Der Frost hat die Welt zu Stein erstarren lassen, wir steigen mit wenig Begeisterung aus dem Auto und verkriechen uns ins warme Hotel.
Offenbar ist die Straße nach Kandahar jetzt schneefrei, also los, aber erst, nachdem die schwache Wintersonne etwas Wärme spendet.
Also fahren wir los, wie so oft im Ungewissen, was der Tag wohl bringen wird. Nichts deutet darauf hin, dass uns in der Wüste zwischen den beiden Großstädten viel Unerfreuliches erwartet. Hätten wir das gewusst, wären wir in unseren warmen Schlafsäcken geblieben.
Ein Abschied für immer
Kabul liegt hinter uns, wir sind nicht unglücklich darüber, die letzten Tage waren eigentlich nur kalt und sonst nichts. Aber hätten wir gewusst, dass es ein Abschied für immer ist, hätten wir der Stadt eine letzte traurige Träne nachgeweint. Inzwischen kennen wir ihr weiteres Schicksal und das des ganzen Landes, eine einzige Kette von Krieg, Tragödien, Unterdrückung und Elend.
Wir haben, ohne uns dessen bewusst zu sein, ein Land kennen gelernt, das Mitte der 70er Jahre eine seltene Phase der Ruhe und des Friedens, des gesellschaftlichen und politischen Aufbruchs erlebte. Kabul war damals eine blühende, aufstrebende Stadt, in der die Kultur, heute kaum noch vorstellbar, eine zentrale Rolle spielte.
[Und heute, während ich diese Zeilen schreibe, ist das Land durch die Herrschaft der Taliban wieder ins Mittelalter zurückgeworfen worden. Traurig].
Benzin und eine Schlägerei
Wow! Das ist Rekord! So viel Benzin haben wir nicht einmal auf den schlechtesten Straßen in Indien oder Nepal verbraucht. Woran liegt das? Keine Ahnung. An der Höhe? Am schlechten Benzin?
Jedenfalls fahren wir zu einer Tankstelle in der Nähe von Gazni, ein düster dreinblickender Paschtune schlendert grußlos aus seinem Häuschen und macht sich daran, unseren Tank zu füllen.
Inzwischen haben wir gelernt, dass man in Afghanistan beim Einkaufen, in der Bank und vor allem an der Tankstelle die Augen offen halten muss. Es gibt immer wieder ganz Schlaue, die es sich zum Spiel machen, gutmütige und ahnungslose Reisende übers Ohr zu hauen.
Während er also das übliche stinkende russische Benzin tankt, schaue ich ihm zu. Die altmodische Anzeige zeigt 30 Liter, dann 35, dann 40 … und dann läuft die Anzeige einfach weiter, 45, dann 48 und bleibt bei 50 Litern stehen. 50 Liter in unserem 40-Liter-Tank! Aber damit hat er sich an diesem Tag mit diesen ohnehin schon ziemlich genervten Kunden die falschen Opfer ausgesucht.
Ich versuche ihm das Problem zu erklären, doch er zeigt unbeeindruckt auf die Anzeige und verlangt den entsprechenden Betrag. Wir streiten ein paar Minuten, dann steige ich ins Auto und halte ihm das Geld für 40 Liter durchs Fenster hin. Das will der stolze Paschtune natürlich nicht auf sich sitzen lassen und greift mich durchs Fenster an. Es kommt zu einem Handgemenge, das mit unserer raschen Wegfahrt endet.
Damit ist das Drama eigentlich vorbei, aber ich fühle mich nicht entspannt. Allein der Gedanke, dass der Kerl ein Telefon hat und seine Kumpels informieren könnte, die uns irgendwo auf der Strecke auflauern, ist beunruhigend. Aber es passiert nichts, und so bleibt nur dieser kleine Triumph…
Es wird aufregend
Mitten in der Wüste halten wir an und ich, nicht mehr ganz so dilettantisch wie zu Beginn der Reise, mache mich auf die Suche nach der Ursache. Und siehe da, auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.
Nach einigem Suchen ist die Ursache klar: Die Heizspirale der Startautomatik wird nicht mehr beheizt, weil das entsprechende Kabel abgeklemmt ist. Was das mit dem Benzinverbrauch zu tun hat, entzieht sich meiner Kenntnis, aber das Problem ist gelöst, und ich klopfe mir stolz auf die Schulter.
Aber nicht lange, denn wie heißt es so schön: Hochmut kommt vor dem Fall. Der zuvor völlig unnötig ausgewechselte Vergaser hat irgendwie dafür gesorgt, dass der Motor nicht mehr anspringt. Und so stehen wir nun mitten im Niemandsland, ziemlich allein, denn unsere Freunde sind längst weitergefahren.
Düster-freundliche Paschtunen
Während ich der Reihe nach Vergaser, Zündkerzen, Zündspule, Unterbrecher austausche, sitzt Monika am Steuer und wartet auf das Zeichen, den Anlasser zu versuchen, was lange Zeit zu nichts führt.
Zuerst sind wir allein, menschenleere Gegend ringsum, doch irgendwann taucht eine Gestalt aus der Wüste auf, der Kopf unter einer tief in die Stirn gezogenen Kapuze, das Gesicht fast unsichtbar und im Schatten, und setzt sich an den Straßenrand.
Ich nicke ihm freundlich und etwas ratlos zu und mache mich wieder an die Arbeit. Kurz darauf setzt sich ein zweiter Mann zu ihm, dann ein dritter. Woher die Leute kommen, ist ein Rätsel. Nach einer halben Stunde sind wir in Gesellschaft mehrerer düster schweigender Gestalten, deren Absichten ziemlich unklar sind, die aber vor allem auf Monika einen furchterregenden Eindruck machen (wie sie mir später erzählt).
Dafür habe ich keine Zeit, und irgendwann bin ich mit meinem Latein am Ende. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als zu versuchen, den Wagen anzuschieben. Und tatsächlich, die finsteren Gestalten erweisen sich als wahre Helfer in der Not und schieben mit. Doch ohne Erfolg, sie setzen sich wieder.
Doch Wunder geschehen, denn plötzlich und unerwartet springt der Motor an. Keine Ahnung warum, aber ein dreifaches Hurra! Wir winken den Männern zu, Daumen hoch, und endlich geht es weiter.
Die Zeit läuft
Und wie wir von der Hinfahrt wissen, gibt es vor Kandahar keine, absolut keine Übernachtungsmöglichkeit. Am Straßenrand zu übernachten ist viel zu gefährlich. Unsere Helfer in der Not sind uns nicht immer wohlgesonnen.
So müssen wir die verlorene Zeit wieder aufholen, doch nach einer halben Stunde treffen wir auf unsere Freunde, die bemerkt haben, dass etwas nicht stimmt und uns entgegengekommen sind. So rasen wir mit unseren nicht gerade Formel–1–tauglichen Autos weiter und kämpfen verzweifelt gegen den immer stärker werdenden Gegenwind an.
Doch der Tag hat noch nicht alle Trümpfe ausgespielt, wie es scheint. Denn irgendwann bleibt die Ente unserer Freunde stehen – ein Reifen ist geplatzt.
Aber es gelingt, und wir fahren endlich weiter.
Es wird tatsächlich schon dunkel, gut 200 Kilometer liegen noch vor uns, aber ein grandioser Sonnenuntergang über der Wüste, wie man ihn nirgendwo sonst in dieser Pracht erleben kann, entschädigt zumindest ein wenig für alle Strapazen des Tages.
Und so erreichen wir um halb neun, bei völliger Dunkelheit, nach mehr als drei Stunden Raserei durch die Wüste unser Ziel – Kandahar!
Passender Song von 1975: The Eagles – Take it to the Limit
Und hier geht die Rückfahrt weiter … nach Herat