Heute Abend steht eine Herausforderung der besonderen Art an, die Fahrt nach Lima.
Das Ticket bei ‚Cruz del Sur‘ ist gebucht, Abfahrt um 14.00, Reisedauer 18 Stunden. Das wird ein Spass.
Allerdings machen mir die Nachrichten aus dem Norden von Peru etwas Sorgen. Die Bilder am Fernseher erinnern an den Tsunami 2004, schlimme Szenen, die sich da vor unseren Augen, live gefilmt, abspielen. Irgendwie drängt sich da ein unangenehmes Gefühl zur bevorstehenden Busfahrt ein. Aber wir werden sehen …
Zackige Marschmusik
Auf der leidigen Treppe, die ich heute besonders vorsichtig nehme (Viejo!), hört man schon von weitem zackige Marschmusik, Lautsprecherdurchsagen, Applaus.
Irgendwas besonders muss da los sein. Tatsächlich, vor der Kathedrale hat sich eine grosse Menschenmenge versammelt. Auf einem überdachten Podium stehen offenbar wichtige Leute aus Politik, Wirtschaft und Armee; in enge Uniformen und Anzüge gezwängt, stehen sie in Achtungsstellung da und starren ernsten Blickes auf ihre Untertanen herab. Eine Parade Soldaten zieht eben strammen Schrittes vorbei, dann ergreift der erste Redner das Mikrofon.
El Dia de los Artesanos
Es wird nun sehr martialisch, eine nationalistische Parole folgt der nächsten.
Anyway, irgendwann wird der eigentliche Grund klar. Es ist der Tag der Artesanos, der verschiedenen Handwerker aus dem ganzen Land. Unzählige, in ihre wunderbaren Trachten gekleidete Gruppen, ziehen am Podium vorbei, werden heftig beklatscht und von den hunderten (tausenden?) von Zuschauern fotografiert und gefilmt.
Der Internationale Tag des Handwerks wird jedes Jahr am 19. März gefeiert. Es ist ein Tag, an dem die Arbeit jedes einzelnen Kunsthandwerkers gewürdigt wird. Er fällt zeitlich mit dem in der katholischen Religion gefeierten St. Josephs-Tag zusammen. Josef, der Ehemann der Jungfrau Maria, war ein Zimmermann und Handwerker, deshalb wird dieser Tag als Tag der Handwerker gefeiert.
Abfahrt, leicht verspätet
Nach dem Checkout im Hotel (ich muss noch eine zerbrochene Lampe bezahlen, die ich bei der Jagd auf eine lästige Fliege in tausend Stücke zerschlagen habe), die Fahrt zum Cruz de Sur Terminal, wo ich Punkt 13 Uhr, so wie auf dem Ticket angeordnet, vor dem Counter stehe, und erst mal eine kalte Dusche erhalte.
Die nette junge Dame, die ich nach ein paar Sekunden bestenfalls noch jung finde, teilt mir mit freundlichstem Blick mit, dass sich die Abfahrt des Busses auf 18 Uhr verschoben hat. „Como?“ Es muss wohl etwas lauter und ärgerlicher geklungen haben als normal, denn das Fräulein zuckt merklich zusammen und stottert eine Entschuldigung.
Damn it! Sie kann ja nichts dafür, aber das merkwürdige präkognitive Gefühl dieses Morgens hat sich bestätigt. Die Huaicos, die Überschwemmungen, sind der Grund. Später erscheint mir aber der Grund, dass der 14-Uhr Bus durch Unterbuchung mit dem 18-Uhr Bus zusammengelegt wurde, als plausibler. Aber was soll’s, und so verbringe ich den Nachmittag halt andersweitig, fluche ein bisschen mit anderen Betroffenen, trinke einen Kaffee nach dem anderen, und warte und warte …
Aber dann ist er da, der Bus
Der Bus, der dann endlich eintrifft, ist einmal mehr, allererste Sahne.
Muss er auch sein, denn wie soll man sonst eine zwanzigstündige Fahrt überstehen. Jeder Sitz hat ein eigenes Display, Ladestationen für Handys, Nachtessen, Frühstück, Wolldecken, Kissen …
Die Passagiere, wie immer ein nationenübergreifender Mix, machen es sich bequem, doch bei der Abfahrt Punkt 18.00 ist es bereits so dunkel, dass sich kaum mehr ein Blick aus dem Fenster lohnt. Also zurücklehnen, Film auswählen, etwas essen, langsam hinüberdämmern …
Kilometerstand: unbekannt
Song zum Thema: Lee Dorsey – Working in the Coalmine
Und hier geht die Reise weiter … nach Lima