Wenn man sich in der Wüste befindet, diesem unendlichen Meer aus fast nichts gegenübersteht, merkt man wieder, wie klein man ist, welch lächerlich verletztliches Wesen der Mensch doch ist. Und heute ist einer dieser Tage, wo wir uns tatsächlich klein und ziemlich verlassen vorkommen.
Aber alles der Reihe nach.
Die gesamte Strecke nach Kabul misst über 1000 Kilometer, mehrheitlich durch menschenfeindliche Umgebung, entlang schnurgerader Strecken, wo sich das Auge im immer Gleichen verliert, wo man von einer seltsamen Müdigkeit ergriffen wird.
Wir beabsichtigen, die Strecke in drei Abschnitte zu teilen. Dass sich das als eine Schnappsidee herausstellen wird, wissen wir an diesem kühlen, herbstlich anfühlenden Morgen noch nicht.
Benzintanken in Herat
Aber bevor es losgeht, müssen die Benzintanks gefüllt werden, wer weiss schon, welche Überraschungen auf uns warten. Und eine Panne infole fehlenden Benzins wollen wir uns nicht antun.
Das ist allerdings schneller gesagt alst getan. Denn nirgends ist das gute iranische Benzin zu kriegen, nur dieses stinkende Zeug aus Russland, dieses Shurewy Petrol oder wie auch immer dieses Ding heisst.
Und eine weitere Schwierigkeit tut sich auf, mit der niemand gerechnet hat (obwohl man dies nach den Erfahrungen in der Bank eigentlich hätte wissen müssen, von allen vorherigen Warnungen mal völlig abgesehen).
Anyway, Ueli ist das erste Opfer und merkt nicht auf Anhieb, dass er betrogen wird. Sein Beispiel zeigt die Funktionsweise der faulen Tricks . Also – die Rechnung beläuft sich auf 210 Afghanis. Man bezahlt also mit zwei Hunderter und einem Zehner. Dummerweise sehen die beiden Noten fast identisch aus, also quasi eine Vorlage für jeden Betrugsversuch.
Der Tankwart nimmt die drei Scheine entgegen, wechselt einen der beiden Hunderter blitzschnell und ohne dass es jemand merkt, in einen Zwanziger um. Dann reklamiert er freundlich und fast verschämt, dass er nur 130 Afghanis erhalten hat. Oh sorry, sagt man entschuldigend, und wechselt den Zwanziger folgsam gegen einen Hunderter ein. Und fertig ist der Betrug! Immerhin achtzig Afghanis für den Tankwart. Bei so vielen unbedarften Touristen muss das ein gutes Geschäft sein.
Und übrigens – bei der nächsten Tankstelle in der Wüste geschieht das haargenau Gleiche nochmals, und dann, erst dann, geht uns – und Ueli – ein Licht auf. Aber eben – man lernt nie aus.
Die Fahrt durch die endlose Wüste
Der Blick auf die Karte zeigt das Ausmass der uns umgebenden Einöde.
Genau gesagt handelt es sich um eine sogenannte Halbwüste, also viele Steine und Sand und gelegentlich ein paar vertrocknete Kameldisteln dazwischen. Man fragt sich dabei, wie die Kamele diese stachligen Dinger essen. Ein weiteres Mysterium, eines von vielen, die uns im Verlauf der nächsten Tage begleiten werden.
Lawrence of Arabia
Kann man an die Wüste denken, ohne „Lawrence of Arabia“ vor dem inneren Auge entstehen zu lassen? Die Nefud, die menschenfeindliche Wüste, die Lawrence mit seinen Beduinen durchqueren muss, um in Akaba die Türken zu vertreiben? So kommt es uns heute vor, nicht ganz so lebensfeindlich wie die Nefud, doch beängstigend leer und abweisend.
Ein Meilenstein der Filmgeschichte. Ein All-time-favorite, der immer noch zu begeistern vermag. Und ja, viele Jahre später ein ähnliches Erlebnis – in Vietnam.
Lastwagen und Karawanen
Die Strasse verläuft lange Zeit schnurgerade dem verschwommenen Horizont entgegen. Eine Betonpiste russischer Bauart, sehr angenehm zu fahren, alle paar Meter macht es einen kaum wahrnehmbaren Hüpfer. So ist das also, der Nachbar aus dem Norden ist also nicht nur mit Benzin vertreten sondern auch mit Strassen. Und ja, wir wissen, wozu dies geführt hat. Gerade mal vier Jahre später stellte die damalige Sowjetunion klar, wer im Land das Sagen hat, und überfiel das wehrlose Land.
Allerdings vergassen sie – wie viele vor und nach ihnen – die unvergleichliche Widerstandskraft des Landes, die es immer wieder schaffte, den Eroberern die Stirn zu bieten. Dass die Mujaheddin beim Widerstand gegen die Russen von den Amerikanern tatkräftig und mit vielen Waffen unterstützt wurden, ist eine andere Geschichte. Sie zeigt, wie politische Einflussnahme gepaart mit einer gewissen Einfalt zum Gegenteil dessen führt, was eigentlich beabsichtigt wurde (siehe Vietnam, siehe Irak).
Aber das war damals, im fernen 1974, eine Geschichte, die bei der Fahrt durch die afghanische Wüste eine untergeordnete Rolle spielte.
Ab und zu, ein seltenes Ereignis in der Wüste, ein einheimischer Lastwagen, vollbepackt nicht nur mit Material sondern auch mit Passagieren, die wie Kletten am Wagen hängen. Öffentlicher Verkehr? Fehlanzeige. Für die in der Wüste lebenen Menschen sind diese Lastwagen das einzige Mittel, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Für uns schlicht unvorstellbar, wie es sein muss, vielleicht stundenlang in der brennenden Sonne am Strassenrand auszuharren, um irgendwann mit etwas Glück eine Fahrgelegenheit zu finden.
Und dann, unerwartet und wie ein Phantom, eine Karawane. Kamele, Esel, vollverhüllte Frauen, Männer in ihren traditionellen Kleidern. Und Kinder. Ihre dunklen Augen bleiben auf uns haften, ihre Miene scheint zu fragen, wer wir sind, was wir hier tun, wohin uns der Weg führt.
Wahrscheinlich wissen wir es selbst nicht.
Obolus
Für die einzige Abwechslung im eintönigen Fahren entlang endlos scheinender Pisten sorgen die Strassenzölle. Alle hundert Kilometer oder so muss ein Obolus bezahlt werden. Man wird also durch wie immer grimmig blickende Soldaten aufgehalten, der Wagen wird parkiert und anschliessend geht es darum, die Kasse zu suchen.
Was einfacher klingt als es ist.
Denn manchmal befindet sich das „Büro“, wo man bezahlen muss, in einer dunklen Höhle. Vermummte Gestalten sitzen am Boden, sehen kann man wenig, verstehen noch weniger, doch irgendwann wird klar, dass man ein Formular ausfüllen muss, das wahrscheinlich irgendwann entsorgt wird.
Und dann bezahlt man irgendeinen Betrag, er unterscheidet sich von Ort zu Ort, wahrscheinlich ist es der Ortsvorsitzende, der den Betrag definiert. Und natürlich wird man auch hier beschissen, aber daran haben wir uns längst gewohnt. Was man eh nicht ändern kann, sollte man akzeptieren. Alles andere gehört in andere Welten.
Girishk
Am späten Nachmittag wird der Himmel farbiger, gelber, die Sonne verschwindet am andern Ende des Horizonts und hinterlässt eine warme Spur aus Licht und Farben, bis sich auch diese auflösen und Dunkelheit sich breit macht.
Wir treffen in Girishk ein, einem kleinen unscheinbaren Flecken inmitten der Wüste, und parkieren unsere Autos vor einem Tor, in der Hoffnung, dass sich dahinter eine Polizeistation oder ähnliches verbirgt. Der Ort scheint so tot zu sein wie der Mond, der hell auf die schemenhafte Landschaft herunterscheint. Aber kein Licht im Dorf, kein Laut, nur ein paar huschende Gestalten, die sich plötzlich lautlos um unsere Wagen bewegen.
Anfänglich bleibt es still, bis sich dann doch einige Männer dazu bequemen, mit uns das Gespräch zu suchen. Ein grosses Palaver entsteht, die einen finden es akzeptabel, wenn wir hier übernachten, andere sind skeptisch, da sie nicht für unsere Sicherheit garantieren können. Und so geht die Diskussion in die nächste Runde, während unsere Gesprächspartner in aller Ruhe essen und die Situation zu geniessen scheinen.
Nach endlos scheinenden Diskussionen, die nirgendwo hinführen, beschliessen wir entnervt, die restlichen 120 Kilometer bis Kandahar durchzufahren.
Im Konvoi nach Kandahar
Unsere Scheinwerfer durchbrechen die Dunkelheit, einzig der stille Mond begleitet unseren Weg durch die nächtliche Wüste. Manchmal ein Lichtschein am Horizont, vielleicht ein Nomadenzelt, ein Haus, ein Stall, irgendetwas Belebtes in der unbelebten Welt.
Es kommt uns vor, als würden wir laulos durch die Nacht preschen, und doch scheint die Nacht voller Geräusche zu sein. Aber sie sind Einbildung, da ist nichts, was ein Geräusch hervorbringen könnte, da ist kein Insekt, kein entlaufener Esel, nicht mal das Jaulen eines Hundes. Wir und unser Wagen und die Wüste. Nichts weiter. Bloss die Nacht.
Kandahar, immerhin eine der drei grössten Städte des Landes, kündigt sich von weitem an. Die Stadt leuchtet inmitten der Wüste wie ein großes flackerndes Licht in der Dunkelheit. Und tatsächlich, belebte Strassen heissen uns willkommen, Lichter und Häuser und Menschen auf der Strasse.
Wir finden im zweiten Anlauf ein Hotel mit Garten und Dusche und allem anderen. Und dann gilt es nur noch den Tag zu feiern, im Gartenrestaurant des Hotels.
Alle Spannung ist abgefallen, wir hängen in den Seilen, glücklich den Tag überstanden zu haben.
Song von 1974: Eric Clapton – Let it grow
Und hier geht der Trail weiter … in Kandahar und nach Kabul