Als wären die berühmten Buddhas nicht schon Highlight genug, wartet das vewunschene Tal mit einer weiteren Sehenswürdigkeit auf – den Seen von Band-e-Amir.
Die Strecke ab Bamiyan ist nicht besonders weit, knappe 80 Kilometer, doch das Gelände hat es in sich. Noch mehr steile Aufstiege, noch mehr Löcher und Querrinnen, noch mehr steile Wände auf beiden Seiten der Strasse. Und man glaubt sich in einer Wüste. [Jahre später werde ich in Ladakh ein Déja-vu Erlebnis haben, auch dort eine Welt aus Stein und Stille und sonst nichts].
Und so geht’s einmal mehr im Pulk bergauf, vorne die beiden orangen VW-Busse, dahinter der tapfere kleine 2CV. Und einmal mehr geniessen wir Gastrecht in Uelis und Silvias Wagen und sind ganz glücklich, dass uns die Strapazen erspart werden.
Man wird, obwohl wir weiss Gott schon viel gesehen und bestaunt haben, immer wieder aufs Neue durch die auf den ersten Blick lebensfeindliche Umgebung irritiert. Und doch hat sich das Leben auch hier seinen Weg gesucht und gefunden. Man fragt sich, was die Menschen, die sich in dieser Gegend niedergelassen haben, zu diesem Schritt bewogen haben. War es Hunger, Vertreibung, Not?
Der Mensch ist ein seltsames und unverständliches Wesen. Er neigt dazu, Dinge zu tun, die der Logik widersprechen. Vielleicht wurden die Menschen, wie die Beduinen in der Wüste, die Inuit in Grönland, durch die seltsamen Schönheiten ihres Landes berührt. Durch die schroffen Wände, die grau-gelb-braunen Hügel am Horizont, die erstaunlichen Formen, weit weg oder ganz nah, zu beiden Seiten des Tals. Oder ganz einfach – durch die Schönheit der Seen von Band-e-Amir.
Merkwürdigerweise weisen die Türme, ganz oben auf den Hügelketten, Löcher auf, die an Emmentalerkäse erinnern. Nur die Frage bleibt – wie sind sie entstanden? Es kann ja nicht sein, dass auch hier ein paar Mönche ihre Zelte aufgeschlagen haben.
Nun denn, eines der ewigen Mysterien der Welt.
Die Band-e-Amir Seen
Nach einer beschwerlichen Fahrt (nicht für uns beide natürlich, wir sind die stresslosen Passagiere) erreichen wir den ersten der sechs (oder sind es doch sieben? Ein achter See soll ausgetrocknet sein) Seen von Band-e-Amir.
Lassen wir zur Abwechslung mal unseren Bing-Chat beweisen, dass er was kann. Wer hätte im finsteren Zeitalter von 1974 schon an sowas wie einen KI-Chat denken können? Tja, so vergeht die Zeit.
Die Band-e-Amir-Seen sind eine Kette von sechs (sieben?) Seen in der Provinz Bamiyan am Hindukusch in Afghanistan. Die Seen sind ähnlich wie die Plitvicer Seen durch natürlich entstandene Travertindämme aufgestaut. Seit 2009 sind sie als erster Nationalpark Afghanistans ausgewiesen. Die Travertindämme entstanden dort, wo das Wasser in mineralreichem Gestein versickerte und sich über die Zeit ablagerte. Die Seen haben eine intensive blaue Farbe und sind ein beliebtes Touristenziel.
Klingt nicht schlecht, wir hätten es nicht besser formulieren können. Allerdings gibt es im entsprechenden Wiki-Eintrag einen Hinweis zur Entstehung der Seen, die nun gar nichts mit geologischen Zusammenhängen zu tun haben. Vor allem der Band-e-Panir See, der durch die Hilfe von Käselaiben erschaffen wurde, lohnt einen näheren Blick.
Die Sache mit den Käselaiben
Als Mohammed, der Stifter des Islam, 632 n. Chr. starb, riss sein Schwiegervater in Arabien die religiöse Macht an sich. Ali, der Vetter und Schwiegersohn des Propheten, den viele als einen wesentlich würdigeren Nachfolger ansahen, musste dagegen ins Exil.
Die Spekulationen über Alis Verbleib führten zu folgender Legende: Mit seinem getreuen Diener Kambar erreichte Ali Afghanistan, bevor der Islam hier Fuß gefasst hatte. Im Tal von Band-e Amir wurden die beiden von einem bösen Fürsten überrascht, der sie gefangen nehmen wollte. Fluchend entkam Ali über einen Berg, von wo er einen Stein auf seine Verfolger hinabstieß. Der Fall dieses Steins löste einen Erdrutsch aus, der seinerseits den durchfließenden Fluss aufstaute und auf diese Weise zur Bildung eines Sees führte.
Dieser See und der dazugehörige natürliche Damm erhielten den Namen Band-e Haibat. Mit seinem Schwert schlug Ali einen weiteren Felsbrocken los und schuf so den Band-e Zulficar. Auf einen Wink seines Herrn hin schuf Kambar den dritten See, indem er den Band-e Kambar aufschüttete. Sodann warf Ali mehrere Käselaibe, die ihm die Frauen der Gegend bereitet hatten, in den Fluss und schuf so den Band-e Panir. Sklaven, die Ali von der drückenden Herrschaft des Tyrannen erlöste, schufen den Band-e Gholaman. Die sechste und letzte Talsperre Band-e Pudina bildete sich, als Ali frisches Pfefferminzkraut in den Fluss warf.
Mit Käselaiben oder Pfefferminzkraut einen Damm aufschütten? Wer kommt auf solche Einfälle?
Alle Blautöne der Welt
Und so erscheint plötzlich der erste See vor unseren überraschten Augen. Auch im Wissen um die unvergleichliche Schönheit dieses Naturwunders bleibt trotzdem nur ein stilles Staunen.
Die Natur ist und bleibt der beste Architekt, der beste Baumeister, der beste Künstler von allen. Sowas muss man erst mal schaffen. Käselaibe oder Travertindämme hin oder her.
Dieser See, dessen Namen wir nicht kennen, weist ein dunkles intensives Blau auf. Vielleicht ist es der Käselaib-See namens Band-e-Pamir, vielleicht ist es derjenige, der durch frisches Pfefferminzkraut aufgestaut wurde. Alles braucht einen Namen, auch Seen und wenn sie noch so abgelegen sind.
Der nächste See ist heller, beinahe türkisblau, man versucht, die Blautöne einzuordnen, und scheitert dabei. Egal, auch taubenblau wäre eine Möglichkeit.
Denn Blau ist nicht gleich Blau. Diese Farbe ist im Grunde ein Universum aus Blautönen nur für sich. Von flirrendem Eiswasserblau bis zum ultrakräftigen Mitternachtsblau, das sich kaum vom Schwarz unterscheiden lässt, ist vieles möglich.
Übernachten in der Teestube
Wir erreichen das Dorf, wo man die Nacht verbringen kann. Wir befinden uns nun auf gut 3000 Metern, die dünne Luft macht sich bemerkbar.
Einige umgebende Berge reichen bis 3700 m. Im Gebiet um die Seen herrscht ein durch die Höhe besonders extremes Kontinentalklima mit durchgehend Frost von November bis März. Das wird schnell spürbar, sobald gegen Abend die Sonne hinter den Bergketten verschwindet. Das Angebot an Übernachtungsmöglichkeiten ist beschränkt, aber immerhin gibt es eine Teestube, wo man wenig komfortabel, aber immerhin in der Wärme, die Nacht verbringen kann. Allerdings, mangels genügend Betten, auf dem Boden.
Warum auch nicht, wir sind Schlimmeres gewohnt.
Und so liegen bei Einbruch der Nacht kreuz und quer irgendwelche Leute, die man zum grossen Teil kaum kennengelernt hat, auf dem Boden, die einen selig schnarchend, die anderen ihren schmerzenden Rücken oder andere Körperteile beklagend.
Song von 1974: Free – Mourning sad Morning
Und hier geht der Trail weiter … beim Buzkashi