Der Bus nach Jinghong in Yunnan ist hoffentlich kein böses Omen.
Die Abfahrt des Busses nach Jinghong ist auf genau 07.10 angesetzt. Zahlreiche Travellers drängen sich in die TukTuks, Reiseziel Luang Prabang oder Oudomxai, und schon bald stehe ich alleine da, mit Ausnahme eines ziemlich verloren wirkenden chinesischen Paares.
Einmal mehr ist die laotische Pünktlichkeit eine Sache von Glauben und Hoffnung, bis sich mit Getöse und Gedröhn das absolut heruntergekommenste, dreckigste, verbeulteste Vehikel nähert, das ich je gesehen habe.
Ein erbärmlicher Bus
Die Sitze sind in einem schlimmen Zustand, zum Teil schräg oder nur noch in der Liegeposition benutzbar, und allesamt ziemlich schmutzig. Aber der Bus ist gut besetzt, ich zwänge mich ganz hinten auf einen noch akzeptabel aussehenden Sitz und harre der Dinge, die da kommen sollen.
Nach mehreren Zusatzschleifen quer durch das Dorf scheinen wir die gewünschte Vollbesetzung erreicht zu haben, und es geht los Richtung Norden, doch immer wieder Halte in Dörfern oder an seltsamen Orten, wo jemand zu- oder aussteigen will.
Gummibäume und andere Sünden
Eine Fahrt durch wildes Land, durch hellgrüne Wälder, dichten Dschungel. Die Erinnerung an die Fahrt auf dem Nam Ou vor zwei Jahren taucht auf und mit ihr der Ärger: dort wie hier sind die Wälder kilometerweit abgeholzt worden, um Platz zu schaffen für den Anbau von Rubber Trees, Kautschukbäumen, die in schnurgeraden, langweiligen Reihen angepflanzt sind.
Hier gibt es keine Tiere mehr, nichts, was an die alten Zeiten erinnert, als der Dschungel vom Leben vibrierte. Ein weiteres zweifelhaftes Geschenk der Nachbarn im Norden.
Der australische Lehrer
Mit Erstaunen nehme ich zur Kenntnis, dass ich wider Erwarten doch nicht der einzige Fremde im Bus bin. Ein junger Mann unterhält sich in fliessendem Mandarin mit einem alten Chinesen mit schrecklich abstehenden Ohren, der sich alle paar Augenblicke lautstark räuspert und die diesbezüglichen Ergebnisse aus dem Fenster spuckt. An diese optischen und vor allem akustischen Überfälle wird man sich schnell gewöhnen müssen. China lässt ein weiteres Mal grüssen.
Der junge Mann, der sich kurze Zeit später neben mich setzt, entpuppt sich als australischer Lehrer, der irgendwo im Norden Chinas, in der inneren Mongolei, an der Uni Englisch und Philosophie doziert.
Es entwickelt sich ein angeregtes Gespräch über Gott und die Welt, über das Reisen und das Weggehen und was es in einem auslöst, über Arnold Schwarzenegger und Breaking Bad, aber auch immer wieder über unser Ziel im Norden, China. Er scheint sein Gastland zu meinem Erstaunen wirklich lieben gelernt zu haben, vor allem sein Geständnis, dass er sich nach einem längeren Aufenthalt im Ausland nach Hause zu kommen fühlt, macht mir Eindruck.
Die Grenze
Und dann plötzlich die Grenze. Hier niedrige Hütten, dort mächtige Gebäude, hoch in den Himmel gezogen, mit einer einzigen Botschaft: Seht her, das ist China, der zukünftige Herrscher im 21. Jahrhundert. Anstelle der staubigen Strassen sind nun breite, Palmen-gesäumte Alleen das Mass der Dinge, sauber, ordentlich, gepflegt. Die Leute sind adrett gekleidet, selbstbewusst, aber dennoch entspannt.
Sichtbare Unterschiede
Auf den ersten Blick hat sich nicht viel geändert, wenn man aus dem Fenster blickt, doch der zweite enthüllt die Unterschiede. Die Architektur der Häuser entspricht nun der Vorstellung: tempelartig, mit mehreren Dächern übereinander geschachtelt, zierlich, von brüchiger Schönheit. Und die vielen Autos entlang der Strasse glänzen, geben Zeugnis von Geld, viel Geld …
Man fühlt sich mit einem Mal in einer anderen Welt. Ich mache meine Hausaufgaben, versuche alles wahrzunehmen, nichts verpassen. Dies ist ein Land, das uns die nächsten Jahre und Jahrzehnte beschäftigen wird, vielleicht als Freund, vielleicht als Konkurrent, vielleicht als Feind. Oder alles zusammen.
Was ich hier sehe, ist gleichermassen erstaunlich wie bedrohlich. Vor nicht mal dreissig Jahren war das Land mausarm, jetzt eine aufstrebende Weltmacht mit dem strategischen Ziel, wieder, wie vor vielen Jahren, die Nummer eins zu werden. Das Trauma, während hunderten von Jahren ein Nichts gewesen zu sein, liegt tief und bestimmt das Denken und das Handeln.
Wir werden uns vorsehen müssen …
Jinghong
Und dann plötzlich der Mekong, der hier Lancang heisst, die Brücke führt direkt ins Zentrum Jinghongs. Breite Alleen, viel Verkehr, und überall chinesische Schriftzeichen, kein einziges in unserer Schrift. Das kann ja heiter werden …
Mein australischer Freund verabschiedet sich, und trotz der kurzen Bekanntschaft bleibt ein leises Gefühl des Verlusts zurück.
Auf der Suche nach dem Hotel
Meine Zweifel bezüglich Kommunikation bewahrheiten sich. Obwohl die Adresse des Hotels auch in Chinesisch steht, hat der würdige ältere Tuk-Tuk Fahrer alle Mühe. Nicht einmal die Lesebrille, die er aus der Tasche klaubt, scheint das Problem lösen zu können.
Aber wir fahren schliesslich los, beinahe lautlos, denn ich bin tatsächlich auf einem Tuk-Tuk mit Elektromotor unterwegs, also sozusagen einem e-Tuk-Tuk. Er fährt langsam, unsicher, hält dann irgendwann am Strassenrand und zeigt auf einen Häuserblock, an dem allerdings der Name eines ganz anderen Hotels prangt. Während ich verzweifelt bemüht bin, ihm klarzumachen, dass dies nicht die gesuchte Adresse ist, versucht er mich ebenso verzweifelt vom Gegenteil zu überzeugen. Wir einigen uns schliesslich dahingehend, dass ich mich verabschiede und mein Glück auf meine Weise versuche.
Das Hotel
Im Nachhinein – Shame on me und sorry, alter Mann – stellt sich heraus, dass es tatsächlich die richtige Adresse ist, nur dass sich das Hotel eben unsichtbar in dem riesigen Häuserblock versteckt. Obwohl sie nicht den Hauch von Englisch verstehen, finde ich schliesslich mit der gütigen Hilfe einiger Passanten doch noch den richtigen Eingang, den richtigen Lift, die richtige Reception.
Und das Zimmer ist Klasse. Allerdings führen Hunger und Durst schon bald wieder zurück auf die Strasse, es ist dunkel geworden, und ich fühle mich noch etwas unsicher in der unbekannten Umgebung. Die Trottoirs sind voller Menschen, lachenden, freundlichen Menschen, spazierend, am Boden kauernd, über ihre Nudelsuppen gebeugt.
Nachtessen
Ich finde schliesslich ein Restaurant, wie im Reiseführer angegeben, schlimmstes Fastfood, aber die Bedienung ist freundlich, jedoch einmal mehr von absoluter Verständnislosigkeit hinsichtlich Nicht-chinesischer Sprache zeugend. Wir einigen uns doch noch, nach langem Palaver und unter Zuhilfenahme der grässlichen Bilder auf der Menükarte, auf Reis mit Beef, gar nicht schlecht, doch das mit Eis gefüllte Wasserglas bleibt unangetastet.
Genug für heute …
PS Song zum Thema: Ann-Margret – I just don’t understand
Und hier geht die Reise weiter …