Schweb wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene!
Wer sich an Muhammed Ali erinnert, kennt diesen Spruch. Einer seiner vielen unvergesslichen Bonmots, die zu jeder Zeit und in den unmöglichsten Situationen zum eigenen Vorteil benützt werden können.
Ich bin ihm ewig dankbar, diesem Grossmaul. Er hat meine Jugend begleitet, er hat mich genervt, begeistert, zum Zwerg degradiert. Lang sollst du leben, du bester Boxer aller Zeiten!
Warum ich auf Ali zurückgreife an diesem Morgen?
Keine Ahnung. Aufwachen und sich an etwas erinnern, was den Tag zur Freude macht, ist immer gut. Und an einem Tag, der soviel Anstrengung bedeutet, umso mehr!
Seelisberg City
Eigentlich würde es mir hier gut gefallen. Das D0rf hat seinen Charakter erhalten können. Es gibt nicht viel, aber das wenige ist mehr, als man erwarten könnte.
Der Travel Guide ist derselben Meinung:
Seelisberg ist ein kleiner Ferienort mit herrlicher Aussicht auf den Vierwaldstättersee. Zur Gemeinde gehört auch das Rütli. Das Dorf ist mit dem Postauto erreichbar oder der nostalgischen Standseilbahn vom Uferort Treib aus (mit Schiffstation und Badestrand).
Aber eben, das Urnerland lockt, der lange Weg dem Reusstal entlang, heute der erste Abschnitt bis Attinghausen (im eigentlichen Etappenort Erstfeld war kein Hotel zu finden).
Diese Etappe folgt bis hinunter nach Seedorf dem Weg der Schweiz, der vom Rütli herkommend über Flüelen nach Brunnen führt. Im Abstieg nach Bauen überblickt man die ganze Route und das Rütli. Am Wegrand interessante Schlösschen und Herrschaftshäuser.
Länge 24 km; Aufstieg | Abstieg 300 m | 620 m; Wanderzeit 6 h 10 min
Für einmal dürften heute meine jämmerlichen Zeitüberschreitungen gegenüber dem Plan in Grenzen bleiben. Allerdings wird das, was heute eingespart wird, morgen zum eh schon anstrengenden Teil hinzugefügt. Ach Gott, wie schön ist doch das Wandern.
Die glücklichen Beine
Seltsamerweise fühle ich mich nach der gestrigen Etappe so frisch wie schon lange nicht mehr. Schon die ersten paar Meter spüre ich meine Beine, die sich für einmal richtig glücklich anfühlen. Der Grund dafür ist mir wie in den meisten solchen Fällen unklar, aber egal. Hauptsache ist, dass ausgerechnet vor den anstrengensten Etappen mein Körper nahezu am Optimum zu sein scheint.
Anyway, es geht kurz nach dem Start in einen sommerlich duftenden Wald hinein, rechts irgendwo die Strasse, links der Abgrund zum See hinunter. Irgendwo da unten befindet sich das Rütli, das sogenannte Herz der Schweiz.
Nun, wie jeder andere Schüler eines gewissen Alters wird man per Schulausflug an diesen Ort gebracht. Der Lehrer hält eine Rede, die den Zusammenhalt und die Geschichte unseres Landes beschwört, während wir Schüler uns entweder langweilen oder uns gegenseitig auf die Füsse treten.
Na ja, Tempi passati. Gottseidank.
Spiel mit Licht und Schatten
Manchmal muss man sich selbst davon abhalten, sich in die Etappe zu stürzen.
Es geht nicht um Geschwindigkeit oder Leistung, es geht ausschliesslich um Genuss. Das Wetter ist zwar heute wieder mal ein unzuverlässiger Zeitgenosse, Wolken ziehen immer wieder vorbei, als müssten sie ihre Wichtigkeit zeigen. Im Wald ist nichts davon zu spüren, ich wandere durch Licht und Schatten.
Denn das ist es wieder mal. Der Wald, der See, die Wolken, die Gerüche, die Dörfer am anderen Ufer des Urnersees. Und ich, ganz allein. So wie es sein muss.
Die gelegentlichen Abschnitte auf den Teerstrassen sind zwar mühsam, aber erklärbar. Der steile Abgrund verunmöglicht manchmal den Wanderweg. Immerhin komme ich damit in den Genuss der Kletterkünste von ein paar Ziegen, die sich auf der Felswand oberhalb der Strasse auf die nicht ungefährliche Suche nach etwas Essbarem machen.
Seid vorsichtig, meine Lieben.
Schlaf im Stroh
Man lernt nie aus.
Im Verlauf meiner Reisen und Wanderungen müsste ich eigentlich jede Art Übernachtung kennengelernt haben. Ich erinnere mich an allerhand unbequeme, eiskalte, stinkende Unterkünfte, die man sich nur antut, wenn es nichts anderes gibt.
Die Unterkunft am Wegrand, euphemistisch als „Schlafen im Stroh“ bezeichnet, stellt tatsächlich etwas Neues dar. Es gibt also eine Art Holzverschlag (leicht brüchig), gefüllt mit Stroh, darauf liebevoll zugedeckt ein Teddybär, einen Nachttisch in Form einer hässlichen Kiste, mit Dach (immerhin), drei Wände rund herum, fertig ist das Hotel.
Ich stehe etwas ratlos davor, und erst nach langem Nachdenken und dem Check auf www.stroh-traum.ch wird mir klar, dass es sich (wahrscheinlich?) um einen Scherz bzw. um eine leicht schräge PR-Aktion handelt. Mal etwas anderes, das auf jeden Fall …
Steil nach unten
Dann hat das gemütliche Wandern ein plötzliches Ende, denn unvermittelt neigt der Weg sich nach unten, er entwickelt sich – soviel wird bald klar – als ungemütlich für die bisher so glücklichen Beine. Und so erhalte ich eine Lehrstunde in Topographie und den lästigen Launen der Natur, die wieder mal nichts Besseres weiss, als mir die Freude am Wandern zu vermiesen.
Immerhin ist das Dorf am See – es handelt sich um Bauen – mit allem Sehenswerten ausgestattet, was ein richtiges Dorf zu bieten hat. Eine Kirche (wir befinden uns wie erwähnt in der schwarzkatholischen Innerschweiz) mit stolzem Turm, gepflasterten Gassen und einem Dorfbrunnen wie in alten Zeiten.
Und natürlich mit einem stattlichen Hafen mit jeder Menge Booten. Das Wetter hat in der Zwischenzeit nämlich den Sonntagsanzug übergezogen und verführt ganze Heerscharen zu Ausflügen auf dem See.
Eines ist allerdings etwas nervig: das einzige Gasthaus ist voll besetzt und zwar mit lauter Gästen, die garantiert nicht zu Fuss unterwegs sind. Also muss ich zähneknirschend auf den Kaffee verzichten, werfe den im Gartenrestaurant sitzenden Gästen zumindest einen grimmigen Blick zu.
Dem See entlang
Es ist wieder mal eine dieser Etappen, wo man sich nicht sattsehen kann an der Schönheit der Umgebung. Das erinnert mich doch gleich an eine Rede, die Robert Redford 2015 anlässlich der damaligen Klimakonferenz hielt. Ich habe mir das Wichtigste notiert. Hier ist es.
Das ist vielleicht unsere letzte Chance. Die Ressourcen unseres Planeten sind begrenzt, aber andererseits kennt die menschliche Vorstellungskraft und unsere Fähigkeit, grosse Probleme zu lösen, keine Grenzen.
In diesen kurzen Sätzen stecken zwar Zweifel und Warnungen, aber auch Zuversicht und Mut. Ich habe Redford immer gemocht, aber nach diesem Vortrag hat er meine Bewunderung auf ganz andere Höhen geschraubt. Wir brauchen solche Menschen, die Wahrheiten aussprechen, ohne dabei mit dem Finger zu zeigen.
Mit diesen Gedanken folge ich den Gestaden, mal auf schmalen Wegen knapp dem Wasser entlang, dann wieder durch düstere Tunnels, wo man kaum etwas sieht, und einmal sogar eine ganze Weile durch einen Strassentunnel, der so ziemlich das Letzte ist, was man sich wünscht.
Der Urnersee liegt still und gibt vor, ganz und gar friedlich zu sein. Dabei hat er den Ruf, sich bei Föhnstürmen zu einem rasenden Ungeheuer zu entwickeln.
Hätte ich dem Kerl gar nicht zugetraut.
Die letzten Kilometer
Links liegt immer noch der See, immer noch friedlich und blau, doch sein Ende (oder sein Anfang) ist bereits in Sicht. Ich könnte hier sitzen bleiben, seine Schönheit bestaunen und mir einreden, dass es nirgends schöner ist als hier. Aber dieses Gefühl habe ich immer. Es sind schöne und wehmütige Gedanken zugleich, denn man ist sich jeden Moment bewusst, dass alles flüchtig ist.
Zeit also, die schweren Gedanken mit einem längst verdienten Kaffee (und einer ebenso verdienten Cremeschnitte) im Seerestaurant zu verscheuchen.
Ich habe das obere Ende des Sees erreicht, ich sitze sozusagen auf dem Delta der Reuss, die sich irgendwo in der Nähe in den See ergiesst. Natürlich nicht für immer, denn nach einem langen Ausflug durch den Vierwaldstättersee verlässt sie den See und fliesst weiter gegen Osten, wo sie irgendwo im Aargau ihre letzten Züge macht und sich mit Aare und Limmat vereint.
Der Wanderweg führt quer durch das Delta, bevor er endgültig den Fluss erreicht, einen schnurgeraden Kanal, der mich in Richtung des Tagesziels in Attinghausen führt. Meine Beine sind zwar immer noch im Schuss, aber doch massiv weniger glücklich als frühmorgens.
Poulet im Korb
Das Hotel Krone in Attinghausen bietet alles, was ich mir vorstelle, allerdings kein Restaurant. Also lasse ich mich von der Wirtin überreden, in der Burg zu essen oder besser gesagt, im Burghotel oder noch besser in der Pouletburg.
Die Burg macht schon von weitem einen eher ungewöhnlichen Eindruck. Sieht gar nicht nach diesem kleinen verschlafenen Dorf aus, eher als ob man einen Fremdkörper mitten hinein versetzt hätte.
Nun gut, Hauptsache es gibt was zu futtern.
In Unkenntnis über diese besonderen kulinarischen Angebote setze ich mich im ziemlich überdimensionierten Esssal an einen Tisch und checke die Menükarte, die ausser Poulet im Korb tatsächlich nicht viel anderes zu bieten hat.
Und so esse ich halt das gleiche wie alle die zahlreichen Gäste, die gemäss der Bedienung von weit her kommen (aus der ganzen Welt, Donnerwetter!), um die Spezialität des Hauses zu geniessen.
Nun gut, das Huhn ist okay, die Frites so, wie sie sein sollten, mehr nicht. Und bezahlen muss man bar, ja wo sind wir denn hier gelandet? Keine Kreditkarten trotz Gästen aus aller Welt?
Passender Song: McGee Brothers – C-h-i-c-k-e-n Spells Chicken
Und hier geht der Trail weiter … ziemlich anstrengend das Reusstal hinauf dem Gotthard entgegen