Erinnerungen sind fragwürdige Zeugen, wenn es um Zuverlässigkeit, um Wahrheit, um Genauigkeit geht.

Sie sind Versionen unseres Geistes, zusammengeschustert aus Bildern, Geräuschen, Vorstellungen, Träumen, Gerüchen. Man kann ihnen nicht trauen, und trotzdem stellen sie auf ihre Weise eine Wahrheit dar, vielleicht eine andere als die tatsächlich erlebte, und doch ein Zeugnis von etwas vielleicht so Gewesenem.

Letztlich ist es egal. Eine gute Geschichte, auch wenn sie nicht ganz der Wahrheit entspricht, ist immer noch eine bessere Geschichte als eine schlechte, die ganz der Realität entspricht.

Alles, was nun folgt, ist eine Version. Meine Version.

Manches tatsächlich erlebt, anderes vorgestellt, wie es gewesen sein könnte, dazu Versatzstücke, Teile der Wahrheit, Phantasien, Lügen.

Aber irgendwie trotzdem wahr.

Der Abschied

Ich weiss nicht mehr, ob uns auf den ersten Kilometern bewusst wird, auf was wir uns eingelassen haben. Vielleicht wiegen wir uns in der Illusion, dass wenn alles schief geht, wir einfach wieder nach Hause zurückkehren, mit geknickten Hoffnungen natürlich, angeknackstem Selbstvertrauen, aber wenigstens heil und gesund.

Our VW BusWahrscheinlich ist dieser Gedanke weit weg. Oder doch, kann es sein, dass wir selbst noch nicht ganz überzeugt von unseren hochfliegenden Plänen sind? Immerhin liegen geschätzte 10’000 Kilometer durch schwierige Gegenden, auf schlechten Strassen, vor uns unvorhersehbare Hindernisse, vielleicht Pannen und weiss der Henker was alles.

Aber den Mutigen gehört die Welt, wie man so schön sagt. Mal sehen, wie weit uns der Mut trägt …

Wir verabschieden uns von unseren Eltern und Geschwistern, bemühen uns, ein optimistisches Bild unseres Abenteuers zu zeichnen. Ob es auf Verständnis gestossen ist, ist fraglich.

Schlechte Vorzeichen

Aber dann sind wir definitiv unterwegs. Das Gefühl ist berauschend und irritierend zugleich. Wir befinden uns zwar tatsächlich auf dem Weg, aber eine gewisse Unruhe lässt sich nicht verheimlichen.

Dass ein paar nicht unwesentliche Dinge zu Hause liegen geblieben sind, macht die Sache auch nicht besser, im Gegenteil. Die Sterne sind uns nicht so wohl gesonnen, wie wir gerne hätten. Sie scheinen sich zu bemühen, uns den Abschied möglichst schwer zu machen.

Wir haben zwar tausende Kilometer vor uns, entlang unbekannter, wahrscheinlich schlecht beschilderter Routen, die Notwendigkeit guter und zuverlässiger Strassenkarten ist unbestritten, doch unsere Karten sind irgendwo, nur nicht dort, wo sie sein sollten. Wir haben sie schlicht zu Hause vergessen. Wenn es noch einen Beweis für unsere Beschränktheit braucht, hier ist er.

Kurz vor Chur ein weiteres Omen. Nach nicht mal 200 km, kurz vor Chur, kommt uns ein Auto heftig schleudernd entgegen, schiesst an uns vorbei, rammt den Wagen hinter uns. Ein paar Sekunden später, und unsere Reise hätte ein schnelles Ende gefunden.

Der Fahrer des Unfallwagens soll dem Himmel danken, dass er uns verpasst hat, denn ich hätte ihn sonst eigenhändig erwürgt.

Nach einer eher mühsamen Überquerung des San Bernadino erreichen wir Chiasso, den letzten Ort auf Schweizerboden. Wir genehmigen uns einen Kaffee und füllen sämtliche Kanister mit dem billigen Schweizer Benzin. Und dann – heureka – überqueren wir die Grenze nach Italien. Wir sind im Ausland.

Und wir sind glücklich.

Die Probleme beginnen

Hundertfünfzig Kilometer weiter südlich, auf der Autostrada Richtung Venedig, sind wir weniger glücklich. Sollten die Omen doch noch Recht behalten?

Die Ladekontrolllampe beginnt zu flackern und scheint irgendeinen Defekt anzuzeigen. Ich als Chauffeur und Verantwortlicher für alles, was unser Vehikel betrifft, habe nicht den leisesten Schimmer, was da los sein könnte. Meine Kenntnisse bezüglich Motor und alles andere beschränken sich auf das Öffnen und Lesen der entsprechenden Reparaturanleitung.

Wir verschieben das Problem auf morgen (Probleme soll man bekanntlich besser überschlafen) und beschliessen, die Nacht auf dem nächsten Pavesi zu verbringen.

Natürlich läuft angesichts der engen Platzverhältnisse noch nicht alles rund. Zähneputzen, ins Pijama steigen, das Bett bereitstellen (wobei der Begriff Bett etwas hoch gegriffen ist; es handelt sich um ein Brett, das ausgezogen werden muss, darüber eine ziemlich dünne Matratze), an das alles muss man sich gewöhnen, aber dazu haben wir Wochen und Monate Zeit. Wir stehen uns auf den Füssen herum, suchen verzweifelt nach Utensilien, die sich irgendwo versteckt haben.

Der Schlaf allerdings ist göttlich. Angesichts der anstehenden Probleme ist eine gewisse Unbedarftheit die einzige Möglichkeit, die Ruhe zu bewahren …

Ziemlich viel kaputt

Das Erwachen in fremder Umgebung – für die nächsten Monate der Normalzustand – ist verwirrend, vor allem, wenn man zum ersten Mal in einem VW-Bus erwacht. Die Decke ist gefährlich nahe, ein Aufschrecken in der Nacht würde zwangsläufig zu Beulen und Kopfschmerzen führen. Knie und Füsse stossen an, es riecht nach Benzin und Motor und allerhand anderem, das sich nicht auf Anhieb identifizieren lässt.

Alles in allem ungewohnt, aber nicht unangenehm. Überraschenderweise fühlen wir uns ausgesprochen gut, obwohl ein böses Teufelchen herumgeistert und was von Motorproblemen flüstert.

Our repair manual
Unsere Reparatur-Anleitung

Ich habe zwar auch nach dem Blättern in der Reparaturanleitung keine Ahnung, was der Grund für das Problem mit der Lampe sein könnte, also wechsle ich vorsorglich schon mal den Keilriemen. Kann ja nicht schaden.

Wir fahren also mehr oder weniger frohgemut weiter und hoffen auf ein Wunder, das selbstverständlich nicht eintrifft.

Beim nächsten Pavesi müssen wir notgedrungen wieder weg von der Autobahn, denn nun flackert das kleine böse Lämpchen nicht mehr, es brennt jetzt ohne Pause. Langsam breitet sich nun eine gewisse Nervosität aus, auch erneutes Nachsehen in der Reparaturanleitung bringt keine Lösung. Was also tun?

Nun, immerhin läuft der Wagen ansonsten tadellos, vielleicht ist ja einfach die Lampe kaputt. Wenn es noch etwas braucht, um unseren unbegrenzten Optimismus (oder Dummheit?) nachzuweisen, so ist es der Entschluss, einfach mal weiterzufahren.

In Mestre, unweit nach Venedig, ist die Batterie leer (die Lampe war also ganz in Ordnung). Mit dem Fuss ständig auf dem Gaspedal, denn sonst stellt der Motor ab und kann nicht mehr gestartet werden, suchen wir verzweifelt nach einer Garage. In der ersten ist der Autoelektriker in den Ferien, in der zweiten verstehen sich die Leute nur auf Rennwagen. Natürlich können wir ihnen nicht verübeln, dass sie unser unansehnliches Gefährt nicht gerade als Lotus Elan betrachten.

Erbarmen mit den armen Hippies

Dann haben wir allerdings Glück, denn einer der Mechaniker, normalerweise mit Maseratis und Lamborghinis beschäftigt, erbarmt sich unser und wagt schon mal einen Blick in die Innereien unseres Ferrarris. Die mitleidigen Blicke seiner Kollegen pariert er mit stoischem Gleichmut. Muss man wahrscheinlich haben, wenn man sich der Aufgabe widmet, der er sich angenommen hat.

Definitely not our car
Definitv nicht unser Wagen

Im Nachhinein, wenn nach einer knappen halben Stunde klar ist, was alles kaputt ist, kann ich mir keine Vorwürfe bezüglich Nichtkenntnisse mehr machen.

Ohne Übertreibung könnte man behaupten, dass der grösste Teil der elektrischen Anlage defekt ist, also die Lichtmaschine, der Regler und einiges anderes, was ich eh nicht verstehe. Zum ersten Mal wird uns klar, was der TCS Spezialist meinte, als er behauptete, mit diesem Auto nicht mal nach Liechtenstein fahren zu wollen.

Es wird langsam dunkel, doch es wird immer noch emsig gearbeitet. Schliesslich aber, um Fr. 200.- erleichtert, können wir doch noch weiterfahren, es ist in der Zwischenzeit halb neun. Ich bin kein Fan von Extrapolationen, es kommt ja doch immer anders als man denkt, aber an diesem dunklen Abend wage ich nicht an die weitere Zukuft zu denken …

Offenbar haben aber die schnellen Boliden in meinem Unterbewusstsein ihre Spuren hinterlassen, denn meine Träume sind erfüllt vom Röhren eines gelben Lamborghinis, genauso wie ich mir mein Auto vorstelle. Nicht dieses klobige Ding, das uns bisher nur Scherereien gebracht hat. Aber andererseits – wenn ich an die Strassen in Indien oder Nepal denke, da könnte ich mir vorstellen, dass diese italienischen Superkarossen schnell an ihre Grenzen stossen würden.

 

Song von 1974:  The Sparks – This town ain’t big enough for the both of us

Und hier geht der Trail weiter … nach Jugoslawien

 

Ähnliche Beiträge

Entdecke mehr von Travelbridge

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen