Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie schnell und wie einschneidend ein winzig kleines Virus unsere Welt auf den Kopf zu stellen vermag.
Es ist nach gut anderthalb Jahren ziemlich langweilig geworden. Eintönig. Manchmal grauenhaft öde, dann wieder auf seltsame Weise beruhigend. Für eine Weile …
Was tun?
Aber was soll man tun in dieser Zeit, die manchmal aus lauter Nichts besteht. Aus gleichförmigen Tagen und einer sich in die Länge ziehenden Zeit?
Man könnte es sich natürlich weiterhin mit einem Bier oder einem Glas Prosecco auf dem Sofa bequem machen und die x-te Netflix Serie reinziehen, obwohl diese von Monat zu Monat an Qualität und Verführungskraft verlieren.
Keine Option.
Man könnte vietnamesisch lernen oder Oboe oder Breakdance oder endlich die Philosophiebücher lesen, die seit einem halben Jahrhundert auf dem Büchergestell ihr verstaubtes Leben führen.
Definitiv keine Option.
Natürlich könnte man ausbrechen aus der Eintönigkeit und endlich wieder reisen. Also das tun, was – zumindest für mich – die davor und danach liegende Zeit erträglich macht.
Eher nicht, solange die Gefahr besteht, während Wochen in einem Hotel in Bangkok eingeschlossen zu werden.
So steht’s. Man hat es sich bequem gemacht in der eigenen Pandemie und fühlt sich zwar träge, aber durchaus angenehm.
Was also tun? Soll man überhaupt was tun?
Dann endlich die grandiose Idee: wie wäre es, zur Abwechslung die Schweiz kennenzulernen. Das Berner Oberland oder die Westschweiz oder den Jura? Es wurde mir gelegentlich vorgeworfen, Burma oder Laos besser zu kennen als mein Heimatland. Dieser Vorwurf könnte endlich entkräftet werden. Aber wie? Mit dem Zug? Oder dem Auto? Per Bus oder auf dem Velo?
Keine Chance. Dann wäre ich ja nach ein paar Stunden oder höchstens Tagen wieder zuhause.
Aber da gibt es doch eine weitere Möglichkeit. Die Schweiz zu Fuss zu entdecken. Es gibt doch sicher auch in der Schweiz die sogenannten Weitwanderwege.
Und so entstehen langsam die Umrisse eines ziemlich verrückten Plans …
Die Weitwanderwege durch die Schweiz
Ein Blick auf die entsprechenden Google-Einträge gibt einiges preis.
Die beste Plattform für eine detaillierte Übersicht über die Schweizer Weitwanderwege bietet die Plattform schweizmobil.ch.
Unter der Rubrik „Nationale Routen“ beschreibt sie die 7 Weitwanderwege, die auf unterschiedlichen Routen durch die Schweiz führen.
Die Wahl ist nur auf den ersten Blick schwierig, auf den zweiten wird schnell klar, dass keiner der anspruchsvollen Routen in Frage kommt. Also weder die Via Alpina oder der Trans Swiss Trail noch die Via Jakobi. Ich bin ja nur alt, nicht verrückt.
Einer aber sticht klar heraus – der Alpenpanoramaweg.
Der müsste auch für ältere Semester machbar sein (das werden wir herausfinden). Er führt durch den Voralpen entlang, links des Weges als permanente Begleitung die Bergketten der Alpen. Und nicht zu vergessen: er entspricht mit 30 Etappen ungefähr der Zeit, die ich mir (zumindest in meinen Träumen) vorstellen kann.
Aber es bleiben Zweifel …
Der Alpenpanorama Weg – eine besondere Herausforderung
Dann also der Alpenpanorama Weg.
Aus der anfänglichen Skepsis (für die ich dankbar bin, denn sie hält mich normalerweise vor allzu dummen Entscheidungen ab) wird langsam so etwas wie Zuversicht, dass es zumindest im Bereich des Möglichen liegen könnte. Ich stelle mir Ruhepausen vor, alle paar Tage die Beine ausstrecken und dann weitergehen. Und wenn alle Stricke reissen, dann halt abbrechen.
Auf jeden Fall mache ich mich geistig schon mal auf die Möglichkeit bereit, dass die Sache kläglich in die Hose gehen könnte und ich nach 3-4 Tagen wieder zu Hause bin. Natürlich mit extrem angeschlagenem Selbstbewusstsein und der Einsicht, dass es offenbar doch altersbedingte Grenzen gibt.
Aber mal sehen.
Je länger die Zeit vergeht und der Frühling Einzug hält, desto konkreter werden die Pläne, und irgendwann im April steht meine Entscheidung. Die Skepsis meiner Umwelt ist verständlich, ich bin ja selbst nicht sicher, ob dies der grösste Flop meines Lebens werden könnte.
Aber ich besorge mir schon mal den Travelguide, der eine detaillierte Einsicht in die einzelnen Etappen gibt. Ein guter Kauf. Und wie sich zeigen wird, ein sehr verlässlicher Reisebegleiter.
Der geplante Weg führt über 30 bzw. 29 Etappen (eine Korrektur der Strecke hat zu einer Reduktion der Etappen geführt; das kommt mir sehr entgegen) von Rorschach am Bodensee via Appenzellerland, Toggenburg, Zentralschweiz, Emmental, Schwarzburgland bis zum Genfersee und schliesslich zum Endpunkt Genf.
Und sollte ich dort tatsächlich ankommen, liegen mehr als 500 Kilometer hinter mir.
500 Kilometer? Eine Zahl, die mir ehrlich gesagt, Bauchschmerzen bereitet, denn 500 Kilometer sind 500’000 Meter, und wenn ich der Umrechnung, die ich im Internet gefunden habe, Glauben schenken darf, sind das ca. 800’000 Schritte. Ich finde, das sind sehr viele Schritte, aber wie man so schön sagt, der erste ist immer der schlimmste. Oder einfach der erste?
Anyway, was kann schon schief gehen? Ich mache mich vielleicht lächerlich, aber was soll’s, der Versuch ist es wert.
Der Start kommt näher
Es gibt einiges zu tun. Die Katzen und die Pflanzen müssen in meiner Abwesenheit betreut werden, (danke Robin, danke Rainer), meine Ausrüstung muss passen (und vor allem so leicht wie möglich sein), auf jedes erdenkliche Wetter ausgerichtet, und meine körperliche und mentale Leistungsfähigkeit auf Topniveau gebracht werden. Was mental zu schaffen ist, körperlich aber einige Fragen offen lässt.
Ich habe zwar als Vorbereitung 14 km lang den Baldeggersee umquert, allerdings mit dem leisen Verdacht, dass diese Distanz erheblich unter der täglich zu absolvierenden Strecke liegen könnte (mein Verdacht hat sich ziemlich schnell bewahrheitet).
Anfangs bin ich der Überzeugung, dass ich vor dem Start nur die ersten paar Übernachtungen organisiere. Ganz falsch gedacht, wie sich herausstellt. Schon bei den Hotels für die erste Woche Juni gibt es einige überraschende Probleme. Einige sind noch geschlossen, andere ausgebucht und wieder andere haben Corona-bedingt die Läden für immer heruntergelassen.
Ich wechsle also schleunigst meine Reservationspraxis und reserviere alle Hotels für die ganze Strecke. Bereits jetzt sind freie Übernachtungen in der Genferseeregion ein rares Gut. Die Konsequenzen sind mir bewusst: es gibt keine spontanen Ruhetage mehr, ich bin gezwungen, die ganze Strecke ohne Pause durchzulaufen.
Aber erstaunlicherweise wird sich diese anfänglich gewagte Entscheidung wider Erwarten als positiv herausstellen.
Und ein weiteres nicht ganz unwichtiges Detail: ich erwarte und hoffe, dass ab Anfang Juni die offizielle Öffnung der Restaurants erfolgen wird. Das wird mir einige langweilige Picknicks in meinem Hotelzimmer ersparen. Anfang Juni scheint mir auch hinsichtlich Schnee auf den höchsten Erhebungen des Trips optimal zu sein, ich hege nicht die geringste Lust, mich durch Schnee und Eis zu quälen.
Aber irgendwann sind alle Fragen geklärt, die Hotels reserviert, aller Proviant eingepackt, Rucksack und Stöcke und alles andere bereit.
Und so dämmert der Morgen des 3, Juni 2021 herauf …
Und hier beginnt die Wanderung … von Rorschach nach Trogen.