Also heute die letzte Etappe. Das Ende des Trails. Erwartet, erhofft, befürchtet.

Kann es wirklich sein, dass dieses Abenteuer heute vorbei ist?

Nun ja, diese Antwort werden wir in ein paar Stunden geben können. Vorerst müssen wir ausnahmsweise früh aus den Federn, denn das Schiff, das uns ans andere Ufer bringen soll, fährt um Punkt acht Uhr los.

Mit verschlafenen Augen (die gestrigen Mühen haben Spuren hinterlassen) setzen wir uns ins erstbeste Café (unser Hotel liegt noch in gesegnetem Schlaf) und essen sowas wie Frühstück.

Erst dann nehmen wir uns ein letztes Mal die Mühe, den Travelguide zu konsultieren, er hat einiges zu sagen (was uns wie immer auf den ersten Blick interessiert, aber auf den zweiten meistens links liegen gelassen wird).

Der Monte San Giorgio, auch als «Berg der Fossilien» bekannt, ist UNESCO-Weltkulturerbe. Er wird nach einer kurzen Schiffpassage in Angriff genommen. Auf 230-240 Mio. Jahre datierte Saurierfossilen sind in einem kleinen Museum in Meride zu bewundern.

Saurierfossilien? Erinnert mich an entsprechende Spuren am Vierwaldstättersee.

From Morcote to Mendrisio
Von Morcote nach Mendrisio – die letzte Etappe

Ein See und ein Berg

Das Schiff steht bereit, denn die letzte Etappe des Trans Swiss Trail beginnt mit einer Schifffahrt von Morcote zum gegenüberliegenden Terniciolo. Ausser uns sind keine anderen Passagiere zu entdecken, aber das Boot fährt pünktlich los. Morcote liegt in der sanften Morgensonne, der Kirchturm grüsst herab – Ciao Bello!

Trotz der kurzen Zeit hat es uns wirklich gut gefallen in diesem ehemaligen Fischerdorf. Man könnte sich vorstellen, hier längere Zeit zu verbringen, vielleicht als Pensionär (wie tausend andere). Am Vormittag einen Kaffee irgendwo an der Seeuferpromenade, dann einen Spaziergang, etwas Kleines zum Essen, eine lange friedvolle Siesta und zuletzt ein exzellentes Abendessen in einem der vielen Restaurants.

Yep, man wüsste, wie’s geht, aber vielleicht später oder dann halt im nächsten Leben, wo man alles etwas ruhiger angehen könnte.

The boat is waiting for us Blue sky - blue water

Bye bye Morcote - we will remember you Between dawn and daylight

Der letzte Hügel

An sich hätten wir durchaus noch Lust, den Monte San Giorgio zu Fuss zu bezwingen, aber nach über 35’000 Höhenmetern ist das Soll definitiv erfüllt. Ausserdem gilt es, die Zugfahrt nach Hause nicht zu vergessen, also ist das Zeitbudget ziemlich beschränkt.

Und so nehmen wir ohne schlechtes Gewissen die Luftseilbahn. Offenbar ist der Verkehr auf dem See und in der Luft nicht aufeinander abgestimmt, denn die Talstation ist so geschlossen wie sie nur sein kann. Wir setzen uns also nochmals hin, atmen ein letztes Mal die würzige Seeluft ein und bewundern den gefleckten Himmel.

Im Nachhinein kann ich nicht genug euphorische Lobeshymnen über das Wetter singen. Es hat mich mit Ausnahme der ersten Juratage nie im Stich gelassen, im Gegenteil. Ich frage mich, wie ich soviel Gunst verdient habe.

Erst nachdem eine junge Dame sehr verschlafen die Tore öffnet (nachdem sie den Hund noch spazieren geführt hat), schöpfen wir Hoffnung, dass doch noch etwas wird aus unserem Ausflug auf den Monte. Aber das Warten hat sich gelohnt, die Kabinen schaukeln sanft im Morgenwind, und schon sind wir oben.

Ab hier beginnt ein prachtvoller letzter Abschnitt mit nochmals gut 400 Höhenmetern, wo nach etwas mehr als einer Stunde Forello erreicht wird. Wer den Gipfel des Monte San Giorgio ersteigen möchte, kann dies mit einem 10-minütigen Umweg tun. Die 360-Grad-Aussicht toppt diejenige von Forello bei weitem.

Na ja, das glauben wir aufs erste Mal, lassen es aber trotzdem sein.

A very smooth ride up the hill with cable car And a last glimpse on the lake

Und noch ein UNESCO Weltkulturerbe

Im Grunde genommen bin ich die letzten Wochen von einem Weltkulturerbe zum anderen vorbeigewandert (in der Schweiz sind heute dreizehn Objekte von der UNESCO zum Welterbe ernannt worden, davon allein vier im Tessin). Ich kann gar nicht mehr alle aufzählen, aber auf jeden Fall ist kein Mangel an derartigen Highlights zu beklagen.

Offenbar ist das Gebiet um den Monte San Giorgio seit 2003 als Unesco-Weltkulturerbe anerkannt. Also eine Wissenslücke mehr: die südlichen Ausläufer des Luganersees sind berühmt für ihre spektakulären Fossilienfunde.

Monte San Giorgio ist eine lebende Legende eines historischen Meisterwerks mit Fossilien, die über 200 Mio. Jahre alt sind.  Vor 200 Mio. Jahren war der Berg umgeben von einer Meeresbucht und war teilweise von dem offenen Meer getrennt. Aus diesem Grund war es eine ideale Stelle für Meereslebewesen, die heute noch in Form von Fossilien bestaunt werden können. Das Fossilienmuseum in Meride bietet Besuchern die Gelegenheit  zurück in die Zeit der mittleren Trias zu reisen und verschiedene Fossilien zu bestaunen.

Es ist spannend, sich vorzustellen, wie es hier vor 240 Millionen Jahren ausgesehen hat, denn genau in dieser Gegend befand sich ein 100 Meter tiefes Meeresbecken. Als miserabler Schwimmer bin ich froh, dass wir heute in weniger feuchten Zeiten leben. Ich hätte mich in Gesellschaft von Fischen, Wirbellosen und Reptilien (Meeressauriern), deren sehr gut erhaltene Skelette man hier gefunden hat, äusserst unwohl gefühlt.

In search of dinosaur bones There might be a lot to see

Und noch ein beeindruckendes Dorf – Meride

In immer schnellerem Tempo schwindet der klägliche Rest der Wanderung dahin, immerhin entzückt uns noch ein letztes Dorf vor dem Endziel in Mendrisio. Und als Abschiedsgeschenk ein besonderes Juwel – Meride.

Manchmal fühlt man sich in einer anderen fremden Welt, dabei gehört auch der südlichste Ausläufer des Tessins zur Schweiz, aber eben, manchmal zieht man Laos vor oder Bolivien oder Indien oder weiss der Herrgott was. Und verpasst dabei vieles, das so nah ist, so schön, so voller geschichtlichem Reichtum.

Meride - another typical village in this region Meride - just like a hundred years ago Meride - but where are the inhabitants?

Die Locanda San Silvestro ist genau das, was unser Herz begehrt, ein Garten, efeu- oder rebenbewachsene gelbe Wände, ein paar Tische, ein paar Stühle, ein paar Gäste, die sich in englisch gefärbtem Business-Italienisch unterhalten und sich unglaublich wichtig vorkommen.

Tja, in genau diese Welt werden wir in ein paar Stunden zurückkehren, aber bis dahin geniessen wir das Gefühl, am richtigen Ort zu sein, bevor es dann die letzten paar Kilometer bis Mendrisio geht.

The Locanda San Silvestro - just right for us So the last coffee at a gorgeous place

Die letzten Meter

Dann also die finale Wanderstunde des Trans Swiss Trail.

In Porrentruy gestartet liegen 500 Kilometer und 35000 Höhenmeter (hinauf und hinab) zwischen dem Startpunkt und dem Ziel in Mendrisio.

Dessen Bahnhof erreicht man nach einem letzten Abstieg durch den Wald und einem kurzen Stück durch das Gewerbegebiet. Eigentlich würde der weniger bekannte Ort mit schöner Altstadt, engen Gassen, alten Palazzi, historischen Kirchen und dem mittelalterlichen Turm auf der Piazza del Ponte aufwarten, aber das lassen wir für heute sein.

Alles, was uns jetzt noch interessiert, ist der letzte Wegweiser des Trans Swiss Trails, dann ein paar Fotos für die Nachwelt, ein High-Five und eine Umarmung.

Es klingt irgendwie surreal, als hätte jemand anderers in einem anderen Leben diese Strecke durchwandert. Immer schön langsam, so wie man das machen sollte, im Schnitt 3 Kilometer pro Stunde, mit leichtem Gepäck und leichten Sinnen.

Und dabei immer das unvergleichliche Gefühl, die totale Freiheit zu spüren, genau an dem Ort zu sein, wo man sein will. Manchmal weit entfernt von dem, was die heutige Welt ausmacht, dann wieder mitten drin.

Wenn ich zurückdenke, scheinen die einzelnen Tage unendlich weit weg und doch ganz nah zu sein. Die ersten Etappen durch den Jura, dann lange durch das Bernbiet, das Emmental, die Innerschweiz, den Gotthard, das Tessin.

Aber eben, alles geht vorbei, so auch jetzt in diesem Augenblick auf dem Bahnhof in Mendrisio.

Ich bin glücklich und traurig zugleich.

Glücklich, es geschafft zu haben, die Strapazen hinter mir, das Wohlgefühl des normalen behüteten Lebens im Alltag vor mir. Auf der anderen Seite die ganz tief im Inneren herrschende Trauer, dass es vorbei ist, dass diese wunderbaren, ausserordentlichen, phantastischen Wochen vorbei sind und vielleicht nie mehr wiederholt werden können.

Oder doch? Wir werden sehen. Wie schon oft erwähnt – die Welt ist gross.

Yes, Folks, I did it again! We did it together, at least a tiny bit!

Glücklich und traurig

Und so siehts aus, wenn man die wunderbaren Erlebnisse in einem einzigen Video zusammenfasst. Viel Spass!

https://youtu.be/DirpC3bl2ZY

Und so verabschiede ich mich und gebe meinen besonderen Lieblingen das letzte Wort:  The Beatles – Hello Goodbye

Und hier gehts weiter … auf der Via de la Plata

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