of raw, refreshing, honest truth that is sorely lacking today. The Subtle Art of Not Giving a F**k is his antidote to the coddling, let’s-all-feel-good mindset that has infected American society and spoiled a generation, rewarding them with gold medals just for showing up.
Das Kanu und die Krokodile
Der Tag beginnt geordnet, nicht so wie gestern, es gibt einen Plan, eine durchdachte Organisation des Tages, mit dem Ziel, möglichst viel Positives zu generieren.
Das TukTuk fährt zur Abwechslung mal in die andere Richtung, sodass ich nun auch in dieses abgelegene Quartier Saurahas einen kurzen Einblick erhalte.
Am Rand eines Flusses, offenbar ein Zufluss zum gestrigen, steigen wir eine Böschung zu einigen schmalen Kanus (heissen die Dinger Kanus oder Kähne oder Boote oder wie? Und was ist der Unterschied? Grösse?) hinunter, die mir in der Zwischenzeit bekannt sind. Allerdings sind wir heute allein, nur der Guide, zwei Bootsmänner (oder eher Bootsjungen) und ich.
Bedrohte Gariale
Es dauert nicht lange, und die lange, spitze Schnauze eines Garials taucht aus dem Wasser, zwei tote Augen wie bei Haien (remember „Jaws“) werfen uns einen kurzen, desinteressierten Blick zu und schliessen sich gelangweilt.
Die Ghariale sind extrem bedroht. Diese besondere Spezies lebt nur noch hier und an einigen wenigen Orten im Norden Indiens und muss mit viel Aufwand vor dem Aussterben bewahrt werden.
Gharial (Copyright Wikipedia)
Die Aufzucht und spätere Auswilderung in der Krokodil-Station, so wie gestern gesehen, ist also notwendig, weil die frei lebenden Krokodile keine Überlebenschance haben. Einer der Hauptgründe: von der Industrie verseuchtes Wasser im oberen Teil des Flusses.
Einmal mehr spielt also der Mensch die Rolle des Richters und Henkers in einem. Es ist zum Kotzen.
Langsame Fahrt den Fluss hinunter
Mit gemächlichen Schlägen bringen uns die beiden Bootsjungen den Fluss hinunter. Das leise Klatschen der Ruder und ein vielstimmiges Konzert von Vogelstimmen sind die einzigen Geräusche in der lastenden Stille.
Manchmal kreuzen oder überholen wir ein anderes Boot, ein kurzes Nicken, vielleicht sogar ein Lächeln.
Der Himmel ist noch grau, auf jeden Fall hat sich ein vorgestelltes morgendliches Blau rar gemacht. Aber wir nehmen an diesem stillen Morgen auch jede Schattierung von Grau, auch grau passt zum Cocktail aus süss-bitteren Aromen, die um die Nase schweben, den Klängen von Wasser und Tieren und sonst nichts.
Reiher, Störche und andere Vögel
Immerhin kriege ich nun – Fotos sei Dank – die ersehnte Auskunft zu den Vögeln in Pokhara. Es handelt sich tatsächlich um Reiher (Egrets), genauer gesagt Fischreiher, sie sind im Unterschied zu vielen anderen Vogelarten (noch) nicht bedroht.
Was allerdings für die seltenen Störche, die hier leben, nicht zutrifft. Wie für so viele andere Tiere wird ihr Lebensraum immer begrenzter.
Manchmal denke ich, dass der Song am frühen Morgen haargenau zu diesen Beobachtungen und Erkenntnissen passt.
The weight on their shoulders.
Diese Last haben wir zu tragen. Für immer und ewig.
Pessimistische Erkenntnisse
Man kann sich allem entziehen. Indem man den Kopf in den Sand steckt. Oder nicht hinsieht und nicht hinhört.
Aber alles, was mir an diesem wunderschönen Morgen Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass wir – wenn wir nicht aufpassen – am Rande eines gigantischen Friedhofs stehen. Der Friedhof ist gefüllt mit all den Tieren und Pflanzen, die durch den Mensch, durch uns, für immer verschwunden sind.
Und jetzt stehe ich hier, an einem Ort, der vermeintlich dafür steht, dass sich der Mensch (oder zumindest einige) sich kümmert. Dass es ihm nicht egal ist, was mit der Natur geschieht. Dass wir etwas tun müssen. Einhalt gebieten.
Aber alles, was ich höre, ist erschreckend.
Dass die Tigerpopulation zwar wächst, aber durch Inzucht gefährdet ist.
Dass viele andere Tierarten durch das gleiche Problem bedroht sind.
Dass – wie oben festgestellt – Ghariale nur noch mittels Aufzucht überleben können.
Dass eine ganze Storchenart vom Aussterben bedroht ist.
Dass durch die Klimaveränderung und die daraus entstehenden Überschwemmungen zahlreiche Nashörner einfach weggeschwemmt werden und kläglich ertrinken.
Dass die Elefanten, die für Touristenausflüge benutzt werden, durch die ungewohnten schweren Lasten Rückenprobleme entwickeln.
Dass der drohende Klimawandel bereits jetzt schlimme Folgen für den ganzen Park hat.
Was soll man da sagen? Ich weiss es nicht.
Versuch einer Aufheiterung
Der Guide, dem meine zunehmende Schweigsamkeit nicht entgangen ist, versucht ein paar aufheiternde Informationen. Immerhin ist vorläufig das Schlimmste verhindert worden. Die Populationen sind trotz der obig beschriebenen Probleme gewachsen, die Wilderei hat dank Unterstützung durch die Regierung sprich Armee abgenommen. Durch den Tourismus ist vorläufig auch die Finanzierung gesichert.
Ich bin nur ein bisschen beruhigt.
Tiger oder Nashorn?
Beinahe am Ende unserer Tour erklingt aus dem nahen Wald ein archaisches Geheul. So stellt man sich die Zeit der Dinosaurier vor, mit wildem Angriffsgebrüll und Todesschreien.
Der Guide glaubt zuerst an den Angriff eines Tigers, ändert dann aber die Meinung und denkt eher an den Kampf zweier Nashörner. Eines der beiden scheint aber definitiv den Kürzeren gezogen zu haben. Was dann geschieht, wage ich mir lieber nicht vorzustellen.
Elefantencamp
Am Ende der Tour ein Elefantencamp. Es ist grosszügig angelegt; es sind mindestens zwanzig stattliche Elefanten untergebracht. Riesige Bullen mit gewaltigen Stosszähnen stehen angebunden an ihren Plätzen. Offenbar wäre es zu gefährlich, sie frei laufen zu lassen.
Man möchte ihnen nicht im Freien begegnen.
Es sieht nach Feierabend aus
Andere kommen zurück, vom Feld, von der Arbeit? Sie scheinen es zu geniessen, genauso wie ihre Betreuer, die Mahuts.
Menschliche Dummheit
Manchmal nimmt die menschliche Dummheit Züge an, die angesichts der Erkenntnisse des Morgens noch erschreckender wirken. Auf den ersten Blick scheinen sie lustig, es ist sozusagen der Mensch in seiner ursprünglichsten Form: etwas dumm, ungeduldig, aggressiv, auf seltsame Weise unschuldig in seiner Blödheit.
Eine einfache dramaturgische Versuchsanordnung: da die Strasse an einigen Stellen tiefe Löcher aufweist, die sich bei Regen mit Wasser füllen, soll sie ausgebessert werden. Es fahren nun also Lastwagen heran, leeren Schotter und Sand aus, sodass die Strasse alle paar Meter mit einem meterhohen Haufen bedeckt ist.
Die entsprechenden Maschinen zum Verteilen des Schotters stehen bereit, man kann annehmen, dass in einer Stunde wieder gefahren werden kann.
Eine Stunde warten? Auf keinen Fall. Also fahren ein paar Vehikel auf Teufel komm raus los, Jeeps, Minibusse, alles, was Räder hat. Und alle bleiben stecken. Versuchen es vorwärts. Rückwärts. Die Motoren heulen, der Sand spritzt nach allen Seiten, die Räder fressen sich tief ein. Erfolgslos.
In der Zwischenzeit hat sich eine stattliche Menge Zuschauer versammelt, und alle lachen, klatschen, verspotten die unglücklichen Driver, die mit hochrotem Gesicht versuchen, sich aus der selbst angerichteten Bredouille zu retten.
Wie sagte ich doch vom Mensch? Auf seltsame Weise unschuldig in seiner Blödheit.
Auf dem Heimweg ein aufmunterndes Bild – Elefanten auf dem Weg nach Hause.
Und wieder kein Strom
Langsam wird es zur Gewohnheit, dass jeweils am Abend der Strom ausfällt. Mal durch Gewitter, dann wieder durch Reparaturarbeiten oder was auch immer.
Dies bedeutet jeweils auch, dass der hauseigene Generator zwar Strom fürs Licht und anderes Notwendige bereitstellt, nicht jedoch für den Ventilator im Zimmer. Also komme ich auch in der letzten Nacht zu einem Schlaf in heisser (>35 Grad) und feuchter Luft, während draussen ein kühlendes Gewitter tobt, das allerdings nicht bis in meine Unterkunft gelangen kann …
Mein Apple Restaurant verwöhnt mich mit Toast mit Butter und Konfitüre, dazu zwei Spiegeleier (Sunny-Side up) und Black Coffee. Man könnte sagen, dass der Tag so begonnen hat, wie es sein sollte.
Kommt dazu, dass es noch angenehm kühl ist, erst gegen Mittag steigt das Thermometer unaufhörlich bis über 30 Grad und stoppt erst bei einer Temperatur, die vom gemeinen Mitteleuropäer bereits mit dem Prädikat „unerträglich“ bezeichnet wird.
Mein erstes Nashorn
Der Hotelmanager bringt mich mit seinem Motorrad zum Startpunkt der angekündigten „Safari“ durch den Chitwan-Nationalpark . Ein dicht gedrängter Haufen Touristen hat sich mit ihren Guides um ein kleines Häuschen versammelt.
Während also die Dinge langsam und träge ihren Lauf nehmen, gehe ich ein paar Schritte dem Fluss entlang, winke einem jungen Mann auf einem schmalen Boot zu, und da – ich traue meinen Augen nicht – auf der anderen Seite des Flusses watet ein stattliches Nashorn im Ufergestrüpp, ungeachtet des Lärms von der anderen Seite. He, mein erstes frei lebendes Nashorn.
Im Normalfall sieht man sie bestenfalls im Zoo, wo sie träg geworden ihren langen langweiligen Tag verbringen, ohne sich um Schlafplatz, Nahrung oder Feinde kümmern zu müssen.
Das alte Problem mit den zoologischen Gärten. Tut man den Tieren wirklich etwas Gutes, oder dient es ausschliesslich der Neugier der Besucher?
Über den Fluss
Eine seltsam konfuse Art, Tickets zu verteilen. Es dauert eine Ewigkeit, bis der uniformierte junge Mann an seinem behelfsmässigen Pult alle Angaben geprüft hat. Erst wenn wirklich alles stimmt, wird der entsprechende Stempel auf die Tickets gedrückt. Man könnte schon beim Zusehen wahnsinnig werden.
Unser Guide ist ein Herr in den besten Jahren, kleingewachsen, drahtig. Der erste Eindruck überzeugt. Er führt uns zum Fluss hinunter, wo lange, schmale Boote die Touristen zum gegenüber liegenden Ufer bringen.
Man zwängt sich in den fragil aussehenden Kahn, für jeden Arsch steht ein niedriger Hocker bereit, und erst wenn mindestens zehn Personen in einer Reihe sitzen, stösst der Bootsführer ab. Es geht ganz langsam und vorsichtig los, man gleitet lautlos über das trübe Wasser, bis man nach ein paar Minuten am anderen Ufer ankommt.
Alle paar Minuten überqueren die Boote den namenlosen Fluss
Der Jeep, der Guide und wir
Der Jeep ist gross, bietet auf der offenen Ladefläche Platz für knapp zehn Personen, die Sitze sind einigermassen bequem, also beste Voraussetzungen für einen spannenden Nachmittag.
Wir sind einmal mehr eine zusammengewürfelte Truppe. Drei ältere englische Herrschaften, die sich vor allem als Vogelliebhaber outen, ein bayrisches Ehepaar, ein Inder oder Nepalese mit seinen zwei Söhnen, deren Interesse eher ihrem Smartphone als der Tierwelt gilt, eine hübsche junge Dame, die ich nirgendwo unterbringen kann, da sie kaum einmal den Mund öffnet, dazu der Guide und ich.
Über holprige Strassen hinein in den Dschungel
Man ist gespannt auf das, was da kommen möge, und so bohren sich von Anfang an zehn Augenpaare in das hüfthohe Grün in der Hoffnung auf tierische Überraschungen. Die lassen aber noch etwas auf sich warten. Es dauert eine Weile, bis sich der Jeep über die schlechten Strassen durch dichten Wald, dann wieder offenes Gelände, bis in die Region gekämpft hat, wo nun die versprochenen Viecher sichtbar werden sollten.
Wir sind natürlich nicht die einzigen, sondern eher Teil einer langen Kolonne von identischen Jeeps, alle vollgestopft mit aufgeregten Besuchern. Manchmal kommt es zu einem Stau, dann muss man geduldig warten, bis sich der Verkehr beruhigt hat.
Wo sind die Tiere?
Es ist heiss, eine der beiden englischen Damen flüchtet sich zwecks Schatten mit hochrotem Kopf in die Fahrerkabine, während der Bayer seine GoPro verliert und der Jeep zurückfahren muss. Es erinnert mich an Slapstick-Einlagen, Monty Python hätten es nicht besser machen können. Ich unterhalte mich prächtig, denn auch ohne Tiere ist die Fahrt äusserst unterhaltsam.
Nur der Guide verhält sich seltsam zurückhaltend. Eigentlich würde man erwarten, dass er uns Informationen vermittelt, auch solche, die nicht nur mit den vorläufig unsichtbaren Tieren zu tun haben. Über die Geschichte des Nationalparks, über die Probleme, über die Bewachung, über alles, was zu einem derart weltbekannten Park zu sagen wäre. Na ja, vielleicht erwartet man zuviel. Auf jeden Fall kommt nichts, und wie sich im Verlauf des Nachmittags herausstellen wird, wird es so bleiben.
Aber wo sind sie, die Tiere? Man hat uns doch jede Menge Nashörner, Tiger, Bären, Affen und Vögel versprochen. Dass die Wahrscheinlichkeit, einen Tiger oder einen Bären zu sichten, verschwindend klein ist, scheint klar zu sein. Nicht mal ein Bär mit einem IQ von Null würde sich ausgerechnet am hellen Nachmittag einer Kolonne von Jeeps mit ein paar kuriosen Touristen zeigen, von Tigern ganz zu schweigen.
Wenn ich mir die Gesichter meiner Mitreisenden ansehe, ihre langsam aufsteigende Ungeduld, ihre Enttäuschung, wenn sich ein vermeintliches Nashorn mal wieder als verrottender Baumstumpf entpuppt, dann kann ich mir ein boshaftes Grinsen nicht verkneifen.
Doch noch Nashörner
Ich stelle mich in Gedanken bereits darauf ein, den Tag als gemütliche, etwas teure Fahrt durch den Dschungel zu deklarieren, da taucht unweit der Strasse ein Tümpel auf, und darin – man glaubt es kaum – tummeln sich tatsächlich zwei echte lebende Nashörner.
Nun kommen Smartphones, Kameras, Film- und Videorecorder und GoPros zum Einsatz, alles, was der moderne Tourist an Technologie mitträgt, es wird geknippst und gefilmt und oh! und ah!, bis die beiden Dickhäuter, offenbar intelligenter als ihre menschlichen Beobachter, ihren Auftritt beenden und im Dickicht verschwinden.
Ein Kingfisher und ein Nashorn-Methusalem
Manchmal müsste man eine bessere Kamera und etwas mehr Talent zum Fotographieren haben. Dann würde ich wunderbare Bilder eines Kingfishers (bei uns Eisvogel) zeigen können, die ich nun in Ermangelung eigener Fotos im Internet suche. Sie sind meine absoluten Lieblingsvögel, und offenbar gibt es hier im Nationalpark sehr viele davon. Aber sie sind so klein und so wendig, dass man sie kaum vor die Kamera bekommt.
Von Joefrei – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=40585848
Irgendwo auf einer Wiese, ganz in der Nähe der Strasse, weidet ein Nashorn, ein ziemlicher Brocken, aber aufgrund seines Aussehens mit Sicherheit ein älteres Exemplar. Es lässt sich nicht stören, auch durch die Stimmen und die Motorgeräusche nicht, und frisst sich gemütlich durch das hohe Gras.
Ein aussergewöhlicher Anblick.
Stopp bei den Krokodilen
Alle Jeeps halten am gleichen Ort, offenbar einem Zentrum für die Aufzucht von Krokodilen. Und tatsächlich, in grossen Becken werden unterschiedliche Generationen aufgezogen, von ganz winzig bis fast ausgewachsen. Da der Guide auch dazu nichts zu sagen hat, bleibt nichts anderes übrig, als mich später schlau zu machen.
Der Rückweg mit Affen und Vögeln … und Vögeln … und Vögeln …
Der Grund, warum wir bei jedem Schwanz, der auch nur annäherungsweise wie ein Vogel aussieht, liegt bei den drei Birdwatchers aus Brexit-Land. Offenbar kennt sie der Guide persönlich und wacht nun darüber, dass ja kein einziges Federvieh vergessen wird. Wir, die wir nicht über die notwendigen Utensilien verfügen, haben keine Ahnung, wovon die mit starken Feldstechern operierenden Ornithologen sprechen, wenn sie aufgeregt in eine Richtung zeigen, wo sich eben ein kaum sichtbarer Schatten im Geäst eines Baumes bewegt hat.
Offenbar soll es sich um Fasane, Pfauen (die sehen sogar wir), Kuckuck und Spechte handeln. Die anderen Vögel sind mir hingegen so unbekannt, dass ich nicht mal den deutschen Ausdruck dafür google.
Immerhin, einen Vogel sehen alle, auch diejenigen ohne Fernglas – einen Weisskopf-Adler. Ein wunderschöner, stolzer Raubvogel, der uns nicht nur mit Desinteresse sondern Verachtung straft. Recht hat er.
Aber immerhin wird auch der Rest der Truppe gelegentlich unterhalten, sei es durch wunderbar gesprenkelte Rehe, die sich erst mit langen Sprüngen aus dem Staub machen, als sie unser ansichtig werden.
Erinnerungen an Langtang – ein Langur
Oder ein Langur, ebenso niedlich wie im Langtang, wenn auch bei massiv weniger frostigen Temperaturen. Sind es wirklich die gleichen Affen?
Für einmal erfüllt auch der Guide seine Aufgaben und deutet auf ein kleines, flinkes Tier, das erst flüchtet, als wir uns ihm bedrohlich nahe kommen.
Ein Mungo!
Und da – weitere Nashörner, Affen, sogar ein Wildschwein macht sich mit einem empörten Grunzen aus dem Staub.
Ein Gewitter im Anzug
Langsam nähern wir uns dem Ende der Tour, beim Krokodilcamp war ja der Umkehrpunkt, nun fahren wir seit geraumer Zeit denselben Weg zurück.
Der Himmel bezieht sich ebenso mit dunklen Wolken wie das Gesicht des bayrischen Herrn, der sich angesichts des drohenden Gewitters Sorgen um seine wahrscheinlich sündhaft teure Ausrüstung macht.
Es würde auch mir nicht gefallen. Vor allem auch deshalb, weil meine gesamte restliche Wäsche in der Laundry ist, und ich deshalb mit nassen Kleidern bis am Abend ausharren müsste.
Was aber unsere Vogelfreunde nicht im Geringsten zu stören scheint, trotz baldigem Hereinbrechen des Himmels über unseren Köpfen, gibt es immer noch einen Vogel zu entdecken („oh even a new bird for me“). Der Rest der Truppe ergibt sich apathisch dem Schicksal, obwohl man gelegentlich ein leises Stöhnen zu hören glaubt.
Am Ziel
Aber wir haben Glück, die ersten Tropfen fallen erst beim Warten auf die erneute Überfahrt über den Fluss. Die Bayern sind wie ich etwas ungehalten über die mangelnde Unterstützung durch den Guide. Aber was soll’s, es ist Abend geworden, man ist etwas müde (vom ergebnislos-ins-Gebüsch-starren?) und ist froh, das „Abenteuer“ überstanden zu haben.
Wir haben ein paar Tiere gesehen, die meisten aus ziemlicher Entfernung, wir haben uns andere im Kopf vorgestellt, vor allem zahlreiche Vögel, und wir haben viele Stunden im Freien, an Hitze und frischer Luft verbracht.
Wir fühlen uns zwar nicht gerade wie Dr. Livingstone, der berühmte Entdecker und Abenteurer im 19. Jahrhundert, aber ein bisschen dürfen wir stolz sein, dass wir uns tollkühn mitten in den Dschungel gewagt haben.
Irgendwie läuft alles ein bisschen komisch an diesem Morgen.
Kein Frühstück in Gesellschaft meiner gefiederten Freunde (zu früh für den Koch?), dafür ein seltsam schmeckendes Irgendwas im Dorf.
Der Bus fährt nicht pünktlich um acht los, sondern wird für eine geschlagene Stunde in den Schatten gestellt.
Das Taxi, das mich nach Dumre fahren soll, stoppt vor einer gigantischen Baustelle, die ein baldiges Durchkommen verunmöglicht. Dafür zu Fuss über Stock und Stein und Bauschutt bis zu einem weiteren Taxi, das auf der anderen Seite wartet.
Kein Restaurant bei der Haltestelle, dafür eine nette alte Dame in einem winzigen Shop, der ich etwas abkaufe, damit ich mich an den Tisch setzen darf (das etwas entpuppt sich allerdings nicht als Chips sondern als Fertignudeln). Sie serviert mir ausserdem einen Black Coffee, so stark und so süss, der auch den biblischen Lazarus ohne die Hilfe von Jesus zum Leben erweckt hätte.
Ich hätte zumindest etwas zu lesen – wenn ich es denn lesen könnte
Und vor allem – kein Bus, der mich irgendwann zwischen neun und zehn abholen sollte.
Ich warte also, und warte, und warte … Andere Touristen, deren Bus erheblich später als meiner terminiert ist, kommt pünktlich an und fährt weiter. Aber wo ist meiner?
Beobachtungen beim Warten
Viele Menschen versäumen das kleine Glück, während sie auf das Große vergebens warten (Pearl S. Buck).
So kommt es mir vor. Ich bin also wieder mal auf der Suche nach dem kleinen Glück. Vielleicht ist es die Familie der Ladenbesitzerin, ein zusammengewürfeltes Patchwork aus Kindern, Jugendlichen, Grosseltern (?), Onkeln und Tanten (?) und allerhand Freunden der Familie.
Man trinkt Kaffee oder Tee oder was auch immer die Nepalesen vormittags trinken, man schwatzt und lacht, putzt die Zähne, spielt mit dem Hund (der mir ein bisschen leid tut) und begutachtet die Küken eines Verkäufers, der diese zusammengepfercht in einem Korb auf dem Kopf trägt (die Küken tun mir noch viel mehr leid).
Man hat mich vergessen
Es gibt tausend Sprichwörter und Kalendereinträge zum Thema warten, allerdings keines, das mir an diesem Vormittag die Wartezeit erträglich machen kann. Auf der anderen Strassenseite entleert ein gelber Schulbus seine uniformierten Insassen auf die Strasse, während andere bereits wieder auf dem Nachhauseweg zu sein scheinen.
Und ich warte.
Doch dann, es ist mittlerweile 10.10 geworden, höre ich eine Stimme. „Chitwan?“, ruft sie. Und tatsächlich, ein junger Bursche eilt mir entgegen, wiederholt seine Frage. Ich nicke und werde bereits in den Local Bus verfrachtet, der mit röhrendem Motor abfährt.
Etwas konsterniert, erkundige ich mich, was los ist. Offenbar hat man vergesssen, an meiner Haltestelle zu stoppen und hat mich schlicht vergessen. Und ich selbst habe den Bus übersehen, was angesichts des dichten Verkehrs eine lässliche Sünde ist. Erst im Zentrum von Dumre ist aufgefallen, dass da jemand fehlt, hat den Busbegleiter kurzerhand zurückgeschickt, um das verlorene Schaf zu suchen.
Eine geruhsame Fahrt in den Süden
Der Bus ist voll, für einmal ausschliesslich von Touristen besetzt. Man wirft mir zwar beim Einsteigen ein paar seltsame (mitleidige?) Blicke zu, doch dann ist das Thema abgehakt.
Es ist eine geruhsame Fahrt, anfänglich dem Prithvi-Highway entlang, bis der Bus ungefähr auf halbem Weg nach Kathmandu bei der Muging Bridge in Richtung Süden abzweigt. Die Route führt nun einem Fluss, der eine tiefe Schlucht gegraben hat, entlang nach Süden.
Durch die Berge nach Süden
Es sind zahlreiche Querrillen in den Strassenbelag gefräst worden, vermutlich um den Verkehrsfluss zu beruhigen. Ob es wirkt, ist fraglich, aber für die Insassen des Busses ist es alles andere als eine Beruhigung, sie werden alle paar Minuten mit einer Art Schüttelfrost beglückt.
Die asiatische Dame neben mir fällt in tiefen Schlaf, ihr Kopf sinkt auf meine Schulter, und als Gentleman wage ich mich selbstverständlich nicht mehr zu bewegen.
Die Hitze
Dass der Chitwan-Distrikt im Süden Nepals liegt und damit bereits zur nordindischen Ebene gehört, ist zwar bekannt, aber die Auswirkungen davon eher nicht. Denn beim kurzen Stopp nach der Durchquerung der Berge schlägt die Hitze wie ein Dampfhammer zu.
Einerseits eine willkommene Abwechslung zu den frostigen Temperaturen im Himalaya, andererseits aber auch eine Herausforderung. Denn es wird richtig heftig. Und so wird es auch die nächsten Tage bleiben.
Sauraha
Wir durchqueren nun eine weite Ebene, die Wiesen, die Häuser, die Strassen sehen versengt aus, als wäre jemand mit einem Flammenwerfer darüber gefahren. Dann eine grosse Stadt, Bharatpur, sie scheint endlos zu sein, dann eine weitere, Ratnagar. Ich erkenne die Ähnlichkeiten zu den Städten in Nordindien, alles gleicht sich, auch die Menschen auf den Strassen, die Tiere, die Vehikel. Ich komme mir fast ein bisschen vor wie zuhause.
Das Tagesziel Sauraha, am Rand des Chitwan-Nationalparks gelegen, ist gottlob klein und übersichtlich. Der Bus hält etwas ausserhalb des Dorfzentrums, ein TukTuk bringt mich zu meinem Hotel, dem Rhinoceros Homestay.
Das Zimmer ist okay, ein riesiger Fan an der Decke wird mir hoffentlich die notwendige Kühlung verschaffen, denn es ist heiss wie in der tiefsten Hölle.
Schön und bequem und sehr heiss
Und auch der Hotelmanager ist äusserst nett und zuvorkommend, auch kein Wunder, denn er betreibt ausserdem ein Touristen-Office. Es bietet, ebenfalls keine Überraschung, auch Jeep-Touren in den Nationalpark an. Auf jeden Fall habe ich bereits nach einer halben Stunde eine solche für den nächsten Tag organisiert.
Die ersten Elefanten
Man sollte bei dieser Hitze eigentlich irgendwo im Schatten ein kühles Bier trinken und auf die Abkühlung am Abend warten. Was auch die meisten Leute tun, denn die Strassen sind verwaist, die Restaurants leer, nur ich und ein Elefant werfen uns einen kurzen Blick zu beim Begegnen.
Gewitter und Stromausfall
Zur allgemeinen Freude aller vermag gegen Abend ein heftiges Gewitter die Hitze etwas zu lindern. Was allerdings dazu führt, dass der Strom ausfällt (ein Phänomen, das nicht nur bei Gewittern auftritt, sondern sozusagen täglich, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen).
Nach dem Nachtessen im Apple Restaurant (das ich von nun an zu meinen Favoriten bezüglich Essen und Trinken einreihen werde), kehre ich also in ein Zimmer zurück, das sich im Verlauf des Tages so richtig aufgeheizt hat und mir nun eine Ventilator-lose Nacht mit geschätzten 35 Grad bieten wird.
Es ist von grossem Vorteil, wenn man im letzten Leben ein Rikschafahrer in Kerala war und grosse Hitze als normal empfindet. Und so schlafe ich erstaunlich gut, werde kurz aufgeweckt, als sich um Mitternacht der Ventilator ächzend und knatternd in Bewegung setzt und die heisse Luft durcheinander wirbelt. Mehr ist nicht zu erwarten …
Heute ist einer der Tage, die man als Atemholen zwischen zwei Stürmen nennen könnte. Es scheint mir passend, den Tag mit einem von unzähligen Vogelstimmen untermalten Frühstück auf der Dachterrasse zu beginnen und dabei den Blick über die in allen Schattierungen von Grün und Braun leuchtenden Hügel wandern zu lassen. Wie gestern haben sich die Bergketten des Himalaya hinter eine Dunstwand geflüchtet.
Kein Annapurna, nur ein flirrender Vorhang aus Feuchtigkeit.
Die Süsse des Morgens
Dieser Morgen scheint mir etwas Besonderes zu sein. Manchmal erschliesst sich nicht jedes Glück von selbst. Man muss es suchen.
Anyway, ich sitze also da, kein Mensch weit und breit, nur ich und die Vögel und die Süsse des Morgens. Vor mir ein Banana-Pancake, der endlich mal wieder diesen Namen verdient; solche im Langtang Valley konnten fast alles sein, aber niemals richtige Pancakes, auch wenn die Menükarte dies behauptete. Man hätte die Dinger eher als Karton-Cakes bezeichnen können.
Ich würde gerne wissen (wie schon so oft, ich Banause), welche beiden Vögel auf dem Mäuerchen ihre gegenseitige Zuneigung beschwören. Es erinnert an Liebesszenen aus Filmen und Büchern, auf jeden Fall scheint Romantik eine Rolle zu spielen. Oder gefällt mir einfach die Vorstellung, weil sie so gut zur Stimmung dieses Morgens passt?
Eigentlich egal. Ich nippe an meinem Kaffee, das iPad daneben, doch es wird heute und für den Rest der Reise deaktiviert bleiben. Die permanenten Probleme mit den schwachen WiFis haben mich nicht nur zermürbt, sondern zur Weissglut getrieben. Also lassen wir das …
Der Mensch – eine seltsame Spezies
Die Gegend um das Dorf herum besteht hauptsächlich aus Hügeln, dazwischen ein paar Fusspfade und vereinzelte Häuser. Es geht also dauernd rauf oder runter. Um mich auf die zu erwartenden Anstrengungen vorzubereiten, genehmige ich mir noch einen Kaffee in einem der zahlreichen Restaurants an der Bazarstrasse und lasse das geschäftige Treiben auf mich wirken.
Eine alte Frau ruft einer anderen etwas zu, beide lachen und deuten auf einen älteren Mann, der mit würdevollen Schritten die Strasse abschreitet, als gehörte sie ihm und ihm ganz allein.
Ein kleines Mädchen fällt mir auf, sie strahlt etwas Quirliges aus, sie erinnert mich an meine Enkeltochter, meine kleine süsse Mila.
Aber da kommt, Schirme über dem Kopf, Schutzmaske vor den bleichen Gesichtern, eine chinesische Gruppe die Gasse herauf, man schaut sich um, zückt das Handy und den Selfiestick, klick – klick – klick, und auch diese Sehenswürdigkeit ist im Kasten.
So vergeht die Zeit, gefüllt mit Beobachtungen der Spezies Mensch, diesem ganz und gar mysteriösen Wesen, das mich immer wieder zu erstaunen vermag.
Tadchi Mai – vergeblich gesucht
Die Tasse ist leer, ebenso die Strasse, also Zeit, meinen Muskeln Bewegung zuzuführen. Dazu scheint sich die höchste Erhebung des Dorfes, ein Hügel namens Tadschi Mai, besonders gut zu eignen. Ein letzter Blick auf die Karte und Google Maps und los geht’s.
Ich folge also frohgemut einem anfänglich steilen, schweisstreibenden Pfad den Hang hinauf, er führt mich an baufälligen Häusern (habe ich je andere gesehen?), an Scheunen und Gärten und kleinen Wiesen immer höher hinauf, bis das Dorf unter mir liegt.
Es ist ein wunderbar anregender Spaziergang durch blühende und duftende Wiesen, die – im Unterschied zu unseren Breitengraden – noch von summenden Bienen und Insekten bevölkert sind. Manchmal folgt der Weg horizontal zwischen Wiesen hindurch, dann wieder auf staubigen Pfaden steil hangaufwärts. Traktoren kreuzen meinen Weg, man winkt sich zu, freundschaftlich.
Irgendwo dann eine Tafel, darauf steht „Cave“, versehen mit einem Pfeil, der hangabwärts zeigt. Ich überlege eine Sekunde, ob ich mir den Abstieg und späteren Wiederaufstieg antun soll, verzichte aber grosszügig darauf. Der Tadchi Mai wird Belohnung genug sein.
Die Kuppe des Hügels, den ich als eben diesen Tadchi Mai identifiziert habe, scheint immer noch recht weit zu sein. Ausserdem verläuft sich der Pfad nun zwischen den Bäumen, allerdings in einer anderen Richtung. Irgendwas stimmt nicht, also frage ich den netten Herrn, der wie gerufen aus den Bäumen tritt.
„Tadchi Mai?“, frage ich und deute auf den Hügel oberhalb unseres Standortes. Sein Lachen ist anfangs etwas ungläubig, doch dann wird es lauter, und er deutet mit der Hand auf die gegenüber liegende Talseite, wo sich ebenfalls ein stattlicher Hügel erhebt.
„That’s the Tadchi Mai?“, frage ich ungläubig, einmal mehr überrascht von meinem fehlenden Orientierungssinn, der mich wieder mal in die Irre geführt hat.
Ja, es ist so. Ich öffne Google Maps und erkenne, dass die Himmelsrichtung nicht stimmt. Es ist alles genau umgekehrt. Ich lache auch, tippe mir an die Stirn, was den freundlichen Herrn noch mehr zu amüsieren scheint. Recht hat er.
Der richtige Tadchi Mai
Es macht mir aber eigentlich überhaupt nichts aus. Ich habe eine Seite des Tales gesehen, wo sich normalerweise kein Tourist hinbewegt. Der Weg hinunter ins Dorf ist genauso schön wie hinauf, allerdings hat sich nun eine lähmende Hitze über die Welt gelegt.
Es dauert etwas, bis ich den Pfad hinauf zum Tadchi Mai finde, doch dann geht’s so richtig los. Mir kommt es schon bald vor, als hätte mich mein Schicksal am Vormittag davon abhalten wollen, die tausend Treppenstufen zu bewältigen.
Es ist tatsächlich eine weitere Übung in Kraft und Durchhaltevermögen, gepaart mit Schnaufen und Fluchen und Ächzen. Die Häuser bleiben unter mir zurück, der Raum öffnet sich, wird weit und hell und grossartig.
Parkour
Immerhin gibt es sogar so etwas wie ein Ruheplatz, wahrscheinlich explizit für ältere Herrschaften wie mich angelegt. Doch der Ruheplatz auf halber Höhe ist belegt. Ein junger Mann bewegt sich mit allerlei seltsamen Bewegungen fort, springt ein paar Meter den Hang hinauf, wuchtet sich über den Steintisch, landet auf den Füssen und macht einen letzten langen Sprung, der ihn vor die Füsse seiner hübschen Freundin bringt.
Als grosser Fan von Casino Royale, einem der besten Bondfilme überhaupt, weiss ich natürlich sofort, was der junge Mann da treibt.
Allerdings habe ich noch nie jemanden live gesehen, der diese Technik zu beherrschen scheint. Es handelt sich um ein Paar aus Italien, reisend so wie ich, doch noch nicht müde genug vom Aufstieg. Wie unterhalten uns über Daniel Craig und seinen Widersacher im Prolog von Casino Royale, Sébastien Foucan, einer der Begründer einer ähnlichen Sportart, dem l’art du deplacement.
Ein Tempel ganz oben
Dann geht es plötzlich ganz schnell, obwohl mich eine johlende Schulklasse noch einen Augenblick lang aufhält. Die Schüler möchten ihre knappen Englisch-Kenntnisse an den Mann bringen, d.h. ausgerechnet an den schnaufenden und keuchenden Herrn aus der Schweiz.
Ganz oben
Die Aussicht ganz oben ist überragend, sie wäre allerdings noch viel überragender, wenn man die Berge sehen könnte. Aber der Fluch, der 1990 begann und seither wirkt, vermag auch an diesem Nachmittag die Berge zu verschleiern. Ein Hinweis zu 1990: Der Trek der Kali Gandaki Schlucht entlang führt zwischen den Giganten des Himalaya Massivs durch. Also rechts der Daulaghiri, links der Annapurna. Eine wunderbare Aussicht, etwas, was man sein Leben lang nicht vergisst.
Beziehungsweise nicht vergessen würde im Konjunktiv. Wir schafften es nämlich, eine Woche lang zwischen den schönsten Bergen zu wandern, ohne auch nur eine einzige Sekunde lang etwas davon zu sehen.
Anyway, ich bewundere halt den Rest, setze mich auf eine Mauer und lasse die Aussicht wirken.
Keine Ahnung, warum der Tempel mit Seilen abgesperrt ist, es gibt weder viel zu sehen noch zu stehlen, und welche Funktion das seltsame Gebäude hat, ist unklar
Die besten Momos aller Zeiten
Zum Mittagessen erwarten mich die besten Momos aller Zeiten. Während eine junge Amerikanerin dem Koch detailgenaue Angaben zur Zubereitung des gewünschten Menüs gibt („I hope you don’t use the same frying pan for the potatos as for the Chapatis“), streift mein Blick über die Bazarstrasse, doch ausser ein paar wenigen der Hitze trotzenden Touristen ist kein Mensch zu sehen.
Die Chicken Momos hingegen sind ein Gedicht. Nicht nur eine Belohnung für meine Irrfahrten am Vormittag sondern vor allem für den heroischen Aufstieg zum Tadchi Lai.
Tudikhel
Mit Ausnahme grüner Hügel und dörflicher Atmosphäre (was an sich schon sehr viel ist), sucht der Tourist natürlich alles, was der Guide an Sehenswürdigkeiten noch zu bieten hat. Es soll also einen Aussichtspunkt namens Tudikhel geben, eine Art Sportplatz, der gelegentlich auch für Helikopterlandungen herhalten muss.
Ich folge also wieder mal schmalen Pfaden und staubigen Strassen und erreiche schliesslich den Aussichtspunkt. Seine besondere Bedeutung ist einmal mehr nur im Konjunktiv zu beschreiben, denn so sehr ich mich bemühe, etwas zu erkennen, ich sehe nur im Dunst verschwommene Landschaften.
Die Aussicht vom Tudikhel ins dunstige Tal hinunter
Aber immerhin wird die Enttäuschung etwas gemildert durch die Anwesenheit farbig gekleideter Damen, die mir begeisterte Blicke zuwerfen. Offenbar sind Touristen an diesem Ort doch eher eine seltene Spezies, also muss man die Gelegenheit gebührend feiern. Ich würde mich gerne mit ihnen unterhalten, doch die Sprachbarrieren sind wieder mal zu gross. Schade!
Cricket Training
Cricket ist trotz „Lagaan“ immer noch ein Buch mit sieben Siegeln für mich. Doch als ich auf dem Heimweg einen jungen Burschen sehe, der verzweifelt und mit ziemlich wenig Talent Schläge übt, kann ich nicht widerstehen, ihm ein wenig Hilfe zu leisten. Schliesslich kann ich mich genau erinnern, wie der Werfer den Ball wirft (eine seltsame Bewegung aus dem gestreckten Arm heraus).
Und so entwickelt sich eine ungleiche Paarung. Ich auf englisch Anweisungen gebend (obwohl ich keine Ahnung habe), er auf nepalesisch fluchend, wenn er zum x-ten Mal daneben schlägt. Doch nach einer halben Stunde geschieht das Wunder: er trifft nun beinahe jeden Ball, jubelnd und sich am Schluss tausend Mal bei mir bedankend für den unerwarteten Fortschritt seiner Kunst. Wahrscheinlich denkt er, dass er einem wahren Cricket-Meister begegnet ist.
Ein Abend wie vor langer Zeit
Der Ausklang dieses denkwürdigen Tages an der Bazarstrasse. Kinder spielen, Erwachsene flanieren vorbei, auch das quirlige kleine Mädchen, das mir bereits am Morgen auffiel, ist wieder da. Man spielt mit Reifen (so wie wir vor hundert Jahren), mit allem, was zur Verfügung steht, und ist vollkommen glücklich.
Man könnte endlos zusehen.
Erinnerungen werden wach – spielende Kinder auf der Strasse
Doch der Tag, ebenso wie der Aufenthalt in diesem kleinen wunderbar entspannten Ort, geht zu Ende. Morgen beginnt ein neues Kapitel, das schon beinahe letzte dieser Reise. Chitwan.
Es kommt selten vor, dass ich mich über eine Woche am selben Ort aufhalte, und noch seltener, dass mir der Abschied so schwer fällt. Doch die Stadt, obwohl hektisch und eine Touristenfalle erster Ordnung, hat mich mit ihrem Charme und der entspannten Atmosphäre überrascht.
Abschied ohne Freude
Und so esse ich um 6.15 mein letztes Frühstück, verabschiede mich vom Personal und vom Boss und wünsche ihnen allen viel Glück für die Zukunft. Die floskelhafte Beteuerung, auf jeden Fall wiederzukommen, scheint mir in diesem Augenblick etwas schal, denn natürlich ist mir bewusst, dass es das letzte Mal gewesen sein könnte.
Ich bin früh dran, also gehe ich den Weg zur Busstation zu Fuss und geniesse wie immer die noch morgendliche Stille vor dem Sturm, die würzige Luft, das langsame dem Tag Entgegengehen. Eine keuchende Kohorte uniformierter Soldaten joggt an mir vorüber, mit Ausnahme der Führenden scheint niemand so richtigen Spass dabei zu haben. Meine mitleidigen Blicke werden mit einem resignierten Schulterzucken beantwortet.
Der Bus steht bereit, neben vielen anderen, mein vollgestopfter Rucksack passt wieder mal nicht in die Gepäckaufbewahrung über dem Kopf, aber dass ich den Rucksack in den Laderaum gebe, steht nach dem Debakel bei der Retourfahrt von Syabrubesi ausser Frage. Jä nu, dann halt auf den Knien.
The Accidental Tourist
Bandipur, so wurde mir auf dem Trek ans Herz gelegt, lohnt einen Abstecher in die Berge. Der Name ist mir unbekannt, aber auch der Hotelmanager kennt den Ort und findet es eine ausgezeichnete Idee, auf dem Weg nach Chitwan einen Abstecher zu machen.
Nun gut, betätige ich mich wieder mal als Accidental Tourist, also jemand, der aus purem Zufall über Orte und Erlebnisse stolpert. Es erinnert mich a) an einen wunderbaren Film mit William Hurt und b) den entsprechenden ebenso wunderbaren Roman von Anne Tyler, der die Grundlage für den Film schuf.
Macon Leary ist Autor von Reiseliteratur. Als sein Sohn bei einer Schießerei stirbt, gerät seine Ehe mit Sarah in eine Krise. Macon lernt die lebenslustige Muriel Pritchett kennen, die ihm als das Gegenteil seiner Ehefrau erscheint.
Macon und Sarah haben ein Gespräch, in dem Sarah erwähnt, dass sie bereits daran gedacht hat, noch einmal ein Kind zu kriegen. Sie streiten sich deswegen. Nachdem sie sich wieder beruhigt haben, sagt Macon seiner Frau, sie habe den Tod ihres Kindes überwunden und brauche ihn nicht mehr. Er brauche allerdings Muriel, die ihm geholfen habe herauszufinden, wer er selbst sei.
Er unternimmt eine Reise nach Paris und sitzt gerade in einem Taxi, als er auf dem Bürgersteig Muriel sieht. Das Auto hält an und Muriel freut sich, als sie Leary erblickt.
Dr. med. aus Barcelona
Eine junge Dame, die sich später als eine Dr. med. aus Barcelona herausstellt, setzt sich neben mich. Wir schweigen uns, nachdem sich der Bus zeitgemäss in Bewegung gesetzt hat, eine Weile gegenseitig an, bis mir ihr Buch auffällt, das sie liest. „Siddharta“ von Hesse. Erstaunlich, dass diese Hippie-Literatur nach wie vor gelesen wird. Wahrscheinlich schätze ich sie deswegen etwas jünger ein, als sie offenbar ist, denn ihre Karriere im Spital hat längst begonnen.
Es geht natürlich nicht ohne meinen Senf dazu. Und so entwickelt sich eine lange und intensive Diskussion, unterbrochen lediglich von einem kurzen Kaffee-Stop. Natürlich taucht irgendwann das Thema Katalonien auf, eine schwierige Geschichte, die im Moment in einer klassischen Sackgasse steckt. Aber als Schweizer kann ich mich auf meine neutrale Position zurückziehen und bleibe ebenso diplomatisch wie nichtssagend.
Dumre
Aber schon erreichen wir Dumre, ich verabschiede mich, „Buen Viaje“, ein Winken, und eine kurzzeitige Bekanntschaft, so wie so viele andere, verschwindet auf Nimmerwiedersehen im Staub des abfahrenden Busses.
Eine andere Dame ist eben dabei, ein Taxi nach Bandipur zu organisieren, unsere Blicke treffen sich, „Shall we share?“ Das Taxi, eines dieser winzigen Vehikel (koreanisch? japanisch? Oder sogar chinesisch?), steigt mit röhrendem Motor über die steile Strasse und die zahlreichen Serpentinen den Berg hinauf, während Heba und ich uns bekanntmachen.
Mein Hotel Himchuli – am Hang gelegen und auch sonst eine Offenbarung
Das Himchuli Guesthouse
Ein paar Meter neben der Haltestelle liegt mein Hotel, das Himchuli Guesthouse.
Es liegt am Hang, ein paar mörderische Stufen führen zum Eingang hinunter. Die Dame des Hauses ist nicht nur nett, sondern auch ausserordentlich hübsch.
Wie schon in Pokhara fühle ich mich sofort wohl (nicht nur der Dame wegen) und kann mir die nächsten zwei Tage schon mal als angenehm vormerken.
Das Zimmer hat einen Balkon mit Sicht auf das Tal, und auf der obersten Terrasse stehen ein paar Tische für das Frühstück bereit. Momoll, das wird mir gefallen …
Bandipur
Die ersten Schritte durch das Städtchen zeigen, dass hier eine vollkommen andere Welt herrscht. Es liegt auf einem Bergrücken, verteilt über mehrere Hügel, verbunden durch Strässchen und unbefestigte Pfade. Seit die zentrale Basarstrasse für den Verkehr gesperrt wurde, herrscht eine Atmosphäre wie vor hundert Jahren.
Entlang der plattenbelegten Strassen sind zahlreiche Restaurants und Hotels und Läden angesiedelt, Kinder spielen johlend zwischen den gemächlich spazierenden Touristen, die staunenden Auges das unübliche Bild geniessen.
Ein Bild aus längst vergangenen Zeiten.
Ein Bier und viele Gespräche
Ich habe mich mit Heba zu einem Spaziergang durch das Städtchen verabredet, wir schlendern entspannt und immer wieder erfreut über die überraschenden Bilder durch den stillen Ort. Doch das Bier an der Basarstrasse ist erstens verdient und zweitens notwendig. Und so stossen wir an, Heba, die Libanon-Schweizerin, und ich, der Schweizer-Schweizer.
Samay Baji
Die vielen Touristen haben die Restaurants gestürmt, alle Plätze, besonders die im Freien, sind besetzt, also suchen wir, ein bisschen frustriert, nach einer Alternative. Sie findet sich in einem Restaurant mit offener Vorderseite, also halb drinnen, halb draussen, wo das Hausmenü Samy Baji heisst und aus allerhand Zutaten zusammengesetzt ist. Offenbar ein typisches Newar Gericht, mit Kartoffeln, Chicken, Linsen, Linsen-Pancake, Kartoffelsalat mit Yoghurt-Sauce und als Spezialität Beaten Rice.
Geschlagener Reis? Klingt für meine Ohren etwas seltsam, sieht sehr trocken aus und schmeckt auch so. Keine Ahnung, was das soll, aber dieser Beaten Rice ist ungeniessbar. Der Rest ist, na ja, ziemlich kalt, mit Ausnahme des Huhns, das dafür ziemlich zäh ist. Heba findet es zu Recht etwas problematisch und gibt nach ein paar Bissen auf.
Späte Gäste
Die Zeit fliegt. Nachdem auch die lärmende Guppe Italiener (jedes Vorurteil wird bestätigt) das Lokal verlassen hat, sind wir plötzlich die einzigen Gäste. Auch auf der Strasse ist es mucksmäuschenstill geworden, alle Restaurants und Läden geschlossen. Ich finde knapp den Weg ins Hotel zurück, die elenden abschüssigen Stufen zum stockfinsteren Eingang hinunter. Es kommt mir ein bisschen vor wie in einer Jugendzeit, nur war es dann morgens um vier und nicht um knapp zehn Uhr abends …
Die Stupa thront hoch über dem See und der Stadt, ein idealer Ort, um eine Friedensbotschaft in die Welt zu senden. Meine Bucketlist für Pokhara neigt sich langsam dem Ende entgegen, und so mache ich mich schon am frühen Vormittag auf, um den Hügel mit der World Peace Stupa zu besteigen.
Aber eignet sich ein kaum bekannter Stupa an einem Ort, der den meisten Menschen fremd ist, für eine Friedensbotschaft an die Welt? Ich bezweifle es, lasse mich aber gerne vom Gegenteil übezeugen.
Ein schmales Boot und Schwimmwesten
Die kurze Fahrt über den See kostet 500 Rupien, dazu 70 Rupien für die zwingend erforderliche Schwimmweste. Einerseits ein einträgliches Geschäft für den Verleiher, andererseits vermutlich auf schlechte Erfahrungen der Schwimmkünste ihrer Klienten zurückzuführen. Mit mir zusammen wartet ein junges deutsches Paar auf die Abfahrt.
Jetzt endlich komme ich mir vor wie ein richtiger Tourist.
Die Insel
Das Boot ist klein und schmal, der Ruderer sitzt ganz hinten und schwingt sein Werkzeug mit gemächlichen, professionellen, beinahe lautlosen Bewegungen. Wider Erwarten gibt es einen Zwischenhalt auf der kleinen, offenbar heiligen Insel mitten im See.
Hier finden sich vor allem Hindus ein, um im kleinen Tempel ihre Anbetungen an die zahllosen indischen Götter anzubringen. Die Schlange vor dem Eingang ist lang, doch die Gläubigen warten, leise schwatzend, geduldig. Man hat Zeit sich umzusehen, die vollgefressenen Fische zu bestaunen, die tagtäglich von den Touristen gefüttert werden. Sie haben offenbar ein gutes Karma erwischt, waren im letzten Leben vielleicht ausgemergelte Bettler. Die ewige Gleichung muss aufgehen.
Der Aufstieg
Der Weg zur Stupa hinauf bietet mal wieder Stufen ohne Ende, doch mit dem leichten Gepäck am Rücken ist das alles ein Klacks.
Meine beiden deutschen Bootsbegleiter haben sich verzogen, offenbar ziehen sie es vor, allein weiterzuziehen. Kann ich gut verstehen. Vor allem auch, weil ich sehr langsam bin, ein Spaziergänger, jemand, der keine Eile hat, nicht wie die anderen Touristen, die an mir vorbeihetzen.
Es wäre sicher schön, allein durch den dichten Wald zu steigen, den würzigen Geruch der Bäume und Gebüsche einzuatmen, um endlich all den Staub und Dreck der Grossstadt loszuwerden. Aber eben, der Solo-Aufstieg wird mir verwehrt, denn vor mir und hinter mir und manchmal auch neben mir keuchen ganze Heerscharen den Berg hinauf.
Schlechte Sicht und ein guter Kaffee
Wie nicht anders zu erwarten, bieten bei der Ankunft ganz oben eine ganze Menge Restaurants und Läden ihre Produkte und Dienste an. Ich setze mich auf eine kleine Terrasse, nippe an einem Black Coffee und versuche, die unter mir liegende Stadt zu erkennen. Ein eher schwieriges Unterfangen, denn die Luft ist so feucht, dass die Stadt wie durch einen Filter scheint.
Doch der Kaffee ist zur Abwechslung mal wirklich gut.
Die Dame am Tresen, bei der ich bezahle, klärt mich auf. Offenbar gibt es hier in der Gegend einen kleinen Kaffeeanbau, von dessen Produkten ich eben eine Tasse voll geniessen durfte. Ich würde gerne einen Sack kaufen, aber wenn ich an meine übervollen Rucksäcke denke, verzichte ich lieber und halte mich an den Ferrari-Kaffee in Dietikon.
Der Stupa
Der Weltfriedesnstupa auf 1113 Meter Höheauf dem Bergkamm gehört zu den schönsten Ausflugszielen in der Umgebung von Pokhara. Er ist 40 Meter hoch und wirkt irgendwie falsch. Zuviel Bombast?
Natürlich muss man beim Betreten des Stupas die Schuhe ausziehen und auf jegliche lauten Geräusche verzichten. Wenn ich an die vergleichbaren Stupas in Burma denke, dann wirkt das Ding hier ausgesprochen künstlich. Aber was soll’s, wenn ich schon mal hier bin …
Meine Befürchungen haben sich bestätigt. Dieses Gebäude ist alles, aber ganz sicher nicht geeignet, um eine Friedensbotschaft in die Welt zu senden. Aber Hauptsache, die Besucher glauben an das Märchen – eines von vielen.
Der Abstieg
Es gibt mehrere Varianten, zurück in die Stadt zu gelangen. Man kann natürlich denselben Weg wählen und das Boot über den See nochmals nehmen. Finde ich nicht so attraktiv. Man kann aber auch einen kürzeren Weg durch den Dschungel nehmen, oder man nimmt den längeren, der allerdings etwas unübersichtlich ist.
Da ich jeweils mit Genuss die falscheste aller Alternativen wähle, ist klar, dass ich die dritte Variante wähle. Wie sich herausstellt, ist auch diese Wahl nicht das Gelbe vom Ei. Die Strasse ist zumindest im oberen Teil einigermassen verkehrsarm, das ändert sich jedoch schnell, als sie in die Hauptstrasse einbiegt, die vom Tal hinten in Richtung Pokharas verläuft. Nun also dichter Verkehr, stinkende und rauchende Busse und Lastwagen, Hupen und Brummen, und einmal mehr die Gefahr, über den Haufen gefahren zu werden. Als ich endlich die Ebene erreiche, sind bereits zwei Stunden verflossen.
Ein Fanta und rotgekleidete Damen
Ich setze mich am Srassenrand an einen Tisch vor einem Shop, bestelle ein Fanta und beobachte wieder mal, mit viel Genuss, das alltägliche Leben an einer gewöhnlichen nepalesischen Strasse. Wie immer ein Schauspiel, eine Operette, ein Drama, manchmal Komödie, manchmal Tragödie, doch immer Leben in all seinen Facetten.
Mein Blick fällt schliesslich auf eine Gruppe wunderschöner, in allen Tönen von Rot gekleideter Damen, sehr würdevollen Schrittes an mir vorbei stolzierend, bis eine ihren Daumen an das eine Nasenloch hebt und sich schnäuzt und damit die ganze stolze Würde auf einen Schlag zerstört …
Dem See entlang
Am Nachmittag dann zum letzten Mal der Spaziergang entlang des Sees, eine besondere Attraktion, die mich allerdings etwas an einen Senioren-Urlaub erinnert, der vor allem aus langen Spaziergängen und noch längeren Mittagsschläfchen bestehen soll (wie ich höre).
Ein Boot liegt im von Algen und anderen Pflanzen überwachsenen See, eine Kuh steht gedankenverloren im Wasser, man möchte ihre Gedanken lesen können (wenn sie denn welche hätte).
Kinder spielen am Strand, ihre Gesichter versunken in ihrer eigenen Welt, und doch, der Fremde wird sekundenlang mit misstrauischem Blick gemustert.
Auf halber Strecke kommen mir zwei Jungen entgegen, ziemlich verwahrlost, dem Kindesalter längst entwachsen und auf direktem Weg in eine Zukunft, die keine ist. Der jüngere der beiden stellt sich in Kung-Fu Pose vor mich hin, Herausforderung und Aggression in den bereits erloschenen, kalten Augen. Keine guten Aussichten …
Eigentlich hätte mir ein altes klappriges Damenfahrrad genügt, um die geplante Tour durch die Stadt zu absolvieren, aber die Verleiher ziehen natürlich die viel teureren Mountainbikes vor.
So fährt man dann schliesslich für 500 Rupies los, ein knallgrünes, ziemlich neu aussehendes Rad unter dem Arsch, mit geschätzten 100 Gängen und einem karbongehärteten Gestell (so hat mir die Dame beim Verleih glaubhaft versichert, aber der Glaube an ihre Beteuerungen hält sich in Grenzen).
Karbon und hundert Gänge
Natürlich alles vollkommen unnütz für meine Zwecke, aber was soll’s. Allerdings scheint mein Fahrrad Eindruck zu machen, denn kaum bin ich zögernd – wie schaltet man mit diesem verfluchten Ding einen Gang runter? – losgefahren, werde ich bereits angehalten.
Ein Italiener, wie sich herausstellt, möchte unbedingt wissen, wo ich mein Velo gemietet habe, denn seins sei absoluter Schrott. Ein Profi wie ich gibt natürlich gerne Auskunft, auch über Gänge und Karbon und dergleichen, obwohl ich keinen Dunst habe. Auf jeden Fall ist der junge Mann sehr beeindruckt und macht sich schnellstens auf den Weg zu meinem Vermieter.
Wie schaltet man runter?
Stolz und erhobenen Hauptes ziehe ich nun von dannen, fühle mich schon ein bisschen wie Eddy Merckx oder Ferdy National (was wahrscheinlich eher mit meinem Alter zu tun hat), allerdings immer noch in einem viel zu hohen Gang.
Erst nach einer Weile – es ist ziemlich anstrengend und meine Gesichtsfarbe dürfte sich einem tiefen Rot nähern – merke ich, dass sich unter meiner rechten Hand noch ein Schalter verbirgt, und tatsächlich – damit kann man runterschalten. Es gibt also einen Schalter zum rauf- und einen zum runterschalten. Interessant.
Auf der Suche nach dem Mountain-Museum
Mit dem Gefühl, die Sache nun vollkommen im Griff zu haben, mache ich mich auf den Weg zum Mountain-Museum, irgendwo gegen Westen in der Nähe des Flugplatzes. Für einmal bin ich der Offline-Karte von Google Maps dankbar, denn ohne sie hätte ich mich im Gewirr der unzähligen Strassen und Strässchen rettungslos verirrt.
Trotzdem muss ich alle paar hundert Meter anhalten, um einen Blick auf die Karte zu werfen. Es gibt die eine oder andere knifflige Situation zu überstehen, vor allem beim Kreuzen einer Strasse oder beim linksseitigen Umfahren eines Kreisels. Ich bin den Lastwagen und Bussen, die sich an allerhand Idioten im Strassenverkehr gewohnt sind, dankbar, dass sie mich nicht über den Haufen fahren oder ins Gebüsch schubsen.
Das Mountain Museum
Durch das Eingangstor, beinahe so bewacht wie das Schloss Versailles, wird man in eine weitläufige Anlage voller Grün und Wiesen und Gebüsch und Bäume geführt. Das Fahrrad muss natürlich zurückgelassen werden, man deutet aber an, ein besonders wachsames Auge darauf zu werfen.
Es sind viele ….
Das Mountain Museum ist ein beeindruckender Bau mit ebenso beeindruckendem Inhalt
Der grosse Bau inmitten der Parkanlage macht schon von weitem Eindruck. Man steigt ein paar Stufen hinauf, wird durch eine Sicherheitsschleuse gelotst, deren Zweck mir unklar ist. Ein terroristischer Anschlag ist kaum zu erwarten, und ob sich der Diebstahl uralter Bergsteigerausrüstungen lohnen würde, ist fraglich.
Bewunderung und Kopfschütteln
Es gibt viel zu sehen. Neben zahlreichen wunderbaren Bildern aller Gipfel des Himalayas, den Trachten der jeweiligen Bergvölker, der Bilder aller Erstbesteigungen und Expeditonen, finden vor allem die Ausrüstungsgegenstände der damaligen Zeit mein Interesse.
Der Vergleich mit den heutigen Utensilien mit den damals benutzen,, von den gewärmten Schuhen über die UV-Strahlen abwehrenden Brillen, den Eispickeln und alle den anderen Dingen, löst ebenso Erstaunen wie Kopfschütteln aus.
Weil sie da sind
Wie zum Teufel überlebten die Männer die Eiseskälte in ihren Lederschuhen? In den zwar gefütterten, aber trotzdem suboptimalen Handschuhen? In der Unterwäsche, die alles andere als Thermo war?
Das alles kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Das Bild von Louis Lachenals erfrorenen Händen, neben Maurice Herzog einer der beiden Erstbesteiger der Annapurna Expedition 1950, bestätigt die Fragezeichen.
Einmal mehr wird klar, zu welchen Leistungen der Mensch fähig ist, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Die Antwort auf die Frage, warum man die Berge, und wenn sie noch so gefährlich sind, besteigen will, sagt einiges aus.
„Weil sie da sind.“
Klimaveränderung
Das grosse Problem unserer Zeit, die Klimaveränderung, stellt auch hier ein zentrales Thema dar. Wir sind uns in der Zwischenzeit an die Hiobsbotschaften bezüglich Gletscherrückgang gewohnt und zucken lediglich noch mit den Schultern.
Wer allerdings schon mal den Morteratsch-Gletscher besucht hat und die erste Tafel mit dem Datum (Anfang letztes Jahrhundert) des damaligen vorderen Endes des Gletschers gelesen hat und nun weit hinten im Tal, Kilometer weit weg, das aktuelle Ende sieht, weiss, wie dramatisch die Entwicklung ist.
Hier im Himalaya stellt das Problem eine ernsthafte Bedrohung dar. Die Gletscher des Gebirges sind die Quelle einiger der grössten Flüsse der Erde, Brahmaputra, Huang He, Jangstekiang, Indus, Ganges … Und die Gebirgsvölker in Nepal oder auch in Ladakh sind auf Wasser angewiesen (das bereits heute versiegt und ganze Dörfer zum Umziehen zwingt).
Aber wer weiss, vielleicht ist es ja noch nicht zu spät (als Zeichen gegen den Klimawandel zeigte die Uhr am Fraumünster in Zürich einige Tage lang 5 vor 12 an). Greta sei Dank!
Heiss und feucht
Während sich das Museum mit ganzen Herrscharen von Besuchern füllt (die sicher alle motorisiert angekommen sind), verlasse ich Eispickel und Louis Lachenal und schwindende Gletscher und trete hinaus in die flirrende Hitze des Vormittags.
Es scheint mir, dass es in den letzten Tagen merklich heisser geworden ist. Und allabendlich knallt es nun vom Himmel, dass einem Hören und Sehen vergeht. Die Gewitter sind manchmal richtig heftig, sodass sich das Touristenvolk am Durbar Marg schleunigst in die Restaurants verzieht.
Und noch eine unglückliche Entwicklung: die Feuchtigkeit in der Luft führt dazu, dass sich die Berge tagein, tagaus mit einem undurchdringlichen Wolkenschleier verhüllen. Machapuchare, Annapurna und all die anderen machen sich wieder rar.
Innenstadt
Die Dienste von Google Maps weiterhin benutzend, fahre ich Richtung Innenstadt, natürlich anfänglich mal wieder auf einer der dümmsten, da meistbefahrenen Strassen und komme damit einmal mehr in der Genuss einer vollen Ladung Auspuffgase und Staub. Als Ausweichrouten bieten sich die schmalen Strassen und Gassen an, wo das Leben auf der Strasse stattfindet und Lärm und dreckige Luft weitgehend verschwunden sind (zumindest stelle ich mir das so vor).
Erst jetzt erkennt man, wie gross die Stadt wirklich geworden ist. Auch nach zwei weiteren Stunden scheine ich nur einen Bruchteil abgefahren zu haben. Man hat Mühe, Unterschiede zwischen den einzelnen Quartieren zu erkennen. Überall die gleichen Strassenzüge, die gleichen Läden, Handwerksbetriebe, Restaurants, Wohnhäuser oder das, was sich die Bewohner darunter vorstellen.
Doch manchmal, ganz unerwartet, doch noch eine Überraschung. Eine Hochzeitsfeier, laut und fröhlich und ziemlich unmusikalisch.
Paragliding Landezone
Der Weg zurück zum See bringt mich auf die Idee, die Strasse bis zum Ende am Paragliding Landeplatz abzufahren. Eine nicht wirklich gute Idee. Am Anfang ist der Verkehr wie überall dicht und gefährlich, bis dann die Strasse zu einem Bachbett wird, und man sogar als professioneller Mountainbiker aufpassen muss, keinen Unfall zu bauen.
Schwitzend und schnaufend und fluchend erreiche ich schliesslich doch noch den Zielort, um dort feststellen zu müssen, dass die heutigen Landungen beendet sind und man es doch lieber am nächsten Tag versuchen solle. Die freundliche zerknitterte alte Dame beim winzigen Restaurant überredet mich zu einer Fanta, und erzählt mir ihr Leben, wovon ich allerdings kein Wort verstehe …
Abend mit einer Million anderer Touristen
Die Hauptstrasse, deren hauptsächlicher Zweck die Verbreitung von allerlei unnötigen Souvenirs besteht (dessen Sog auch ich mich nicht entziehen kann), ist jeweils am Abend hauptsächlich von Touristen bevölkert. Man flaniert rauf und runter, wühlt in den unzähligen Shops nach Singing Bowls, Messern, Sportbekleidung und anderem Krimskrams.
Ich denke, neunzig Prozent der angebotenen Ware ist gefälscht oder auf billigste Weise industriell hergestellt. Natürlich ist die Qualität lausig, aber das scheint niemanden davon abzuhalten, eine North Face Jacke für 10 Dollars zu kaufen, natürlich im Bewusstsein, dass sie zuhause das zehnfache kostet.
Dieser Schneider arbeitet old-style
Dieser Schneider arbeitet an einer Nähmaschine, die bei uns bis in die 60-Jahre benutzt wurden. Dann allerdings wurden sie entsorgt. Ein gutes Geschäft für meinen Vater, der Alteisen und Metalle sammelte. Ich selbst habe hunderte dieser Maschinen mit grosser Freude zertrümmert. Macht mich beim Anblick dieses Mannes irgendwie traurig. Irgendwas stimmt nicht mit unserer Welt.
Das Geburtstagsgeschenk an mich selbst. Der Himmel ist klar und ganz blau, wie er sein sollte, ein leichtes Wolkengeflirr um den Machapuchare, nichts Aufregendes. Der Blick zum Hügel von Sarankot zeigt Grün und Braun und Gelb, Wald und nochmals Wald und darüber der Gipfel.
Der Startplatz.
Perfekte Aussichten für einen erfolgreichen Jungfernflug
Sollte man etwas spüren an einem solchen Morgen? Gibt es Statistiken über Unfälle? Todesstürze? Ich nehme ein betriebswirtschaftliches Argumentarium zu Hilfe.
Jeder Unfall, verursacht durch suboptimale Qualität des Piloten, würde das Geschäft sofort zum Erliegen bringen. Also müssen die Veranstalter alles tun, um ein solches Szenario zu vermeiden. Alles klar? Mit diesen (vermeintlichen) Erkenntnissen widme ich mich beruhigt dem Frühstück und verpasse beinahe den Zeitpunkt, wo ich vom Veranstalter abgeholt werde.
Nur die schlechten Piloten übrig?
Wie alles in Asien geht es igendwie vorwärts und doch nicht. Irgendwo in einem Büro muss ich ein Dokument ausfüllen, darunter auch eine Adresse, an die man sich im Fall der Fälle wenden könnte. Der freundliche Herr, ein beinahe perfektes Englisch sprechend, erzählt, dass an diesem Tag auch eine Competition stattfindet, an der die besten Piloten teilnehmen.
„It means that there are only the bad ones left for today’s flights?“ Meine Frage klingt lustig, ist aber eigentlich ernst gemeint.
Mein Pilot – ebenso intelligent wie kompetent
Er lacht lauthals und gibt mir recht. „Exactly. Only the bad ones.“
Nicht überraschend, dass ich in sein Lachen etwas verkrampft einstimme.
Auf dem Weg nach Sarankot
Der Jeep muss sich den Weg nach Sarankot durch das dichte Verkehrsgewühl suchen, einmal mehr fragt man sich, ob es in diesem Land überhaupt Verkehrsregeln gibt und ob jemand von deren Existenz weiss.
Auf der ganzen Welt gilt eine doppelte Linie als heilig und nicht überfahrbar und wird bei Missachtung streng geahndet. Hier scheint es so zu sein, dass sie eine Art Einladung darstellt, auf die andere Spur zu wechseln und den dort vorhandenen Platz für die eigenen Zwecke zu nutzen.
Anyway, auch nicht überraschend ist, das der obere Teil des Hügels nicht mehr asphaltiert ist. Einmal mehr kommt mir das Spiel der Lottokugeln in den Sinn, und da ich als elder Statesman vorne sitzen darf (natürlich unangeschnallt, da das Gegenstück des Verschlusses nicht auffindbar ist), werde ich noch ein bisschen mehr durchgeschüttelt als die Herren auf den Rücksitzen.
So ganz klar Ist mir ihre Rolle nicht, doch ein junger Mann chinesischer Provenienz scheint ebenfalls fliegen zu wollen. Die anderen gehören offenbar irgendwie zum Team.
Der Startplatz
Ja, und dann sind wir da, der Startplatz ist eine leicht abfallende Wiese, wo sich zahlreiche Männer (wo sind die Frauen?) eingefunden haben, um sich in die Tiefe zu stürzen. Der nette Herr, der sich um mich gekümmert hat, stellt sich auch als mein Pilot vor, sein Name ist Anil, was mir nun doch einen sehr willkommenen Schubs in positiver Richtung verschafft (für Eingeweihte: siehe „Der Fährmann“, Protagonist, überlebt jedoch nicht mal die ersten zwanzig Seiten der Geschichte).
Noch entspannt vor dem Start
Ich werde mit entsprechender Ausrüstung versehen, Helm, Gurten, viele Verschlüsse. Der wunderbar knallrote Schirm liegt ausgebreitet am Boden, und schon werde ich über die ersten entscheidenden Schritte informiert. Erstaunlicherweise bleibt mein Puls ruhig, habe ich doch eine ziemliche Aufregung erwartet.
Wo ist der angekündigte Adrenalin-Schub?
Aber schon laufen wir den Hang hinunter, ein kurzer Ruck, und der Boden bleibt unter uns zurück.
Wir fliegen
So sanft wie eine Feder. Lautlos, ganz ruhig, die Erde entgleitet uns, wir werden hinausgetragen ins scheinbare Nichts. Eine seltsame Ruhe überkommt mich. Anil fotographiert und filmt, während er bedächtig sein Gerät steuert. Die Thermik ist perfekt, langsam schrauben wir uns höher und höher …
.Wir fliegen, sanft und schwerelos
Ach, Tiburon, jetzt weiss ich endlich aus eigener Erfahrung, was du gespürt hast. Ich zitiere aus „Eine Schlange in der Dunkelheit“:
„Tiburon fuhr mit der Zunge über die Lippen und bekreuzigte sich. Dann fasste er die Querstange, so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten, nahm einen Anlauf und rannte mit stolpernden Sprüngen den Hang hinunter. Am Anfang geschah nichts, das Keuchen wurde lauter und seine Beine schlaffer, und er zweifelte, dass er das Tempo noch lange halten würde, da ging plötzlich ein kaum merklicher Ruck durch die Tragfläche, er wurde von den Füßen gerissen und hob ab.
Er flog.
Einen Meter unter ihm huschte der Boden vorbei, dann zwei Meter, drei, vier, die Erde glänzte nass und kalt. Er spürte weder den eisigen Fahrtwind, der ihm die Tränen in die Augen trieb, noch die Riemen, die sich schmerzhaft in die Handgelenke gruben. Sein Traum war wahr geworden, er war der Erde entflohen, ein Gott, unsterblich für alle Zeiten. Verwunderung überkam ihn und ein Staunen. Zum ersten Mal fühlte er sich frei, herausgeschleudert aus der Welt. Ich habe es geschafft, dachte er. Wenn ich jetzt sterbe, ist es egal.“
Wir sind nicht die einzigen
Ich fühle mich zwar nicht gerade als Gott, aber das Gefühl ist schon etwas ausserirdisch. Zahlreiche andere Flieger zirkeln um uns herum, manchmal bedrohlich nahe, doch die Piloten verstehen ihr Handwerk. Schliesslich ist das etwas, was sie tagtäglich vollziehen.
Ich kann mich allerdings an ein Gespräch in der Schweiz erinnern, beim Zusehen der startenden Gleitschirmflieger. Offenbar sind es nicht die ganz Jungen oder die Neulinge, die verantwortlich für die meisten Unfälle sind. Es sind die älteren, erfahrenen Piloten, die sich duch ihre Erfahrungen so sicher fühlen, dass sie übermütig werden.
Aber das gilt wohl für alles. Man denke nur ans Kochen. Der erste Versuch ist meistens der beste. Dann glaubt man, die Sache im Griff zu haben und scheitert kläglich.
Ja, die menschliche Natur. Immer wieder ein Rätsel …
Die Welt im Auge des Adlers
Zum Rätsel soll mir aber dieser Flug nicht werden. Es sieht auch gar nicht danach aus.Ganz ruhig drehen wir unsere Runden, mal etwas weiter hinunter, bis man beinahe in die Küche der dortigen Häuser blicken kann. Dann wieder aufwärts, unter Ausnützen der perfekten Thermik, bis die Welt im Auge des Vogels ganz klein und unbedeutend erscheint.
Keinen Moment scheint irgendeine Gefahr da zu sein. Der Puls schlägt ruhig, als würde ich gemütlich vor dem TV sitzen. Erstaunlich, ich hätte anderes erwartet. Soll mir aber recht sein. Die Berge scheinen weit weg und gleichzeitig ganz nahe zu sein. So hoch oben in der Luft ist man ein Teil der Welt, ein anderer als sonst. Berge, Hügel, kühle Luft, darüber der blaue Himmel. Und wir.
Ein bisschen Akrobatik gefällig?
Ich könnte endlos zu weiter gleiten, doch die Zeit vergeht schnell. Wir nähern uns dem See, fliegen darüber hinweg, unter und über uns nur noch blau, der See an seinen nördlichen Enden allerdings braun und voller Dreck.
Über dem See wird’s noch eine Stufe spannenderGanz schön hoch für einen Bergler
Anil erzählt, dass der Klimawandel auch hier seine Auswirkungen zeigt, dass immer wieder ganze Hänge in den See stürzen und ihn langsam verlanden lassen.
Im nächsten Moment schlagen wir die verrücktesten Dreher, ein altes Gefühl nach Chilbi macht sich bemerkbar. Mein Magen hüpft nach alter Manier in alle Richtungen, genauso wie ich es schon als Kind über alles liebte.
Ein wunderbarer Abschluss eines wunderbaren Fluges.
Wir gleiten nun schnell nach unten,ein paar kurze Anweisungen zur Landung, und schon stehen wir auf der Wiese, wie zahlreiche andere Flieger, und alle, wirklich alle, auch der junge Chinese, der eine Flagge seines Heimatlandes umgebunden hatte, zeigen ein stolzes Gesicht. Ich auch.
Man bringt mich mit dem gleichen Wagen zurück zum Hotel. Der Wirt empfängt mich mit einem wissenden Grinsen.
Es hat sich einiges verändert in den letzten knapp 45 Jahren.
Nichts ist geblieben vom stillen, abgelegenen Städtchen, den stinkenden, mit Abfall übersäten Gassen, wo man aber wunderbare Kuchen kaufen konnte. Die einzigen Ausländer, die immer noch misstrauisch begutachtet wurden, waren Hippies wie wir. Irgendwie fehl am Platz.
Ich erinnere mich an unseren Campingplatz, an den Mann, der am frühen Morgen in der Nähe unseres Wagens am Boden sass. Sein Blick war irgendwie glasig, traurig. Irgendjemand übersetzte seine leisen Worte. Offenbar hatte ihn seine Frau verlassen. Es berührt mich heute noch, dass wir so wenig für ihn tun konnten.
Die raschen Veränderungen waren bereits bei unserem zweiten Besuch spürbar. Das Städtchen war grösser, den Kinderschuhen entwachsen, ein Ort für Trecker, Ausgangspunkt in die Annapurna Region. Auch wir starteten von hier aus unseren Kali Gandaki Treck.
Ein neues Pokhara
Das Pokhara unserer Zeit hat sich gewandelt. Es ist zu einer Metropole mit einer knappen halben Million Einwohnern geworden, zu einem Touristen-Hotspot erster Güte. Doch der Pewa See ist immer noch da, nicht mehr leer und verlassen, sondern voll von Booten, die Ausflüge auf den See und Überfahrten zum anderen Ufer anbieten.
Endlich die Berge!
Bisher haben sie sich rar gemacht, Pokharas Hausberge, aber an diesem blauen Morgen sind sie endlich da, etwas verschwommen im Dunst, aber immerhin. Der Machapuchare. Der Annapurna. All die anderen Könige des Himalaya. Sie erstrahlen immer noch in zeitloser Grazie.
Der Annapurna im zarten MorgenlichtUnd auch der Machapuchare …
Eine Menge Arbeit
Und es wird gebaut. Da die bei uns eingesetzten technischen Geräte fehlen, wird alles von Hand gemacht, um die vielen Leute zu beschäftigen. Erinnert mich an Burma oder Thailand, wo das Gleiche gilt.
Es gibt viel manuelle Arbeit auf den BaustellenDer Sand wird in Säcken bereitgestellt
Junge Reiher?
Auf dem Weg zum See werde ich von vielstimmigem Gezwitscher, Schnattern und Krächzen und Flügelschlagen empfangenk. Diesen Anblick werde ich nicht so schnell wieder vergessen. Niemand, auch die Einheimischen nicht, können mir den Namen der wunderbaren Vögel sagen. Ich tippe auf eine nepalesische Gattung von Reihern.
Die Äste biegen sich unter der Last der hunderten von VögelnSo wunderbar anzusehen – man könnte ihnen stundenlang zusehen und zuhören
Sie scheinen alle noch in jugendlichem Alter zu sein, weisses Gefieder, Hals und Kopf manchmal gelblich. Es sind soviele (hunderte), dass die Äste sich unter ihrem Gewicht durchbiegen. Ein wunderbares Bild.
Der Pewa-See
War der See früher eher ein Stausee als ein Touristen-Hotspot, so hat sich dies gründlich verändert. Ganze Heerscharen waren in langen Reihen vor den Ticketschaltern, sie alle wollen auf den See oder ans andere Ufer oder zur kleinen Insel mit den Heiligtümern. Die Nachfrage ist da, also auch das Angebot.
Zahlreiche Boote in allen Grössen und Farben warten auf Kundschaft, sie alle wollen etwas vom Kuchen, den der Tourismus in die Stadt gebracht hat. Das Treiben ist laut und lärmig und lustig, am besten setzt man sich hin und schaut zu.
Boote auf dem Pewa See warten auf KundschaftBoote in allen Grössen und Farben
Ein gut ausgebauter Weg führt dem Ufer entlang. Ganze Familienclans sind unterwegs, Kinder rennen sich gegenseitig lachend über den Haufen, an allen Ecken und Enden sitzen Händler, verkaufen ihre Ware, die sich in nichts von all dem Schrott unterscheidet, der überall verkauft wird.
Sogar Luftballons sind im Angebot
Und natürlich wimmelt es von Restaurants und Bars, outdoor oder gedeckt, sehr ärmlich oder auch mit allem im Angebot, was eine wohlhabendere Kundschaft verlangt.
Ich setze mich in eines der Gartenrestaurants, ganz entspannt, und frage mich, wie man einen runden Geburtstag am besten feiert. Am besten gar nicht, schliesslich gibt es einen Grund, warum ich ausgerechnet jetzt im Ausland bin, und mich nicht zuhause feiern lassen will.
Aber vielleicht komme ich doch noch zu einer Idee, um mich selbst hochleben zu lassen. Etwas weiter dem See entlang, wo sich das Gewusel auflöst, ist der See teilweise verlandet. Hier versammeln sich Kinder und Männer, um im brackigen Wasser nach Fischen oder was weiss ich zu fangen.
Die Aeronauten
Pokhara ist bekannt für seine Paraglider-Tradition. Der Himmel ist voll von ihnen. Rote, gelbe, blaue, violette, grüne Vögel, daran hängend, ganz klein und zerbrechlich, einzelne oder auch paarweise Flieger, die sich durch die warmen Lüfte gleiten lassen.
Ein wunderbarer Anblick!
Ein besonderer Tag? Nein
Und so geht auch dieser blöde Tag, den ich am liebsten vergessen würde, zu Ende. So ganz ohne Anstossen geht’s aber doch nicht, also setze ich mich in mein Lieblingsrestaurant und genehmige mir einen Gin Tonic. Also denn prost und may you live long and prosper.
Und am Ende – der Vollmond
Das Ende eines Tages – erleuchtet durch den Vollmond, zu meinen Ehren …
Vollmond über Pokhara
Aber dann, später am Abend, ich sitze an meinem Bier und geniesse den Abend, kehren zwei junge Deutsche aus der Stadt zurück. Auf ihren Gesichter zeichnet sich eine seltsame Euphorie. Auf meine Frage hin, erzählen sie mir von einem ihrer besten Erlebnisse ihres Lebens – einem Flug mit einem Paraglider.
Und genau in diesem Moment macht es klick, und ich realisiere in Windeseile, was mein spezielles Geburtstagsgeschenk sein könnte.
Ich habe Sitaram Goodbye gesagt, der Abschied ist uns schwer gefallen. Er war ein exzellenter Guide, nicht nur in Bezug auf seine Kenntnisse der lokalen Fauna und Flora. Er hat mich vor allem um einige Kilogramme erleichtert, wenn der alte Mann kurz vor dem Kollaps stand.
Ich wünsche ihm alles Gute oder noch mehr, denn ob seine Idee, in Malta nach Arbeit zu suchen, eine gute ist, wage ich zu bezweifeln. Also all the best, my Friend!
Der Prithvi-Highway
Der Prithvi Highway ist die zentrale Verbindungsstrasse zwischen den beiden grössten Städten des Landes, gut 200 Kilometer lang, und bietet einen grossartigen Eindruck von Hügeln und Bergen und tiefen Tälern entlang schäumender Flüsse.
Die Schlange von Bussen entlang der Strasse, frühmorgens um halb sieben, ist lang und unübersichtlich. Es geht nun darum, den richtigen Bus zu finden, einen rot-gelben, der mich heute nach Pokhara bringen soll. Gar nicht so einfach, denn irgendwie scheinen alle gleich auszusehen, vielleicht sind es auch nur meine verschlafenen Augen, die etwas Mühe haben. Wenn auch – wie nicht anders zu erwarten – vernebelt durch die Staub- und Abgaswolken der Busse und der überladenen LKWs.
Aber dann taucht ein knalloranger Bus auf, den ich sofort ins Herz schliesse, denn er erinnert an eine unvergessliche Fahrt in Peru.
Für einmal ein richtig schöner Bus
Zuerst aber gilt es, der Stadt zu entfliehen, was unter Umständen Stunden dauern kann. Auch zu früher Morgenstunde sind die Strassen verstopft, es gibt keine Möglichkeit zur schnelleren Flucht. Kathmandu ist ein Gefängnis, das seine Insassen nicht so schnell entwischen lässt.
Wenn man sich dann bei Thankot aus dem Kathmandutal herausgequält hat, beginnt die lange Serpentinenstrasse hinunter, bis die Strasse den Trisuli Fluss trifft, dem wir von hier an folgen werden.
Leichtes Gepäck
Der gestrige Tag hat nicht nur dazu gedient, die Strapazen des Treks (und der letzten Busfahrt) zu verdauen, sondern auch einigen organisatorische Pflichten nachzukommen.
Man muss sich im Klaren sein: Solo-Traveling heisst auch immer organisieren. Nicht der Tour Operator kümmert sich um Hotels, Essen, Tickets, Abfahrtszeiten und alles andere. Das liegt alles bei mir selbst und kann mitunter viel zeitlichen Aufwand bedeuten, viel mehr, als man es sich vorstellt.
Ich werde die nächsten zwei Wochen mit sehr leichtem Gepäck reisen. Also mit dem kleinen Rucksack, wenig Kleidern, einfach nur dem Allernötigsten.
Ich habe die Vorstellung schon immer verführerisch gefunden, nur mit dem zu reisen, was man wirklich braucht zum Leben. Das Leben auf die Basics zu reduzieren und dabei festzustellen, wie wenig man wirklich braucht. Ein paar wenige Kleider (es gibt tausend Laundries, die das Waschen für wenig Geld anbieten), Zahnbürste/-pasta und Deo und Duschzeugs, Medikamente (im schlimmsten Fall gibt es überall Apotheken und Ärzte) und da im 21. Jahrhundert lebend, einen (schweren) Sack voll technischen Schnickschnacks wie Ladekabel und solchen Blödsinns, der das Sinnentleerte unserer Existenz erst so richtig nachweist.
Man müsste es mal ausprobieren. Sehen, was nach einigen Tagen ohne Smartphone und iPad und Camera geschieht. Konzentriert man sich endlich wieder auf das Schöne, das Überraschende, das Erstaunliche, ohne gleich nach Camera oder iPhone zu greifen, ohne im Kopf bereits die Beschreibung vorzuformulieren?
Fühlt man sich abgenabelt von der Welt? Hat man den Eindruck, nicht mehr dazu zu gehören? Stellt sich ein Gefühl der Leere ein?
Der ultimative Test. Ìrgendwann werde ich es ausprobieren. Irgendwann.
Der Rucksack ist tatsächlich so klein, dass er heute sogar in die Gepäckaufbewahrung oberhalb meines Sitzplatzes passt. Das Hotel in Pokhara, das Nirvana-Hotel (schon der Name deutet auf gute Zeiten hin), ist für ein paar Tage gebucht, alles andere wird sich zeigen.
Verstaubte Erinnerungen
Auf dem Weg entlang des Flusses versuche ich angestrengt, irgendeine Erinnerung an das letzte Mal vor knapp dreissig Jahren oder das erste Mal vor über 40 Jahren zu aktivieren. Erfolglos!
Auf langen Serpentinen hinunter ins Tal des Trisuli
Die Sache mit dem Gedächtnis
Das Gedächtnis ist eine seltsame Sache. Es ist so ungefähr das am wenigsten Vertrauenswürdige in der Suche nach Vergangenheit. Es tendiert dazu, Ereignisse zu entsorgen, dafür andere zu kreieren, die es so nie gegeben hat. Und weitere werden manchmal so verändert, bis sie eine vollkommen andere Form angenommen haben.
Vielleicht eine, die uns besser gefällt.
Obwohl ich diese Strasse schon zweimal durchgefahren bin, scheint mein Gedächtnis bezüglich dieser Route auf brutale Entsorgung geschaltet zu haben. Es ist schlichtweg nichts geblieben. Ich muss also Annahmen treffen.
Ich bin also zweimal hier durchgefahren. Das erste Mal mit unserem klapprigen VW-Bus, das zweite Mal mit einem Touristenbus so wie heute. Ich nehme an, dass es Anfang 1975 eher wenig Verkehr gegeben haben muss. Ob die Strasse damals wirklich schlechter war, bezweifle ich. Sie ist nämlich auch heute nicht in einem Zustand göttlicher Offenbarung. Immerhin – da es sich um einen sogenannten Tourist-Bus handelt – sind nur die Sitze belegt, also für einmal keine Sardinenbüchse mit Aussicht auf Erstickungstod.
Doch entweder sind meine Augen durch den Treck in Mitleidenschaft gezogen worden, oder die Landschaft scheint von einem seltsamen Grüngrau überzogen zu sein. Wir fahren sozusagen durch eine milchig grüne Landschaft, als wäre sie künstlich farbverändert worden. Hoffentlich gibt sich das wieder.
Wir folgen dem schmutzigen Trisuli fast den ganzen Tag
Neben mir sitzt ein dezent gekleideter Herr in mittleren Jahren, Frau und Sohn auf den beiden Sitzen vor uns. Offenbar auch auf dem Weg nach Pokhara, ein Familienausflug. Wir kommen uns allerdings nicht näher, seine spärlichen Englischkenntnisse sind eine zu grosse Barriere.
Er gibt den Herrn des Hauses, mit fester Hand und klaren Anweisungen. Die Familie gehorcht schweigend.
Blick aus dem Fenster in eine fremde Welt
Manchmal beim Vorbeifahren oder bei kurzen Stopps – ein Blick in eine fremde Welt. Obwohl – ist sie wirklich fremd, oder scheint es nur so? Da stehen Menschen inmitten von Autos, vor Läden und Restaurants, schwatzend, lachend, wartend …
Alles, was sie von uns unterscheidet, ist eine andere Hautfarbe, eine andere Kultur, eine andere Nationalität? Mehr nicht. Alles andere ist gleich. Sie leiden unter der Hitze oder Kälte, sie fühlen sich gross oder klein, reich oder arm, sie lieben ihre Kinder und hassen Ungerechtigkeit. Manchmal lachen sie oder weinen, sind hungrig oder durstig. Alles eine Frage der Perspektive.
Es ist eine lange, beinahe siebenstündige Fahrt, in einem Zustand meditativer Versunkenheit, denn alles, was ich tue, ist aus dem Fenster schauen und versuchen, nichts zu denken. Natürlich gelingt es nicht, immer wieder tauchen Erinnerungen auf, assoziativ, zusammenhangslos, auf merkwürdige Weise traurig. Hat es etwas zu tun mit meinem baldigen runden Geburtstag, der mir am nächsten Tag droht? Wer weiss …
Pokhara – eine ferne Erinnerung
Schon viele Kilometer vor dem Erreichen der Stadt entsteht der Eindruck, nicht mehr weit vom Ziel entfernt zu sein. Was aber täuscht, denn die Stadt wächst an allen Ecken und Enden. Aus dem kleinen geruhsamen Städtchen ist eine Metropole geworden, laut und hektisch und voller Leben. Das Taxi bringt mich in ein paar Minuten zum Hotel Nirvana, ein freundlicher Herr empfängt mich, und ich fühle mich sofort wohl und beinahe zu Hause.
Hotel Nirvana – hier werde ich mich eine Weile wohlfühlen
Der See ist nahe, die lange Strasse entlang dem Phewa Lake ebenso, nichts steht einem sehr geruhsamen Aufenthalt in einer Stadt, die ich vollkommen vergessen habe, entgegen.
Vor der Rückfahrt nach Kathmandu trennen sich die Wege guter alter Bekannter endgültig. Die einen nehmen zwecks schnellerer Fortbewegung einen Jeep, andere weniger glückliche, so wie wir beiden, nehmen einen dieser schrecklichen Busse, die bereits um sieben rauchend und röhrend vor den verschiedenen Hotels stehen.
Abfahrtsbereit
Der Schlafsack wird zum letzten Mal zusammengerollt und aufgebunden, ein letztes Goodbye der freundlichen Bedienung im Hotel zugerufen, und ab geht die Post. Man hat es schon beinahe vergessen, das Hin- ind Her-Gewirble im Bus, die stinkenden Auspuffgase der entgegenkommenden Fahrzeuge, die engen Sitze, die sogar für mich zu klein geraten sind.
Sardinen in der Büchse
Wir haben allerdings nicht vergessen, dass es sich um einen LocalBus handelt, was bedeutet, dass er alle paar Meter, wo ein Hund hingepisst hat, stoppt. Was wir nicht wissen, dass dieses Exemplar nicht nur dauernd hält, sondern auch die physikalischen Grenzen des Füllens eines hohlen Raums unbeachtet lässt.
Heute allerdings sind die Auswirkungen spürbar. An allen Strassenecken stehen Gruppen von Leuten, die alle mitgenommen werden möchten. Wahrscheinlich haben sie das Fest bei Verwandten verbracht und wollen nun alle nach Hause.
So stellt man sich die Gans beim Stopfen vor
Vollgestopft wie in einer Sardinenbüchse
Es beginnt nun eine dieser unvergesslichen Geschichten, die beim Erleben alles andere als lustig sind, beim späteren Erzählen aber erst ihre besondere Note erhalten.
Eigentlich beginnt es ganz harmlos. Der Gang füllt sich schnell mit Passagieren, kleinen, grossen, alten und jungen, manche mit viel Gepäck und allerhand Krimskrams. Irgendann denkt man als stiller Beobachter, dass nun das Ladepotential erschöpft ist und man dementsprechend bei den nächsten Wartenden mit einem entschuldigenden Lächeln vorbeifahren wird.
Denkste! Der Bus hält immer, IMMER. Ganze Heerscharen drücken sich durch den Eingang, werfen einen abschätzenden Blick durch den übervollen Bus und quetschen sich hinein, Platz hin oder her. Die neben uns Stehenden und gegen Sitaram Stützenden (der Arme sitzt im Gang) wechseln langsam die Farbe, man hört leises Stöhnen und etwas lauteres Fluchen, was den Fahrer aber nicht davon abhält, neue Gruppen willkommen zu heissen.
Nun werden auch wir als bevorzugte Sitzende etwas unruhig, denn ein kleines Mädchen neben Sitaram wird langsam aber sicher zerdrückt. Sie wehrt zwar anfänglich sein Angebot, auf seine Knie zu sitzen, schüchtern ab, doch der immer noch zunehmende Druck von allen Seiten lässt sie schliesslich nachgeben.
Verrückt! Und grenzwertig
Ich bin auf allen Kontinenten immer mit viel Spass mit Local Buses gefahren, viele bis an die Grenzen gefüllt, aber dieses Spektakel ist eimalig. Und wieder mal eine Sensation für alle Sinne. Die Stimmen der Leute vermischt mit dem Brummen des Motors und dem permanenten Hupen.
Die neben und über uns schwebenden Köpfe, manche grösser, manche verschwindend im dichten Haufen. Die betörenden, die Nase reizenden Gerüche, Schwitzen, Alkohol, Erbrechen … Aber immer wieder macht jemand einen Witz, und lautes Gelächter erfüllt die Sardinendose …
Irgendwie scheint es nur mir (na ja, Sitaram findet’s auch etwas seltsam) grenzwertig zu sein. Für die Leute scheint es nichts Besonderes zu sein, alles schon mal erlebt, und ausserdem ist es ja der Tag nach Neujahr. Da ist alles möglich.
Die Strasse? Das alte Lied
Die Strasse im übrigen, damit auch sie nicht vergessen wird, ist genauso schecht wie bei der Hinfahrt, sie kommt einem sogar noch etwas schlimmer vor. Der einzige Vorteil ist, dass die Passagiere gar nicht mehr herumgeworfen werden können, dazu fehlt schlicht der Platz.
Wenigstens ein Halt zum Durchatmen
Man stellt sich zum makabren Zeitvertreib vor, was bei einem Versagen der Bremsen passieren würde. Mein Blick durch den Bus schätzt, dass es mindestens 50 Tote geben würde, ein paar Touristen eingeschlossen. Man lässt den Zeitvertreib besser sein und versucht, in all dem Chaos ein paar Minuten Schlaf zu finden.
Das letzte Dal Bhat
Im nächsten grösseren Ort ein Stop, die Sardinendose leert sich in Windeseile, und ja, die Hoffnung stirbt zuletzt – die Leute verstreuen sich in alle Himmelsrichtungen. Aufatmen. Sitaram bestellt – oh Wunder! – das dreihunderdfünfzigste Dal Bhat und isst wie immer mit grossem Genuss.
Sitaram und Dal Bhat – unzentrennliche Zwillinge
Man muss sich das vorstellen (wir haben uns öfters darüber unterhalten): ein Mensch isst jahraus, jahrein mindestens zweimal täglich das gleiche Gericht (manchmal auch zum Frühstück).
Es wäre also das Gleiche, wenn ich zwei bis drei mal täglich (und das seit Jahren) Spaghetti Carbonara oder Älplermagronen (ein Schweizer Gericht) oder Risotto Milanese essen würde. Unvorstellbar! Aber ihm mundet’s, immer wieder, zwei Mal täglich, bis ans Lebensende.
Das ist das Wunderbare an den kulturellen Unterschieden. Wie unendlich vielfältig der Mensch ist und lebt. Obwohl er zu 100% aus den gleichen Komponenten besteht. Alles, was ihn unterscheidet, ist kulturell bedingt.
Deswegen reist man.
Aber auch der schlimmste Bustrip geht irgendwann zu Ende (zu erwähnen: natürlich füllte sich der Bus auch nach dem Zwischenhalt mit der gleichen idiotischen Anzahl an Passagieren, nicht der kleinste Unterschied zu vorher festzustellen, aber wie an alles im Leben gewöhnt man sich daran.
Ein nicht mehr wiederzuerkennender Rucksack
Der endgültige Stop dann irgendwo an einem Strassenrand in Kathmandu. Der für den „Gepäckraum“ Verantwortliche, ein ziemlich unsympathischer Typ mit gefärbter Haartolle, öffnet ihn, und einen Moment lang stockt allen der Atem.
Unser Gepäck ist nicht wieder zu erkennen, bzw. man weiss schon gar nicht mehr, wem was gehört, denn alles ist mit einer dicken Staub- und Schmutzschicht überzogen. Ein junger Traveller empört sich so sehr, dass er kurz davor ist, der Haartolle an die Gurgel zu gehen.
Ich bin irgendwie zu müde, um mich noch aufzuregen, packe den wieder erkannten Rucksack vorsichtig in ein Taxi und wir lassen uns die letzten Meter bis Thamel fahren. Dann lade ich Sitaram zu einem Abschiedsbier ein, allerdings wird klar, dass der junge Mann überhaupt noch nie Alkohol getrunken hat. Dann gehört sich das auch heute nicht, wir stossen also mit meinem Bier und seinem Lassidrink auf die letzten acht Tage an und wünschen uns alles Gute für unsere Zukunft, die für ihn ein bisschen länger, für mich ein bisschen kürzer ist …
Dann also das letzte Teilstück unseres Abenteuers. Da wir bereits weit unten sind, wird der heutige Tag einfach und vergnüglich sein. Ein Tag zum Geniessen, bevor wir uns dann morgen an die öde Rückfahrt nach Kathmandu machen.
Bye-bye Bamboo
Zum zweitletzten Mal aus dem Schlafsack kriechen, es ist schon wesentlich wärmer geworden. Hier auf gut 2000 Metern macht sich auch die Höhe nicht mehr sonderlich bemerkbar.
Ein letzter Blick vor dem Abmarsch. Bei Tageslicht – im Unterschied zu zwei Uhr dreissig in der Nacht – macht das Village einen freundlicheren Eindruck. Im Hintergrund dröhnt der Fluss, er fliesst ein paar Meter neben dem Hotel vorbei und hat schon massiv an Breite und Wucht zugenommen.
Das Tal öffnet sich langsam
Das Ziel schon beinahe in Sichtweite lässt es sich nun entspannt wandern. Das Tal öffnet sich langsam, allerdings ist Syabrubesi noch weiter weg als es scheint.
Den zahlreichen Gruppen, die uns schnaufend entgegenkommen, ist noch nicht zu Bewusstsein gekommen, was sie erwartet. Einzelne Gruppen umfassen zwanzig und mehr Teilnehmer. Wenn man also ausweicht, kann es vorkommen, dass man fünf Minuten wartet, bevor alle vorbei sind.
Schon beinahe ein Spaziergang
Noch mehr Lasten
Und die Träger haben zu tun. Man wundert sich, was sie alles hochtragen müssen. Sitaram klärt mich auf, dass ganze Camping-Ausrüstungen inklusive Zelte und Campingstühle und -tische und Kochutensilien und Proviant dabei sind. Vor allem die Chinesen scheinen eine ausgeprägte Vorliebe für Outdoor-Verpflegung im gewohnten Stil zu haben.
Die Träger, mit ihren typischen doko-Körben, die mit Hilfe eines um die Stirn geführten Tragriemens getragen werden, sind ein bedeutender Faktor in der Wirtschaft des Himalaya. Der durchschnittliche Tageslohn eines Trägers liegt bei rund 1000 Rupien, also ungefähr 10 Franken.
Man muss sich das vorstellen: da werden manchmal Lasten einen Tag lang hochgetragen, die wir schwächlichen Westler nicht mal vom Boden aufheben könnten. Und das alles für 10 Franken, wofür wir uns nicht mal vom Sofa erheben würden … Manchmal, sehr selten, sind Frauen dabei. Auch sie klein und sehnig und ungeheuer kräftig. Mit ihnen ist wohl besser kein Streit anzufangen.
Noch mehr Jungtiere auf der Weide
Schon weiter oben aufgefallen – viele Kühe haben ihr Junges geboren. Da liegen sie nun oder stehen bereits auf klapprigen Beinen, vorsichtig beäugt und beschützt von den Muttertieren. Es ist anzunehmen, dass sie genau gleich wie unsere Kühe zuhause bei jeglicher Androhung von Gefahr sofort angreifen würden. Aber man könnte sie knuddeln, die herzigen kleinen Stinker …
Endziel in Sicht
Letzter Stop dann im Riverview. Der Name ist gut gewählt, denn hier ist der Fluss nahe und dröhnt und grollt. Es gibt den letzten Lunch unterwegs – Nudelsuppe mit Eiern.
Die Hängebrücken haben nun dementsprechend eine rechte Länge, man balanciert also noch länger auf dem schaukelnden Untergrund (was mir aber immer noch und immer wieder grosses Vergnügen bereitet).
Die dazugehörige lange Hängebrücke
Es geht nun immer schneller den Berg hinunter, doch dazwischen, wie könnte es anders sein, geben mir die letzten steilen Stufen den Rest. Sie werden mir nicht fehlen.
The fucking last Steps
Doch dann wird das Ziel sichtbar. Wir haben es beinahe geschafft. Eigentlich schade. Jetzt, wo ich so perfekt eingelaufen bin …
Die letzten Meter
Geschafft
Um eine Ecke tauchen, zwar noch in einiger Entfernung, die Häuser von Syabrubesi auf. Da ist es also, das lang ersehnte Endziel, obwohl es mir schon ein bisschen Mühe macht, dass der Trek in einer guten Stunde vorbei ist.
Jetzt, wo die Muskeln gestählt, der Kopf vorbereitet, die Knie belastbar sind, Rücken und Schultern an die schwere Last gewöhnt sind, könnte es doch eigentlich weitergehen. Vielleicht mit weniger hohen Tritten, weniger abstossenden Toiletten, aber mit noch mehr Yaks und Languren und Dzopkes und grossartigen Bergpanoramas.
Frauenpower in Syabrubesi
Aber es ist vorbei. Wir passieren die ersten Häuser auf der anderen Seite des Flusses, wo zahlreiche Frauen dabei sind, die finanziellen Dinge des Dorfes zu besprechen und zu organisieren. Sie sind also nicht, wie ich anfänglich dachte, am Kartenspielen (so wie die Männer in Kyanjing Gompa), sondern am ernsthaften Arbeiten. Dann überqueren wir die letzte Hängebrücke, ein High-Five und eine Umarmung mit Sitaram, und es ist geschafft.
Jetzt ist der Abend entspannt
Nichts mehr steht einem entspannten Abend in Gesellschaft anderer Trecker im Weg, die ebenfalls am Endpunkt angekommen sind. Die meisten froh und glücklich, es geschafft zu haben (so wie ich), aber wahrscheinlich ebenso mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Nun brauchen wir uns nicht mehr um fehlenden Schlaf zu sorgen, uns steht lediglich eine lange mühsame Fahrt zurück nach Kathmandu bevor. Also sitzt man zusammen, unsere Thai-Freunde, die in zwei Tagen schon wieder arbeiten müssen, aber auch ein Paar aus Australien und Neuseeland. Interessant ist, dass sie zwar zusammengehören, sich ihre Zukunftspläne, zumindest in geographischer Hinsicht, stark unterscheiden. Er wird eine Stelle in Guam (!) antreten, sie in London.
Die Wege des Herrn sind unergründlich.
Aber es wird viel gelacht, man lehnt sich entspannt zurück, das Abenteuer hat ein glückliches Ende gefunden …
Irgendwas stimmt nicht frühmorgens um sechs. Zum Konzert der Vögel und der entfernten Stimmen des Küchenpersonals hat sich ein rhythmisches Klopfen auf dem Dach gesellt. Der Blick aus dem Fenster enthüllt die ganze Wahrheit. Es pisst aus allen Rohren. Das darf nicht wahr sein. Regen! Und wie!
Regen am frühen Morgen
Das bedeutet, dass ich heute tatsächlich auch die restliche Ausrüstung, mühselig hierher hochgetragen, benutzen muss. Also die Gamaschen, die Handschuhe (es ist nämlich auch kalt), der Regenponcho (Kraxen). Und wenn wir Pech haben, wird trotzdem alles feucht, denn der aufkommende Wind wird uns das Nass um Ohren und Beine schlagen.
Der Wettergott meint es gut
Aber mal sehen, die Suppe wird nicht so heiss gegessen, wie sie gekocht wird. Sitaram wirft allerdings ein, dass diese Art Regen sehr lange dauern kann, Stunden oder noch mehr. Ich dagegen bin überzeugt, dass es schon bald wieder aufhellen wird. Und tatsächlich, noch während ich mit wenig Genuss in ein langweiliges geschmackloses Chapati beisse, scheint uns der Wettergott gnädig zu sein. Aber mal abwarten, ich traue dem Frieden noch nicht.
Buddhistische Morgenrituale
In der Zwischenzeit vollzieht der Boss des Hauses seine morgendlichen Rituale vor dem kleinen Altar zu Ehren Buddhas. Zuerst füllt er kleine runde Behälter, in einer Reihe aufgestellt, mit irgendwas und zündet es an. Wahrscheinlich eine Art brennbares Oel oder sowas.
Auf jeden Fall füllt sich der Raum schon bald mit leichtem, kaum sichtbarem Rauch, der in den Augen brennt. Dazu murmelt und singt er seine Gebete. Sehr eindrücklich, aber man müsste mehr darüber wissen, um die Bedeutung des Ganzen zu verstehen. Auch Sitaram kann nicht helfen, er ist Hinduist, seine Gebete gehören anderen Gottheiten.
Gedenkstätte für die Toten
Am Rand des (neu errichteten) Dorfes steht eine kleine Gedenkstätte in Form einer Stupa. An ihren Seitenwänden sind die Namen aller Toten des Bergsturzes eingraviert. Die meisten davon Einwohner. Viele Soldaten. Zahlreiche Touristen aus aller Herren Länder …
Man bleibt stehen und liest die Namen. So viele Tote … Einfach verschwunden. Begraben im grössten Friedhof der Gegend.
Gedenkstätte für die Toten
Der Friedhof der Bäume
Wie prophezeit – beim Abmarsch um acht hat sich der Regen verzogen, der frostige Hauch und der in der Luft schwebende Nebel sind aber immer noch wenig aufmunternd. Immerhin kommen wir schnell vorwärts und stehen schon bald wieder auf dem riesigen Friedhof, der einmal das Dorf Langtang war. Vor uns und hinter uns keuchen die anderen Trecker bergauf- oder abwärts, doch auch sie bleiben stehen, legen eine Minute des stillen Gedenkens ein.
Bergabwärts sieht man erst die anderen Verheerungen, die die vom Bergsturz ausgelöste Druckwelle verursacht hat. Man muss verstehen, dass die Verlagerung von Millionen Tonnen Gesteins und Sands und Wasser einer entsprechenden Verdrängung von Luft zur Folge hat. Diese weicht aus, die Druckwelle rast in ungebremstem Tempo das Tal hinunter und reisst alles um, was ihr im Wege steht. Tausende von umgestürzten Bäumen liegen talabwärts auf den Hängen, einzelne verkrüppelte Stämme trotzen noch immer der endgültigen Niederlage. Ein schreckliches Bild.
Das war einmal ein dichter Wald
Einmal mehr wird klar, wie die Macht der Natur wirkt. Dabei ist das Phänomen einfach zu erklären. Nepal liegt in einer geologischen Hochrisikozone, an der Grenze zweier tektonischer Platten. Seit Millionen von Jahren bewegt sich die indische Platte langsam gegen Norden auf die viel grössere eurasische Platte zu und schiebt sich dabei zum Himalaya auf. Der dabei entstehende Druck entlädt sich in ruckartigen Erdbeben, so wie am 25. April 2015.
Affen, Vögel, Pandas
Natürlich ist die Wahrscheinlichkeit, Tiere zu sehen, verschwindend klein. Der Lärm der Trekker-Kolonnen, die permanente Bewegung durch den Wald stört die Tiere auf.
Immerhin, die Chance, einem der niedlichen Languren zu begegnen, ist gross. Sie haben sich offenbar an die sonderbaren Gesellen in ihren modischen und farbigen Kleidern und die verschiedenen Sprachen gewöhnt. Sie beobachten, falls überhaupt, was da geschieht, und entschliessen sich dann ohne Rücksicht auf Verluste, in weiten Sprüngen den Wald und die Wege zu überqueren.
Natürlich zur Freude der Touristen, die endlich mal eine der animalischen Sensationen des Tales sehen können.
Languren – ebenso flink wie furchtlos
Ein vorsichtiger Blick von weitem
Im Unterschied zu unseren Breitengraden ist hier der Gesang der Vögel noch in allen Variationen zu hören. Es singt und zwitschert und zirpt und triliert, doch zu entscheiden, welche Stimme zu welchem Vogel gehört, fällt auch Sitaram schwer.
Immerhin sind es über 350 verschiedene Vogelarten. Einige davon erkennt er, darunter den Glanzfasan, den nepalesischen Nationalvogel, aber auch Ibis, Tragopan und andere, deren Namen und Aussehen mir vollkommen fremd sind.
In der Goseinkund-Region, also der Gegend um die entsprechenden heiligen Seen, lebt der kleine rote Panda, eine extrem vom Aussterben bedrohte Spezies. Zu ihrem Schutz hat die Regierung ein grossangelegtes Schutzprogramm ins Leben gerufen.
Der rote Panda (Copyright Wikipedia)
Und natürlich ist es Frühling, auch die Zeit der Jungtiere, teilweise kurz zuvor geboren und voller Stolz auf den Armen herumgetragen. Sie sind die Zukunft der Bauernfamilien, ohne sie ist keine Existenz denkbar.
Erst kurz zuvor geboren, aber neugierig und immer noch etwas verwirrt
So jung und schon auf den Beinen
Behausung für Tiere oder Menschen?
Das Rätsel des linken Knies
Dann aber geht es zügig bergabwärts. Wir treffen unseren Freund, den Thai-Buddhisten, der sich zur Abwechslung offenbar ein Zimmer genommen hat. Und ja, die ersten Stufen bergabwärts, ursprünglich ein mulmiges Gefühl bezüglich meines linken Knies verursachend, sind beruhigend. Natürlich bin ich vorsichtig, natürlich versuche ich, bei ganz hohen Tritten das rechte Knie zu belasten, aber es geschieht – nichts. Das Knie hält. Dreimal Hurra!
Aber es sind schon wahnsinnige Stufen, die auch bergab Kopfschütteln auslösen. Wie ich es geschafft habe, hier hochzukommen,ist mir ein Rätsel, aber wie schon erwähnt – der Stolz macht vieles möglich.
Weibliche Trägerinnen
Wir haben nur wenige getroffen, aber alle machen den Eindruck extremer Leistungsfähigkeit, die uns Fitness-Center gestählte Mannsbilder erblassen lassen. Sie strahlen gleichzeitig etwas Schüchternes aus. Man möchte ihnen die Hand schütteln, ihnen danken. Ach, ich weiss nicht, irgendwas stimmt da nicht. Wie so vieles andere …
Weibliche Trägerinnen – ebenso stark wie schüchtern
Lama Hotel und zwei Bekannte im Stress
Das Lama Hotel ist genauso überfüllt und irgendwie abweisend wie beim Aufstieg. Sitaram schlägt vor (da wir zeitlich gut imPlan liegen), doch noch zwei Stunden bis Bamboo Village (heisst es so?) weiter zu marschieren. Okay, warum nicht. Alles, um auf dieses wenig einladende Etablissement zu verzichten, ist gut.
Wir treffen zum ersten Mal unsere beiden Mexiko/Slowakei-Australier wieder, sie scheinen aus irgendeinem Grund pressant zu sein. Sie wollen den restlichen Abstieg bis Syabrubesi noch an diesem Tag bewältigen. Eine echte Herausforderung, wie mir scheint. Das bedeutet ein Bergabrennen gegen die Zeit, und wenn ich mich an die steilen Abschnitte erinnere, die noch vor ihnen liegen – dann Prost und viel Glück!
Zimmer in Bamboo Village?
Irgendwie scheint mir der Weg bergab richtig viel Vergnügen zu bereiten. Wir haben alle Zeit der Welt, Sitaram ist überzeugt, dass wir im Bamboo ein Zimmer finden werden. Aus nachvollziehbaren Gründen kann ich seinen Optimismus nicht ganz teilen, schliesslich sind wir schon einige Male versetzt worden.
Meine Sorgen machen ihn schliesslich doch ein bisschen nervös machen lässt. Auf jeden Fall schlägt er vor, doch schon mal vorzugehen, um sicherzustellen, dass seine optimistische Annahme auch zutrifft. Während er also in Riesenschritten (endlich mal ohne den Grossvater) den Wald hinunter rennt, habe ich Zeit, mich umzusehen. Und endlich die phantastische, mystische Welt der lebenden und toten Bäume zu bewundern, die mich einmal mehr an Mittelerde erinnern, fehlen nur noch die Hobbits, Frodo und seine Gefährten Sam Gamdschie und Pippin und Merry, die bei einem späten Frühstück sitzen.
Mittelerde-Wald, aber ohne Hobbits
Und da, ganz in der Nähe, noch ein Langur-Affe. Er versteckt sich anfänglich hinter einem Baum, doch dann, mutiger geworden, zeigt er sich. Wunderbar.
Wir nähern uns dem Tagesziel
Und wieder eine Hängebrücke
Der letzte Abschnitt, kurz vor dem Tagesziel, ist die ultimative Herausforderung nicht nur für meine Knie, sondern für alle Muskeln und Sehnen. Aber auch dieser Abschnitt, langsam und vorsichtig, bleibt hinter mir zurück, und schon eilt mir Sitaram entgegen. Meine Besorgnis bezüglich Zimmerverfügbarkeit scheint doch nicht ganz falsch gewesen zu sein. Wir haben nämlich das allerletzte Zimmer gefunden. Glück gehabt, mein Freund!
Das tibetische Hotel
Diesmal ist es ein tibetisches Hotel, wie alle bisherigen in einem sagen wir mal desolaten Zustand, der aber zu genügen scheint. Der Dining Room ist etwas düster und kalt, der Ofen ist zwar in Betrieb, aber da dauernd jemand die Tür offen lässt, verpufft seine ganze Leistung.
Düster und kalt
In meinem Zimmer ist alles ein bisschen klapprig, zwischen den Wandbrettern scheint die Sonne durch, das Schloss lässt sich nur mit viel Mühe schliessen. Man gewöhnt sich daran. Sogar an die sich ziemlich abweits des Hotels befindliche Toilette – ein weiteres Meisterstück tibetisch/nepalesischer Baukunst.
Etwas unfertig, aber irgendwie gemütlich
Und tatsächich – mitten in der Nacht, der verschlafene Blick auf die Uhr zeigt 2.30 – folge ich grimmig und mit verquollenen Augen und der Stirnlampe dem Ruf der Natur und fühle mich eins mit der Welt und dem Kosmos …
Kyanjin Gompa talaufwärts, dann zurück nach Langtang
Der Morgen, genauso wie alle bisherigen, ist eine Präsentation der einzigartigen Schönheit der Bergwelt. Das Blau des Himmels ist nicht einfach blau, es ist das Blau eines Lapislazuli, der im Licht flackert. DIe Berge sind nicht einfach Berge, sie sind Monumente, festgefroren in der Zeit, und stechen wie aufrechte Krieger in den Himmel. Die Luft ist nicht einfach Luft, es ist eine Destillation aller vorstellbaren Aromen …
Doch die Berge haben ihre eigene Jekill and Hyde Natur. Einen Moment lang zeigen sie ihre schöne Seite, die Pracht der Farben und Formen, einen Augenblick später kommt ihr anderes Gesicht zum Vorschein, das der tödlichen Wildheit, der plötzlich ausbrechenden Bedrohung. Als winziger Mensch tut man gut daran, sich an ihre Janusköpfigkeit zu erinnern.
Aber nicht heute. Heute zeigen die Berge ihr schönes Antlitz, das der Pracht und der Unberührbarkeit …
Weiße Giganten unter blauem Himmel
Mächtig, furchteinflössend
Upps – hat mich die Schönheit der Bergwelt (oder meine poetische Ader??) so sehr überwältigt, dass ich zwangsläufig im Kitsch gelandet bin? Es macht ganz den Anschein. Sorry, People, manchmal kann man einfach nicht anders, als den frühen Morgen in den schönsten Farben loben …
Kein Kyanjin Ri
Also, abgesehen von der tatsächlichen Schönheit des Morgens, gilt es, ein paar Entscheidungen zu treffen. Obwohl der Schlaf lang und gut war und ich mich schon bald wieder fühle wie der biblische Samson, bevor man ihm die Haare abschnitt, habe ich nicht vor, einen einzigen Meter in Richtung des Kyanjin Ri hochzuklettern. Es genügt, wenn sich ganze Heerscharen wie ein einziger Zug der Lemminge dorthin hochkraxelt. Warum? Weil es in allen Travelguides steht, weil es so in der Trekplanung steht, also wird es genauso getan.
Wir nicht. Der Zug der Lemminge, den ich bisher folgsam mitgemacht habe, hat mir genügt. Also werden wir, wie gestern besprochen, dem Flusslauf talaufwärts folgen. Also dorthin, wo schon bald die tibetische Grenze kommen würde.
Die Kinder sind bereits am frühen Morgen munter
Ein paar Häuser und Hütten und Berge
Talaufwärts – dem Fluss entlang
Wir sind schon sehr bald vollkommen allein. Das Dorf bleibt hinter uns zurück und damit die letzten Reste von Zivilisation.
Eine seltsame Landschaft – irgendwie gefroren in der Zeit
Eine Welt ohne Menschen
Es gilt, ein langes Geröllfeld zu überqueren, beinahe wie bei Langtang, aber diesmal von Bächen und Runsen verursacht, die nach dem Monsum eine ungeheure Menge Wasser herabbringen. Auch der Flusslauf sieht aus wie eine einzige riesige Wüste, dabei ist es das Ergebnis des gleichen Phänomens. Ich würde es gerne sehen, wenn im Frühjahr das Wasser des Flusses anschwillt, wenn die Wassermassen mit Tosen und Grollen talabwärts rollen und dabei alles mitreissen – Steine, Sand, Geröll, Felsen, Erde, Bäume. Das muss ein Wahnsinnsspektakel sein.
Geröllfeld – geschaffen vom Fluss, vom Wasser, vom Winter
Werbung für „High Spirits“
Der Moment scheint ideal, um in der menschenleeren Gegend Werbung zu betreiben. Was natürlich per se ganz und gar nicht zur heeren Schönheit der Umgebung passt, aber wir befinden uns bekanntlich im 21. Jahrhundert – ohne PR und Werbung geht gar nichts.
Dann also ein dreifaches Hurra meiner Trekking-Organisation, meinem Guide Sitaram und seinem zur Abwechslung mal ziemlich fitten Kunden.
Das Duo Infernal …
Der Thai-Mönch
Würde man meinen, aber da taucht eine seltsame Gestalt auf. Ein Mönch, beladen mit tausend Ausrüstungsgegenständen, vom Zelt bis zum Kocher. Er ist Thai, spricht kaum englisch, aber was wir verstehen, ist, dass er allein in den Bergen unterwegs ist, dabei meistens im Freien übernachtet und sich das Essen selbst zubereitet. Wieder einer dieser unglaublichen Gestalten, die man hier antreffen kann. Wir werden ihm noch ein paar Mal über den Weg laufen.
Wir kehren also zurück, langsam und gemütlich, dabei keinen Augenblick den Blick auf die Umgebung vergessend. Die Berggipfel, die an diesem blauen Morgen so unantastbar, so entrückt aussehen, als wären sie die Wächter über die Welt.
Man muss sie immer wieder von neuem entdecken. Um einzusehen, wie relativ doch alles ist. Wir. So klein. So unscheinbar.
Die Yaks finden etwas zum Fressen, wo es scheinbar nichts gibt
Und dann, wenn irgendwo ein Grashalm zu entdecken ist, Yaks, Muttertiere mit ihren Jungen. Ganz ruhig den Boden abtastend. Sie finden Futter, wo keines zu sein scheint. Verrückt.
Auch auf dieser Höhe kann man Fussball spielen
Zurück nach Langtang
Nach dem Mittagessen entschliessen wir uns, schon mal zurück bis Langtang zu marschieren. Die geplante Etappe im Touren-Guide gibt zwar vor, dass dieser Teil erst morgen, aber dann bis Lama Hotel gemacht wird.
Das scheint uns, vor allem Sitaram aus nachvollziehbaren Gründen, nun doch etwas gar viel zu sein. Vor allem denke ich in zunehmendem Mass an mein linkes Knie. Immerhin konnte ich vor gut zwei Jahren nicht mal mehr eine halbe Stunde der Limmat entlang spazieren, ohne heftige Schmerzen zu verspüren.
Es ist also heute der ultimative Lakmus-Test für mein Knie.
Doch alles ist gut, keine Schmerzen. Wir kennen nun die Strecke und alle Restaurants und Teehäuser und Chörten im Umkreis von hundert Kilometern und werden schon beinahe wie alte Bekannte begrüsst.
Alte Bekannte
Chörten überall
Letzter Blick zurück
Die Wolken am richtigen Ort
Kein Zimmer – oder ein falsches
Langtang ist beim zweiten Besuch sozusagen fast Heimat, wir kennen uns aus, freuen uns auf ein weiteres gutes Zimmer im Hotel. Aber weit gefehlt. Einmal mehr hat der Wirt einer Gruppe von Gästen, ungeachtet unserer Reservation, das Zimmer vergeben und weist uns nun einem im Aufbau befindlichen Hotel seiner Schwester zu.
Auf den ersten Blick kein Problem, aber die dazugehörige Toilette löst bei mir eine heftige Abwehrreaktion aus, und als auch noch das versprochene warme Wasser der Dusche ausbleibt, platzt mir der Kragen und wir dislozieren in ein anderes Etablissement.
Auch nicht unbedingt das Mass aller Dinge (die warme Dusche befindet sich in einem kleinen Häuschen ziemlich abseits des Hotels, aber das von Solarstrom erzeugte heisse Wasser entschädigt für alle anderen Unannehmlichkeiten).
Ich habe zwar keinen eigenen Bathroom, dafür 4 Betten, auf denen ich innert Sekunden ein Chaos anrichte
Die Zusammensetzung der essenden Kundschaft im Dining Room – wie immer ein besonders interessantes Phänomen – ist diesmal wieder anders. Ein Paar aus Tschechien, die sich über Facebook zu diesem Trek gefunden haben, stellen zwei wunderbare Diskussionspartner dar, die soviel zu erzählen wissen, dass wir die armen Wirtsleute, die längst Schlafaugen haben, vollkommen vergessen. Sorry, Leute!
Es ist doch beruhigend, dass das System zuverlässig funktioniert. Grosse Anstrengungen, physisch oder psychisch, werden mit viel Schlaf korrigiert. Es gibt nichts, was durch eine gute Portion tiefen Schlafes nicht zurechtgebogen werden könnte.
Dritte Etappe gemäss Polar-Aufzeichnung
So auch jetzt. Eine 10-stündige Tiefschlafphase hat bewirkt, dass sich die angeschlagenen Lebensgeister wieder zurückmelden. Sitarams Klopfen an der Tür kommt mir vor wie das Auftauchen aus tiefem schlammigem Wasser.
Die heutige Etappe wird uns ans Trekking-Ziel in Kyanjin Gompa bringen. Eine weitere Herausforderung für Muskeln und Lungen. Aber das ist zwischenzeitlich zur Normalität geworden.
Alles in Ordnung
Den Rest besorgt ein Teller voll heissem Porridge, dessen mangelnder Eigengeschmack mit einer Portion Honig („Original Nepalese Honey“) gesüsst wird. Nicht gerade mein bevorzugter Einstieg in den Tag, aber nun sind Kalorien gefragt, viele Kalorien. Denn wird mal wieder ziemlich happig.
Langtang – in Richtung Kyanjin Gompa
Dann also auf zum letzten Gefecht, d.h. die letzten Kilometer Kyangjin Gompa auf knapp 3900 Metern. Es geht von Anfang an zügig vorwärts, zur Überraschung von Sitaram ist sogar ein schnellerer Schritt möglich (was ich selber kaum glauben kann).
Kurze Rast mit anderen Kämpfern
Wir folgen dem Tal, ringsherum ein in der Morgensonne funkelndes Panorama von weissen Berggipfeln, mitten drin der Langtang Ri mit seinen geschwungenen Hüften und dem stolzen Haupt.
Ein angenehmer Spaziergang?
Der Weg scheint plötzlich ganz angenehm, die hohen Stufen werden weniger, es ist schon beinahe wie in den Alpen. Gelegentlich trifft man auf bekannte Gesichter, Franzosen, Russen, Holländer … Alle mit dem gleichen Ziel, Kyanjin Gompa.
Pferdekaravanen
Yaks und Dzopkes
Und das sind natürlich die Yaks. Im spärlichen Gras nach Essbarem suchend, mit struppigem, weiss-schwarzem oder ganz schwarzem Fell, mit dem so kostbaren buschigen Schwanz, der nach dem Tod des Tieres für allerhand Zeremonien benutzt wird. Und nicht zu vergessen die Dzopke, der Kreuzung zwischen Kuh und Yak. Sieht irgendwie speziell aus, aber auch sie scheinen mit der harten Natur da oben ganz gut zurechtzukommen.
Die Eselkarawanen werden nun gelegentlich ergänzt durch Pferdekolonnen, kleine zähe Tiere, die genauso wie die Esel ungeheure Lasten zu tragen vermögen. Auch sie mit wunderbar farbigen Bändern verziert.
Schwer beladene KarawanenDzopkes – eine Mischzüchtung aus Yaks und Kühen
Zerborstene Brücken
Auch hier sind die Auswirkungen des Erdbebens sichtbar. Brücken an dicken Stahlseilen sind mittendurch geborsten, nur noch die verrostenden Überreste der Seile liegen im Gras. Es bedeutet, dass man jetzt wieder wie früher die Schlucht hinunter und auf der anderen hochklettern muss. Eine ziemlich schweisstreibende Angelegenheit.
Zerrissene, verrostende DrahtseileWeg duch die Schlucht
Chörten – links umgehen
Je höher man steigt, desto häufiger werden lange Reihen von Chörten, den Kultbauten des tibetischen Buddhismus; er stellt die lokale Weiterentwicklung eines Stupa dar.
Eine der vielen Chörten – manchmal sind zahlreiche in einer langen Reihe geordnetOm Mani Padme Hum – die heiligen Worte; tausendmal wiederholtFarbig, aber auch sie bedeuten Om Nami Padme Hum
Die unzähligen Steine, aufeinander getürmt, und jeder mit der gleichen Botschaft: Om Nami Padme Hum. Das Wort kommt aus dem Sanskrit, ohne eine eigentliche Bedeutung zu haben. Es ist der Klang, der alles ausmacht.
Und natürlich darf man niemals vergessen, um einen Chörten links herum zu gehen. Was mich zwangsläufig zur wunderbaren Geschichte von „Tim & Struppi im Tibet“ bringt und zwar zur Stelle, wo Kapitän Haddock stolpert, hangabwärts rennt und dabei die Aufforderung hört, den vor ihm auftauchenden Chörten linksherum zu umqueren.
Was er beinahe schafft, doch er stolpert und prallt voll in den Chörten hinein. Dadurch löst sich der obere Teil des verfallenden Bauwerks, fällt auf seinen Rucksack und zerstört die darin heimlich mitgeführten Whisky-Flaschen. Unbedingt lesen!
Doch noch ausser Atem
Die Höhe wird spürbarer, der Atem kürzer, der Rucksack scheint wieder eine Tonne zu wiegen. Die letzten Höhenmeter zum Tagesziel sind extrem hart, alle hundert Meter steht nun eine gebeugte Gestalt und ringt nach Atem. Doch der Stolz lässt nicht zu, das Hilfeangebot von Sitaram anzunehmen. Das wäre der endgültige Todesstoss für mein eh schon angeknackstes Selbstvertrauen gewesen. Ich muss da durch, gehauen oder gestochen …
Der Stupa kurz vor dem Ziel
Es wird mir erst später klar, dass wir einen zusätzlichen Umweg machen, um den Stupa zu besuchen. Schon von weitem streckt sie ihr farbiges Haupt in den Himmel.
Gegen einen geringen Obolus darf man sie betreten und an der grossen Gebetsmühle drehen. Auch sie wurde zerstört, aber bereits wieder in altem Glanz wiederhergestellt. Was zur unumgänglichen Frage führt, warum die religiösen Bauten schneller und mit mehr finanziellen Mitteln restauriert werden als die Häuser und Hütten der Menschen.
Es scheint, dass der Mensch im Zusammenspiel von Himmel und Erde eine minderwertige Rolle spielt. Es überrascht mich keinen Augenblick.
Stupa – erstaunlich schnell restauriertGebetsmühle im Inneren – so gross, dass man sofort ins Nirvana eintreten darf
Ein Gebet für müde Trecker
Dann endlich eine Brücke (die erstaunlicherweise keinen Schaden davon getragen hat), eine Schar Trecker sitzt mit ihrem Guide am Boden, während dieser buddhistische Gebete rezitiert. Ob mir seine Rezitationen geholfen hätten,die Anstrengungen besser zu ertragen, wage ich allerdings zu bezweifeln.
Die letzte Brücke vor dem Ziel
Kyanjin Gompa
Kyanjin Gompa ist eine Ansammlung von Hotels, die meisten (oder alle?) neu und in allen Farben gestrichen. Ockergelbe. Grüne. Viele Blaue. Weisse. Ein farbiges Panoptikum.
Kyanjin Gompa – ein farbiges Bild
Nicht überraschend sind wir wieder mal die letzten Ankömmlinge, die anderen bekannten Gesichter haben sich längst in den unterschiedlichen Unterkünften eingenistet und geniessen die warme Nachmittagssonne.
Die verschneiten Gipfel in aller PrachtUnd in der Ferne, ganz blau, ganz weiss, die Berge
Oder sie haben bereits den Weg zum Kyanjin Ri eingeschlagen, von wo man aus einen perfekten Überblick über das Bergpanorama haben soll. Ist mir aber sowas von egal, mir scheint, dass ich genügend Höhenmeter geschafft habe.
Das mir zugewiesene Zimmer mit WC und Hot Shower ist perfekt, ebenso die Kartoffelsuppe und Tee (??) zum Lunch. Entgegen der ursprünglichen Tagesplanung (siehe oben) entscheide ich, den Nachmittag im Dorf zu verbringen und mich nochmals ein Stündchen in den Schlafsack zu verziehen, während die jugendlichen Kämpfer sich an die Eroberung weiterer Höhen machen.
Neue Hotels
Überall wird emsig gebaut, ganze Gassenzüge werden aufgezogen, ein Hotel neben dem anderen, man fragt sich, woher all die Touristen kommen sollen, um das Geschäft rentabel zu machen. Eine Beobachtung, die im ganzen Land gilt: irgendjemand, irgendwas (Touristen, Planer, Sehenswürdigkeiten…) geben den Anstoss, der Erfolg wird sichtbar, dann fängt der Schweinezyklus an. Es werden auf Teufel komm raus neue Angebote geschaffen, bis sie die Nachfrage übertreffen und es zwangsläufig zu Problemen kommt. Ein klassischer Teufelskreis.
Kyanjin Gompa – im Wachsen begriffenEin Dorf für Trekker … und sonst niemandenHöchstens noch für ein paar wenige Bauern …Guides und Porters beim entspannenden KartenspielGebetsfahnen für einmal ohne Wind
Auch in diesem Dorf hätte ich arme Kinder gefunden. Auch sie sind ärmlich gekleidet, auch sie leiden an Erkältungen und weiss der Henker was alles, doch sie strahlen eine Fröhlichkeit aus, die ansteckend wirkt.
Das Kloster
Die Monastery sieht von aussen wie jedes andere Gebäude aus, also gehe ich anfänglich daran vorbei, bis ich mehrere Stimmen höre. Und tatsächlich, das unscheinbare Gebäude entpuppt sich als Sammlung reichhaltiger Kostbarkeiten, wie ich sie in dieser Schönheit nur in Ladakh gesehen habe.
Götter und MusikGötter und ihr AnhangGötter und Thron und alles andere …
Kalt und neblig
Auf dem Spaziergang durch das Dorf am späteren Nachmittag spüre die plötzliche Kälte, die aus dem Nichts das Dorf überfällt. Es ziehen Wolken auf, ich brauche nun wirklich alles Warme, was ich mitgebracht habe. Fliessendes Wasser gibt es bereits keines mehr, offenbar gefroren in der Zuleitung weiter oben. Vielleicht auch nur eine Ausrede des Wirts, der das kostbare Nass sparen will.
Der Abend im Dining Room gibt genauso wenig her wie der gestrige, also verzieht man sich einmal mehr schon früh in den warmen Schlafsack und spürt ein seltsames Gefühl des Glücks …
Bei Tageslicht hell und gemütlich, am Abend kalt (trotz Ofen) und wenig einladend
Nach der besagten schlimmen Nacht weckt ich mein Zimmernachbar um 5 aus meinem kurzen Schlaf. Er wühlt knappe anderthalb Stunden in seinen Sachen herum, ich habe nicht den leisesten Schimmer, ob erwas sucht oder Ordnung schafft oder einfach so früh wach ist und nichts Besseres zu tun hat.
Olfaktorische Überfälle und andere Beleidigungen
Immerhin verschwindet er um halb sieben, und ich kann endlich durchatmen und mich ebenfalls zum Frühstück aufmachen. By the way, die hiesige Toilette – es ist kaum zu glauben – stellt eine weitere Steigerung olfaktorischer Angriffe auf meinen Geruchssinn dar, von den visuellen Beleidigungen ganz zu schweigen. Trotzdem schaffe ich es, meinen Gedärmen endlich etwas Erleichterung zu verschaffen.
Es scheint, dass die meisten Trecker bereits unterwegs sind, was mich nicht besonders überrascht, denn eine Überraschung wäre es nur gewesen, wenn ich mal nicht der Letzte beim Abmarsch wäre.
Immerhin entpuppt sich das Frühstück im Gegensatz zum gestrigen Abendessen als positive Überraschung.
Dazu eine Ergänzung: obwohl die Küche sehr überschaubar ist, bringt sie es doch irgendwie fertig, eine grosse Anzahl unterschiedlichster Menüs anzubieten. Also Pizza, Frühlingsrollen, MoMos in allen Ausprägungen …
Allerdings scheint das grüne Zeug, das gestern Abend die Pizza des Mexikaners verziert hatte, das gleiche zu sein, das auch die Füllung meiner Frühlingsrolle ausmachte. In beiden Fällen – ebenso ungeniessbar wie undefinierbar. Wir rätselten darüber, was es sein könnte, wurden aber nicht einig. Spinat? Etwas Lokales, das nur hier wächst?
Aber das System braucht Kalorien für die nächsten Tage, also isst man alles, was auf den Tisch kommt. Mit wenig Begeisterung, aber was soll’s …
Lama Hotel – einfach eine Ansammlung von Gebäuden, aber „Hotel“ scheint leicht übertrieben
Stufen, Stufen, Stufen …
Ich würde gerne feststellen, dass der heutige Tag weniger anstrengender als der gestrige ist, kann ich aber nicht. Es geht genauso weiter wie gehabt, eine Tritt nach dem anderen, nur ist die Strecke im Vergleich zu gestern länger. Muss ich mich also auf einen weiteren 9-Stünder einstellen?
Es sieht so aus.
Zweite Etappe gemäss Polar-Aufzeichnung
Der Dschungel lichtet sich …
Der Fluss rauscht und begleitet uns auf dem Weg
Immerhin kommen wir langsam aus dem Wald heraus, und zum ersten Mal zeigt sich das wundervolle Panorama der verschneiten Berggipfel. Auch das Wetter zeigt sich wieder in Festlaune, azurblauer Himmel, eine Luft, die allen Müll von Kathmandu aus den Lungen und Bronchen entsorgt.
Links der Langtang Ri, der höchste Gipfel der Region
Allerdings spüre ich, dass sich das System nach der anfänglichen Beunruhigung weitgehend stabilisiert hat. Ich atme leichter, obwohl die zunehmende Höhe spürbar wird (wir nähern uns der 3000-Meter Grenze). Wir durchqueren die letzten Meter im Wald, wie gewohnt werde ich dauernd überholt.
Lange Kolonnen aus unterschiedlichen Nationen keuchen den Berg hinauf. Chinesen mit ausdruckslosen Gesichtern, denen man die Anstrengung kaum ansieht. Tätowierte Russen mit Oberarmen wie Baumstämme. Indische Gruppen, alle zum Steinerweichen keuchend. Ein paar fröhliche Amerikaner. Fast keine Europäer. Gar keine Schweizer.
Und alle sind schneller als ich. Sogar die Eselkarawanen …
Auch sie sind ständige Begleiter, manchmal in der gleichen, manchmal in der Gegenrichtung
Ein friedliches HIntereinander der Grautiere
So wunderschön geschmückt – der Stolz der Besitzer
Die Träger
Aber nicht nur sie. Auch die Träger, diese kleinen, sehnigen Männer in jedem Alter (selten sogar Frauen), mit ihren ungeheuren Lasten von manchmal über 50 Kg steigen leichtfüssig an mir vorbei, die meisten mit schlechtem Schuhwerk (Flipflops und dergleichen) und kaum einem Schweisstropfen auf der Stirn.
Ich versuche eine der Lasten vom Boden zu heben – keine Chance. Dabei bin ich nicht gerade der Schwächste, aber mit dieser Last auf dem Rücken käme ich keine hundert Meter weit.
Diese Last sieht leichter aus als sie ist; ausserdem leidet der Porter unter einem verletzten Fuss
Kleine drahtige Männer, manchmal in Flip-Flops oder anderen nutzlosen Schuhen, aber mit Lasten auf dem Rücken, die ich keinen Millimeter vom Boden heben kann
Kosten sparen
Ich ärgere mich gewaltig über die Tatsache, dass mit ihnen ein ungebührliches Spiel mit den Kosten getrieben wird. Viele Trekker, diese vermeintlich naturverbundenen Leute, möchten möglichst billig zu einem Trek kommen, was letztlich bedeutet, dass der Tour Operator dort bei den Kosten spart, wo er keinen Widerstand zu erwarten hat. Also bei den Trägern. Diesen am untersten Ende der Fresspyramide angesiedelten Wesen. Es ist eine Schande, die nur schwer erträglich ist.
Sitaram beruhigt mich insofern, dass die Kinder der potentiellen Träger (und später Guides) schon mit 5 Jahren beginnen, schwere Lasten zu tragen. 50 Kilos wiegen für sie wahrscheinlich weniger schwer als für mich meine gut 15 Kilos. Trotzdem – es gibt vermeintlich Regeln zum Schutz der Träger, aber daran hält sich – wie an vieles andere – kein Schwein.
Rast im Hotel Tibetan
Die erste Rast im Hotel Tibetan, das zwar so heisst, aber irgendwie eher nach Verschlag aussieht. Es ist heiss geworden, überraschend nach der eiskalten Nacht.
In der Zwischenzeit habe ich mich sogar an Black Tea gewöhnt, ein Ausbruch aus Gewohnheiten, der nachdenklich macht. Ich und Tee trinken? Da stimmt was nicht. Vielleicht aus lauter Langeweile. Und weil der sogenannte Black Coffee ausser black nicht viel zu bieten hat.
Es sieht zwar auch nicht nach Hotel aus, ist aber eines …
Rhododendron – die nepalesische Nationalblume
Und dann endlich, so wie im Führer versprochen, die lang ersehnten Rhododendren-Wälder. Die nepalesische Nationalblume. Die meisten Sträucher sind allerdings schon verblüht, doch einige – rosa, dunkel- bis hellrot und weiss – erstrahlen noch in ihrer ganzen Pracht. Ein Bild, an dem man sich sattsehen kann.
Hellrosa …
… pink und dunkelrot …
… und von nahe ganz zart und duftend …
Die Yaks
Und da sind endlich auch die Yaks. Viele viele Yaks. Braun und schwarz. Mit weissen Flecken oder ohne. Mit geschwungenen Hörnern. Mit lieben Augen, die unendliche Geduld zeigen. Und Durchhaltevermögen in dieser lebensbedrohlichen Welt.
Es entsetzt, dass vor zwei Jahren, in einem offenbar äusserst schneereichen Winter, 600 Yaks verhungert sind. Dabei stellen sie für die Bewohner des Tals die einzige zuverlässige Lebensgrundlage dar. Was ist da geschehen?
Immer friedlich (ausser wenn Jungtiere beschützt werden müssen), immer genügsam, immer eine Augenweide
Definitiv eines meiner Lieblingstiere
Langtang – Ein Friedhof für 400 Tote
Nach dem Erreichen der baumlosen Zone – wir sind jetzt bereits über der 3000-er Grenze, erkennen wir schon von weitem eine hellen Einschnitt an der linken Bergflanke.
Natürlich weiss jeder, worum es sich handelt.
Langtang Bergsturz – eine riesige Wunde in der Landschaft
Es ist die Bergsturzzone, schon von weitem wie eine tiefe Wunde im Berg zu erkennen. Wenn man näher kommt, sind die verheerenden Wirkungen zu sehen. Man kommt, seltsam still geworden, näher, bis man die Grenze des Bergsturzes erreicht. Man bleibt stehen und traut seinen Augen nicht.
Von da oben kam das Unheil …
Eine gigantische Lawine aus Fels und geschmolzenem Eis …
Nur noch Geröll …
Felsen und Steine und Sand …
Unter diesen Millionen von Tonnen liegen über 400 Menschen begraben. Ein ganzes Dorf, Langtang, vom Antlitz der Erde getilgt. Dorfbewohner. Touristen. Soldaten. Guides. Träger. Tiere. Yaks. Kühe. Schafe. Der Tod hat keinen Unterschied gemacht. In Sekundenschnelle, begleitet von einem ungeheuerlichen Grollen und Tosen und Krachen, begraben.
Auslöser der Katastrophe war das Erdbeben am 25. April 2015. Über 8000 Menschen starben in Nepal, unzählige wurden verletzt. Am Schlimmsten traf es die Bergtäler, wo noch lange nach dem Beben keine Hilfe eintraf. So wie in Langtang. Wo es allerdings nichts zu retten gab.
Wo nur noch ein gigantischer, von einem Talende zum anderen reichender Geröllhaufen zurückgeblieben ist. Offenbar war durch das Erdbeben der Damm eines Gletschersees oberhalb des Dorfes geborsten und führte dazu, dass sich Wasser und Geröll zu einer riesigen todbringenden Lawine vereinigten. Ein Zusammenspiel hochgefährlicher Komponenten. Und wer in der Flussrichtung lag, wurde beseitigt.
Ein neues Langtang
Unweit der Geröllhalde ist das neue Langtang mit guten Hotels und Restaurants und Läden entstanden, vielleicht schöner und moderner als das untergegangene. Immerhin ein kleiner Trost. Auf jeden Fall erhalte ich – oh Wunder! – ein Zimmer mit WC (!) und warmer Dusche (!!).
Auf der Suche nach potentiellen Abnehmern von Malstiften
Ich habe vor der Abreise im letzten Moment noch ein paar Schachteln Malstifte gekauft, die Erinnerung an die verwahrlosten Kinder beim letzten Trekking hat sich eingeprägt. Ich suche also arme Kinder für meine Farbstifte und frage den Wirt nach potentiellen Abnehmern. Dieser denkt zuerst an seine eigenen Kinder, was ich nun angesichts seines grossen und offenbar gut besetzten Hotels etwas daneben finde.
Etwas zögerlich stecke ich also einem kleinen herzigen Mädchen die erste Schachtel in die Hand, in der Annahme, dass es sich dabei um die Tochter des Wirts handelt.
Für die anderen Malstifte jedoch suche ich geeignetere Abnehmer. Beim Gang durch das Dorf höre laute Klopfgeräusche, gehe ihnen nach und finde Arbeiter, die von Hand Steine zerkleinern.
Man muss sich das vorstellen: es ist billiger, grosse Steine heraufzutransportieren und sie durch billigste Arbeiter zerkleinern zu lassen, als eine Maschine – so wie bei uns – diese mühselige Arbeit machen zu lassen. Ich weiss, dass sich ganze Familien damit beschäftigen und mit dieser Arbeit wenigstens ein wenig zu ihrer Existenzsicherung beitragen können.
Ich frage sie nach Kindern, ernte verständnislose Gesichter, doch dann tauchen zwei andere Männer auf, die endlich einigermassen zu verstehen glauben. Ich drücke ihnen also zwei Schachteln in die Hand und versuche mit Händen und Füssen zu erklären, was der Zweck ist.
Eine Schachtel ist noch übrig, ich folge den beiden zu ihrer ärmlichen Behausung (eine weitere unglaubliche Herabsetzung menschlicher Würde), wo wir den letzten Abnehmer finden, der kaum weiss, wie ihm geschieht.
Ich verabschiede mich mit tiefer Verbeugung und Namaste und habe gleichzeitig das Gefühl, etwas Richtiges getan zu haben, und tiefstes Mitleid mit diesen armen Leuten, die auf der absolut untersten Stufe leben.
Immer noch aufgewühlt, wird mir im Hotel mitgeteilt, dass auch die erste Schachtel den richtigen Abnehmer gefunden hat. Das kleine Mädchen entpuppt sich Gott sei Dank nicht als Tochter des Wirts, sondern als die vierjährige Tochter einer alleinstehenden armen Frau, die in der Küche arbeitet.
Bingo.
Kurze Zeit später taucht das Mädchen im Diningroom auf, die Schachtel als grössten Schatz an die Brust gedrückt.
Ein freudloses Dasein
Da das iPhone im Lama Hotel nicht aufgeladen werden konnte, ist es nun am Kabel. Nach dem Essen sitzt man noch etwas gelangweilt herum, nichts zu lesen (ausser einer Broschüre von gerademal zwei Seiten, die mir der Boss des Hauses mitleidig in die Hand drückt). Das sind, man glaubt’s kaum, die einzigen lesbaren Buchstaben im ganzen Haus.
Heftige Lese-Entzugserscheinungen verspürend, verziehe ich mich in mein Zimmer und schlucke eine Tablette für meinen immer noch etwas angeschlagenen Magen. Es ist so kalt, dass auch mein guter Schlafsack zuwenig wärmt und die dicke Decke ein wunderbar kuscheliges Gefühl vermittelt.
Im Unterschied zu gestern hat sich mein Puls einigermassen normalisiert und ich schlafe ziemlich schnell ein.
Es ist manchmal gut, wenn man nicht weiss, was einen erwartet.
Die Gefahr besteht, dass man sonst schon vor dem Start das Handtuch wirft und sich heulend in eine Ecke verzieht. Aber wie gesagt – alles im Leben ist Gott sei Dank nicht voraussehbar. Wie manchmal habe ich das schon erlebt. In Indien. Laos. Burma. Ladakh … Im Nachhinen – meistens unerwartete Erlebnisse, deren Verzicht schmerzhaft gewesen wäre.
Nun, der Tag beginnt auf jeden Fall positiv, mit blauem Himmel, frischer würziger Luft und einem ausgelüfteten Kopf nach zehn Stunden Schlaf. Sitaram schaut mich zwar noch etwas skeptisch an, sein Blick gilt vor allem meinem Rucksack, der eher auf einen mehrmonatigen Aufenthalt in der Wildnis als einen 8-tägigen Trek hinweist.
Er sollte recht behalten.
Erste Bekanntschaften
Es bilden sich beim Frühstück bereits erste Bekanntschaften, natürlich noch im Stil „woher, wohin, wie lange …“ Ein Thai-Ehepaar sitzt neben zwei jungen Männern, wie sich herausstellt aus Mexiko und Slowakei, aber beide in Australien lebend. Wir werden uns häufig wiedersehen – zwangsläufig.
„First Time in Nepal?“ Die unumgängliche Frage, die mich die nächsten Tage begleiten wird. Und meine Antwort stösst immer auf hochgezogene Brauen. Manchmal ist Zurückhaltung schwierig.
Der Tagesplan – ein frommer Wunsch
Eine happige Etappe zum Start. Es ist ratsam, so heisst eine eiserne Regel für Trekker und Wanderer, die sogenannte „Königsetappe“, d.h. die schwierigste und anspruchsvollste Etappe, nicht auf den ersten Tag zu legen. Wie sich in ein paar Stunden herausstellen wird – ein frommer Wunsch.
Wir werden den ganzen Tag dem Flusstal folgen, mehrheitlich im Schatten des Dschungels, und werden bis zum Tagesziel Lama Hotel gut tausend Höhenmeter zu schaffen haben. Auf den ersten Blick kein grosses Problem, allerdings wird sich später zeigen, dass Pläne wie oft selten der Realität entsprechen.
Route gemäss meiner Polar-Aufzeichnung
Der Start
Ja, und dann wird der Rucksack ein letztes Mal geprüft, bevor es los geht. Es fühlt sich gut an, zumindest die ersten paar Minuten. Dass er in ein paar Stunden wie zwei Tonnen wiegen wird, scheint mir in diesem gloriosen Moment undenkbar.
Wir überqueren kurz nach Syabrubesi die erste Hängebrücke, ein bisschen stolz auf die Tatsache, dass viele Hängebrücken in Nepal durch die Schweiz gebaut und finanziert wurden. Im Gegensatz zu den entsprechenden Brücken beim letzten Trek 1990, die noch keine Stahlkonstruktionen waren, machen sie einen sehr stabilen Eindruck. Das wunderbare Wiegen hingegen bleibt. Was auch die Kolonne anderer Trecker mit dem gleichen Ziel zu geniessen scheint.
Der Zug der Trecking Lemminge auf der Hängebrücke und das Tal hinauf
Mein Guide Sitaram und ich auf der Hängebrücke
Die ersten Stufen hinauf zum kalten bösen Berg
Die ersten paar Kilometer sind ein ruhiger, richtig angenehmer Spaziergang, alles scheint leicht und sorgenfrei, bis dann die ersten steilen Abhänge auftauchen.
Sie zu erklimmen, heisst immer hohe Stufen überwinden, also das, was man auch in der Alpen zu den eher unangenehmen Erfahrungen zählt. Der Puls schnellt zum ersten Mal auf über 150 Schläge, beruhigt sich aber schnell wieder, nachdem das Schlimmste überwunden ist.
Überwunden? Denkste. Es beginnt nun ein Wettkampf der immer schlimmer und steiler werdenden Stufen mit der Kombination aus Muskeln, Lungen und Herz, mit zunehmenden Vorteilen für die Stufen. Keuchend und nach Atem ringend (und immer wieder stehenbleibend), schleppe ich den verdammten Rucksack, dieses unselige Teil, den Pfad hinauf, knapp hinter mir Sitaram. Wahrscheinlich so nahe, um im Ernstfall einen Schwächeanfall des rüstigen (?) alten Herrn noch rechtzeitig auffangen zu können.
Man kann es schlecht erkennen, aber diese Tritte sind mörderisch
Ich muss gestehen, dass ich mir ernsthafte Sorgen mache, wie ich diese endlosen verrückten Stufen mit meinen Knien abwärts bewältigen werde. Alles eine Frage des Willens? Ich weiss es nicht. Aber der Mensch ist zu allerhand fähig, wenn der Stolz eine Rolle spielt.
Immerhin gibt es alle paar Kilometer ein Restaurant, wo man sich erstens etwas erholen, und zweitens etwas essen oder trinken kann.
Bamboo Restaurant
Der Lunch dann im Bamboo Restaurant, es gibt eine währschafte Gemüsesuppe und einen Black Coffee (was mir später das erste richtige Bauchrumoren verschaffen wird).
Eine junge hübsche Dame setzt sich an unseren Tisch, wir kommen wie üblich ins Gespräch (es ist dazu zu erwähnen, dass Sitaram findet, dass er noch nie einen Kunden hatte, der erstens so viel schwatzt und zweitens alle Leute anspricht; eine Angewohnheit, die ich mir bei meinen Solo-Reisen zwangsläufig zugelegt habe).
Es dauert seine Zeit, bis die unausweichliche Frage nach dem Woher kommt. „Switzerland“. „Oh, and where from exactly?“ „Zurich“.
Sitaram findet es zum Schreien, dass wir uns eine halbe Stunde lang auf Englisch unterhalten haben, obwohl wir beide vom selben Ort kommen. Sie reist allein, erzählt von langen Trips, unter anderem auch vom Jakobsweg. Eine sehr interessante junge Dame.
Stufen und Eselkarawanen
Dass es nach dem Lunch nicht besser geht und ich dauernd überholt werde, kann nicht verwundern. In Tat und Wahrheit pfeife ich aus dem letzten Loch, alles ist nun reinste Qual.
Immer noch guter Dinge
Eigentlich könnte ich zuhause auf dem Sofa liegen oder auf der Terrasse den Frühling geniessen, aber nein, es muss unbedingt ein vermaledeiter Trek sein, um der Welt zu beweisen, dass ich nicht so alt bin, wie es mein baldiger Geburtstag behauptet (über den ich wirklich nicht sprechen will).
Abgesehen von der Mühsal des Aufstiegs und des Gewichts am Rücken ist der Weg ein einzigartiger Genuss. Wir befingen uns immer noch im Dschungel, meistens im Schatten der Bäume, was einiges an Stress zu lindern vermag.
Der Rucksack allerdings – eine Entscheidung gegen den üblichen Wanderrucksack und zugunsten meines Reiserucksacks – scheint weniger eine Dummheit als lange befürchtet gewesen zu sein. Er fühlt sich, neben dem Gewicht natürlich, gar nicht schlecht an. Immerhin ein kleiner Trost.
Die Schritte werden kürzer, die Pausen länger, immerhin gibt es neben unzähligen Vögeln und Tieren (Affen!) auch andere Sehenswürdigkeiten zu beobachten.
Alle paar Minuten kreuzen wir lange Karawanen aus vollbepackten Eseln. Ich habe sie in guter Erinnerung. Sie stellen das einzig mögliche Transportmittel dar, um die Tonnen von Lebensmitteln, Geräten und alles andere das Tal hinauf zu befördern.
Allerdings wird im unteren Teil der Strecke eifrig gebaut; es sieht so aus, als würde schon bald eine Strasse das Tal hinauf führen.
Wunderschöne knorrige alte Bäume wachsen über den Weg … und alle paar Meter kreuzt uns eine Eselkarawane
Bienenstöcke
Zu den besonderen Überraschungen gehören sicher die an den senkrechten Wänden hängenden Bienenstöcke. Die werden durch die Kliffhonigbienen gebaut, eine Einmaligkeit in der Welt der Bienen.
Es gibt auf youtube zahlreiche Dokumentationen dazu (wahrscheinlich auch ), wo man sehen kann, wie einmal im Jahr waghalsige Männer hinaufklettern, um den Honig zu sammeln.
Eine ziemliche Verrücktheit, wenn man bedenkt, dass es sich nicht um unsere einigemassen harmlosen Bienen handelt, sondern um schwarze, grosse Viecher, die nicht erfreut sind über den Besuch und den Diebstahl ihres mühsam zusammengetragenen Schatzes.
Bienenstöcke – von weitem harmlos, aus der Nähe ziemlich gefährlich aussehend
Regen und ein ausgebuchtes Zimmer
Eine knappe halbe Stunde vor Ankunft des Etappenorts – Regen. Es muss einfach so sein, um diesen Tag auf diese Weise abzuschliessen. Wir erreichen Dank unserer Regenumhänge das Lama Hotel einigermassen trocken.
Dort hat sich allerdings etwas Blödes ergeben. Denn trotz vorheriger telefonischer Ankündigung ist unser Zimmer bereits vergeben worden. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass ich statt der üblichen 5-6 Stunden beinahe 9 gebraucht habe. Die Dame des Hauses hat vermutlich angenommen, dass wir verschollen sind.
Wir erklären ihr mehrsprachig, dass dies absolut unakzeptabel ist und sie gefälligst für eine Lösung sorgen soll. Was sie auch tut, und so verbringe ich die Nacht im Zimmer mit einem Amerikaner, der, wie sich später herausstellt, vor allem für ein Schnarchkonzert sorgen wird.
Friedlicher Abend, weniger friedliche Nacht
Der Abend verläuft friedlich und lustig mit unseren temporären Freunden aus Thailand und Australien, und wen wundert’s – wir sind die letzten, die kurz nach neun endlich schlafen gehen. Dass der Gemeinschaftsraum auch als Schlafsaal für die Guides und Porters dient, erfahren wir erst später. Sorry, Jungs!
Eine sehr unangenehme, wenn auch nicht überraschende Nacht wartet auf mich. Der Puls rast, das System versucht wahrscheinlich verzweifelt herauszufinden, was mit ihm geschieht. Also nur kurze Schlafepisoden, unterbrochen durch Herzklopfen und Schnarchattaken des Amis und einen aufgeblähten Bauch, der sich ganz und gar nicht mit dem Angebot an Essen und Trinken abfinden will …
Dann also erster Abschied von Kathmandu, die nächsten acht Tage sind ein Sprung ins Unbekannte. Das scheint sich auch merklich auf meinen Schlaf auszuwirken. Alle paar Minuten, so scheint es mir zumindest, wache ich auf, Gedanken rasen. Habe ich alles eingepackt? Ist der Rucksack nicht zu schwer? (ist er!) Reichen die Kräfte für den schweren Trek? (Na ja).
Das alles ist mir neu. Normalerweise schlafe ich auch vor wichtigen Ereignissen wie ein Stein, diesmal scheint es, als würden andere Faktoren wirken. Das Alter? Zweifel an meiner Leistungsfähigkeit?
Beunruhigend.
Anyway, man kann nicht von einem ausgeschlafenen, fitten Zustand reden, als ich um 5 Uhr mit verklebten Augen eine (warme) Dusche nehme, vielleicht die letzte vor gar keinen oder eiskalten. Mal sehen …
Nachtwache in der Reception
Ein bekanntes Bild, das mich jedes Mal ärgert: in der Reception des Hotels erheben sich bei meinem Erscheinen zwei Gestalten aus ihren unbequemen Schlafpositionen auf dem viel zu kurzen Besuchersofa oder am Boden.
Sie müssen hier die Nacht verbringen, die armen Kerle, weil es sonst einfach keine anderen zur Verfügung stehenden Übernachtungsmöglichkeiten gibt. Aber das ist nur eine der Beobachtungen, die mich in den nächsten Tagen beschäftigen werden.
Ein paar Minuten zu früh …
Der Gang durch das langsam aufwachende Thamel ist endlich mal gefahrlos. Noch sind wenige Motorräder und Autos unterwegs, an manchen Orten wird ausgiebig gegähnt und sich gestreckt. Der Rucksack fühlt sich gut an, vielleicht lösen sich meine Befürchtungen in Luft auf.
Ich bin ein paar Minuten zu früh, das Office ist noch geschlossen. Mal sehen, ob sich der schlechte Ruf der Nepalesen bezüglich Pünktlichkeit bewahrheitet.
Das gibt mir Gelegenheit, den Arbeitern zuzusehen, die in ihren um die Stirn befestigten Körben alte Ziegelsteine von einer Baustelle im Hinterhof zu einem bereitstehenden Lastwagen transportieren. Es sind alle durchwegs junge, sehnige Typen, die mit stoischen Gesichtern die schweren Lasten holen, tragen, ausleeren. Ich frage mich, was sie dafür wohl kriegen.
Vielleicht will ich es lieber nicht wissen.
Der Busbahnhof
Sitaram, mein Guide, Helfer und Freund in den nächsten acht Tagen, taucht nur wenige Minuten später auf. Wir nehmen die Strasse bis ans Ende von Thamel und schauen uns nach einem Taxi zum „Busbahnhof“ um.
Dort herrscht ein riesiges Gedränge. Zahlreiche Busse stehen der Strasse entlang zur Abfahrt bereit, um ein Kassenhäuschen, das die entsprechenden Tickets anbietet, hat sich eine Traube wild gestikulierender Männer gebildet. Es macht den Eindruck, als würde an diesem Morgen halb Kathmandu verreisen wollen.
Auf den ersten Blick ganz okay
Sitaram hat aber für alles gesorgt, mein Rucksack wird mangels Platz im Gepäckraum auf dem Dach festgebunden. Ich hoffe allerdings, dass die trüben Wolken am Himmel keine Ankündigung für Regen sind. Ruckack und Schlafsack nass? Eine unangenehme Vorstellung.
Ein paar Meter daneben verkaufen die Bauern aus der nahen Umgebung ihre Produkte am Gemüsemarkt. Man glaubt, sogar durch den Gestank der Auspuffgase den Geruch des frischen Gemüses riechen zu können. Laute Rufe, Diskussionen, Gelächter mischen sich mit dem Hupkonzert der vorbeifahrenden Vehikel.
Es ist schon einiges los um sieben Uhr morgens.
Der Bus
Der Bus, der uns nach Syabrubesi, dem Ausgangspunkt des Treks, bringen soll, ist mit etwas gutem Willen als heruntergekommen, alt und hässlich zu beschreiben. Mit weniger gutem Willen müsste man ihn schleunigst aus dem Verkehr nehmen. Ich gehe davon aus, dass er in der Schweiz im besten Fall einen Schrotthändler als Abnehmer finden würde.
Fahrerkabine, auch für besondere Gäste vorgesehen
Wir haben zwei einigermassen bequem aussehende Sitze, Platz zum Ausstrecken der Beine ist allerdings nicht vorhanden (denn der Vordermann hat den Platz unter seinem Sitz mit Flaschen vollgestellt). Und der Bus ist zum Bersten voll. Jeder Sitz ist belegt (und wie sich später herausstellen wird, ebenso jeder freie Platz im Gang und sonstwo).
Die Fahrerkabine, durch dreckige Fenster und eine verrostete, meistens hin- und herschwingende Tür vom Rest des Busses abgetrennt, scheint auch etwas bequemere Sitzgelegenheiten für besondere Gäste anzubieten. Ich finde allerdings im Verlauf der ganzen Fahrt nie heraus, welchen Fahrgästen der Zutritt gewährt wird und welchen nicht. Das gehört ins Kapitel nepalesischer Logik.
Chinesische Gastarbeiter
Vor uns sitzen ein paar sehr chinesisch aussehende Passagiere, alle ärmlich gekleidet, alle permanent in Mandarin klatschend und wenn es eine Möglichkeit gibt, jede freie Minute rauchend. Es handelt sich offenbar um Gastarbeiter, die für eine gewisse Zeit in Nepal arbeiten und dann wieder nach Tibet zurückkehren.
Meine Gedanken gehen reflexartig zurück zu jeden Tagen in Yünnan, den herzlichen, freundlichen Menschen, die so gar nicht dem üblichen Cliché entsprechen. Dann sehe ich diese Arbeiter vor mir, in ihren abgetragenen Kleidern, dem Gepäck, das wohl einiges beinhaltet, was am Zoll zu Problemen führen könnte. Aber das ist eine andere Geschichte.
Der (die) Stau(s)
Wir befinden uns auf der Hauptstrasse Ost-West, dem Prithvi-Highway von Katmandu nach Pokhara. Es bedeutet auch, dass der Verkehr schon in Kathmandu zu einem nicht enden wollenden Strom von stinkenden und hupenden Teilnehmern wird.
Und es bedeutet aber auch, dass wir mehr als eine Stunde benötigen, bis wir von Stau zu Stau endlich die unter einem dicken (Smog-)Nebel liegende Hauptstadt verlassen können. Es geht bergab, auf der anderen Seite des Tals sind die dichten Kolonnen zu sehen, denen wir wohl oder übel folgen müssen.
Die Ergebnisse der durchwachten Nacht machen sich bemerkbar, mein Kopf sinkt immer wieder vornüber, aber allzu viel verpasse ich nicht. Wir befinden uns permanent in einer Armada von Lastwagen, Bussen, Autos und Motorrädern, die todesmutig (vor allem die Motorräder) versuchen, mittels hochriskannten Überholmanövern ein paar Meter zu gewinnen.
Allerdings – wenn man sich daran gewöhnt hat und rational überlegt – wird klar, dass es – so seltsam es klingt – diese todesmutigen Manöver braucht. Man würde sonst hinter einem Lastwagen, der mit knapp 10 Kilometern pro Stunde vor sich hinkeucht, verhungern.
Also überholt man halt dort, wo man annimmt, dass in dieser Sekunde niemand entgegenkommt. Also auch vor Kurven und an Orten, wo die Strasse an den Abgrund grenzt. Dass in den meisten Fällen trotzdem ein Bus, ein Lastwagen, ein mit der ganzen Familie vollgepacktes Motorrad entgegenkommt, wird einberechnet. Wofür hat man denn Bremsen?
Piss-Stop
Nach knapp zwei Stunden ein Piss-Stop, die Beschreibung der entsprechenden Einrichtungen überlasse ich der Phantasie der Leser (aber wie sich später herausstellt, bei weitem nicht die schlimmsten).
Noch etwas später der vorgesehene Lunch-Stop in einem düsteren Restaurant. Eine Menükarte existiert nicht, und was an der Theke angeboten wird, scheint mir auch nicht das Gelbe vom Ei zu sein. Ich entschliesse mich aber trotzdem für Daal Bhat, das nepalesische Nationalgericht, was eine gute Entscheidung ist.
Allerdings hätte ich besser auf das Mineralwasser verzichtet, denn nach einer weiteren Stunde meldet sich meine Blase und bewirkt einen Zustand fortschreitender Not. Unter gütiger Hilfe Sitarams kann ich einen Stopp dazu benutzen, der organischen Verzweiflung Herr zu werden, und werde dabei Zeuge einer weiteren Steigerung schrecklicher Toiletten.
Lottoziehung
Irgendwann verlassen wir die Hauptstrasse und biegen nach rechts ab. Jetzt wird es erst so richtig hart. Die Strasse ist teilweise in einem Zustand, der nur noch als erbärmlich bezeichnet werden kann. Ist es überhaupt noch eine Strasse oder eher ein Bachbett, das als Strasse benutzt wird?
Auf jeden Fall werden wir herumgewirbelt, es ist ratsam sich irgendwo festzuhalten. Man stelle sich einfach die Kugeln bei der Lottoziehung vor: so wie sich jeweils die Kugeln fühlen müssen, geht es uns.
Doch der Blick durch das Fenster zeigt aufregende Bilder, die Lust auf die nächsten Tage machen. Die Gegend wird rauer, die Flüsse wilder, die Abgründe tiefer. Etwas, was durchaus meinen Vorlieben entspricht, allerdings befürchte ich insgeheim, dass die nächsten Stunden auch eine allgemeine Eskalation dieser Bilder sein könnte. Was sich tatsächlich bewahrheiten sollte.
Erinnerungen an Ladakh
Wer sich an meine Beschreibung der hochgefährlichen Strecke von Leh nach Manali erinnert, weiss um die Gefahren. Die Abgründe sind zwar nicht so tief, allerdings sitzen wir im Unterschied zu Ladakh nicht in einem modernen Minibus mit einem talentierten Fahrer, sondern in einem überfüllten, heruntergekommenen Bus, dessen Bremsen möglicherweise in den Sechzigerjahren zuletzt gewartet worden sind.
Anyway, ich sitze sozusagen in der ersten Reihe, darf also dauernd in die schwindelerregenden Abgründe sehen, während der Bus seine Kurven dreht, manchmal sogar überholt, und gelegentlich beim Passieren eines Lastwagens oder Busses bis auf den letzten Zentimeter des Abgrunds ausweichen muss.
Man schliesst die Augen und versucht an etwas anderes zu denken …
Syabrubesi – Im Schatten der Berge
Aber auch die schlimmsten Fahrten haben irgendwann ihr Ende, und so erreichen wir nach über 7 Stunden das kleine Dorf Syabrubesi, wo wir die Nacht verbringen werden. Mein Zimmer ist okay, meine ächzenden und knarrenden Knie finden die asiatische (Kauer)toilette allerdings überhaupt nicht lustig.
Hotel New Yalapeak Guest House
Die Menükarte verspricht Köstlichkeiten, die mein knurrender Magen gerne ausprobiert. Doch wer könnte den Verlockungen von Mo: Mos: in allen Variationen (so schreibt man das offensichtlich) schon widerstehen?
Heisse Quellen
Es tummeln sich zahlreiche Trekker im Dorf, einige (gezeichnet) auf dem Rückweg, andere (hoffnungsvoll) vor dem Abmarsch.
Um meine etwas verkrampften Muskeln – die Busfahrt hat über sieben Stunden gedauert – zu lockern, mache ich einen Spaziergang durch das Dorf, entdecke am reissenden Fluss sogar eine heisse Quelle, in deren Bassin ich allerdings nicht mal meine grosse Zehe stecken würde.
Dieser Fluss wird in den nächsten Tagen ein ständiger Begleiter sein
Ich verabschiede mich früh in den Schlafsack, in der Hoffnung auf ein paar Stunden besseren Schlafes …
An sich ist der Weg zum Swayambhunath, dem bekanntesten und heiligsten aller Heiligtümer Kathmandus, nicht allzu weit, allerdings – wie sagt man so schön – der Weg zum Himmel ist mit Sünden gepflastert. In diesem Fall sind es nicht meine Sünden, sondern diejenigen der Stadt.
Kurz und gut – die Strecke ist irgendwo zwischen 2 und 3 Kilometer lang, also keine grosse Sache. Ich merke aber schon nach den ersten Metern nach dem Verlassen von Thamel, dass ich vom Regen (verstopfte Strassen, schlimme Luft, Hupkonzerte, etc.) in die Traufe geraten bin.
Die schlimmste Luft
In die Traufe heisst nicht nur schlimme Luft, es ist die absolut schlimmste Luft auf der Strasse, die in die Richtung des Swayambu geht, die meine Lungen je gekostet haben. Ein dicke Nebelschicht, bestehend aus Auspuffgasen, Rauch aus Kaminen und offenen Feuern, Staub und aufgewirbelter Dreck, durch die man gehen muss.
Ich komme mir wieder mal vor wie in der Vorhölle.
Aber das ist noch nicht alles. ‚Verstopfte Strassen‘ ist ein Euphemismus für das, was sich hier abspielt. In beiden Richtungen ist eine Million Vehikel unterwegs, mit einem oder zwei oder vier Rädern, und alle machen einen Krach, der in den Ohren klingt wie ein Orkan aus mörderischen, die Trommelfelle malträtierenden Geräuschen. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod. Und ich muss die Strasse überqueren.
Und wieder einmal kann ich meine im Lauf der Jahre angelernten Fähigkeiten, auch im schlimmsten Verkehr die Strasse überqueren zu können, anwenden. Ich wiederhole es gerne (siehe Backpacking Südostasien / Siem Reap): es gilt, absolut furchtlos (zumindest sollte es so aussehen) auf die Strasse zu treten, die auf einen zurasenden Gegner fest im Auge, und dann geht man weiter, einen Schritt nach dem anderen, weicht keinen Moment zurück. Der/die anderen müssen sich darauf verlassen können, dass ich keine überraschenden Schritte mache, dann geht alles gut.
Ich erreiche also unbeschädigt das rettende andere Ufer, wo es zwar immer noch laut und lärmig ist, aber mindestens bin ich nun auf der richtigen Seite der Strasse. Auf einer Kreuzung staut sich der ganze Verkehr, einen Augenblick lang scheint alles stillzustehen. Mittendrin, mit stoischer Ruhe, steht ein Verkehrspolizist, dem ich bei diesem Mass an Luftverschmutzung einen grausigen Tod in jungen Jahren prophezeie.
Es wird nun tatsächlich etwas ruhiger, man überquert einen Fluss,den den Tod längst erlitten hat und nur noch aus Dreck, Fäkalien und was weiss ich besteht. Grauenhaft! (Wobei der Ganges in Varanasi auch nicht viel besser aussieht, und dort baden die Gläubigen und trinken das „heilige“ Wasser).
Ein roter Punkt auf der Stirn
Zu allem Überfluss beginnt es auch noch zu regnen, ich habe Glück und kann mich unter dem Vordach einer Schreinerei vor dem Wolkenbruch in Sicherheit bringen. Auf der anderen Strassenseite eilt eine Kolonne uniformierter Schüler dem Regen davon.
Schulkinder auf dem Weg zur Schule
Es dauert nicht mal eine Minute, bis sich eine magere Hand aus der Seite heranschleicht und mir etwas auf die Stirn drückt.
Es handelt sich um einen Sadhu, also einer der hinduistischen Heiligen, der mir nun herausfordernd eine ziemlich leere Büchse vor die Nase hält. Und natürlich – er hat mir einen roten Punkt auf die Stirn gedrückt, was ich nun überhaupt nicht lustig finde. Mit Mühe und Not gelingt es mir, die ziemlich fest klebende Verzierung wegzuwischen, während der Heilige immer noch auf seinen Obolus wartet …
Die Treppe
Und dann endlich – die Treppe zur Stupa hinauf. Sie ist genauso steil und mühsam wie in Erinnerung. Allerdings kommt es mir vor, als hätte sich die Anzahl der Besucher/Gläubigen in der Zwischenzeit verhundertfacht. Alle paar Meter will mir irgendwer irgendwas andrehen, wahrscheinlich nochmals zum doppelten Preis der Thamelregion.
Hier beginnt die Treppe hinauf zum Stupa
Man erreicht also keuchend und fluchend die oberste Etage (einige beleibte Gläubige mit dem Anschein eines baldigen Herzinfarktes), und pünktlich zum Erreichen des Tagesziels beginnt es erneut wie aus Kübeln zu giessen. Ich verziehe mich unter das Vordach eines kleinen Tempels und habe nun viel Zeit, mir das Treiben anzusehen.
Der Stupa
Die Hauptstupa im Zentrum des Heiligtums, wahrscheinlich DAS Wahrzeichen der Stadt, ist unbeschädigt geblieben. Buddha oder wer auch immer hat dabei wohl eine schützende Hand darüber gehalten. Aber es könnte auch sein (eine Erkenntnis, die sich später mehrmals einstellen wird), dass die Heiligtümer recht schnell eine Finanzierung finden. Auf jeden Fall schneller als die betroffenen Menschen …
Andere Gebäude jedoch sind in sich zusammengefallen, andere stehen zwar noch, müssen aber abgestützt werden. Dazwischen klaffen Löcher, wo einst Tempel oder kleinere Stupas gestanden haben. Man ist zwar mit der Restaurierung beschäftigt, aber im Tempo, das an den Tag gelegt wird, dauert es wahrscheinlich bis zur Wiederkunft des nächsten Buddhas (Metreya).
Sonntag
Ob es damit zusammenhängt, dass es Sonntag ist, weiss ich nicht, auf jeden Fall scheinen tausende von Besuchern sich den engen Platz zwischen den Tempeln und Stupas streitig zu machen.
Blick auf das verregnete Kathmandu
Grau und nass – und traurige Fahnen
Blick hinunter auf das Monstrum – Kathmandu im Regen …
… und Stupas …
… und Gebetsmühlen
Selfietag
Und was ist die Hauptbeschäftigung? Voller Bewunderung und Staunen vor den prächtigen Heiligtümern stehen und dabei ein stilles Gebet beten? Das wäre in der heutigen Zeit wohl etwas viel verlangt.
Nein, natürlich sind wir auch hier in Selfie-Asien, das heisst, es wird geknippst, was das Zeug hält, mal mit Stupa oder Gebetsmühle im Hintergrund, mal nur mit einfältigem Lächeln im Gesicht.
Die Strassenkinder
Irgendwann ist es dann genug, man steigt die knochenbrechenden, vom Regen genässten Treppenstufen vorsichtig hinunter, und ist froh, den ebenen Boden zu erreichen. So also Adios Swayampu, das könnte nun wirklich das letzte Mal gewesen sein.
Ich entscheide mich für eine andere Strasse zurück ins Zentrum, eine völlig verdreckte, mit Löchern übersäte, die offenbar äusserst selten von Ausländern begangen wird. Auf jeden Fall wird mir der eine oder andere neugierige Blick zugeworfen.
Und dann geschieht etwas, was mir den Atem nimmt. Auf dem Trottoir kauern ein paar kleine Kinder am Boden, alle völlig verdreckt, alle barfuss, alle bis auf die Haut abgemagert, und wühlen im Unrat, den dort jemand ausgeleert hat.
Davon lesen und sich schon bei der Vorstellung entsetzen, ist das eine. Das ganze Elend mit eigenen Augen zu sehen, ist das andere. Man sucht verzweifelt nach Ideen, wie man helfen könnte, doch alles, was man hat, sind ein paar Rupien. Das genügt vielleicht bis zum frostigen Abend.
Es bricht einem das Herz.
Doch das Leben geht – auch wenn es furchtbar ist – weiter. Morgen um halb sechs geht mein Trek los, zuerst 7-8 Stunden mit dem Bus hinauf in die Berge nach Syabrubesi, wo wir die erste Nacht verbringen werden.
Doch das ist ein anderes Kapitel.
PS Song zum Thema: Kein Song passt zu diesem Elend
Der Regen, die mitten in der Nacht ans Fenster pocht, will nicht so recht zu meinen Vorstellungen passen, die ich mir im Vorfeld zum Langtang Trek zurecht gelegt habe. Sollte ich mich getäuscht haben? Muss ich auf dem Trek schlechtes Wetter erwarten oder gar Schnee?
Kali Gandaki
Die Erinnerungen an das Trecking entlang des Kali Gandaki Tals sind etwas verschwommen, aber ein Bild hat sich in mein Langzeitgedächtnis eingebrannt. Der morgentliche Blick aus dem Fenster in eine weisse Pracht, die in der Nacht vom Himmel gestürzt ist, und mitten drin – ein Pferd! Friedlich käuend, ganz entspannt, als wüsste es, dass der Schnee in ein paar Stunden wieder verschwunden sein wird.
Es gibt einige Bilder, die von schlechtem Wetter, von Wind und Sturm zeugen. Die dicken Jacken und die hochgezogenen Kapuzen, die Wollmütze im Schlafsack – es müsste eigentlich Erinnerung genug sein, um zu wissen, was mich erwartet.
Irgendjemand sagte doch – kein Problem, es gibt tausend Anbieter, man kann es sich aussuchen.
Das Gespräch mit dem Hotelmanager lässt meinen Optimismus ziemlich schnell schwinden und macht einer realistischeren Einschätzung Platz. Nach ein paar Telefonaten mit Geschäftspartnern oder Freunden oder was auch immer wird klar, dass es wohl doch nicht tausende Anbieter gibt.
Zwei Stunden später und nach weiteren Besuchen in mehr oder weniger düsteren Hinterhofbüros bin ich ein bisschen frustriert. Niemand scheint in den nächsten paa Wochen eine Tour nach meinem Gusto zu organisieren. Entweder gibt es gar nichts oder die angebotene Tour ist zu kurz oder zu lang.
Very cheap, Mister
Während ich also durch die verpesteten Thamel-Gassen irre, den Dauerruf „Very cheap, Mister“ im Ohr, bin ich erstens hungrig und zweitens frustriert. Nun denn, mit vollem Magen, lässt sich besser denken, ich bestelle bei einem überaus freundlichen Herrn eine Portion Chicken Momos und haue zum Dessert einen Pineapple Plunder hinterher.
Dann tue ich das, was ich von Anfang an hätte tun sollen, ich vergesse die 0815 Tour Operators , die an jeder Strassenecke ihre Dienste anbieten, und schaue im Guide nach. Ich notiere mir also Namen und Adressen der offenbar besten und zuverlässigsten Anbieter und klappere sie schön nacheinander ab.
Mein Guide und ich
Der junge Herr bei „High Spirit Treks & Expedition Nepal Ltd.“ trägt ein modisches Bärtchen und spricht ein Englisch Kauderwelsch, dem ich nur mit Mühe folgen kann.
High Spirit Treks and Expeditions
Sei es der Frust der vergangenen Stunden oder die Müdigkeit, die sich langsam einstellt, auf jeden Fall überzeugt er mich mit vielen unverständlichen Worten und Gesten von einer Tour, die am nächsten Montag startet.
Teilnehmer ich und ein Guide.
Nicht ganz das, was ich wollte. Weder bezüglich Teilnehmer noch Kosten. Aber immerhin starten wir am 8. April, so wie geplant. Ein kleiner Trost.
Und so verlasse ich das Bärtchen, eine Quittung über Fr. 750.- in der Tasche und die Aussicht auf einen wunderbaren Trek ins Langtang Valley, wo ich hoffentlich all die vielen anderen Trekker treffen werde, die man mir versprochen hat …
Thamel in Ruhe
Zur Abwechslung sind die Gassen in Thamel mal etwas ruhiger. Das gibt Gelegenheit, die Millionen von Souvenirs und Trekking-Utensilien ins Auge zu nehmen …
Den verschlafenen Augen des Reisenden öffnet sich der Blick auf die weit unten im Dunst liegende Ebenen Nordindiens.
Eine vertrocknete, braune Welt im gleissenden Licht der Morgensonne, und da, wie ein glitzernder Gruss – eine sich durch die Ebene wälzende Schlange – der Ganges. Die Karte auf dem Monitor zeigt an, Patna 78 Kilometer. Erinnerungen werden wach. An die Überquerung des Ganges. Den ersten Regen nach Monaten. Das Leck im Dach des VW-Busses. Lange her …
Eine halbe Stunde später tauchen ganz im Norden, kaum erkennbar durch die Wolken, ein paar spitze Türme auf. Der Himalaya. Oder das wenige, das erkennbar ist, denn im nächsten Augenblick werden sie durch die Wolken verschluckt.
Es dauert unendlich lange, bis wir die weisse Decke durchbrechen und unmittelbar über dem Kathmandutal die ersten Häuser und Strassen erkennen können. Eine verschachtelte Welt aus tausenden von Strassen und Gassen und Gebäuden, verschleiert durch einen seltsamen Dunst über dem Tal.
Ein erster Blick auf Kathmandu, grau und irgendwie schmutzig
Das Wetter ist mittelprächtig, aber immerhin über 20 Grad warm, so der Flugcaptain bei seiner Verabschiedung. Ich sage Goodbye zu meinem Sitznachbarn aus New York, er will den Anapurnatrek machen. Don’t get lost in the Himalayas, my friend!
Dann Touchdown, alles sieht aus wie früher. Man steigt aus dem Flugzeug die Treppe hinunter, erkennt das Flughafengebäude, zieht die noch frische Morgenluft in die Lungen und atmet erst mal durch.
Taxi gesucht
Etwas verwirrend das Prozedere am Zoll. Man steht an, merkt gerade noch rechtzeitig, dass man zuerst am entsprechenden Schalter die Visagebühr bezahlen muss, aber dann geht alles schnell. Geld wechseln, man erhält viele viele Rupien, stopft sie in die Tasche, macht sich auf den Weg zu den Taxis, sucht vergeblich nach dem Schild mit der Aufschrift „Hotel Yambu“ und ärgert sich schon mal ein bisschen, dass man mich offenbar vergessen hat. Auch nicht erstaunlich bei einer Verspätung von mehr als einer Stunde.
Schliesslich findet sich doch noch jemand, der mich für 10 Dollars in die Stadt fahren will, also für den Betrag, den mir das Hotel gemeldet hat. Erst viel später erfahre ich, dass man normalerweise gerade mal die Hälfte zu bezahlen hat.
Die Fahrt vom Flughafen in die Stadt gibt schon mal einen ersten Eindruck von der Verkehrssituation. Wir sind eigentlich mehr gestanden als gefahren, sozusagen von einem Stau zum anderen.
Das Hotel „Yambu“ ist okay, ich bin mitten in Thamel gelandet, der Altstadt, das ist dort, wo die Post abgeht. Die Aussicht auf die Stadt bestätigt meinen ersten Eindruck: der Himmel hat sich bedeckt, es ist kühler als erwartet, und vor allem: der Dunst über dem Tal ist menschengemacht. Schlicht Smog. Er wird mich die nächsten Tage begleiten und für den einen oder anderen Husten verantwortlich sein.
Das Erdbeben
Am 25. April 2015 hinterliess ein verheerendes Erdbeben Zerstörung und Tod. Die Hauptstadt Kathmandu sowie einzelne Bergtäler wie z.B. das Langtang-Valley wurden besonders betroffen.
Wie sieht’s heute aus?
Auf den ersten Blick – eine Beruhigung. Es sieht besser aus, als erwartet, obwohl man weiss, dass das Erdbeben am 25. April 2015 grosse Verwüstungen,vor allem an den Tempeln, angerichtet hat.
Aber der erste Eindruck täuscht. Wenn man genauer hinsieht, den Blick hinter die hochgezogenen Gerüste und Vorhänge wagt, dann erst werden die Schäden sichtbar. Eingestürzte Gebäude, in sich zusammengebrochene Mauern. Tempel, die mühsam wieder rekonstruiert werden müssen. Risse in Hausmauern, eingestürzte Dächer, notdürftig mit Planen bedeckt.
Es wird Jahre dauern, bis alles wieder so ist wie vor der Katastrophe.
Nicht mehr wiederzuerkennen
Wie hat sich die Stadt seit dem letzten Besuch 1990 verändert? Ich erinnere mich an lange gemütliche Velofahrten durch zwar belebte, aber nicht verstopfte Strassen und Gassen. Heute – undenkbar! Der Verkehr hat ein Ausmass angenommen, dass nur schon der Gedanke an Velofahren ein Witz wäre.
Die Strassen in Thamel, der belebten Altstadt, sind derart verstopft, dass man als Fussgänger permanent der Gefahr ausgesetzt ist, über den Haufen gefahren zu werden. Es gibt allein in Kathmandu über eine Million Motorräder, und sie alle suchen hupend einen Weg durch das Chaos. Doch niemand scheint sich daran zu stören, es ist Alltag. Niemand beschwert sich, nirgends ist Fluchen oder Schimpfen zu hören. Man hat sich daran gewöhnt.
Es erinnert ein bisschen an Hanoi, und auch das Gefühl dabei ist ähnlich. Man befindet sich im Rachen eines Monsters. Es stinkt nach Auspuffgasen und allerhand anderem, es dröhnt und hupt und kracht aus allen Rohren.
Eine einzige Umweltkatastrophe
Die Luft allerdings ist eine Zumutung. Eine einzige Katastrophe für Bronchen und Lungen. Viele Einwohner leiden unter Atemwegsbeschwerden, tausende sterben an Lungenkrebs. Vielleicht schlimmer als Delhi, und das will was heissen.
Man schätzt die Einwohnerzahl im Kathmandu-Tal auf über 7 Millionen, und es werden wahrscheinlich täglich mehr. Schon nach kurzer Zeit spürt man ein Kratzen im Hals. Es wird nicht besser werden.
Thamel
Und so bin ich nun hier, auf einem langsamen, müden Spaziergang in Richtung des Durbar Square, mühe mich durch Menschen und Motorräder und hupende Autos und Pickups und Hunde und Velorikschas. Die Beine sind etwas schwer nach der durchwachten Nacht, aber es gilt durchzuhalten bis am Abend, um sich möglichst schnell an die Zeitdifferenz zu gewöhnen.
Beim Durbar Square, wo die Auswirkungen des Erdbebens sichtbar sind (einige Museen sind immer noch geschlossen), setze ich mich auf ein Mäuerchen, bis ich von einer resoluten Dame in Uniform darauf aufmerksam gemacht werde, dass man hier Eintrittsgeld zu bezahlen hat. Na gut, ich verziehe mich ein paar Meter nach rechts, und tatsächlich, hier kostet es nichts. Ich bin viel zu müde, um den Platz gebührend zu besuchen, also mache ich mich auf den Weg zurück.
Jimi Hendrix
Der knurrende Magen erinnert mich daran, dass seit dem Frühstück im Flugzeug, immerhin vor etwas mehr als zehn Stunden, keine Zufuhr an Kalorien mehr stattgefunden hat. Merkwürdigerweise scheint es ausgerechnet hier, an dieser von Touristen wimmelnden Stelle, keine Restaurants zu geben, also gehe ich den Weg Richtung Thamel zurück, fühle mich langsam genauso alt wie ich bin, bis irgendwo das Schild eines Restaurants auftaucht, das nicht nur Essen, sondern auch Rockmusik im Angebot hat.
Das sollte eigentlich genügen, um meine müden Geister und Knochen wieder auf Vordermann zu bringen. Und tatsächlich, das Essen ist gut, aber von Rockmusik ist nichts zu hören. Immerhin kleben an den Wänden Posters von Jimi Handrix und AC/DC und Mötley Crüe.
Überraschenderweise finde ich im Getümmel sogar den Weg zurück zu meinem Yambu Hotel und bin fast ein bisschen stolz darauf.
Die Frage ist, wie überlebt man einen Abend, der ausschliesslich dem Durchhalten bis zur geplanten Schlafenszeit gewidmet ist? Einmal mehr schaffe ich es nicht, den Fernseher in Gang zu bringen, also widme ich mich auf dem iPad via Netflix einem Action-Knaller, während die Augen alle paar Minuten zufallen. Irgendwann ergebe ich mich und verziehe mich unter die Decke.