Der Frühstücksraum wird um Punkt sieben für die Fütterung der Raubtiere geöffnet, die entsprechenden Pancakes sind bereit, ebenso der Kaffee, und irgendwo schwebt eine schwer vom Schlaf gezeichnete Dame mit einer Kappe auf dem Kopf umher.
Kalter Kaffee
Es müsste also eben noch zeitlich aufgehen, dass ich es bis halb acht zum nahegelegenen Busbahnhof schaffe. Der Biss in den vermeintlich warmen Pancake – wääähh. Eiskalt. Also nachspülen mit heissem Kaffee, aber denkste. Der ist noch kälter als der Pancake. Kalter Kaffee ist zu jeder Tageszeit unausstehlich, aber am frühen Morgen bedeutet es eine der sieben Todsünden, die nur mit Erschiessen oder Erdrosseln beantwortet werden kann.
Bevor ich aber zur Pumpgun greife, mache ich die Dame in den höflichsten Worten darauf aufmerksam, dass alles, einfach alles, eiskalt ist. Ach so, lacht sie, und stellt die entsprechenden Knöpfe auf ‚heiss‘.
Was soll man sich da noch ärgern, that’s Bolivia, Man! Den Kaffee, der logischerweise in der kurzen Zeit nicht heiss werden kann, nehme ich später im Busbahnhof zu mir, allerdings ist mir beim Ganzen ein Licht aufgegangen. Könnte es sein, dass der Rest des schon am Vortag stundenlang vor sich hinköchelnden Kaffees am nächsten Tag einfach wieder aufgeheizt wird? Habe ich damit endlich den Grund gefunden, warum der Kaffee in diesem Land einfach nur scheusslich schmeckt?
Stranger in a strange Land
Strömender Regen ist der Abschiedsgruss von La Paz, schade, wir haben uns langsam gegenseitig an uns gewöhnt. Allerdings bin ich mir hier – viel mehr als beispielsweise in Sucre – als Fremder in einem fremden Land vorgekommen, so wie Valentine Michael Smith im gleichnamigen Roman von Robert A. Heinlein:
Ein Fremder vom Mars namens Valentine Michael Smith landet auf der Erde. Er ist zwar ein Mensch, wurde aber von Marsianern aufgezogen – und wird nun mit einer im völlig fremden Zukunftswelt konfrontiert. Seine Geschichte ist eine Geschichte der Infragestellung von Grenzen: des Zusammenlebens, der Sexualität, der Religion und der Wirtschaft. Robert A. Heinleins wohl programmatischster Roman hat längst Kulturgeschichte geschrieben.
Das ist natürlich eine pathetische Übertreibung, aber diese seltsamen und unerklärlichen Gefühle überfallen früher oder später jeden Reisenden. Nicht überall und nicht immer. Es braucht offenbar die notwendigen Ingredienzen dazu, die äusserlich (Ort, Menschen, Erlebnisse…) und vor allem innerlich (Laune, Müdigkeit, Abwehr…) wirken.
Ich verlasse La Paz also so wie meine innere Haltung dazu, etwas verregnet, etwas grau in grau, froh über den Abschied, und trotzdem mit einem leisen Bedauern.
Von La Paz nach Puno
Anyway, der Bus ist voll, für einmal bin ich nicht der einzige Ausländer, sondern der vor mir sitzende Bolivianer ist der einzige Einheimische unter lauter Ausländern.
Ein Gemisch der verschiedensten Sprachen und Nationen hat sich eingefunden, alle auf dem Weg nach Peru. Dunkelgrüne, nasse, irgendwie leblose Ebenen gleiten vorbei, gelegentlich eine Schar niedriger Hütten, da und dort ein paar Kühe oder Schafe.
Es ist eine langweilige Fahrt, genauso wie ich sie liebe. Der Geist entfernt sich von der äusseren Welt, wird ein Teil einer ganz anderen, einer Welt in der Zukunft oder der Vergangenheit. Nirgends wird die Phantasie so sehr angestachelt wie auf einer langen und eintönigen Busfahrt. Nichts lenkt ab, manchmal ein Farbfleck inmitten der grünen Wüste, vielleicht ein Indio, ein Lama, ein Fluss, der im Niemandsland versickert.
Und der Regen fällt weiter, klatscht an die Fenster, es ist dunkel und grau, die Landschaft verzerrt durch die Wasserschlieren am Fenster. Es ist wunderbar. Einmal mehr der Traum vom endlosen Weiterfahren, irgendwohin, nirgends festgelegt, alles was zählt, ist die Fahrt, die Bewegung, und alles, was man ist, ist der Zuschauer, der keinen Einfluss auf gar nichts hat.
Am Horizont schimmern Hügel und schneebedeckte Berge. Es dauert eine Weile, da taucht eine schwarze Fläche auf, kleine Wellen kräuseln die Oberfläche.
Der Titicacasee ist mit einer Fläche von 8.288 Quadratkilometern der größte See Südamerikas. Er befindet sich auf der Altiplano-Hochebene in den Anden; der westliche Teil mit 4.916 km² des Sees gehört zu Peru, der östliche Teil mit 3.372 km² zu Bolivien. Gemessen an seiner Fläche ist er der achtzehntgrößte natürliche See der Welt; seine Fläche ist etwa 15,5 mal so groß wie die des Bodensees (einschließlich Untersee) und fast so groß wie Korsika.
Ich muss gestehen, dass sich meine Erinnerungen an diese haargenau gleiche Fahrt verflüchtigt haben. Erst als der Bus am Ufer hält und die Passagiere aussteigen müssen, um die schmale Bucht mit einem altersschwachen Boot zu überqueren, kommen die Bilder zurück.
Dazu trägt vor allem bei, dass sich allem Anschein nach nichts geändert hat.
Die Boote für die Passagiere sind immer noch ein Graus (wahrscheinlich habe ich mich auch das letzte Mal gefragt, ob ich es bei einem allfälligen Unglück ans Ufer retten könnte), diejenigen für die Busse eine Risiko erster Ordnung.
Nur die Anzahl Häuser auf der anderen Seite ist spürbar gewachsen. Indios verkaufen ihre immer gleichen Sachen, drei Bananen kosten umgerechnet ein paar Rappen. Irgendwo versteckt befindet sich ein Bãno, (die jeweiligen Bezeichnungen für Toilette ändern sich von Land zu Land, die entsprechende Qualität ist allerdings die gleiche) und schon dröhnt die Bushupe.
Es geht weiter, doch schon bald beginnt es zu regnen. Die Fahrt geht weiter, dem See entlang, eine kleine Insel grüsst, regennasse Wiesen säumen die Strasse, manchmal ein paar Häuser, aber meistens nur grün und nass und ziemlich leblos …
Regen an der Grenze
Die Grenze zwischen Bolivien und Peru ist in dunkle Wolken gehüllt.
Eigentlich ist die heutige Strecke mit gut 250 Kilometern gar nicht so lang, trotzdem soll sie über acht Stunden dauern. Die folgenden zwei Stunden erklären den Grund.
Die Prozedur an der Grenze ist in zwei Phasen aufgeteilt. Zuerst werden die Passagiere zum bolivianischen Grenzposten geführt, wo die Passkontrolle stattfindet. Das Gebäude ist allerdings so klein, dass nur etwa vier bis fünf Personen gleichzeitig darin Platz finden. Den übrigen bleibt nichts anderes übrig, als sich in einer unendlich langen Schlange im strömenden Regen einzufinden.
Man muss sich vorstellen, dass zur gleichen Zeit weitere Busse angekommen sind, das heisst, dass die Warteschlange entsprechend lang ist. Sehr lang. Und es geht unglaublich langsam vorwärts, weil die beiden Beamten es sehr genau nehmen.
Ich habe im letzten Moment einen Schirm eingepackt, der beste Entscheid ever, und so bin ich einer der wenigen, die einigermassen trocken bleiben. Dann aber, nach gefühlten zehn Stunden, sind wir durch, allerdings beginnt ein paar hundert Meter später das gleiche Prozedere auf der peruanischen Seite.
Puno
Und so erreichen wir Puno am Titicacasee, wiederum fast 4000 Meter hoch gelegen, und die einzigen Erinnerungen, die mir an diese Stadt geblieben sind, sind weder die wunderbaren ‚Floating Islands‘ noch die prachtvolle Innenstadt, sondern die Tatsache, dass ich zu diesem Zeitpunkt 1981 alle meine mitgenommenen Bücher ausgelesen hatte und vor lauter Entzugserscheinungen beinahe durchdrehte …
Zumindest dieses Problem besteht heute dank eBooks und WIFI nicht mehr, und so kann ich mich beruhigt den Sehenswürdigkeiten der Innenstadt widmen, die wirklich einiges zu bieten hat. Nicht überraschend beginnt es wieder zu regnen, aber mein Schirm …? Damn it, im Bus vergessen.
Ich renne also nach dem Nachtessen in der Innenstadt wie ein von Wespen Gestochener zum Hotel zurück, natürlich nass und wütend und mit aufgefrischter Erkenntnis, dass das Alter massive Fortschritte macht …
Aber ein kurzer Blick auf die wirklichen Highlights der Stadt dürfen nicht vergessen werden, auch wenn ich sie diesmal links liegen lasse …